Alpentour - Ins Land der Murmels

Reisezeit: Juli / August 2015  |  von Ralf Beelitz

San Bernadino - man spricht deutsch

San Bernadino - man spricht deutsch

Ein strahlend blauer Himmel begrüßt uns, als wir die Franzenshöhe verlassen und ein letztes Mal die Serpentinen des Stilfser Jochs aufwärts streben. Nach wenigen hundert Metern der Südwestrampe des Stilfser Jochs biegen wir an der ehemaligen italienisch-schweizer Zollstation zum Umbrail Pass (2.503) ab. Vom Joch ist es nur ein Katzensprung hinauf zur Passhöhe, die sich recht kahl präsentiert. Die mittlerweile durchgehend asphaltierte, kaum 2 Fahrspuren breite Straße wartet auf schweizer Seite mit beeindruckenden Kurven und Kehren auf; 36(!) an der Zahl. Sie überwindet einen Höhenunterschied von 1.100 Metern auf einer Distanz von nur 16 Kilometern.
Weiter unten wird das graue Asphaltband noch schmaler, teilweise verengt es sich auf nur eine Fahrspur. Ständig geht es durch dichten Nadelwald. Kehren, Kehren, Kehren, kaum einmal eine Gerade. Das Tal scheint nicht näher zu kommen. Eine nicht enden wollende natürliche Achterbahn. Schließlich wird die Straße wieder breiter und der Kurventanz findet in Santa Maria sein Ende, wo wir ins Tal Müstaire eintauchen. Das Tal sorgte im Sommer 2005 für Schlagzeilen, als ein Braunbär aus Südtirol einwanderte und Touristen erschreckte. Die Sache ging für den Bären nicht gut aus; er wurde später erschossen. Das breite Val Müstair mit seinen sattgrünen Wiesen und kleinen Dörfern führt uns zum Ofenpass (2.149). Der Pass ist nicht besonders hoch, noch wartet er mit berauschenden Kurvenkombinationen auf. Dafür bietet er eine entspannte Trassenführung durch pure Natur. Vom Scheitel haben wir eine gute Aussicht hinab ins Münstertal. In der Ferne blitzt das Weiß der Ortlergletscher. Die Nordwest-Rampe nach Zernez ist relativ flach und weist nur wenige stärkere Kurven auf. 21 Kilometer nimmt sie sich Zeit, um 700 Höhenmeter zu überwinden. Manchmal erhaschen wir unterwegs einen Blick in die Schlucht des Spöl, der sich tief ins Gebirge gegraben hat. Moderat ist der Anstieg hinauf zum Ova Spin (1.850), einen Pass mit Bushaltestelle aber ohne Passschild. IAlbulan La Punt-Chamues-Ch erwarten uns schon die ersten Serpentinen der Albulastraße. Nach wenigen Kilometern bietet sich uns ein weiter Blick auf die gegenüberliegenden Berge des Oberengadins. Auf dem kargen Sattel des Albula (2.315) lädt uns die Passhütte auf einen Kaffee ein. Wir genießen die Sonne vor dem Haus mit herrlichem Panorama über einen kleinen Bergsee und die Gipfel der Rätischen Alpen im Hintergrund.

Auf der Abfahrt stürzt sich die Straße einen schroffen Felshang hinunter. Durch eine wunderschöne Berglandschaft mit Geröllfeldern beidseits der Straße geht es ins Albula-Tal. Neben der dicht an den Fels gebauten Straße durch die spektakuläre Bergüner Klamm fällt es über 100m fast senkrecht in die Tiefe. Unten in der Schlucht tosen die Wassermassen. Ein imposantes Naturschauspiel für schwindelfreie Scooteristen. Auf den letzten Kilometern nach Tiefencastel ist zweifelsohne das imposante Viadukt der Rhätischen Bahn der Höhepunkt. Die bogenförmige Brücke erhebt sich 65m über den Fluss.
Hinter Thusis folgen wir ein Stück der atemberaubenden „Via Mala“. Wenn sich schon Abgründe auftun, dann sollten sie so schön wie dieser sein. Bis zu 300 Meter hohe Felsen bilden die tiefe Schlucht im Hinterrheintal. Einst war sie verhasst. "Schlechter Weg" wurde sie genannt; ein Hindernis auf dem Weg über die Alpen; schön, wild und bedrohlich.

