Im herbstlichen Bosnien und der Herzegowina

Reisezeit: Oktober 2007  |  von Holger H.

Mit dem Überlandbus weiter nach Sarajevo

Am Vormittag des 22. Oktober (Montag) fuhr mich die Dame vom Hostel Nina dankenswerterweise persönlich zum im Ostteil gelegenen zentralen Busbahnhof, wo ich gegen 11 Uhr den von mir anvisierten Überlandbus nach Sarajevo besteigen wollte. Im letzten Moment noch auf drei Minuten das Ticket kaufen, den Rucksack verladen und ausgesprochen pünktlich fuhr der Bus dann auch schon ab, der mich, nachdem ich als letzter Fahrgast eingestiegen war und der Motor bereits lief, in die im Krieg so arg geschundene Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas bringen sollte. Das noch in dieser Jahreszeit so sehr von mediterranem Klima geprägte Mostar zeigte zu meinem Abschied noch einmal sein schönstes, anmutigendstes Bild, so dass die Fahrt bei mildem und sonnenscheindurchflutetem Herbstwetter begann, doch dies sollte sich alles noch sehr rasch ändern...

Zunächst ging es stadtauswärts in nördlicher Richtung bis Potoci entlang alter, verrotteter bzw. zerstörter Industrieanlagen bzw. unansehnlicher Vororte, in denen wohl vor allem die Volksgruppe der Zigeuner hausen; kurz danach begrüßt einen zur Linken die gestaute Neretwa, an der sich die Straße fortan weiter Richtung Sarajevo entlangschlängelt. Genau so stellt man sich den Balkan vor, karstige, aber in diesem Fall noch anfangs bewaldete Landschaften, tiefe Felseinschnitte und weit und breit kein Haus zu sehen; ein klein bisschen Karl-May-Flair und zugleich ein ideales Gebiet für die Partisanenkämpfe während des Zweiten Weltkriegs. Nach etwa eineinhalb Stunden unter immer stärker zunehmendem Regen erreichten wir die Stadt Jablanica in Zentralbosnien; die Temperaturen waren mittlerweile merklich gesunken, was man in den hinteren Reihen des Busses auch verspürte. Die Stadt Jablanica selber liegt in einem engen Talkessel, der nach mehreren Richtungen hin schmal geöffnet ist. Nach einem kurzen Stopp ging es weiter; die Straße führt dabei entlang des Neretwa-Stausees, den man von südwestlicher Richtung auf der linken Seite passiert und der zu dieser Zeit wenig Wasser führte. Entlang des Stausees schmiegen sich viele kleine Wochenendhäuser offenbar wohlhabender Bosnier, ein Anblick, der einen aber aufgrund der Wettertristesse bereits nicht mehr aufheitern konnte. Kurz danach erreicht man die mittelbosnische Stadt Konjic, wo die spätsommerliche Stimmung der Herzegowina endgültig vorübergezogen war und ein dichtes Schneetreiben die Stadt mittlerweile in ein winterliches Weiß verwandelt hatte.

Konjic im Schneetreiben

Konjic im Schneetreiben

Hinter Konjic schlängelt sich die Straße in Serpentinen hinauf zum bosnischen Hochmassiv, wo das Schneetreiben im Nu für Winterstimmung sorgte. Nach rund einer Stunde erreichten wir trotz der winterlichen Straßenverhältnisse, auf die die bosnischen Fahrer offenbar immer eingestellt sind, den Talkessel von Sarajevo. In diesem Moment war mir bewusst, warum diese Stadt die Olympischen Winterspiele 1984 ausrichten konnte...

Die Straße führt von Westen kommend in den weitläufigen Talkessel der bosnischen Hauptstadt. Zuerst sieht man die Außenbezirke von Ilidza, wo größtenteils Einfamilienhäuser und kleinere Betriebe das Bild prägen. Dahinter zur Rechten befindet sich auch der Internationale Flughafen, über den die Stadt in den 90er Jahren teilweise mit Lebensmitteln versorgt wurde. Sarajevo wird von West nach Ost von einem Boulevard durchzogen, der im Krieg als Scharfschützenallee (Sniper´s Alley) traurige Berühmtheit erlangte. Auf der rechten Seite sah man die Betontürme des ehemals serbischen Stadtteils Grbavica, der sich eine klassisch sozialistische Bauweise, wie sie auch Tito pflegte, nicht gerade positiv hervortat.

