Von den Kims und anderen Katastrophen

Reisezeit: April 2016  |  von Heribert Fassbender

Tag 4 - Kim, Korn, Ran

Donnerstag

Eigentlich stehe ich ja nicht auf Frauen in Uniform. In Nordkorea aber schon. Und zwar auf die bezaubernden Verkehrspolizistinnen in ihren bezaubernden blauen Uniformen, mit ihren viel zu groß geratenen Mützen, in ihren knielangen oder manchmal auch über dem Knie endenden Kostümen, dazu –je nach Witterung- Mantel und Dominastiefel, oder ohne Mantel, weiße Söckchen in schwarzen Schuhen mit dezentem Absatz. Daneben halten sie stets einen roten Zauberstab in Händen.

Das Besondere an diesen Geschöpfen aber ist weniger ihre Kleidung, sondern wie zackig sie sich bewegen. Kein damenhaftes graziles Bewegen, nein, Kopf geradeaus, blitzschnell nach links gewendet und ebenso schnell alles erfasst mit ihren Adleraugen, was sich auf dieser Seite abspielt, wieder geradeaus, wenige Sekunden später Augen nach rechts.

Wurden alle Richtungen observiert –ihre Anwesenheit auf den Kreuzungen ist zwar eigentlich völlig überflüssig, aber es könnte sich ja doch mal von irgendwo her ein Fahrzeug nähern- erfolgt eine ebenso zackige Bewegung um 90 Grad, und dasselbe Spielchen geht von vorne los.

Und das Beste ist, diese Damen darf man sogar fotografieren. Habe ich zumindest gelesen. Militäreinrichtungen nicht, wurde uns von unseren Guides gesagt, Soldaten nicht, große Baustellen ebenso nicht. Die gibt’s aber ohnehin nicht. Das wars schon an Verboten. Ach, und den Herren Kim nicht aus Versehen irgendwas abschneiden. Immer schön in voller Größe und Pracht ablichten.

Die Verkehrspolizistin, die heute Morgen an der Kreuzung vor meinem Hotel für Ordnung sorgt, ist allerdings noch nicht auf dem neuesten Stand der Erlaubnisse und Verbote für fotografierwütige Touristen. Als ich bereits einige Fotos im Kasten habe, erblickt sie mich und trötet in ihre Trillerpfeife, was ihr Lungenvolumen hergibt. Kann aber auch sein, dass es nur der Schreck ist, einen einzelnen Ausländer mitten in Pyongyang zu erblicken. Ich habe mich nämlich erstmalig 50 Meter von der Truppe entfernt. Einmal allein in Pyongyang und schon gibt’s Ärger mit der Staatsgewalt. Madame Li eilt herbei und bringt mich wieder auf den rechten Pfad.

Ebensowenig aus dem Stadtbild von Pyongyang wegzudenken wie die Polizistinnen sind die kleinen Kioske, die überall stehen. Eine oder manchmal auch zwei Verkäuferinnen bieten hauptsächlich Getränke und Kleinigkeiten für zwischendurch an, Kekse, Süßigkeiten u.a.

Gerne hätte ich dort mal etwas gekauft. Nicht weil ich ständig Hunger und Durst habe, sondern um etwas einheimisches Wechselgeld zurückzubekommen. Das würde aber natürlich nicht funktionieren. Im Hotel werden für das Bier oder den Einkauf von Mitbringsel im Souvenirladen Euro, Dollar und Renminbi genommen. Es kann sogar in der jeweiligen Währung Wechselgeld zurückgegeben werden. Der Besitz von nordkoreanischen Won ist Ausländern aber nicht gestattet. Zumindest einen Schein würde ich furchtbar gern als Souvenir mitnehmen, aber keine Chance.

Ich stelle unserer Madame Li die Frage, von wem diese Kioske betrieben werden. Vielleicht sogar von den Verkäuferinnen selbst ? Unsere Guidin schaut mich an wie eine Grundschullehrerin einen Schüler, der auch in der 3. Klasse noch nicht kapiert hat, dass 2+2 nicht 5 ergibt. „In unserem Land gibt es keine Privatwirtschaft“, sagt sie nur knapp. Nein, was haben die uns dieses Mal wieder für doofe Touris geschickt.

