Von den Kims und anderen Katastrophen

Reisezeit: April 2016  |  von Heribert Fassbender

Tag 5 - Der Tag der Sonne

Freitag

Nun, wo wir schon so viel von den Kims gehört haben wäre es richtig schick, sie auch einmal persönlich zu treffen. Diese Chance besteht tatsächlich, und zwar heute. Es ist der „Tag der Sonne“, der höchste Feiertag in Nordkorea, sozusagen Führers Geburtstag. Am 15. April 1912 wurde Kim Il-Sung nach offizieller nordkoreanischer Geschichtsschreibung geboren. Er und sein Sohn sind einbalsamiert aufgebahrt im riesigen Kumsusan-Palast, und heute haben auch einige Touristengruppen die Ehre, das Mausoleum zu besuchen.

Vom Reiseveranstalter wurde darauf aufmerksam gemacht, einen Anzug für diesen Besuch einzupacken, und vielleicht hätte ich das sogar gemacht, wenn ich nicht noch weitere drei Wochen durch Asien reisen würde und ich meinen begrenzten Platz in der Reisetasche nicht damit belasten wollte.

Trotz meiner für einen Traveller superschicken Kleidung hätte ich große Chancen, beim heutigen Wettbewerb „Wer ist der schlechstangezogene Besucher“ in die Endrunde zu kommen, denn –das ist nun keine Überraschung mehr- die Einheimischen haben ihre Sonntagausgehkleidung angelegt, die Auslandsvertreter auch, ebenso sind die meisten Touris in Anzug bzw. schickem Kleidchen gekommen. Das wird die Kims posthum sicherlich freuen.

Die ganze Prozedur zieht sich, die Kontrollen sind streng, die Wege weit in den blank gewienerten Gängen. Es hat etwas von in heutigen Zeiten so riesigen Flughafenterminals, in dem man von einem Ende zu anderen latschen muss, um seinen Anschlussflieger oder sein Gepäck zu bekommen, einschließlich Laufbänder für die Fußfaulen.

Unmittelbar vor dem Betreten der ersten Halle wird man noch einmal durchgepustet, damit auch das letzte Staubkorn weggeblasen wird - die Damen fassen sich dabei erschrocken an Kleid und Frisur- dann steht man in einer riesigen mit gedämpftem Licht beleuchteten Marmorhalle, in der Mitte steht der gläserne Sarkophag von Kim Il-Sung, man schreitet jeweils zu viert gemessenen Schrittes an den Sarg und verbeugt sich jeweils am Fußende, an der linken und der rechten Seite, nicht aber am Kopfende des Leichnams und verlässt anschließend den Raum. Gleiches wiederholt sich in der anderen Halle mit dem Leichnam von Kim Yong-Il.

Wer den Wunsch hat, es zumindest einmal in seinem Leben in die Abendnachrichten zu schaffen, heute wäre eine gute Gelegenheit. Ein ausgelassener Diener, ein Wort der Bestätigung, dass die Herrschaften in den Glassärgen auch nicht besser aussehen als damals im Fernsehen, und man erlangt weltweite Aufmerksamkeit.

Nach dieser Prozedur hat man noch Gelegenheit, einen Blick auf weitere internationale Geschenkgaben und Ordensverleihungen sowie die damalige Staatskarosse, die nordkoreanische Ausgabe von Airforce Numer One sowie einen Eisenbahnwaggon zu werfen, den Kim Yong-Il benutzt hat. Er soll ja auch während einer Dienstfahrt im Zug gestorben sein. Ob es genau dieser seinerzeit war habe ich vergessen. Wieder mal schlecht aufgepasst bei den Ausführungen unserer Guides.

An einer Wand leuchten in LED Lichtern die Strecken, die Kim Il-Sung während seiner Amtszeit mit dem Flieger und Zug zurückgelegt hat, national und international. Das soll sicherlich von den internationalen Verflechtungen Nordkoreas zeugen und der Anerkennung, die der „Ewige Präsident“ auf der ganzen Welt besaß.

Daneben befindet sich das Pendant für seinen Sohn. Es fällt deutlich lückenhafter aus. Kein Wunder, Kim Yong-Il soll Flugangst gehabt haben, und seine Zugfahrten führten ihn kaum weiter als bis in die Sowjetunion und China. Hinter Moskau und Peking waren dann wohl die Schienen zu Ende. Seine Leidenschaft soll dagegen Kinofilmen, französischem Cognac und schwedischen Blondinen gegolten haben, aber nichts Genaues weiß man nicht, und möglicherweise sind das auch nur böse Gerüchte. Da haben die westlichen Geheimdienste evtl. ganze Arbeit geleistet mit dem In-Die-Welt-Setzen von Verleumdungen von unliebsamen Zeitgenossen.

