Mit dem Wohnmobil auf dem Weg nach Marokko (2022)
4. Etappe: Französische Atlantikküste
Endlich Rentner!
[1. Sep.]
Mit dem letzten Augusttag endete der letzte Urlaub, den ich im Leben wohl habe beantragen müssen, der nächste Tag war mein erster Tag als Rentner. Tatsächlich habe ich auch gleich länger geschlafen als sonst – was allerdings nicht an meinem neuen Status lag, sondern an dieser gottverdammten Mücke, die uns in der Nacht im Womo terrorisiert hat. Dreimal hat sie mich dazu gezwungen aufzuwachen, nur um sie mit einer Taschenlampe verfolgend irgendwo im Dickicht des Autos verschwinden zu sehen. Wo halten sich Mücken eigentlich auf, wenn sie nicht gefunden werden wollen? Am Ende wurde sie dann erschlagen, nicht von mir, diese Trophäe kann ich mir nicht verleihen. Allerdings hatte sie für meinen Geschmack einen viel zu leichten Tod. Ich bin ein friedvoller Mensch und zertifizierter Wehrdienstverweiger, aber in diesem Fall wäre so ein kleiner Tod am Marterpfahl durchaus angemessen gewesen, wo ihr nacheinander alle sechs Beine gebrochen, bevor sie ihr ausgerissen werden, um anschließend ihren Stachel Millimeter für Millimeter mit einer Fingernagelschere zu kürzen, bevor ihr Kopf… Na, ich hör besser auf. Aber dieser fette rote Fleck, der an der Decke prangte, hätte eigentlich bleiben müssen als Warnung für alle kommenden Geschlechter dieser den Schlaf tötenden, blutrünstigen Biester!
Der Tag verlief ansonsten sehr unaufgeregt. Wir hatten tags zuvor den Plan gefasst, ein Stück weiter in den Süden zu gelangen und ein paar Tage am Atlantik zu verbringen. Das Arachon-Becken und die Düne von Pilat schlossen sich aus, weil hier nur wenige Wochen zuvor viele Waldbrände geherrscht haben und so mancher Campingplatz abgebrannt war, die Region außerdem sehr touristisch und damit auch sehr teuer ist – schon die einfachen Stellplätze, die in ihrem Charme von einem Parkplatz des Super-U nicht zu unterscheiden sind, kosten 12,50 € die Nacht. Zum Glück sind seit heute die französischen Sommerferien beendet, was bedeutet, dass wir mit unserer ACSI-Campingkarte entsprechende Campingplätze anfahren können, die mit dieser Karte nicht viel teurer, dafür aber um ein vielfaches angenehmer sind als ein Stellplatz. Tatsächlich ist zu beobachten, dass die Stellplätze nach wie vor rappelvoll sind, während sich die Campingplätze rasant lichten.
So starten wir an meinem ersten Rententag von La Palmyre aus nach Messanges, 60 km nördlich von Biarritz. In La Palmyre waren wir, um in den Zoo zu gehen. Tatsächlich! Immerhin Frankreichs schönster und meistbesuchtester Zoo - und die Delphinshow war wieder mal grandios (obwohl es statt Delphine hier Seelöwen waren [manch einer weiß, dass ich statt Sozialpädagoge eigentlich lieber Delphintrainer geworden wäre. Oder Baggerfahrer. Oder Hubschrauberpilot]). Man mag zur Tierhaltung in Zoos nun stehen wie man will, die Gestaltung dieses Tiergartens ist zumindest für den menschlichen Besucher wirklich gelungen und hat Spaß gemacht. Und die Tiere profitieren immerhin davon, angstfrei vor Fressfeinden leben zu können und regelmäßig Futter zu bekommen – aber artgerecht ist insgesamt sicher etwas anderes.
In Messanges haben wir uns für einen Campingplatz mit Pool und Brötchenservice entschieden – schließlich sind wir Rentner und wollen unsere Altentage mal so richtig genießen! Also morgens ans Meer (naja, eher so gegen Spätmittag, schließlich gab’s Brötchenservice) und Nachmittags an den Pool. Cool.
Dummerweise liegt der Campingplatz in einem Kiefernwald. Das heißt: Mückenalarm!
Chemin des palombières – Der Weg der Taubenfänger
[6. Sep.]
Nach Messanges und einem 1-Tages-Abstecher nach Biarritz ist es Zeit, Frankreich so allmählich den Rücken zu kehren. Vor uns liegen die Pyrenäen, uns schon ein wenig vertraut von unserem Pyrenäenurlaub vor drei Jahren.
