Batterien aufladen
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Irgendetwas ist anders. Das Deckenlicht brennt und auf Deck ist eine eigenartige Unruhe. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es erst zwei Uhr in der Früh ist. Ich luge über die Hängematte und sehe hinter mir einen Mann kauern. Er scheint aufzupassen, dass keiner abhaut. Ein Überfall? Vor einem Jahr gab es zwei Überfälle auf Passagierschiffe. Piraten auf dem Amazonas. Aber der Mann kommt mir bekannt vor, der sass noch gestern neben dem Kapitän in dessen Kajüte. Zwei Männer scheinen von Hängematte zu Hängematte zu gehen. Als sie näher kommen, ahne ich, worum es geht. Das Fahrgeld wir eingezogen. "Nombre?" fragt mich einer. "Pasaje?" der andere. Sie finden meinen Namen auf ihrer Liste, und auch dass ich bis nach Iquitos fahren will. 80 Soles kostet die Fahrt und ich bekomme ein Ticket auf dem irgendetwas steht wie Beatriz Belber. Ich soll das immer bei mir tragen, vor allem bei der Essensausgabe. Es dauert noch eine ganze Weile, bis die Männer ihre Arbeit auf Deck zwei erledigt haben, ich bin inzwischen wieder eingeschlafen. Zum Glück ist die Nacht nicht mehr ganz so kühl und windig wie die letzte.
die Kinder haben diesen Riesenkäfer am Morgen oben auf dem Deck gefunden.
Am Morgen sehe ich in der Küche nach. Es werden Fische gebraten. Und Reis gekocht. Ich verzichte aufs Frühstück und halte mich an meine Früchte. Kaffee gibt es eh keinen, da muss ich mich mit meinem Wasser begnügen. Irgendwann sind wir am Morgen losgefahren, aber schon bald liegen wir wieder am Ufer. Also hinauf zum Steuermann. Der Kapitän ist auch da. Was ist los? "Man weiss nicht genau, wie tief das Wasser hier ist". "Und was macht man dagegen?" Man hat ein kleines Boot ausgeschickt, es misst die Tiefe. "Siehst du es da draussen?" Ich sehe weit weit vorn dass sich etwas bewegt. "Hast du keinen Feldstecher dabei?" will Kapitän Diablo wissen. "Klar hab ich einen dabei". Dank Maya, einer Freundin habe ich sogar mehrere. Sie hat sie im Fundsachenshop günstig für mich gekauft und ich bringe sie zur Lodge. Damit können sich unsere Führer ausrüsten und wir sind wieder eine Nasenlänge weiter als andere.
Hier hängt das kleine Boot noch neben dem Schiff, aber bald wird es wieder ausfahren und das grosse Schiff durch die Sandbänke lotsen.
Mit dem Feldstecher erkenne ich jetzt auch das kleine Boot mit den beiden Männern, die die Wassertiefe ausloten und dem Schiff den Weg durch die Sandbänke zeigen. Bald sind wir wieder flott und die Fahrt geht weiter. Diablo freut sich, dass ich ihm und seinen beiden Steuermännern meinen Feldstecher bis zum Ende der Fahrt ausleihe. Dafür darf ich später in seiner Kabine meinen Laptop wieder aufladen. Er scheint als einziger immer Stromanschluss zu haben. Jedenfalls treffe ich ihn später dort wie er mit seinem Schatzmeister ein Video ansieht. Ich zeige ihnen ein paar Winterfotos aus dem Engadin und erzähle von meinem Projekt in Iquitos. Schnell merkt er, dass für ihn vielleicht etwas abfallen könnte, wenn er Touristen zu uns bringen würde. "Klar zahlen wir Kommission, wenn du uns jemanden bringst", verspreche ich ihm und gebe meine Hand darauf. "Somos en negocio. Wir sind im Geschäft", meint er und vergisst hoffentlich für einen Moment, dass er mir eigentlich ein Kind machen wollte.
Juan, mein neuer Werbeträger
Juan, dem freundlichen Putzmann erzähle ich ebenfalls von der Lodge. Er kommt mit allen Leuten sofort ins Gespräch, putzt in den Kabinen und serviert dort sogar das Essen, damit diese Passagiere nicht in der langen Schlange anstehen müssen. Als ich ihm meinen Prospekt zeige, sieht er sofort, dass einer der Führer ein Poloshirt mit Aufschrift trägt. "Hast du so eines dabei?" will er wissen. "Ja, hab ich zufällig". Ich schenke es ihm und ab sofort läuft der Putzmann mit einem 'Fuente del Amazonas-Polo' herum und hat damit rasch wieder ein spezielles Gesprächsthema gefunden. Wer weiss, was es bringt, sicher ist jedenfalls, dass nicht sehr oft eine Lodgebesitzerin von Pucallpa nach Iquitos mit dem Frachtschiff fährt. Aber in der Hochsaison werden öfters Touristen mitfahren, so dass sich mein Werbeauftritt vielleicht noch lohnen wird.
Aussicht von meinem "Schreibtisch"
Unterdessen habe ich einen wunderbaren Platz gefunden für mein Schreibbüro. Ganz oben, gleich neben dem Steuerhaus. Hier kommt kaum jemand hin, ich habe die ganze Übersicht über die Landschaft die vorüberzieht, über die Fracht, die wir vor uns herstossen und deren Plastikplanen zum Teil beängstigend im Wind flattern und über die Passagiere, die sich das ganze Spektakel von den unteren Decks ansehen.
