Ein Paradies inmitten des Chaos
HELGO Standort in Liluah: Der Müllberg von Howrah
Jetzt besuchen wir den Müllberg. Kein Ort für Geruchsempfindliche!
Viele Kinder suchen, wie auch ihre Eltern, hier im Müll nach Verwertbaren. Das tragen sie dann zusammen, damit die Eltern es verkaufen können.
Es gibt überall fröhliche Gesichter. Die Kinder posieren vor der Kamera und freuen sich über ein paar Süßigkeiten. Das bekommen sie hier sehr selten. Natürlich sind sie neugierig; Europäer, Menschen, die sich für sie interessieren, sind hier die große Ausnahme. Viele der Besucher, die von HELGO hier herumgeführt werden, machen nach den ersten Schritten kehrt. Zwischen all dem Müll liegt auch schon mal ein
verendetes Schwein und ich möchte nicht wissen, was wir bei genauerem Hinsehen, noch so alles fänden. Jetzt, im Februar, ist es mit rund 28 Grad noch sehr erträglich. Ab April, im Sommer, ist es hier brütend heiß und während des Monsuns verwandelt sich alles in Schlamm und Matsch. Ich glaube, ich möchte mir das gar nicht so genau vorstellen.
Ich muss schon jetzt gegen den Brechreiz ankämpfen, den Staub, Dreck, Abfall als visuelle Anreize gepaart mit Gestank bei mir hervorrufen.
Das Lachen der hier arbeiteten Kinder ist dabei ein kleiner Lichtblick. Die meisten Kinder, die heute bei HELGO eine Chance auf eine bessere Zukunft geboten bekommen, haben hier früher gearbeitet; ihre Eltern und ihre Geschwister arbeiten noch heute hier.
Das Bild, das sich hier bietet, entspricht in der Vorstellung von uns Europäern der Hölle. Die Menschen, die Kinder hier sehen das ganz anders; es ist ihre Lebensgrundlage, es ist ihre Chance zum Überleben.
Besonders berührt mich ein Junge, der oben auf dem Müllberg in einer kleinen Behausung sitzt. Neben ihm liegt ein Pferd aus Stoff. Ein Spielzeug, das er wohl aus dem Müll gerettet hat. Barfuss in alten Flipflops oder Sandalen durchsuchen die Kinder den Müll. Ich schaue in ihre Gesichter, sehe Rotz aus der Nase laufen, dreckige Hände, Gesichter - von den Füßen wollen wir gar nicht reden.
Trotzdem ist erstaunlicherweise die Kleidung weitgehend sauber. Die Kleider der Mädchen oder die Shirts der Jungs müssten in diesem Umfeld eigentlich viel verschmutzter sein. Die Kinder machen keinen verwahrlosten Eindruck! Dieser Gegensatz fällt mir auch immer wieder in den Hütten und Behausungen der Menschen auf. Hier liegt kein Schmutz auf der Erde, während es vor oder besser in der Nähe der Häuser viel schmutziger ist.
Die Empfindungen, die sich hier einstellen, sind nicht in Worte zu fassen. Tränen steigen einem in die Augen, man möchte wegrennen vor Schmerz. Das Kinderlachen und die fröhlichen Gesichter passen nicht recht hierher, aber sie gehören dazu.
Das Gefühl der Ohnmacht weicht ein wenig dem Wissen, wenigsten einigen hier heraushelfen zu können. Die Arbeit von HELGO kann leider nicht alle erreichen. Aber selbst wenn nur wenige Kinder es schaffen, aus diesem Umfeld herauszukommen, dann hat sich der Einsatz der Organisation bereits gelohnt.
Als nächstes treffen wir die beiden Sozialarbeiterinnen, um Familien zu besuchen. Leider sind Vater und Mutter unserer Schülerin nicht anwesend. Sie arbeiten auf dem Müllberg, was den Eltern ein Einkommen von etwa 40 Rupien (0,65 Euro) am Tag einbringt. Die Nachbarn kümmern sich um uns. Ein Neugeborenes schläft friedlich im Schatten der Hütte. Auch die Geschwister bemühen sich um alles. Es gibt zwei Brüder, von denen einer schon verheiratet ist und eigene Kinder hat, sowie drei Schwestern. Die Frau des Bruders ist eine Schönheit inmitten dieser Slums.
Sie ist mit einem schwarzen, bestickten Sari bekleidet und ist sich offensichtlich ihrer besondern Ausstrahlungen bewusst. Distanziert, mit einer schlichten Anmut trägt sie ihr Kind auf dem Arm, versteckt ihr Gesicht hinter dem Ende des Saris und lächelt uns dann doch zu.
Die Behausungen sind wie gestern sehr klein, aber nicht aus Palmblättern, sondern aus Stein gebaut. Es gibt fast überall einen Fernseher und einen Ventilator.
In einer anderen Familie wird ein sechzehnjähriger Junge von HELGO gefördert. Er gibt den Sozialarbeiterinnen bereitwillig alle Auskünfte. Auch hier sind alle Hütten sauber und wir ziehen unsere Schuhe aus, bevor wir eintreten. Überall werden wir sehr freundlich begrüßt und man weist uns besondere Plätze zu oder organisiert schnell beim Nachbarn einen zusätzlichen Stuhl. Ich hätte mich auch auf den Boden gesetzt; nein, das kommt nicht in Frage. Gastfreundschaft ist in Indien eine heilige Pflicht.
Besonders die kleinen Kinder sind allesamt so süß, dass man sie am liebsten knuddeln oder ihnen einfach nur zusehen möchte.
Ich bin sehr froh, dies alles erleben zu dürfen.
Aufbruch: | 12.02.2011 |
Dauer: | 7 Tage |
Heimkehr: | 18.02.2011 |