So fahren wir die D 309 von Sare rauf in die Berge – ein enges, gewundenes Sträßchen (wir nennen es eine "typische Georg-Straße" – Heike wird wissen, was wir damit meinen und in aller Stille schmunzeln) zum Col de Lizarietta, ein Grenzpunkt zwischen Frankreich und Spanien, mit einer Snackbar, einem großen Parkplatz und einem noch größeren Blick hinunter auf Spanien auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite.
Oben angekommen unternehmen wir eine kleine Wanderung auf dem "Chemin des palombières" am Bergkamm und dem Grenzverlauf entlang. Schon nach hundert Metern stoßen wir auf einen einfachen Turm, einem Hochstand nicht unähnlich, oben mit einer verschlossenen Tür. Erneut wenige hundert Meter weiter hat man einen freien Blick ins (französische) Tal und kann weitere Türme dieser Art sehen, mal rechts, mal links vom Hang. Die Erklärung folgt später auf einer großen Tafel, die darüber aufklärt, was es mit dem Chemin des palombières auf sich hat – und unserer bisher guten Beziehung zu den Franzosen eine ziemliche Scharte beibringt.
Die Türme dienten (dienen??) dem Fang von Tauben (und anderen Vögeln), die im Herbst in den Süden fliegen. Sie sind so positioniert, dass sie einen Trichter bilden vom Tal hinauf hin zur Senke zwischen zwei Gipfeln, denn (1) Zugvögel meiden das offene Wasser und fliegen stets über Land, kommen daher auf ihrem Weg nach Afrika unweigerlich über die Pyrenäen (nur wenige wählen einen anderen Weg) und (2) Zugvögel suchen sich für den Flug über die Berge natürlich die niedrigsten Stellen aus, und das sind die Täler am östlichen bzw. westlichen Rand der Pyrenäen. Dort muss man nur warten, bis sie kommen. Auf den Türmen stehen Männer (bestimmt sind es nur Männer) mit leuchtenden Kellen, am Hang verteilt weitere mit Tüchern an langen Stangen. Von einem Wachturm aus wird mit einem Signalhorn angezeigt, dass die Vögel im Anflug sind. Dann werden sie mit den Kellen und Fahnen genau in den Trichter gescheucht, an dessen Ende oben auf dem Kamm ein riesiges Netz gespannt ist. Fertig ist die Falle! Auf dem Weg des Chemin des polombières kommt man auch an diesen Vorrichtungen vorbei.
Im Internet findet man dann noch weitere Berichte über den heute noch ausgeübten traditionellen Vogelfang in Frankreich. Tauben gehören da zu den Arten, die noch am wenigsten betroffen sind. Mit Steinquetschfallen (Futter unter einer mit einem Stöckchen hochgehaltene Steinplatte legen, bis der Vogel drunter und wenig später platt ist), Leimruten (Leim auf Äste schmieren, sodass die Vögel, die sich darauf niederlassen, festkleben), in die Bäume gehängten Schlingen werden Lerchen, Ortolane, Kiebitze, Drosseln u.v.a. zu Tausenden gefangen, getötet und anschließend genüsslich verzehrt. Auch wir standen einmal in einem Supermarkt neben Wildschwein- und Gänseleberdosen vor einen Gläschen Lerchenpastete - Patét alouettes -, haben aber die Finger davon gelassen, weil wir da schlicht noch nicht wussten, was drin ist in dem Glas.
Die europäischen Gesetze verbieten all die Fangmethoden und schränken den Singvogelfang radikal ein. Frankreich aber schafft Ausnahmeregelungen und umgeht Sanktionen durch getürkte Fangquoten.
Informationen über den Weg der Zugvögel und die Zeiten, in denen sie zu erwarten sind, erhalten wir dann auch noch am Ende unser Wanderung von einer Handvoll Ornithologen, die dort oben auf dem Col de Lizarietta Position bezogen haben. Drei Monate lang werden sie jeden Vogel zählen, der hier vorbeizieht – von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Nachts legen sie sich in ihren Autos schlafen, um am nächsten Morgen wieder auf Posten zu sein. Wir selbst können mit ihnen zusammen zwei der eher seltenen Milane beobachten, die gerade über uns ihre Kreise ziehen.
Aufbruch: | 10.08.2022 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 12.12.2022 |
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