Am heutigen letzten Tag haben wir trotz des Feiertages noch ein volles Programm. Die nächste Station ist der „Juche-Turm“ oder wie immer dieser das Stadtbild Pyongyangs dominierende 170 Meter hohe Turm mit einer 20 Meter hohen Fackel aus rotem Glas-Mosaik auch offiziell genannt wird. Neben dem Triumphbogen wurde auch dieses Bauwerk anlässlich des 70. Geburtstags von Kim Il-Sung errichtet. Da hat er im Jahre 1982 ja wirklich ordentlich was geschenkt bekommen. Oder sich selbst beschenkt.

Die politische Philosophie, die hinter dem Turm steck, ist mir relativ schnuppe, das Schönste an dem Turm für mich ist: man kann da auch hoch. Gegen harte Devisen -5 Euro- geht’s per Fahrstuhl ganz nach oben, knapp unterhalb der roten Fackel, und man hat einen tollen Rundum-Blick auf die gesamte Stadt. Ein paar Stunden später in der Spätnachmittagssonne gäbe das tolle Bilder, in der grellen Mittagssonne eher nicht. Aber ich will nicht klagen. Schön, dass am Tag der Sonne überhaupt die Sonne scheint. Und angenehm warm mit ca. 22 Grad ist es auch noch.

Das "1. Mai Stadion", vom Fassungsvermögen her das größte der Welt

Das "1. Mai Stadion", vom Fassungsvermögen her das größte der Welt

Der Kim Il-Sung Platz, die Vorbereitungen für die Feiertags-Parade laufen auf Hochtouren

Der Kim Il-Sung Platz, die Vorbereitungen für die Feiertags-Parade laufen auf Hochtouren

ein Restaurantschiff

ein Restaurantschiff

Videoclip Blick vom Juche-Turm:

Vom Juche-Turm

„Juche“ (sprich: Tschu tsche) – ich hätte gedacht, dass dieser Begriff öfter gefallen wäre. Denn er bezeichnet die von Kim Il-Sung höchstpersönlich entwickelte Weiterentwicklung oder Modifizierung des Marxismus-Leninismus, mit meinen laienhaften Worten ausgedrückt eine Art autarker National-Sozialismus.

Mit den drei Grundprinzipien:

Politische Souveränität
Wirtschaftliche Selbstversorgung
Militärische Eigenständigkeit

Klingt gut, wenn man politisch entsprechend drauf ist. Funktioniert aber nur in der Theorie. Bzw. ist zumindest sehr schwer umzusetzen. Früher auch schon. In der heutigen Zeit aber besonders. Und wenn es an einer Stelle hapert ist es richtig doof, wenn auch noch die befreundeten Länder einer nach dem anderen wegbrechen, die für Hilfe sorgen können. Und wollen.

Den Programmpunkt „Besuch in der Internationalen Buchhandlung“ kann man meinetwegen zukünftig gerne streichen. Hier wird im Wesentlichen nur das angeboten, was man auch im Hotelsouvenirshop bekommt, nämlich die politischen Werke der Kims, in verschiedene Sprachen übersetzt. Meine Liebe ist auch nach nunmehr vier Tagen Nordkorea noch nicht derart entfacht, dass ich mir eines dieser Bücher als Andenken mit nach Hause nehmen müsste.

Nach vier Tagen Nordkorea wundert mich hier sowieso nichts mehr. Auch nicht dass sogar zwei Blumenarten nach den beiden Kim-Führern benannt bzw. ihnen gewidmet wurden, die –Achtung Zungenbrecher- "Kimilsungia" und die "Kimyongilia". Diese werden in einer Ausstellung gerne der Bevölkerung präsentiert, und heute am Feiertag ist der Besucherandrang besonders groß, so dass man manchmal vor lauter Menschen die Blumen nicht mehr sieht. Ich finde das keineswegs schade. Die Menschen finde ich sowieso interessanter als die Blumen.

Danach folgt ein Höhepunkt der Feierlichkeiten des heutigen Tages. Auf vielen großen Plätzen sammeln sich Paare zu Massentanzveranstaltungen. Wie viele es auf dem von uns besuchten Platz sind, lässt sich schwer schätzen. Hunderte bestimmt, vielleicht sogar Tausend. Oder noch mehr. Die Männer in schwarzer Hose, weißem langärmligen Hemd und roter Krawatte, die Frauen in der typischen bunten Landestracht. Es ist ein sehr, sehr farbenfrohes Bild, das sich uns ausländischen Zuschauern bietet. Wie gemacht für ganz viele Fotos.

Zu einheimischen Klängen, aber auch klassischer Musik und Walzer wird absolut synchron getanzt. Bestimmt wurden die Paare für diesen Auftritt wochenlang gedrillt. Wenn man näher hinschaut ist es aber auch hier nicht anders als andernorts auf der Welt. Die Frauen sind mit Freude bei der Sache, viele Männer lächeln auch, bewegen sich aber etwas ungelenk in den Hüften. Dafür überzeugen sie restlos am Ende der Veranstaltung, als sich innerhalb von wenigen Augenblicken wie von Geisterhand geleitet Männer und Frauen trennen. Die Frauen verlassen den Platz, die Männer sammeln sich in einer Ecke des Platzes und marschieren dann in tadellosem Stechschritt und lauten Militärgesängen über den Platz.

Videoclips zum Massentanz:

Tanz 1

Tanz 2

Tanz 3

Tanz 4

Ausmarsch

Vorher wird das wunderschöne Bild der Tanzenden noch gestört, als einige der Touristen aufgefordert werden mitzumachen und diese das –leider- auch tun. Es sieht etwas albern aus, wie sie die Tanzschritte der Einheimischen zu imitieren versuchen. Es ist ein Jammer. Die einzige Gelegenheit, dass sich Touristen und Einheimische näher kommen können, ergibt sich zum unpassendsten Zeitpunkt.

Zum Abschluss des Nachmittags fahren wir ein wenig Achterbahn mit den Nordkoreanern. Zumindest diejenigen aus unserer Gruppe, die das wollen. Es wird uns noch etwas heile Welt vorgespielt. Wir besuchen tatsächlich einen Vergnügungspark mitten in der Stadt, nahe dem Triumphbogen und dem Kim Il-Sung Stadion. Kim Yong-Un soll ein Fan von solchen Freizeitparks sein. Und damit sogar Touristen ins Land locken wollen.

Und tatsächlich bietet der von uns besuchte eine Achterbahn und andere Fahrgeschäfte auf Weltniveau. Für jede Fahrt müssen wir zahlen, während die Einheimischen angeblich alles kostenlos benutzen können. Alles frei, alles umsonst im Lande. Wer will noch mal, wer hat noch nicht. Und trotzdem beobachte ich, wie Leute vom Betreten des Parks abgehalten werden.

Beim letzten Dinner dieser Tour wird noch einmal ordentlich aufgetischt, einschließlich Geburtstagstorte für ein Geburtstagskind in unserer Gruppe und Kellnerinnen als Karaoke-Sängerinnen.

Videoclip Karaoke:

Karaoke-Song

Zum abschließenden Schlummertrunk im Drehrestaurant des Hotels findet sich heute Abend die gesamte Gruppe ein. Danach trennen wir uns. Ein paar haben eine zweitägige Verlängerung gebucht, die meisten fliegen morgen zurück nach Peking.

Ich gehöre zur zweiten Gruppe. Und bin froh darüber. Viereinhalb Tage Unfreiheit und Gängelung sind wahrlich genug. Das soll keine Beschwerde sein. Jeder, der nach Nordkorea reist, hat sich darauf vorbereitet und weiß was ihn erwartet.

Trotzdem, liebe Mitarbeiter des KITC (Korea International Travel Company, die staatliche Gesellschaft, die die Nordkorea-Touren plant und organisiert), was wäre es schön, wenn man auch als ausländischer Tourist einfach mal ein Stündchen durch Eure gar nicht so unansehnliche Hauptstadt laufen könnte. Ich will ja nicht gleich Euren Bahnhof klauen oder eine Eurer Polizistinnen entführen, einpacken und mitnehmen. Einfach mal ein paar Euro umtauschen, zu einem der vielen Kioske gehen, die Verkäuferin nett anlächeln, auf eine Packung Kekse oder eine Flasche Limonade zeigen und mal das probieren, was die Einheimischen essen und trinken. Zu spüren, dass man wirklich angekommen ist in Eurem Land und nicht im Reiche Potemkins. Euer Staat wird nicht gleich zusammenbrechen, wenn Eure Bürger ein paar frei laufende Ausländer erblicken. Ein paar klitzekleine Freiheiten gewähren, ich glaube, das würde das Urteil von westlichen Nordkorea-Touristen bestimmt sehr positiv beeinflussen …

© Heribert Fassbender, 2016
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fünf Tage Ferien in einem der geheimnisvollsten und bizarrsten Länder der Erde
Details:
Aufbruch: April 2016
Dauer: unbekannt
Heimkehr: April 2016
Reiseziele: Nordkorea
Der Autor
 
Heribert Fassbender berichtet seit 8 Jahren auf umdiewelt.