Die nächsten 10 Kilometer führen meist parallel zur Schnellstraße A13, die heute ihrem Namen keine Ehre macht - Stau soweit das Auge reicht. Umso mehr genießen wir die kleine, verkehrsarme Straße durch die Dörfer Sufers, Splügen und Hinterrhein im Rheinwald. In der Rofflaschlucht, im historischen Restaurant „Felsengalerie zum Wasserfall“, stärken wir uns mit Gerstensuppe und einem (alkoholfreies) Weizen - ein Genuss. Vor dem Restaurant führt die N13 in einigen knackigen Kurven hangaufwärts und wendet sich stetig ansteigend dem Örtchen Hinterrhein zu. Ab Hinterrhein ist dann alles anders. Die alte Passstraße strebt an den Hängen des Hinterrheintales in zahlreichen Kehren mit angenehmer Steigung zum San Bernadino (2.065) hinauf. Immer wieder gibt sie traumhafte Ausblicke auf die umliegenden Gipfel frei. Kurz vor der Höhe gilt es, eine karge, von eiszeitlichen Gletschern geformte Gebirgslandschaft zu durchqueren. Auf der Passhöhe treffen wir auf den Laghetto Moesola, einen malerischen kleinen See mit Hospiz. Wer möchte kann hier vor grandioser Kulisse einen Cappuccino schlürfen.
Die Südabfahrt in Richtung Bellinzona ist super für jeden, der gerne Kurven fährt. Der Straßenbelag ist gut und 21 übersichtliche Kurvenkombinationen machen die Tour zum Vergnügen. Während der Abfahrt tauchen wir immer mehr in das warme, von mediterraner Vegetation geprägte Tessin ein. Je mehr wir uns dem Lago Maggiore nähern, umso wärmer wird es. In Castione füllen wir erst einmal die Wasserreserven auf. Der Schweiß rinnt in Strömen. Das Thermometer ist auf 39 Grad gestiegen; unter dem Motorradhelm entwickelt sich ein Feuchtbiotop.
NufenenAuf der Via San Gottardo geht es zügig Richtung Airolo, dem Zugang zum Nufenen.
Die 23 km lange Strecke zum Nufenen Pass (2.478) führt entlang des Ticino durch das das Val Bedretto. Es geht praktisch kurvenlos bergan, lediglich auf den letzten Kilometern gibt es ein paar Spitzkehren. Auf dem höchsten Pass der Schweiz empfängt uns ein großartiges Alpenpanorama. Nach Osten blicken wir hinab in das Val Bedretto, nach Westen hinüber bis zu den vergletscherten Berner Alpen, nördlich und östlich thronen die Gipfel des Gotthardmassivs und im Süden erheben sich Helgenhorn (2.837) und Grieshorn (2.929). Ein Gasthaus und ein kleiner See laden zu einer ausgiebigen Rast inmitten einer noch unverbauten, hochalpinen Landschaft ein.
Bis zu 13 % Gefälle, eng übereinander geschachtelte Haarnadelkurven, so geht es an der Südflanke des Pizzo Gallina (3.061) bergab ins Wallis. Bizarre Bergformen präsentieren sich nun über dem unter uns liegenden Talkessel. Leider verschandeln gelegentlich große Strommasten die sonst so schöne, wilde Kulisse. Zwei letzte Kehren, die noch jungfräuliche Rhône überquert, die sich hier Rotten nennt, dann rollen wir ins Dörfchen Ulrichen mit seinen schwarzbraunen, uralten Holzhäusern ein.
Ein unvergesslich schöner Motorradtag neigt sich dem Ende entgegen, als wir unsere Unterkunft „Blinnenhorn“ in Reckingen erreichen. Müde und mit ledernem Hintern, aber glücklich.

© Ralf Beelitz, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zehn Tage Zeit habe ich. Zehn Tage, um mit dem Motorroller ein paar der schönsten Alpenecken zu durchstreifen. Am Ende liegen über 3.000 wundervolle KM hinter mir.
Details:
Aufbruch: 29.07.2015
Dauer: 12 Tage
Heimkehr: 09.08.2015
Reiseziele: Deutschland
Schweiz
Der Autor
 
Ralf Beelitz berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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