Soo doof war die Frage aber gar nicht. Im Gegenteil. Es war sogar eine Art Fangfrage. Natürlich gibt es Privatwirtschaft in Nordkorea. Habe ich zumindest gelesen. Auf dem Land werden immer mehr Bauernmärkte zugelassen, auf denen Überschüsse von der jeweiligen Kolchose privat verkauft werden. Um die Versorgungslage zu verbessern. Und die neuen, von weitem schicken Wohnblocks sollen auch von privaten Investoren hochgezogen worden sein. Wobei ich mich allerdings frage, wie denn deren Renditeberechnungen aussehen mögen.

Ein ausländischer Investor ist auch dafür verantwortlich, dass das Ryugyong Hotel „verschönert“ wurde und nun ein echter Hingucker ist und die Skyline der Stadt maßgeblich bestimmt. Der Bau dieses Hotel wurde in den 80er in Angriff genommen. Es sollte das höchste Hotel der Welt mit über 300 Meter und in Form einer Pyramide errichtet werden. Dann gab es aber massive Konstruktionsprobleme und jahrelang stand der Bau als mehr oder weniger hässliches Stahbetongerüst da. Den Nordkoreanern war das Ganze offensichtlich ziemlich peinlich, so dass der Bau bei Aufnahmen der Stadt einfach „weggefotoshopped“ wurde und Reiseführer das Gebäude totschwiegen.

Auch unsere Drei gehen nicht weiter auf dessen Geschichte ein, obwohl es nun in voller Pracht dasteht, nachdem ein ägyptischer Mobilfunkunternehmer zumindest die Außenfassade ansehnlich hergerichtet hat und dafür angeblich ein nordkoreanisches Mobilfunknetz aufbauen durfte. Tatsächlich sieht man auch in Pyongyang Menschen mit eher einfach gehaltenen Handies durch die Gegend laufen. Bei weitem nicht so viele wie in anderen asiatischen Metropolen, aber ein Anfang ist gemacht.

Übrigens greifen auch Computerbenutzer in Nordkorea auf eine Art Intranet zu. Zugang zum WordWideWeb, so wie wir es kennen, haben schätzungsweise 7.000 Nordkoreaner, die Elite des Landes, also hohe Militärs, Beamte und Wissenschaftler.

Es heißt, dass es im Norden an der chinesischen Grenze einen regen illegalen, aber geduldeten Grenzverkehr gibt. Im Zuge dieses Schmuggels finden auch immer mehr Handies chinesischer Produktion den Weg nach Nordkorea, und in Grenznähe kann man sich in chinesische Netze einwählen. In einer Art Luxuskaufhaus am Triumphbogen sehe ich alles in Sachen Unterhaltungselektronik und moderner Kommunikation in den Auslagen, wenn auch in begrenzter Auswahl. Auch USB-Sticks sind zu haben, klein, unscheinbar, leicht durch Kontrollen zu bringen. Droht vielleicht aus dieser Richtung zukünftig Gefahr für die Abschottungspolitik der Regierenden ? Leisten solche Möglichkeiten vielleicht Anschubhilfe für eine moderate Öffnung des Landes ? Ich glaube, jeder Nordkoreareisende wird sich irgendwann im Laufe seines Aufenthalts mit solchen Fragen beschäftigen. Seine Gedanken wird er für sich behalten. Eine Diskussion mit den Guides kann nur für beide Seiten unangenehme Situationen bringen.

Und wer weiß, wo überall mitgehört und mitgeschnitten wird. Mein Hotelzimmer z.B. habe ich gleich nach Bezug einer Begutachtung unterzogen. In solchen Situationen macht sich bezahlt, dass ich früher ein begeisterter Fan von Spionagefilmen war und weiß, wo ich zu suchen habe. Gefunden habe ich allerdings nichts. Nicht schlimm, ich habe ja eh das Zimmer für mich allein, und zu nächtlichen Selbstgesprächen im Schlaf neige ich eher nicht.

Das Ziel für den heutigen Vormittag heißt „Internationale Freundschaftsausstellung“ und selbige befindet sich in nördlicher Richtung, im Myohyang-Gebirge. Der Blick aus dem Busfenster zeigt auch heute Morgen das nunmehr bereits gewohnte Bild. Handarbeitende Landbevölkerung, Menschen, die an den Seitenstreifen der Autobahn hin und her laufen, weiße Steine.

Die Landschaft wird allmählich hügeliger. Und wohl auch schöner. Allerdings beginnt es zu regnen und bald sind die Busfenster beschlagen. Der Regen währt aber nur kurz und die Sonne kommt heraus. Sollte sie auch. Morgen ist ja schließlich der „Tag der Sonne“.

Am Endpunkt angekommen atmet man erst einmal kräftig ein und aus. Was für eine klare und frische Luft frei von jedweder Umweltverschmutzung. Und was für ein schönes Bergpanorama.