Das im Krieg bekannt gewordene Hotel Holiday Inn

Das im Krieg bekannt gewordene Hotel Holiday Inn

Nach einer etwa halbstündigen Fahrzeit durch den Berufsverkehr der Hauptstadt erreichten wir den zentralen Busbahnhof, von wo ab ich zu Fuß in Richtung meines Hostels Posillipo aufbrach, das ich nach über halbstündigem Fußmarsch durch den Schneematsch der Stadt schließlich erreichte. Gott sei Dank lief die Heizung im Zimmer auf vollen Touren, da ich auf dem Kopfsteinpflaster der Bašcaršija gleich in ein mit Wasser gefülltes Schlagloch getreten war.

Meine bereits vorher über´s Internet gebuchte Unterkunft Hostel Posillipo lag direkt an der Bašcaršija, dem ehemaligen Handwerkerviertel der Stadt mit seinem bekannten Taubenhaus, das noch heute viele Postkarten von Sarajevo ziert. Die Bašcaršija selber liegt ganz im Osten der Stadt, ist zwar gleichzeitig einer der bekanntesten Plätze, aber liegt so gesehen auch am Ende der Stadt, denn circa 400 Meter weiter nach Osten enden die letzten Bauten am Stadtrand. Als Einzelperson hatte ich dementsprechend ein Einzelzimmer gebucht, bekam aber mangels Reservierungen zu dieser Zeit sogar ohne Aufpreis ein Doppelzimmer gestellt.

Nach einer kurzen Aufwärmphase im Hostel wollte ich es mir es dennoch nicht nehmen lassen, selbst bei dem unrühmlichen äußeren Bedingungen - mittlerweile hatte es zu tauen bzw. regnen begonnen - zumindest die Bašcaršija und Teile der Innenstadt rund um die Miljacka, die mitten durch Sarajevo fließt, zu erkunden.

Tauben in der Bašcaršija

Tauben in der Bašcaršija

Die Bašcaršija im Herbst

Die Bašcaršija im Herbst

So führte mich mein Weg von der Bašcaršija Richtung Westen ins Stadtzentrum auf die Hauptstraße "Marsala Tita", wo ein loderndes Feuer an die Kriegsopfer erinnern soll. Die Tatsache, dass sich rings um die Flamme Menschen gruppierten, um sich aufzuwärmen, passte zu der Stimmung des Tages. Der Talkessel, in dem Sarajevo eingebettet liegt, lag bis zum Abend in dichtem Nebel, so dass man keinen Blick bis in die umgrenzenden Berge erhaschen konnte.
Mein Eindruck an diesem Tag, der sich auch nicht ändern sollte war, dass Sarajevo zwar im Zentrum mittlerweile eine durchaus hektische Stadt geworden war, mit den teilweise im Bau befindlichen üblichen neumodernen, architektonisch einheitlichen Hochhäusern und Bürokomplexen, auf der anderen Seite bewahrte sich die Stadt einen gewissen auch der Winterstimmung geschuldeten ärmlichen Charme. Die Kleidung der Menschen durchgehend grau in grau, ebenso wie die Fassaden der Häuser.
Im Zentrum und speziell an der Miljacka stehen überall noch komplett kriegsverwüstete Gebäuderuinen und Stahlskelette herum, ähnlich wie in Mostar sogar in vermeintlich bester Lage.

Auf dieser Brücke wurde der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 erschossen

Auf dieser Brücke wurde der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 erschossen

