Batterien aufladen
Abfahrt
Ich habe erstaunlich viel geschlafen, diese Nacht. Obwohl es richtig kalt war. Vor allem der Wind machte mir zu schaffen. Er spielte mit der leeren Hängematte, die ein junges Mädchen neben mir aufgehängt hatte. Ich glaube, sie hat sich für diese Nacht anderswo Wärme gesucht. Sie scheint jedenfalls einen jungen Mann, der gleich hinter uns liegt, besser zu kennen. Überhaupt ist die Nacht voller Geheimnisse.
Um vier überwinde ich mich und verlasse trotz beissender Kälte meine Hängematte - und schwanke Richtung Toiletten. Ich bin doch weder betrunken, noch sind wir auf dem Wasser, versuche ich mir mein Schwanken zu erklären. Doch dann erkenne ich den Grund. Ich lag seit fast 12 Stunden in der Hängematte. Manchmal, wenn jemand an mir vorbei ging, schwankte sie leicht, oder wenn sich Raissa, meine andere Nachbarin neu positionierte, berührte sie mich und brachte mich ebenfalls in Schwingung. Oder wenn ich mich selber umdrehte. Erstaunlich, ich habe richtig geschlafen. Und schon bald mummle ich mich auch schon wieder ein. Ist auch bitter nötig, denn es ist kalt.
Auf Deck brennt die ganze Nacht eine Lampe und jetzt um vier Uhr morgens ist es überall still. Um sechs werden die Hühner angeliefert. Mindestens 10 Plastikgitter mit Hühnern. Bei den ersten glaubte ich, sie wären tot, doch dann höre ich es in der Nähe der Küche leise gackern. Werde mir später ansehen, wo sie gelandet sind, jetzt drehe ich mich noch einmal um.
Bald wird es Morgen. Ein kühler Morgen mit wolkenverhangenem Himmel. Juan der fürs Putzen zuständig ist, kommt mit seinem Besen vorbei. "Wann werden wir auslaufen?" frage ich ihn. "Heute!" seine überzeugte Antwort. Später frage ich den Kapitän. "Um zehn Uhr" sagt er ebenfalls mit Überzeugung. Es ist jetzt acht Uhr, ich mache gerade Aufnahmen unten auf Deck eins. Will etwas von der Ladung einfangen. Da gibt es Kühlschränke, Fernseher, Kartons mit Chips, ein Wassertank. Ein solcher stand letzte Nacht plötzlich vor meiner Hängematte, der Wind hatte ihn herein geschoben. Jetzt steht er wieder draussen auf dem Deck.
Mit diesem Kran geht das Entladen einfacher
Ich sehe aus dem Fenster, hinüber zu den Baumstämmen, die noch immer ausgeladen werden. Diesmal ist der Kran erwacht. Gestern lag er noch hilflos auf der Seite, aber jetzt hievt er Stamm um Stamm hinüber zum Ufer, wo sie der Trax aufstapelt. Und da erwacht auch unser Motor zum Leben. Und das Schiff bewegt sich. "Wir fahren los", will ich jubeln, treffe auf Peer und verkünde ihm voller Stolz die neue Nachricht. "Wir legen los!" "Glaubst du das wirklich", meint er. "Siehst du denn nicht, dass da vorne an Deck noch immer ein grosser leerer Raum klafft?" "Ja das sehe ich", muss ich kleinlaut gestehen, "aber wir fahren doch bereits". "Ja, aber die fliegenden Händler haben das Schiff noch nicht verlassen". Darin muss ich ihm Recht geben und so kommt es, dass wir 200 Meter weiter vorne bereits wieder an Land anlegen.
Da vorne hat es noch Platz für 5 Container
Ein paar Lastwagen mit Containern stehen bereit und ein Kran ist auf einer Plattform installiert. Sofort kommen wieder die Träger und tragen ihre Lasten unaufhörlich ins Schiff. Ein unwegsamer Pfad, eine hohe Stufe beim Einstieg, nichts kann sie hindern, sie tragen ihre Säcke, Berge von Toilettenpapier und andere Güter ins Innere des Schiffes. Und dann hievt der Kran Container um Container ins Schiff.
Abfahrt um 10 Uhr, das war einmal. Ich verkrieche mich in die Hängematte, kaufe noch eine zusätzliche Decke und vertiefe mich in meinen dicken Krimi von Stieg Larsson. Sollen doch die ihren Kahn allein laden!
Zum Mittagessen gibt es Reis mit Poulet. Ja, ein paar der Hühner mussten wohl bereits ihr Leben lassen.
Essensausgabe in der kleinen Kombüse
Per übt mit den Kindern spanische Wörter
Um 15.00 Uhr wird es dann plötzlich ruhig auf dem Schiff. Die fliegenden Händler haben es verlassen. Der Motor dröhnt auf. Wir verlassen Pucallpa. Genau einen Tag später als geplant. Ich bin inzwischen so träg und faul, dass ich gar nicht mehr aufstehen mag. Ich bleibe bei meinem Krimi und wickle mich in meine beiden Decken. Noch immer ist es ungewöhnlich kalt. Irgendwo habe ich sogar eine Frau gesehen, die Handschuhe trug. Woher sie die wohl hatte, ist ja wohl kein Kleidungsstück, das man hier in der Gegend oft sieht.
Hans, der Steuermann
Drei Stunden später stehen wir wieder. "Was ist passiert?" "Demasiado playa, zuviel Strände" sagt Raissa. Sandbänke übersetze ich für mich nach einigem Nachdenken. Es ist dunkel und man kann nicht nach Sicht weiterfahren. Also stehen wir. Irgendwann kommt einer vorbei und will meinen Namen wissen. Trägt ihn in eine Liste ein. "Wie viele Passagiere hat das Schiff" wollte ich von Diablo wissen. "Oh, so genau weiss ich das noch nicht, vielleicht 80. Aber wenn die Liste erstellt ist, kann ich dir das besser sagen." Jetzt wird also die Liste erstellt, ich werde auf die Frage zurückkommen.
Für eine Hängematte gibt es überall Platz. Deck 3 ist überstellt mit Waren
Die Suppe, die zum Nachtessen ausgegeben wird, lasse ich aus. Sie riecht zwar gut, aber ich habe ja noch Brot und Früchte.
Im Deck zwei herrscht eine eigenartige Stimmung. Aus verschiedenen kleinen Transistoren klingt Musik. Meine junge Nachbarin hört gerade Celine Dion mit dem Titanic-Song, dort drüben wird eine Sportreportage übertragen. Junge Mädchen kichern, ein Kind weint kurze Zeit und irgendwo bellt ein Hund. Die Lampe brennt noch eine Weile aber es ist zu dunkel zum lesen und so schlafe ich bald ein. Die Batterie meiner Fotokamera wird übrigens über Nacht bei Hans geladen, er hat eine Steckdose in seiner Kabine.
Gute Nacht
Aufbruch: | 29.05.2010 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 20.06.2010 |