Iran Nordwest-Rundreise im März und April 2013
Die armenischen Klöster im Norden Irans
Der Grenzfluss Aras (Araxes) im Norden Irans. Dieser Fluss bildet die Grenze zwischen Iran und Nachitschewan, der aserbaidschanischen Exklave. 3. April 2013
Schafherde am Aras Grenzfluss bei Jolfa. Der Aras entspringt in der Nähe von Erzurum in der Türkei, fließt am biblischen Berg Ararat vorbei, mündet in die Kura bei Sabirabad und fließt in das Kaspische Meer.
Das grandiose Sankt Stephanos Kloster bei Jolfa wurde in einer tiefen Schlucht in der Nähe des Flusses Aras erbaut. Es gehört seit 2008 zum UNESCO Weltkulturerbe.
Die Kirche vom Klosterhof aus gesehen. Die Architektur ist eine Verbindung aus urartäischen, parthischen, griechischen und römischen Elementen und ein Meisterstück armenischer Baukunst im Norden Irans.
Grenzfluss Aras und Sankt Stephanos Kloster bei Jolfa - 3. April 2013
Nach einem zeitigen Frühstück im Jahangardi Inn Hotel in Jolfa brechen wir auf zur größten Etappe unserer Rundreise. Die Strecke, die wir heute mit dem Auto zurücklegen, wird ca. 770 km betragen und hauptsächlich auf Landstraßen gefahren. Wir gelangen zuerst in das überwältigend schöne Aras Flußtal nordwestlich von Jolfa, unmittelbar an der iranisch-aserbaidschanischen Grenze. Auf der rechten Uferseite in Nachitschewan führt eine Bahnlinie nach Jerewan in Armenien. Die schroffe Schönheit des Aras-Tals weckt große Begeisterung in mir, direkt am Fluss ist das Ufer üppig grün, Schafe und Pferde weiden an den Flussauen. Wir sehen eine Grenzstation auf der Seite Nachitschewans, von Mauern umgeben, eine Gruppe schneeweiß getünchter Häuser mit dunkelgrünen Blechdächern und einem hohen hölzernen Wachturm. Die kargen gerölligen Berge fallen steil, staubbraun, mit rötlichen Kanten zum Aras herab. Zwei Schafherden mit ihren Hirten kreuzen die kurvige Landstraße, Mehdi fährt Schrittgeschwindigkeit. Ich lasse mich gänzlich vom Zauber des Tals einfangen und habe das unbestimmte Gefühl, hier schon einmal gewesen zu sein. Ein Gefühl von Vertrautheit und tiefer Sehnsucht, ja Wehmut. Das Herzklopfen beschleunigt sich, als wir in ein Seitental abbiegen und eine steile gewundene Straße zum Koster des heiligen Stephanos hinauffahren.
Der Himmel ist makellos und stahlblau, die schräge Morgensonne blendet uns. Wir gehören heute morgen zu den ersten Besuchern der schön restaurierten Klosteranlage. Mehdi nimmt sein Stativ mit, und schon steigen wir an mächtigen Klosterwehrmauern zum Eingang hinauf. Nach armenischer Überlieferung soll das Kloster im 1. Jahrhundert nach Christus vom Heiligen Bartholomäus gegründet worden sein, wurde aber dem Märtyrer Stephanos geweiht. Die Kirche soll im 4. Jahrhundert, als Armenien christlich wurde, Bischofssitz gewesen sein. Am Ende des 1. Weltkriegs wurde das Kloster von der türkischen Armee geplündert und die Bibliothek verbrannt. Die Armenier verließen wegen der einhergehenden Verfolgungen die umliegenden Dörfer. Die Idylle und der Frieden der Klosteranlage lassen von der einstigen brachialen Gewalt nichts ahnen.
Den schönsten Blick auf die Klosterkirche haben wir von der mächtigen Mauer des Klosterhofs. Die ockergelben Steine des Kirchendachs glänzen hell in der Sonne. Die Architektur der Kirchtürme besticht durch das Schachbrettmuster der sorgfältig gefügten verschiedenfarbigen Steine am Kuppelturm mit seinem 16-seitigen Faltdach und durch das Pyramidendach des kleineren Glockenturms. Beeindruckend ist vor allem die hohe Innenkuppel mit floralen Freskos und den Cherubimen an den unteren Kanten. Der Außendekor besteht aus typischen Flechtbändern, Wülsten, Kreuz- und Heiligenreliefs des armenischen Spätmittelalters.
Nachdem wir das Kloster besichtigt haben, fahren wir weiter auf der kurvenreichen Landstraße zum großen Aras Wasserspeicher. Mehdi fragt einen jungen iranischen Grenzsoldaten nach dem Weg, dieser scheint ziemlich erfreut zu sein, während seines langweiligen Grenzdienstes ein paar Worte mit Mehdi wechseln zu können.