Universitätsgebäude an der Miljacka

Universitätsgebäude an der Miljacka

An der "Obala Kulina bana", einer in Ost-West-Richtung verlaufender dementsprechend viel befahrener Hauptstraße entlang der Miljacka beispielsweise findet sich noch die Fassade des Hauptpostamts der Stadt in zerschossenem Zustand (innen allerdings alles voll intakt), die Fassaden mehrerer dort befindlicher Universitätsgebäude zeugen ebenfalls noch von Mörser- und Granateinschlägen und die Alte Universitätsbibliothek präsentiert sich gewissermaßen wie ein Mahnmal, an dem jeder Besucher zu Fuß oder mit dem Auto vorbei muss, noch in jenem komplett niedergebrannten Zustand.
Im Viertel Skenderija auf der Südseite der Miljacka präsentieren sich einige Botschaftsgebäude in teilweise moderner Glasbauweise, mitunter aber auch in erbärmlichem heruntergekommenem Stil, wie etwa die französische Botschaft, der Gebäude noch immer von zahlreichen Einschusslöchern geziert ist.
Ansonsten fallen im Stadtzentrum dem erstmaligen Besucher immer wieder die nachgemalten rote Kleckse auf der "Ferhadija" auf, die an die gewaltsame Vergangenheit der Granateneinschläge erinnern sollen. Hier und da erinnern Gedenktafeln an die gefallenen Opfer bzw. an zivile Opfer des Mörserbeschusses.
Schönere Erinnerungen bietet die Stadt in Hülle und Fülle. Im Jahr 2007 hatte sich die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele zum 23. Mal gejährt; Sarajevo war Gastgeber der 14. Olympischen Winterspiele. Damals im Jahre 1984 wurde Sarajevo das Synonym für die Überwindung der Hindernisse, die die moderne Welt belasteten. Sarajevo wurde zur Stadt der Freundschaft, des Friedens und ein Ort vieler Kulturen und Traditionen, die hier zusammenkamen, um gemeinsam den olympischen Geist zu leben. Diese Spiele waren einer der vielen Höhepunkte seiner Geschichte und waren nach Meinungen von Experten eine der best organisiertesten Winterspiele aller Zeiten. Aufgrund des andauernden Nebels und der mittlerweile einbrechenden Dunkelheit beschloss ich, die Städten der Spiele, die eher im Norden der Stadt angesiedelt sind, an diesem Tage nicht mehr zu besuchen. Der Trebevic, die Jahorina, der Igman und das Bijelasnica-Gebirge sind 1984 zum Synonym für Wintersportbegeisterte in aller Welt geworden. Die meisten der olympischen Sportstätten wurden während des Krieges zerstört.
Nach dem Rückweg ins Hostel - es war bereits dunkel geworden und ich hatte in den Souvenirshops bzw. im Basar in der Bašcaršija noch einige Mitbringsel für zuhause erstanden, und dem anschließenden Aufwärmen machte ich mich noch einmal auf zu einer nahe gelegenen "Cevapcinica", so dass ich danach fürchterlich nach Zwiebeln und Knoblauch stank. Für meine Verhältnisse ziemlich früh legte ich mich gegen elf Uhr abends schlafen.

Das "neue" Sarajevo

Das "neue" Sarajevo

Der Morgen des Dienstag, 23. Oktober wartete mit keiner Wetterbesserung auf, so dass die Nebelsuppe noch weiter in die Stadt hineinhing und man kaum zwanzig Meter die Berge hinaufschauen konnte, ohne dass die weißen Schwaden den Blick eintrübten. Dazu kam ein permanenter Nieselregen, der im Laufe des Tages nicht mehr aufhörte.
Am Vormittag besuchte ich am Südostende der Stadt direkt gegenüber und kaum 500 Meter Fußmarsch von der Bašcaršija entfernt einen Friedhof auf. Dieser Friedhof bestand vor allem wie zu erwarten aus Gräbern während der Kriegsgeschehen zwischen 1992 und 1995. Von dort hatte meinen wunderbaren Blick auf die Bundesstraße E761, die geradewegs nach Osten in Richtung Serbenhochburg Pale führt. Wäre nicht der massive Nebel gewesen, hätte man auch einen wunderbaren Blick über die Stadt genießen können. Hätte, wäre, wenn...

Grabstelen

Grabstelen

Die Stadt im Nebel

Die Stadt im Nebel

Hauptverkehrszeit am frühen Abend

Hauptverkehrszeit am frühen Abend

Die serbisch-orthodoxe Kirche

Die serbisch-orthodoxe Kirche

So beschloss ich am Nachmittag kurzentschlossen, mir am Busbahnhof der Stadt für knapp über 50€ ein Rückfahrtticket für den folgenden Morgen (Mittwoch) nach München ausstellen zu lassen.
Trotz des miserablen Wetters nahm ich mit Wehmut von Sarajevo Abschied, um gleichzeitig zu beschließen, die Stadt in meinem Leben hoffentlich nicht das letzte Mal besucht zu haben.

Bašcaršija by night

Bašcaršija by night

© Holger H., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Die Tour startete zur goldenen Herbsteszeit von München aus per Flugzeug nach Dubrovnik an der dalmatinischen Küste. Von dort aus ging es weiter per Überlandbus in die Hauptstadt der Herzegowina, nach Mostar. Nach zweitägigem Aufenthalt setzte ich die Reise per Busfahrt fort über die schneebedeckten Pässe Mittelbosniens ins bereits verschneite Sarajevo. Von dort ging es zwei Tage später in einer abenteuerlichen Busfahrt durch Bosnien, Kroatien, Slowenien und Österreich heim nach München.
Details:
Aufbruch: 19.10.2007
Dauer: 7 Tage
Heimkehr: 25.10.2007
Reiseziele: Bosnien und Herzegowina
Der Autor
 
Holger H. berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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