Die Reise ins Vercors

Reisezeit: Juli 2014  |  von Ralf Beelitz

Col du Petit St-Bernard

Col du Petit St-Bernard

Entgegen dem Wetterbericht regnet es heute Morgen wieder. Das Tal ist im Nebel verschwunden. Dennoch gehe ich die unzähligen Serpentinen, die sich über 20 Kilometer zum Skigebiet von La Rosière (1.850) hinaufschlängeln, zügig an.
Die gut ausgebaute Straße über den Grenzpass Col du Petit St-Bernard (2.188) verbindet das Isèretal im französischen Département Savoyen mit dem Aostatal in Italien. Auf ausgezeichnetem Belag geht es durch lichten Wald, der bei anderem Wetter sicher eine tolle Sicht auf das Tal der Isère und das gegenüberliegende Les Arcs freigibt. Irgendwann während der Auffahrt verflüchtigt sich der Dunst, der Baumbestand verschwindet und es stellt sich echtes „Hochalpen-Feeling“ ein. Auf den letzten 8 Km gibt es dann nur noch eine einzige Kehre. Auf dem kahlen Gipfel erwarteten mich ein Hospiz, die Statue des Hl. St. Bernhard, ein Kriegerdenkmal und verlassene Grenzgebäude.
Die Abfahrt der Nordrampe geht im oberen Teil durch eine weite Weidelandschaft. Auf nun schmalerer Straße wechseln sich schwungvoll zu durchfahrenden Kurven mit langen Geraden ab. Gegenüber den "Klassikern" der französischen Alpen, die nicht weit entfernt liegen, fehlt ihr jedoch ein wenig Charme. Doch ich will nicht klagen, die insgesamt 52 Kehren des Auf- und Abstiegs sind so übel nicht. Da muss auch eine Gruppe Motorradfahrer anerkennen, die an mir vorbeidonnert. Genau richtig, die Leistung meiner Siwi wieder etwas herauszufordern. Jetzt will ich`s wissen. Gemeinsam geht es rasant talwärts - hat Spaß gemacht!!! Um den Tunneln der SS26 zu entkommen, biege ich in La Thuile zum Colle San Carlo (1.950) ab und erreiche das Dörfchen Morgex im Aostatal. Es ist Markttag und es herrscht Volksfeststimmung. Vor den kleinen Geschäften sind Verkaufsstände aufgebaut, überall wird palavert. Ich nehme mir daher die Zeit, durch die engen Gassen zu bummeln und ein Stück Pizza einzuschieben - ich bin schließlich nicht auf der Flucht.

Col du Grand St. Bernard

Durch das Aostatal, gelange ich auf der Strada Stratale della D`Aosta zur gleichnamigen Regionalhauptstadt. Mein Ziel ist der Große St. Bernhard (2.473). Nach knapp 20 Kilometern Richtung Norden zweigt die Passstraße von der Hauptstraße ab. Ich habe mittlerweile ein mittelgroßes Problem - Spritmangel! Tankanzeige kurz vor Reserve. Im nächsten Örtchen finde ich eine Selbstbedienungstankstelle. Meine EC-Karte lehnt der Tankautomat allerdings ab. Also einen 10er reingeschoben, Zapfhahn in den Tank und…nichts! Dieselbe Prozedur noch mal…wieder nichts. 20 € und keinen Tropfen Treibstoff. Der Hinweis: „vergessen sie nicht, ihren Beleg zu entnehmen“ klingt da wie ein schlechter Witz!!!! Also volles Risiko und rauf auf die Passstraße, es wird schon gut gehen.
Die sagenhafte Strecke zwischen Saint-Rhémy-en-Bosses und dem Gipfel des Großen Sankt Bernhard bleibt mit ihren fantastischen Bergpanoramen und atemberaubenden Steilhängen im Herzen eines jeden Motorrollerfahrers. Zahlreiche Szenen des berühmten Films “Ein toller Käfer” wurden hier gedreht. Oberhalb der Baumgrenze wird die Landschaft immer beeindruckender und gibt die Sicht frei auf die vielen der noch kommenden Kilometer. Während meiner Fotostopps höre ich vor allem italienische Motorradfahrer immer wieder von hinten "heranfliegen" und in Rechtskurven sollte man dann besser nicht das linke Knie nach außen strecken. Auf der Passhöhe treffe ich wieder auf die unvermeidlichen Touri-Läden mit Plunder, den niemand braucht. Dafür werde ich mit einem märchenhaften Ausblick auf beide Passseiten belohnt. Vor allem die Südseite mit dem etwas unterhalb des Gipfels liegenden See ist sehr malerisch. Entlang des Lac des Toules zieht sich die Straße den Berg hinab und erreicht schließlich über den Col de Champex (1.498) mit seinen fast 30 Kehren Martigny im Wallis. Unterwegs gibt es immer wieder schöne Ausblicke ins Rhônetal und die Gipfel der Grand-Combin-Gruppe. In Martigny, in einer Rhône-Biegung zwischen Weinbergen und Obstplantagen gelegen, kann ich dann auch meine Nerven und die seit langem wild blinkende Tankanzeige beruhigen - ich finde eine funktionierende Tankstelle.

Auf der gut ausgebauten Route Nationale 9 geht es wenig reizvoll Richtung Brig. Kreisverkehre, in jedem Kaff 30er-Zonen, grundsätzlich Geschwindigkeitsbegrenzung auf 60 - 70Km mit Überholverbot, dazu immer wieder Industriezonen - das zieht sich unendlich hin. „Glücklicherweise“ verfahre ich mich unterwegs und finde mich plötzlich auf den Berghängen des Varnerwalds, hoch über dem Talkessel wieder. Die Sträßchen, breit wie Feldwege, sind zwar zeitraubend, dafür gewähren sie traumhafte Ausblicke. Hinter Brig erwartet mich die Furkastraße ins Oberwallis. Uralte Bergbauernhöfe, dunkelgrüne, saftige Wiesen mit (hoffentlich) glücklichen Kühen - Postkartenidylle. Je weiter ich mich in das Tal schwinge, umso mehr zieht sich der Himmel wieder zu; schließlich fallen die ersten Tropfen. Der vor mir in der Ferne winkende Grimselpass versinkt im Dunst.
Ich nehme Quartier im „Blinnenhorn“ in Reckingen, wenige Kilometer unterhalb des Grimselpasses. Hier erlebe ich den Höhepunkt des Tages - 1:0, Deutschland wird Fußball Weltmeister gegen Argentinien.

© Ralf Beelitz, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Ein Labyrinth aus Schluchten und winzigen Bergstraßen, die senkrechte Felswände erklimmen, ein zerfurchtetes Hochplateau und über 2.000 m hohe alpine Kalkfelsen - das ist das Felsmassiv des Parc naturel régional de Vercors, südwestlich von Grenoble.
Details:
Aufbruch: 05.07.2014
Dauer: 11 Tage
Heimkehr: 15.07.2014
Reiseziele: Frankreich
Schweiz
Der Autor
 
Ralf Beelitz berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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