Der Aras Wasserspeicher in der Nähe von Poldasht mit Blick auf das aserbaidschanische Nachitschewan auf der gegenüberliegenden Seite.
Die imposante Felskulisse der Grenzstadt Maku im äußersten Norden Irans, 22 km von der türkischen Grenze entfernt.
Der Aras Wasserspeicher und die Grenzstadt Maku - 3. April 2013
Gegen Mittag hält Mehdi das Auto am gelbkiesigen Ufer des Aras Wasserspeichers im äußersten Norden Irans an. Das dunstige blassblaue Panorama und die enorme Leere und Weite der Landschaft sind schlicht überwältigend. Der einsame Mann und der gelbe Traktor am fernen Ufer wirken wie ein Explorer mit Mondfahrzeug in der Kies-/Mondwüste.
Mehdi erklärt mir, dass die markante Bergkuppe im Dunst auf der Seite Nachitschewans im Volksmund "Kolah Farangi" heißt, das bedeutet der ausländische Hut. Auch einige persische Bauwerke werden so im Volksmund genannt.
Zwei Typen aus dem Kiosk des anliegenden Rastplatzes besorgen uns mit dem Moped freundlicherweise heißes Wasser für die Thermoskanne, so dass wir in einem der Pavillons schwarzen Tee trinken können. Wie sich herausstellt, hat einer der Jungs Verwandte in Schiraz und freut sich daher besonders, Mehdi diesen Gefallen zu tun. Sie tauschen Adressen und Telefonnummern. Die lachenden braungebrannten jungen Gesichter der Männer erheitern mich. Schade, dass ich von ihrem Gespräch nichts verstehe, meine persischen Sprachkenntnisse sind nur rudimentär.
Der Bau des Aras Wasserspeichers wurde 1963 begonnen und 1970 fertiggestellt. Er wurde 1971 von iranischen und sowjetischen Offiziellen feierlich eingeweiht und wird neben der Bewässerung auch zur Stromerzeugung durch Wasserkraft genutzt.
Die iranisch-aserbaidschanische Grenze verläuft mitten durch den Speichersee. Der Aras Wasserspeicher hat eine Größe von 145 Quadratkilometern und ein Fassungsvermögen von ca. 1,35 Kubikkilometern, das sind über 1 Milliarde Kubikmeter Wasser. Für Hydroingenieure und Physiklehrer (wie mein Vater einer war) sind solche Daten immer beeindruckend.
Nach unserer Rast fahren wir weiter nach Maku an der türkischen Grenze in der Provinz Westaserbaidschan. Die Provinzstadt Maku wird von einer imposanten Felskulisse eingerahmt, mächtige rotbraune Felswände ragen drohend in die Höhe. In Maku essen wir in einem Straßenrestaurant lecker zu Mittag, dann tankt Mehdi sein Auto an einer winzigen Tankstelle mit 3 Zapfsäulen auf, die komplett vergittert sind. Das Benzin ist für europäische Verhältnisse spottbillig. Wieder werde ich auf der Suche nach leistungsstarken Batterien für meine Kamera nicht fündig. Meine Kamera streikt immer wieder, hat Kontaktprobleme und viel zu schwache Batterien. Leider vertrödeln wir in Maku viel Zeit mit der Suche und brechen erst am Nachmittag um drei Uhr Richtung Chaldoran auf, zur schönen Qarah Kelissa, dem Sankt Thaddäus Kloster.
Basaltstrukturen, Landschaft westlich von Maku, auf dem Weg zur Qarah Kelissa, dem Sankt Thaddäus Kloster bei Chaldoran.
Das Sankt Thaddäus Kloster oder die "Schwarze Kirche" südlich von Maku in der Nähe von Chaldoran. Die Kirche soll bereits im 1. Jahrhundert nach Christus erbaut worden sein.
Außenansicht der Sankt Thaddäus Kirche. Einmal im Jahr, am Tag des heiligen Thaddäus, findet eine Messe statt, die von Armeniern aus allen Teilen des Iran besucht wird. Seit der Islamischen Revolution 1979 ist es nur Christen erlaubt, diese Messe zu besuchen.
Der Altar mit Marienbildnis im Inneren der Sankt Thaddäus Kirche. Das Grab des heiligen Thaddäus liegt neben dem Altar in einer Nische der Kirche.
Der helle Sandstein der konischen Kirchendächer harmoniert mit dem hellen Gestein der umliegenden Berge. Blick auf die Klosteranlage vom gegenüberliegenden Hügel aus.
