Alpentour - Ins Land der Murmels

Reisezeit: Juli / August 2015  |  von Ralf Beelitz

Vom Gavia zum Motirolo

Vom Gavia zum Passo del Mortirolo

Es ist schon ein besonderes Gefühl, durch das durchdringende Pfeifen der Murmeltiere vor der Franzenshöhe geweckt zu werden. Die Sonne schiebt erste Strahlen über die Berggipfel. Die Luft ist frisch und klar und die Stille der Bergwelt fast körperlich greifbar. Wir starten die Murmels vor der FranzenshöheMotoren und nehmen den beeindruckenden Steilhang vor unserer Haustür in Angriff. 600 Höhenmeter, 21 Kehren, immer das Joch mit der Tibethütte vor Augen. Links ein Mäuerchen, rechts Schotterhalden und spärlich bewachsener Fels, dazwischen schlängelt sich das rissige Asphaltband wie an den Hang geklebt nach oben. Zu so früher Stunde hat das fahrende Volk das Joch noch nicht erreicht. Die Andenkenläden auf der Passhöhe sind menschenleer. Einige Serpentinen später haben wir Gelegenheit, im Hochtal Bocca del Braulio wieder einmal am Gasgriff zu drehen und uns dem Rausch der Geschwindigkeit hinzugeben, ehe wir uns ins Valle del Braulio hinabstürzen, ein wildes Gebirgstal mit fast senkrechten Felswänden, in den Fels gehauenen - unbeleuchteten - Tunneln und phantastischen Ausblicken.
Aus dem grünen Tal von Bormio biegen wir zum Gavia Pass (2.618) ab. Der größte Teil der etwa 43 km langen Passstraße führt uns durch den Nationalpark Stilfser Joch und ist landschaftlich sehr reizvoll. Zunächst geht es am Torrente Frodolfo entlang durch das Valfurva Tal bis nach St. Caterina. Die asphaltierte Straße ist schmal, wenig befahren und steigt in Serpentinen steil an. Weiter oben treffen wir auf die felsübersäte Graslandschaft der Plaghera Hochfläche, über der im Osten der gewaltige Punta San Matteo (3.678) thront. An der Passhöhe liegt der Lago Bianco vor den schneebedeckten Spitzen des Corno dei Tre Signori (3.359). Es bietet sich uns ein herrlicher Ausblick auf die funkelnden Gletscherfelder der Adamellogruppe. An der Südabfahrt, kurz unterhalb der Passhöhe, spiegelt sich inmitten moosgrüner Wiesen der Lago Nero in der Sonne. Die Südrampe wechselt schon bald von zweispurig auf die Breite eines Feldwegs. Wir passieren einen 800 m langen, unbeleuchteten Tunnel. Den Lichtfleck des Ausgangs können wir in der Ferne nur erahnen. Der Straßenbelag ist miserabel. Wasser tropft herab und ständig ist mit Rennradfahrern zu rechnen. Spätestens hier wird die Passfahrt zu einer der schönsten und spannendsten Erlebnisse der Alpen. Wenn sich dann noch ein Wohnmobil hier herauf verirrt hilft nur anhalten und hoffen, dass noch die berühmte Briefmarke zwischen Seitenkoffer und Fahrzeug passt und vor allem - nicht zur Seite den Steilhang hinabschauen.

Einige Serpentinen später ist die Abfahrt geschafft. Wir wenden uns auf der SS 42 über Ponte di Legno dem Passo del Mortirolo (1.842) zu. Der Mortirolo, der streng genommen Passo della Foppa heißt, ist ein ehemaliger Militärpfad. Bekannt gemacht hat ihn der Giro d’Italia, der seine Teilnehmer regelmäßig über die gefürchtete Westrampe von Mazzo di Valtellina führt. Umgeben wird er von den Gipfeln des Monte Serottini (2.967), Cima Cadi (2.449) und des Monte Pagano (2.348). Die Straße ist in exzellentem Zustand. Unterhalb des MortiroloPasses gibt es einige Gasthäuser, sodass wir spontan beschließen, eine Mittagspause einzulegen. Wir, das bedeutet 3 Männer. Gerhard, unser 4. Mann, rauscht dagegen den Blick zielgenau nach vorn gerichtet mit der Haltungsnote 1+ am Parkplatz vorbei. Das ist das letzte Mal, dass wir ihn am heutigen Nachmittag sehen. Die hausgemachte Pasta schmeckt zugegebenermaßen trotz eines kleinen schlechten Gewissens hervorragend. Auf der Passhöhe steht neben einem alten Passschild nur ein Bergwertungsanzeiger vom Giro.
Südlich, in Sichtweite des Mortirolo, zweigt die Panoramastrecke nach Montemezzo ab. Die Straße führt uns in konstant 1.900 m Höhe an der Nordflanke des Cima Cadi entlang. Nur gelegentlich versperren Bäume die sich bietende Aussicht ins Tal.
Die Abfahrt endet in Tirano, dem südlichen Endpunkt der Bernina-Linie der Rhätischen Bahn. 38 Grad erwarten uns hier unten, sodass wir unsere ursprüngliche Absicht, dem Bernina Pass noch einen Besuch abzustatten, verwerfen. Wir streben stattdessen zielstrebig auf der SS38 wieder den Höhen des Stilfser Jochs zu. Die Aussicht auf eine erfrischende Dusche ist zu verführerisch. Zudem lassen die sich auftürmenden dunklen Wolken nichts Gutes erahnen. Wir passieren zahlreiche Tunnel, deren Kühle eine eine Wohltat ist.
An der Auffahrt zum Joch ereilt mich erneut das Schicksal. Rote Lampe auf dem Display! Eine halbe Stunde Zwangspause! Die Zeit vergeht wie im Flug bei einem netten Gespräch am Straßenrand mit einem italienischen Mountainbiker. Einen Blick auf die Anzeige, den anderen auf die Straße, klappt dann doch wieder der Anstieg. Bei der Abfahrt von der Passhöhe zur Franzenshöhe fallen die ersten Tropfen. Ehe es richtig losgeht erreiche ich meine Unterkunft, während der Ortler im Nebel versinkt.

© Ralf Beelitz, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zehn Tage Zeit habe ich. Zehn Tage, um mit dem Motorroller ein paar der schönsten Alpenecken zu durchstreifen. Am Ende liegen über 3.000 wundervolle KM hinter mir.
Details:
Aufbruch: 29.07.2015
Dauer: 12 Tage
Heimkehr: 09.08.2015
Reiseziele: Deutschland
Schweiz
Der Autor
 
Ralf Beelitz berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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