Segeltörn auf der "Sorlandet"

Reisezeit: Juli 2003  |  von Bettina Köster

21.07.2005 Das Unwetter in der Nacht

00:00 Uhr: Wir werden eingeteilt. Heute habe ich 2 x Ruderwache und zum ersten Mal stehe ich tatsächlich dahinter. Billy, ein Mitglied der Crew, erklärt mir, wie ich das Ruder handhaben muss. Wenn ich den Kurs zu schnell ändere, übersteuere ich und das Schiff fängt bei der Korrektur an, hin und her zu schlingern. Die Sørlandet ist etwas schwerfälliger als das kleines Motorboot, auf dem ich meinen Führerschein gemacht habe. Dann lässt er mich allein. Halwa, der Steuermann, gibt mir den Kurs vor. Ich korrigiere, bis die roten Zahlen auf dem LCD-Display des Kompasses vor mir den gewünschten Wert anzeigen. Stolz teile ich ihm den Kurs mit - und übersteuere! Nach einigen Versuchen klappt es ganz gut, ich bekomme ein Gefühl für das Schiff.

Bevor ich es jedoch wirklich genießen kann, folgt eine Kurskorrektur nach der anderen. In der Ferne zucken Blitze über den Himmel. Halwa versucht, den Sturm zu umgehen. Waren die Blitze zu Anfang noch voraus, so sind sie jetzt querab Steuerbord. Marlies kommt, um mich abzulösen. Bevor ich den Ausguck von Hartwig übernehme, gehe ich schnell unter Deck, um die andere Jacke zu holen. Als ich meine Wache auf dem Vordeck antreten, hat es bereits angefangen zu regnen. In der nächsten Stunde ärgere ich mich mehr als einmal, dass ich Segelhose und Gummistiefel nicht eingepackt habe. Auf dem nächsten Törn - und geht er in die Karibik - sind die Sachen auf alle Fälle dabei! Wir schaffen es nicht ganz, den Sturm zu umgehen. Immer mehr Blitze leuchten auf und tauchen das Schiff in teilweise taghelles Licht. Es wird, auch durch den Regen, zunehmend schwerer, etwas zu erkennen.

Meine Segeljacke macht sich bezahlt, während meine Hose komplett durchnässt und mein rechter Schuh nicht wasserdicht ist (ganz zu schweigen von dem linken, durch den ist das Wasser einfach durchgelaufen). Da ich kalte Hände hatte, habe ich die Handschuhe angezogen, welche mir in der folgenden Stunde gute Dienste leisten. Denn statt Brandwache zu halten, helfe ich die Segel neu zu trimmen. Es ist so dunkel, dass man kaum den nächsten Schritt sehen kann und überall liegt Tauwerk auf dem Boden. Die nassen Segel sind schwer und wir müssen viel Kraft aufwenden, um sie zu bewegen. Ich bin froh über jede noch so kurze Pause, in der die Crew in die Segel leuchtet und guckt, was als nächstes getan werden muss. Und obwohl ich meistens nicht verstehe, worüber gesprochen wird und häufig einfach nur treppauf, treppab hinter den anderen herlaufe, fühle ich mich nicht überflüssig. Hier wird im Moment jede Hand gebraucht. Da sind sprachliche Unterschiede oder fehlende Kenntnisse kein Problem. Jemand gibt mir ein Tau in die Hand und ich ziehe daran. Und schon gehöre ich dazu.

Trotzdem bin ich froh, als ich wieder ans Ruder kann. Das ist nicht so anstrengend, denke ich zumindest. Doch dieses Mal habe ich ziemlich mit Widerstand und den Blitzen zu kämpfen. "Thor is taking pictures of us" (Thor macht Photos von uns). Der Steuermann stellt sich neben mich und gibt mir einen neuen Kurs vor. Das Gewitter haben wir jetzt hinter uns gelassen.

Auf der Steuerbordseite steht der erste Stern am Himmel, ein tröstlicher Anblick nach der Regendecke, die über uns hinweg gezogen ist. Als der Stern hinter den Wolken verschwindet, steht auf einmal auf der Backbordseite der Mond ganz klar am Himmel. Nach und nach erscheinen weitere Sterne. Um 03:30 Uhr schreit die erste Möwe, nach und nach fallen weitere ein. Und als hätten sie den Tag herbei gerufen, wird es langsam heller. Ich bin völlig erschöpft, fast fallen mir die Augen zu. Als ich um 04:00 Uhr abgelöst werde, bin ich froh. Ich gehe runter, damit wir uns gemeinsam bei Astrid abmelden können. Sie bedankt sich bei uns für eine gute Wache. Ich habe das Gefühl, heute Nacht wirklich etwas geleistet zu haben. Ich hänge nur noch meine völlig durchweichte Hose in den Trockenraum und falle ins Bett. Jetzt will ich nur noch schlafen!