Das Sankt Thaddäus Kloster oder "Qarah Kelissa"
Die Fahrt zum Kloster des Heiligen Thaddäus dauert über zweieinhalb Stunden, die Landstraße zieht sich ewig durch kleine kurdische Ortschaften mit Lehmhäusern und durch öde, sonnenbeglänzte Landschaften.
Auf den Bergkämmen leuchten weiß Schneereste. Mehdi erklärt mir, dass die Winter in dieser Region sehr streng, klirrendkalt und schneereich sind. Einzelne Straßenabschnitte werden repariert, dann holpern wir über den blanken Schotter. Mehdi schimpft auf die iranische Regierung, die nicht genügend Gelder für die Instandhaltung der Landstraßen bereitstellt. Der Reiseführer schreibt, dass sich das Sankt Thaddäus Kloster ca. 20 km südlich von Maku befindet, aber es müssen mindestens 100 km bis zur "Mitte im Nirgendwo" sein, wie Mehdi den Ort ironisch nennt. Weil es schon auf Abend zugeht, sinkt meine Hoffnung, den Urmia-Salzsee noch bei Tageslicht zu sehen. Verdrossenheit und Müdigkeit machen sich in mir breit. Endlich sehen wir das Kloster in weiter Ferne, es fällt kaum auf zwischen den nackten erdbraunen Hügeln.
Aber dann offenbart sich uns ein weiteres Meisterwerk armenischer sakraler Baukunst. Das Sankt Thaddäus Kloster liegt in West-Aserbaidschan und ist bekannt für die Schwarze Kirche, auf aserbaidschanisch Qarah Kelissa, eine Abteikirche. Sie wird von den armenischen Christen in Iran als die wichtigste Kirche betrachtet und soll nach deren Überzeugung im Jahr 66 nach Christus von Judas Thaddäus gegründet worden sein. Seine Gebeine sollen nach seinem Märtyrertod in der Kirche beigesetzt worden sein. Der dunkle Stein, der nach einem Erdbeben im 14. Jahrhundert für die Kirche verbaut wurde, gab ihr den charakteristischen Namen "Schwarze Kirche". Besonders eindrucksvoll sind die Flachreliefs, die die Außenwände der Kirche schmücken. Sehr schön ist ein Fries mit Weinranken und einem vogelartigen Fabeltier, das einen schuppigen Fisch verschlingt. Ein steinerner Löwe an der Mauer sieht in seiner Gestalt recht bizarr aus. Ebenso beeindruckend sind der Altar und eine kleine Nische, die dem persischen Architekturelement Muqarnas nachempfunden ist.
Die Kirche wird von einem großzügigen Klosterhof umgeben. Am schönsten ist das Kloster allerdings aus der Distanz, wenn die sandsteingelben Mauern und konisch geformten Dächer mit dem hellen Gelb der Hügel harmonieren. Die schnell dahinziehenden Wolken lassen in raschem Wechsel Sonnenlicht und Schatten auf die Mauern und Hügel sickern. Ein grandioses Schauspiel in dieser Einöde. Mehdi und ich fragen uns, wieso das Kloster gerade hier in "the Middle of Nowhere" erbaut wurde. Rätsel, die im Dunkel der Geschichte verborgen bleiben.
Die letzte Etappe führt uns über Khoy und Urmia (Orumiyeh) und den Urmia-Salzsee nach Kandovan bei Osku. Wir essen in einer beengten Imbissbude unterwegs ein für mich furchtbar schmeckendes Sandwich. Dann zieht sich die Fahrt unendlich bis in die tiefste Nacht zum Nachtquartier in Kandovan, dem Laleh Rocky Hotel. Zu meinem großen Bedauern habe ich den Urmia-Salzsee nicht gesehen. Völlig erschöpft stolpere ich die unzähligen Treppen hinter dem Kofferträger zu meinem Tuffstein-Höhlenzimmer hinauf, zu meinem Leidwesen ganz oben in der Anlage. Ich schlage mir das Schienbein an der Bettkante auf, dann klopft ausgerechnet noch ein Mann an die Holztür, den ich energisch zurückweise, bis er mir durch den Türspalt meine vergessene Sonnenbrille reicht. Die Aufdringlichkeit dieses Hotelangestellten ärgert mich maßlos, obwohl er es gewiss nicht so gemeint hat. Aber als Frau allein im Zimmer fühle ich mich unsicher, und ich verriegele die Tür, so gut es geht. Heute waren wir über 14 Stunden unterwegs, und die Müdigkeit steckt mir in den Knochen. Und trotzdem ist dieser Tag für mich einer der absoluten Höhepunkte der Iran-Rundreise.
Aufbruch: | 28.03.2013 |
Dauer: | 15 Tage |
Heimkehr: | 11.04.2013 |