Spaghetti-Plausch
Ein Rundgang führt mich bei der Küche vorbei. Mir scheint, dass die Spaghetti jetzt um 10.00 bereits al dente sind, aber Essenszeit ist erst gegen 12.00. Diesmal habe ich Hunger und ich passe auf, dass ich früh genug bereit bin, mich mit meinem Teller in die Warteschlange einzugliedern. Wenn ich nämlich warte, bis der Koch ans Gitter klopft, steht schon das halbe Schiff an. Ein kleines Mädchen ruft gegen halb zwölf "Cola cola!" und meint damit Schlange stehen. Ja wirklich, die Leute stehen bereits an und diesmal gehöre ich zu den ersten. Es gibt Reis, gelbe Spaghetti, weisse Bohnen und ein Stück von einem Hühnchen. Es wird wohl keines der Hühner diese Reise überleben. Schmeckt übrigens sehr gut, das Essen, es ist nur etwas ungewohnt, ausschliesslich mit dem Löffel zu essen. Aber Messer und Gabel sind hier im Dschungel weitgehend unbekannt. Sowas braucht man nur im Restaurant und da geht der normale Einwohner wohl eh nie hin.
Heute ist mal wieder wahnsinnig viel los in der kleinen Bodega.
Später habe ich Diablo nach den Passagieren gefragt. Es sind ungefähr 230! Und gut 1300 Tonnen Güter. "Aber mach dir keine Sorgen, wir könnten das doppelte an Fracht transportieren", meint er, als ich ihn zweifelnd ansehe.
Am Nachmittag wird es endlich etwas wärmer, die Sonne dringt durch den dichten Wolkenvorhang und wärmt mich zum ersten Mal. Und zum ersten Mal erwäge ich, die Windjacke auszuziehen. Doch vorerst sitze ich noch oben auf Deck fünf und lasse die Gegend an mir vorbei ziehen. Endloser Dschungel, hohe Bäume, Bananen, Papayas, Binsen, Sandbänke in den Kurven. Ja die Kurven. Der Ucayali mäandert sich in unendlichen Windungen durch den Urwald. Nimmt an den Ufern immer wieder etwas Erde mit. Manchmal schweben ein paar Reiher über das Wasser. Manchmal erkennt man ein Fischerboot am Ufer. Wir fahren träge daran vorbei.
Ein Holztranport auf dem Weg nach Pucallpa
Auf Deck vier übt Per spanisch mit den Kindern. Anne-Maria hat sich in die Kabine verzogen. Sie wird von Fieberkrämpfen geschüttelt und hat Kopfweh. Per vermutet Dengeafieber und meint, dass man nicht sehr viel dagegen machen kann, weil es ein Virus ist und man ihn einfach durchstehen muss, wie Grippe. Er muss es wissen, immerhin sind sie beide Krankenschwester, respektive Krankenpfleger.
Ich ziehe mich zurück in die Hängematte, der Laptop muss aufgeladen werden. Dafür ist die Kabine des Kapitäns bestens geeignet und ich widme mich meinem Krimi.
Kartenspiel in der Hängematte
Bei Sonnenuntergang steige ich noch einmal hinauf, mache ein paar Fotos der letzten Sonnenstrahlen und vernehme die News. Wir werden heute noch in Contamana anlegen. Da werden wir die Nacht verbringen. Joel, ein Marineoffizier, der da aussteigen wird, versichert mir, dass es ein Internetcafe gebe. Er will mich hinbringen, es sei sonst zu gefährlich. Was auch immer die Männer hier als gefährlich ansehen, aber nett ist das Angebot eh. Ich schaue also, dass ich den Text für heute fertig bringe. Ob es auch noch für Fotos reicht, weiss ich noch nicht, aber immerhin ein Lebenszeichen kann ich damit übermitteln. Und die frohe Nachricht, dass wir voraussichtlich erst am Samstag in Iquitos ankommen werden. Mein Zimmer habe ich allerdings schon für Donnerstag gebucht. Werde also Horacio informieren müssen, dass ich später komme. Nicht dass er ab Donnerstag im Hafen auf die Henry 8 wartet.
die Kinder lieben es, fotografiert zu werden, und am Abend die neuen Fotos im Laptop anzusehen.
Abendstimmung über dem Ucayali
Es ist schon dunkel, als wir anlegen. Ein paar Leute haben ihre Sachen zusammengepackt und sind bereit zum aussteigen. Auch Joel ist da. Junge Soldaten, die im Ort stationiert sind, helfen ihm, sein umfangreiches Gepäck ans Ufer zu bringen. Kurzerhand kommandiert er einen ab. Er soll mich zum Internet bringen und heil wieder zurück zum Schiff. Etwas verdutzt sehen uns die anderen nach, als wir zusammen an Land gehen und ein Mototaxi besteigen. Bald sind wir am Hauptplatz angekommen und da gibt es auch wirklich ein Internetcafe mit 15 Plätzen. Wobei die Hälfte zurzeit nicht funktioniert. Ich schicke meinen Begleitschutz zurück. Ich werde ziemlich viel Zeit brauchen um meine Texte aufzuladen und will nicht, dass der arme Kerl so lange auf mich warten muss. Mit Hilfe eines Mototaxis werde ich das Schiff bestimmt wieder finden.
Es ist einer der langsamsten Computer, die ich je gesehen habe. Er braucht ganze sechs Minuten bis sich das Eingangsbild aufgebaut hat und entsprechend dauert auch das Aufladen des Textes eine Ewigkeit. Fotos liegen daher nicht auch noch drin. Zwei Stunden später fahre ich zurück zum Schiff. Auf der Gangway kreuze ich mit Marissa. Was wohl meine junge Hängemattennachbarin um zehn Uhr nachts noch in dem kleinen Ort sucht.
wunderbare Computerworld
Aufbruch: | 29.05.2010 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 20.06.2010 |