Hinter der „Freundschaftsausstellung“ verbirgt sich die Sammlung von Geschenken, die Kim Il-Sung und Kim Yong-Il während ihrer Regentschaft gemacht wurden, von anderen Staatsschefs, Politikern, Parteien, Organisationen, Privatpersonen.

Trotz seiner Abgeschiedenheit ist der Ort gut besucht und soll offensichtlich zeigen, wie beliebt die nordkoreanischen Führer international waren und wie viel Anerkennung sie in der Welt erfahren haben. Diesen Eindruck hat zumindest unsere lokale Guidin, wie überall eine Frau in buntem koreanischen Festtagskleid, verinnerlicht. Mit Begeisterung führt sie durch die in den Berg gehauenen, selbstverständlich blitzsauberen Hallen. Diese Begeisterung strahlten bisher alle unsere Führerinnen aus und ich denke mir, wenn daheim in den Betrieben auch so ein Enthusiasmus unter den Angestellten und eine derartige Freude bei der Arbeit herrschen würde …

(Hinter diesem Sesam Öffne Dich Tor ist fotografieren leider strengstens untersagt)

(Hinter diesem Sesam Öffne Dich Tor ist fotografieren leider strengstens untersagt)

Nur ein klitzekleiner Teil der Gegenstände kann von uns in den zur Verfügung stehenden zwei Stunden bestaunt werden, leider nicht die richtig großen Geschenke, ein Eisenbahnabteil von Mao, eine Staatskarosse von Stalin. Meine Frage danach wird elegant abgebügelt. Diese Räume würden gerade renoviert und wären derzeit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.

Unsere Führerin erklärt uns, würde man jedes Ausstellungsstück eine Minute lang anschauen, würde man mehr als ein Jahr verweilen müssen um alles gesehen zu haben. Nun, das ist m.E. gar nicht notwendig. Vieles würde ich gar nicht haben wollen. Unser Haus daheim wäre auch viel zu klein. Schließlich musste man hier auch ganz tief in den Berg hineingraben, um genügend Ausstellungsfläche zusammen zu bekommen. Aber buddeln können sie ja, die Nordkoreaner.

Ich schwanke bei der Beurteilung dieses Besuchs-Highlights und der Ansicht der Räume von völlig abgefahren und albern bis zu durchaus interessant, was so alles bei offiziellen Gelegenheiten überreicht wird. Als Diktator bekommt man jedenfalls richtig viel geschenkt. Als Präsident einer Demokratie auch ? Wo bewahrt eigentlich unser Bundes-Jockel seine Geschenke auf. Und was macht er damit? Hat er von den Russen auch ein Auto geschenkt bekommen? Und von den Amis einen Basketball ? Nach Rückkehr werde ich mich auf jeden Fall mal danach erkundigen.

In der Nähe befindet sich auch ein buddhistisches Kloster. Es zeigt sich sogar ein (Vorzeige)Mönch. Leider sind wir wie immer unter Zeitdruck, so dass außer ein paar schnellen Fotos keine Fragestunde möglich ist. Es soll wohl der Eindruck vermittelt werden, dass sich die Freiheit der Menschen im Lande auch auf die Religion bezieht.

Entsprechend werden auch meine Fragen nach der Existenz von Christen, und zwar nicht nur von ausländischen Botschaftsangehörigen, von unseren Reiseleitern beantwortet. Oh ja, es gibt viele Christen bei uns und ja, christliche Kirchen gibt es natürlich auch und die werden auch stets gut besucht. Ich erinnere mich dunkel, dass ein US-Amerikaner hier zu langjährigem Arbeitslager verknackt wurde, weil er eine Bibel eingeführt hatte. Vielleicht gilt ja Religionsfreiheit nicht für alle. Keinesfalls für die bösen Amis.

Nach dem –wieder mal sehr guten- Lunch geht es in einem Höllenritt zurück in die Hauptstadt. Die Jugend der Stadt wartet schließlich auf uns und möchte uns etwas vorspielen und –singen.

Im Schülerpalast beginnt Punkt 17 Uhr eine Aufführung der Kinder. Das Publikum ähnelt dem der Zirkusveranstaltung, verdiente Proletarier in feinem Zwirn nebst Gattinnen in Sonntagskleid und Kinderschar, daneben Touristengruppen.

Der Palast der Schulkinder ist beeindruckend, riesig und gewaltig von außen, hell, bunt und freundlich eingerichtet von innen.