Ich werde wach, als die 1. Wache schon beim Frühstück sitzt. Frühstücken oder duschen? Ich entscheide mich für letzteres. Als ich zurück komme, ist der Tisch bereits abgedeckt. Ich gehe in die Pantry und bediene mich selbst. Auch Marlies muss sich selbst versorgen. Wir setzen uns gemeinsam an den Tisch. Dirk kommt mit einem Kaffee dazu. Es tut gut, den Tag nach einer solch unruhigen Nacht gemütlich anzugehen. Von den anderen hören wir, dass der Rest der Nacht nicht ganz so stürmisch war. Trotzdem ist ein großer Teil der Segel geborgen worden. Ich komme mir vor wie ein "gemeiner" Tourist, trotzdem muss ich bei strahlendem Sonnenschein und wolkenlosem blauen Himmel Photos machen.

12:00 Uhr: Auf in die nächste Wache. Ich beginne am Ruder. Da der Kurs konstant gehalten wird, verläuft diese Stunde ereignislos. Ich wechsle zum Ausguck. Die Sonne strahlt vom Himmel und die See funkelt wie Tausende von Diamanten. Ja, ich weiß, das klingt abgedroschen, aber so sieht es halt aus. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich wirklich behaupten, die Erde sei eine Scheibe und nur die Sørlandet befindet sich darauf. Irgendwie erscheint es mir unwirklich und irreal, aber auf eine wundervolle Weise. Ich stehe direkt am Bug und obwohl fast kein Wind geht, hebt und senkt sich dieser doch stark. Die Luft ist ganz klar, es ist ein fast perfekter Moment. Ich bedauere es, als meine Wache im Ausguck vorüber ist.

Nach der - ebenfalls ereignislosen - Brandwache will ich mich für den heutigen Tag ein letztes Mal am Ruder melden. Doch so weit komme ich gar nicht. Jetzt wird jede freie Hand an den Segeln gebraucht, wir sollen die Masten neu ausrichten. Wir stehen alle in einer langen Reihe und man erklärt uns, dass wir auf ein bestimmtes Kommando hin das Tau sofort fallen lassen müssen, damit es belegt (festgemacht) werden kann. Wir ziehen mit aller Kraft, finden jedoch keinen gemeinsamen Rhythmus. Auf einmal stimmt jemand aus der Crew "What shall we do with the drunken sailor?" an und plötzlich ist der gemeinsame Rhythmus da. Dafür gibt es also Shantys! Wenn ich allerdings anfange, mitzusingen (und ich kenne den kompletten Text), muss ich lachen. Also konzentriere ich mich lieber wieder auf die Arbeit. Kaum sind wir fertig geht es - schnell, schnell - weiter zum nächsten Mast. Als alle neu ausgerichtet sind, wird mit den Segeln gearbeitet. Dafür sind nicht mehr ganz so viele Personen nötig. Da Marlies das Ruder für mich übernommen hat, bleibe ich und helfe. Das Ausrichten der Masten ist unglaublich anstrengend und durch die eigentlich leichtere Arbeit mit den Segeln komme ich an meine Grenzen. Ich bin völlig erschöpft und falle auf die nächste Bank. Schon lange habe ich mich nicht mehr so lebendig gefühlt. Ich strotze nur so vor Energie, trotzdem möchte ich mich für den Rest der Fahrt nicht mehr auch nur einen Meter bewegen. Nach ein paar Minuten geht es mir wieder besser und ich helfe beim Aufschießen der Fallen (weghängen der Seile). Die Taube sitzt keine 20 cm von mir entfernt inmitten der Taue. Sie zuckt nicht einmal müde mit den Flügeln als ich anfange, mit den Tauen zu arbeiten. Anscheinend hat sie mittlerweile verstanden, dass uns auch trotz der nicht ganz so guten Küche hier an Bord der Sinn nicht unbedingt nach gebratener Taubenbrust steht. Wer weiß, was die Köchin daraus machen würde!

Nach dem Abendbrot sitze ich auf der Bank auf der Steuerbordseite und genieße den Sonnenschein, die Wellen schlagen gegen die Bordwand und der Aufbau hinter mir vibriert vom Rohren des Motors. Überall wird gearbeitet, gestrichen, poliert. Es gibt hier keinen Stillstand, alles bewegt sich. Von jeder Seite dringen andere Geräusche zu mir herüber, trotzdem ist es unendlich friedlich.

23:35 Uhr: Ich werde wach in dem Moment, als wir geweckt werden sollen. So weit ist es also schon! Sie sagt uns direkt, dass es regnet, schon wieder! Irgendwie haben wir uns die absolut falsche Schicht ausgesucht, zumindest, was das Wetter angeht. Also raus aus der warmen und gemütlichen Koje und hinein in die Regenjacke. Jetzt macht es sich bemerkbar, dass wir gestern noch zu lange auf waren. Als ich an Deck komme, nieselt es. Na ja, dass lässt zumindest Raum für Hoffnung. Die Hoffnung schwindet jedoch kurz darauf, der Regen verstärkt sich. In der Ferne ist ein Wetterleuchten zu sehen. Hoffentlich fahren wir nicht wieder durch ein Gewitter.

© Bettina Köster, 2005
Du bist hier : Startseite Europa Norwegen 21.07.2005 Das Unwetter in der Nacht
Die Reise
 
Worum geht's?:
4 Tage als Trainee (Crewmitglied auf Zeit) auf dem norwegischen Segelschulschiff Sorlandet
Details:
Aufbruch: 18.07.2003
Dauer: 5 Tage
Heimkehr: 22.07.2003
Reiseziele: Norwegen
Der Autor
 
Bettina Köster berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors