Vancouver und Vancouver Island
Ucluelet
Die wilde Seite der Insel
Ich weiß gar nicht genau, was mir hier so viel wilder erschien als an anderen Orten. Ich glaube, es ist das Ausgesetzte auf dieser Seite der Insel. Man hat einen riesengroßen wilden Regenwald hinter sich, manchmal im Nebel und vor sich nur den Pazifik, auch im Nebel, und das Nächste, was kommt, ist Japan. Da wird man schon recht klein.
Unser Tag begann also wieder mit Packen. Uns ist mehrfach geraden worden, sich vorab auf "drive BC" über die Straßenbedingungen zu informieren. Der Highway 4 ist die einzige Verbindung zwischen Tofino/Ucluelet und der anderen Seite der Insel. Da hier seit einiger Zeit Bauarbeiten laufen und die Straße nur 2-spurig ist, kommt es häufiger zu Vollsperrungen, z.B. nachts oder frühmorgens. Wir hatten uns informiert, für heute stand nichts an, also machten wir uns auf zur Durchquerung der Insel. Zwei Stopps waren geplant, der eine schon nach 30 km im Macmillan Provincial Park, besser bekannt ist Cathedral Grove. Hier stehen gut zugänglich (ein Wanderwegenetz führt direkt von der Straße aus durch) einige der ältesten und größten Bäume. Bis zu 800 Jahre alte Douglasien, am Boden wieder urwaldähnlicher Bewuchs. Allein die Größe der Bäume ist natürlich schon beeindruckend, aber wir waren uns einig, insgesamt ist es zu voll und geordnet, als daß ein Wildnisgefühl aufkommen kann.
Wenn man also nur Cathedral Grove zum Ziel hat und vorher oder hinterher noch andere Provincial Parks auf dem Plan, lohnt sich die Fahrt dorthin nicht - große Bäume und wilden Wald gibt es woanders ohne Dixie Klos und vielen Menschen in Flip Flops und großen Kameras!
Cathedral Grove: Mein Freund der Baum - nein, ich bin nicht Alexandra und der Baum steht noch immer!
Der zweite Stopp war in Port Alberni im Supermarkt. Angeblich sollte Ucluelet aufgrund der Lage ein teures Pflaster sein. Wir deckten uns also zumindest mit Getränken und Grundnahrungsmitteln für ein paar Tage ein. Im Nachhinein wäre auch das nicht unbedingt nötig gewesen. Aber ein paar leckere frische Sachen im Gepäck zu haben, erhöht den Wohlfühlfaktor und macht das langweilige Kilometerfressen etwas erträglicher. Außerdem war nun endlich dank Walmart auch der Rubikwürfel an Bord - für Jugendliche in Wlan-freien Zeiten ein empfehlenswertes Utensil!
Nun konnte es weitergehen und ab hier hatten wir wirklich wieder den Eindruck die Zivilisation zu verlassen. Es ging gefühlt dauernd bergauf, das grün wurde dichter und leider auch die Bewölkung. Was wir zunächst als eine große Wolke eingeschätzt hatten, durch die man nur mal eben durchfahren muss, entpuppte sich zum Dauerregen bis zum nächsten Nachmittag. Ein bisschen drückte das auch auf die Stimmung, aber die lange Fahrt führte uns direkt zu unserem traumhaften Watersedge Resort.
Auf einer kleinen Landzunge sind die Häuser so angeordnet, dass Zufahrt, Parken, Eingang innenliegend sind und die Fensterfront jedes Appartments auf´s Wasser zeigt. Wir betraten die ebenerdige Wohnung und staunten Bauklötzer über den Ausblick. Unser Wohnzimmer endete mit drei großen Fenstern ins Ucluelet Inlet und einer Tür auf den Balkon, auf dem ein Hot Tub lockte. Was für ein Traum! Hier lässt sich dieser furchtbare gefühlt sehr nasse Regen aushalten. In der Rezeption gab es Regenschirme, -jacken und -hosen zum Verleih, dieses Wetter ist keine Seltenheit. Gut, so war Zwangsentspannung für den Rest des Tages angesagt. Wir kochten zuhause mal wieder Nudeln, was aber keinen störte, das Wetter lockte niemanden zu großen Entdeckungstouren.
Frühstück mit Bär
Am nächsten Morgen war ich wieder früh wach und bekam weder den Fernseher noch das Tablet auf das laufende WM-Spiel eingestellt. Also stellte ich mich auf das langsamere Bild vor den Wohnzimmerfenstern ein...wenig Wasser unten - es war Ebbe-, viel Wasser von oben, alles eher grau in grau, mehr war nicht zu sehen, aber das Sofa gemütlich und der Tee heiß. Das gegenüberliegende Ufer des Inlets ist ca. 500m entfernt und gerade noch zu erkennen. Ein durchfahrendes Boot verlangsamte aufeinmal seine Fahrt in Ufernähe. Dies kombiniert mit einer in meinem Hinterkopf abgespeicherten Info, dass bei Ebbe Krebse und Muscheln für die Tiere ein leichte Mahlzeit sind, resultierte im einfach Befehl "Hirn an Hand: greif nach Fernglas". Und tatsächlich, kaum zu glauben, zwischen den Ufersteinen frühstückte ein Schwarzbär! Mit meinem aufgeregten Freudenschrei weckte ich alle Schlafenden und wir reichten uns in der nächsten halben Stunde Ferngläser und Kamera durch. Natürlich war der Bär nicht so nah wie im Zoo, aber er war deutlich zu erkennen. Nun kamen auch mehrere Boote, da sich die Bootsführer per Funk über ihre Sichtungen informieren. Was für ein Glück! Denn das sollte auch der letzte Bär sein, den wir zu Gesicht bekamen, noch am Nachmittag und am nächsten Tag wußten alle, die wir sprachen, über diesen Bescheid.
Im Anschluss frühstückten wir gemütlich und hofften auf besseres Wetter für die geplante Bootstour am Nachmittag.
Mittags um eins regnete es immernoch einen feinen Sprühregen, der gleichmäßig von allen Seiten durchnässte.
Wir suchte eine Weile im Hafen nach dem Tourboot - in Anbetracht des Wetters hatten wir eine kleine private Tour im überdachten Boot gebucht. Zusammen mit einer englisch-französischen Familie und dem Skipper Cam starteten wir zunächst mit einer Runde durch das Inlet - genau dort entlang, wo wir morgens schon den Bären gesehen hatten. Es begegneten uns viele Weißkopfseeadler und auch Wild am Waldrand. Cam erzählte einiges über den Ort und die Umgebung. Anschließend fuhren wir aus dem geschützten Inlet Richtung Süd-Osten, entlang der zerklüfteten West Coast. Hier waren wohl auch vorher schon Wölfe und Bären gesichtet worden. Über Funk erfuhr unser Skipper zwar von einem Wof, aber der war wohl zu weit weg. Da es auch mit dem Bären auf unserer Strecke nichts werden würde, beschloss er, zunächst zu einer Seehund-Insel zu fahren und später noch weiter in den Barkley Sound zur Broken Island Group, um uns Seelöwen zu zeigen. Das Meer war hier schon ziemlich unruhig und wir flogen fast über riesige Wellen. Mir war das jetzt schon deutlich zu rauh, aber mitgegangen - mitgefangen. Bei unserem Tempo wurde mir zunächst nicht übel...die Kinder grinsten sich aber schon eins. Endlich kamen wir bei dem Seelöwenfelsen an - die riesigen Steller Sea Lions sind nach einem deutschen Arzt benannt, brüllten zum Teil (trotzdem?) laut und waren sehr beeindruckend. Zwei oder drei der Bullen wogen lt. Captain Cam jeweils so viel wie ein Kleinwagen! Das Fotografieren war bei dem Auf und Ab unserer Nußschale gar nicht so einfach!
Als wir nun den Rückweg antraten, mussten wir leider gegen die Wellen fahren, gleichzeitig erzählte Cam detailliert von einem Schiff, dass im 19. Jahrundert in den Weihnachtstagen genau vor diesem Felsen im Sturm versank - jetzt war mir endgültig übel. Später las ich diese Geschichte nochmal im Zusammenhang mit dem Namen des Küstenabschnittes - "Graveyard of the Pacific" - na danke.
Als wir nach 3,5 Stunden wieder in den Hafen einliefen, hatte der Regen aufgehört, später kam sogar die Sonne zum Vorschein. Obwohl es eine Bärentour ohne Bär blieb (wurde dann kurzerhand in Wildlife-Tour umgenannt), waren wir mit dem Abenteuer sehr zufrieden.
Nun folgte eine wohlverdiente Ess- und Ausruhpause.
Pacific Rim National Park
Da der Tag noch ein paar Stunden übrig hatte, starteten wir zu dritt nochmal gen Nordwesten Richtung Tofino. Unser Ziel war der Long Beach im Pacific Rim National Park.
Auch hier waren trotz Hochsaison verhältnismäßig wenige Menschen unterwegs und die Natur übermächtig und überwältigend schön.
Über der Küstenlinie den ganzen langen und breiten Sandstrand entlang hielt sich ein leichter Nebel, wodurch alles ein bisschen verzaubert aussah. Wir spazierten eine lange Weile am Strand (wieder in die Gegenrichtung). Hier lagen wieder unzählige angeschwemmte Baumstämme am oberen Rand des Strandes, die diesem Ende der Welt einen ganz eigenen Charakter verleihen und zum Staunen, Träumen und Fotografieren einluden.
Überdosis Natur
Unser letzter Ucluelet Tag begann mit genehmigtem Ausschlafen für die Kinder, für uns eine weitere Einheit "Rim National Park". Wir fuhren nochmal Richtung Tofino, ein kleines bisschen weiter als am Vortag zum Schooner Cove Trail. Hier taucht man direkt Parkplatz aus in einen unvorstellbar grünen wilden Urwald! Ein Boardwalk, ca. 1m breit, führt vorbei an riesigen Douglasien und Zedern durch den Regenwald. Es geht auch mal für Nordamerika verhältnismäßig abenteuerlich steile Treppen hoch und wieder runter, man ist umgeben von Grün und ungewohnten Geräuschen (es war z.B. kein wiederholter Fussballschiedsrichterpfiff sondern ein Vogel) und nach ca. 1 km endet der Trail am nördlichen Ende des Long Beach. Hier liegt eine kleine Felseninsel, die man bei Ebbe umrunden kann. Zwischen den Felsen in den Wasserbecken gibt es üppig See-Annemonen und riesige bunte Seesterne.
Auf dem Weg zurück kamen uns nun doch einige Menschen entgegen.
"Zuhause" stand eine Stärkung - für die Kinder das Frühstück an, dann ging´s erneut los zu Jamie´s Whaling Station, wo wir eine Kayaktour gebucht hatten.
Wieder Boot, diesmal noch kleiner. Da wir zuhause immer in zwei Zweierkayaks unterwegs sind, gönnten wir uns diesmal ein eigenes Kayak für jeden. Das kanadische Pärchen, das mit von der Partie war, übernahm gerne den Zweier. Nach einer kurzen Einführung von unserer Tourguide (die Kayaks hatten sogar Ruder!) starteten wir aus dem Hafen raus wieder ins Inlet. Nun in noch kleinerer Dimension mussten wir ziemlich aufpassen und auf die Schiffe und Boote Rücksicht nehmen. Es hieß also, schön in der Gruppe zusammenbleiben, um sich etwas größer zu machen. Das Wetter war nun herrlich sonnig, perfekt für einen Kayakausflug. Wir paddelten wieder an der Küste entlang - wie gestern motorisiert. Unserer Führerin wußte auch von dem Bären, der am Vortag an diesem Ufer unterwegs gewesen ist. Wir durften zunächst wieder Seeadler hautnah genießen und zwischen den Ufersteinen von Lyche Island machte sich sogar ein kleiner Waschbär über Muscheln und Krebse her. Er war überhaupt nicht scheu, es sah fast so aus, als wäre er auch bereit für eine kleine Bootsfahrt.
Auch hier waren wieder die riesigen lila und orangen Seesterne im Wasser (die Farbe hängt davon ab, was sie essen) und unserer Fühererin holte uns sogar einen mit dem Paddel aus dem Wasser. Wider Erwarten war er überhaupt nicht glitschig sondern fest und schwer.
Dann paddelten wir weiter ins Inlet, vorbei an einer Flussmündung, wo das Wasser deutlich erkennbar noch kälter wurde als das Pazifikwasser. Plötzlich glaubte unsere Guide, per Fernglas und Teleobjektiv einen Bären zu sehen. Sie stellte die Frage, ob wir gemütlich an einem Schiffswrack vorbei die Runde machen wollten oder lieber mit richtig Speed versuchen, in die Nähe des Bären zu kommen. Keiner musste lange überlegen und wir gaben Gas bis die Armmuskeln brannten! Leider war der Wind nicht auf unserer Seite und merkwürdigerweise war der Bär wieder verschwunden, bevor wir in die Nähe dieses Küstenabschnitts kamen, sehr traurig!! Aber so ist halt die Natur Ganz ganz dunkel kam uns der Verdacht (natürlich nur im Hinterkopf), dass das ein Teil der Show war...keiner von uns hatte irgendwas gesehen, das wie ein Bär aussah. Aber lassen wir es mal so stehen und freuen uns den Rest des Tages (und mit dem Muskelkater noch länger) über den fast erwischten Bären!
Dann war noch eine kleine Fotosession angesagt und wir machten uns nun mit Rückenwind auf den Weg zurück zum Hafen. Nun brauchte es wieder einiges Geschick, die Kayaks vorbei am Verkehr und den Bootsanlegern zum richtigen Steg zu paddeln. Das Schöne bei so einer organisierten Paddeltour ist, dass man hinterher einfach alles ausziehen und liegenlassen kann - die Aufräumarbeiten blieben anderen überlassen.
Das wäre nun eigentlich genau die richtige Dosis Natur und Abenteuer gewesen. Aber da wir am Folgetag leider Ucluelet verlassen mussten, machten wir uns anschließend nochmal auf den Weg - zu zweit verständlicherweise - die Kinder bevorzugten den Hot Tub auf dem Balkon!
Der Lighthouse Loop, ein Teil des Wild Pacific Trail, war physisch und zeitlich noch möglich!
Ein Rundwanderweg entlang der typisch zerklüfteten Küste, traumhafte Ausblicke zwischen Felsen bei herrlichem Abendsonnenschein. Eigentlich ein Appetithappen, nach dem man mehr will. Bei dem Gedanken, dies hier zurückzulassen, kamen mir die Tränen. Aber man soll ja immer gehen, wenn´s am Schönsten ist (wer hat sich den Quatsch eigentlich ausgedacht?).
Aufbruch: | 26.06.2018 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 13.07.2018 |