Die Vorstellung ist es auch. Schulunterricht findet in Nordkorea nur vormittags statt; in dieses Gebäude kommen nachmittags viele Schulkinder aus Pyongyang, und sie können, vielleicht besser gesagt, müssen sich in den Fertigkeiten üben, für die sie gut geeignet erscheinen.

Bei den Gören da unten auf der Bühne liegt die Begabung zweifellos auf musikalischem Gebiet. Mittels moderner Bühnenschiebetechnik werden immer neue Kinder auf die Bühne bzw. rausgefahren. Sie singen und spielen in beeindruckender Qualität und die kleinen Sänger und Sängerinnen haben die Mimik der Erwachsenen schon gut verinnerlicht. Große Orchester spielen auf, traditionelle Instrumente werden präsentiert, das offensichtlich in Nordkorea besonders beliebte Akkordeon, Gruppen mit Gitarre, Keyboard und Schlagzeug.

Videoclips zur Schüler-Aufführung:

Vortrag 1

Vortrag 2

Vortrag 3

Ich denke an die bedenklichen Vorstellungen unseres Nachwuchses bei den VOX-Ministars oder wie immer auch diese Sendungen heißen mögen und bin zunächst begeistert, auch wenn man den Drill, der dahinter steckt, nicht übersehen sollte. Es ist alles perfekt. Bis ich erkenne, dass ab und zu mal das Tastenspiel und die Lippenbewegungen nicht ganz zur Musik synchron sind. Ist etwa alles nur Playback ?

Bedenklich auch, ähh, nein, nun zumindest überhaupt mehr verwunderlich ist, dass immer dann besonders viel Applaus aufbrandet, unabhängig vom Geschehen auf der Bühne, wenn auf der großen Leinwand die Kims, Kim Il-Sung und, hier häufig auch Kim Yong-Un, zu sehen sind.

Heute Abend ist es endlich soweit. Wir erkunden das Pyongyanger Nachtleben ! Von Kasernierung im Hotel war ja nie die Rede, und es hieß am Anfang, wir dürfen abends rausgehen, nur halt nicht allein ohne Begleitung eines Guides. Beim steten Vortragen meines entsprechenden Wunsches tat sich bisher besonders Herr Kim hervor mit immer neuen Einfällen, warum ein Abendbummel gerade heute Abend nicht angebracht wäre. Gibt es etwas zu verheimlichen im nächtlichen Pyongyang? Will man uns die spärlich bekleideten Tänzerinnen in den einschlägigen Gogo-bars vorenthalten? Halten sich auf der Pyongyanger Reeperbahn etwa zu viele Prostituierte auf und wollen den ahnungslosen Touris die Euros, Dollars und Renminbis aus der Tasche ziehen?

Nun, solche Traumbilder habe ich zwar nicht vor Augen. Am vorletzten Abend ist meine Geduld trotzdem aufgebraucht. Heute will ich mich endlich ins nordkoreanische Nightlife stürzen. Herr Kim hat keine Chance. Und siehe da, alle kommen mit, die ganze Gruppe und alle drei Guides.

Herr Kim hat keine Chance, aber er nutzt sie. Kaum sind wir hundert Meter durch das abendliche Pyongyang gewandert, halten wir vor einem Restaurant mit kleiner Bar und gehen hinein. Ist ja auch durchaus interessant, solch einen Schuppen mal von innen zu sehen, und es ist tatsächlich sehr gemütlich.

Zu gemütlich. Wir bleiben dort hängen und machen uns 90 Minuten später wieder auf den Rückweg. Das wars also mit dem Abendbummel. Sicherlich wurde der Besuch vorab bestens organisiert. War das nun der Vorzeigebetrieb für die doofen Touris ? Strategisch bestens platziert in unmittelbarer Nähe des großen Touristenhotels? Waren die beiden jungen Damen, die bereits an einem Tisch saßen, als wir kamen in Wahrheit Mitarbeiterinnen der Tourismusbehörde oder sogar des Geheimdienstes und sollten lediglich Normalität vorgauckeln ? Fragen über Fragen für diejenigen, die in den nordkoreanischen Betten nur schwer einschlafen können oder nachts gerne mal ins Grübeln kommen.

© Heribert Fassbender, 2016
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fünf Tage Ferien in einem der geheimnisvollsten und bizarrsten Länder der Erde
Details:
Aufbruch: April 2016
Dauer: unbekannt
Heimkehr: April 2016
Reiseziele: Nordkorea
Der Autor
 
Heribert Fassbender berichtet seit 8 Jahren auf umdiewelt.