Eine Münchnerin in Kairo
Die Lage der Auswanderer
Es ist Donnerstagabend und ich sitze auf dem Balkon. Eigentlich wollten wir heute Abend das Wochenende mit Ausgehen einläuten. Gerade eben komme ich von den Mädels, und so wie es aussieht sind wir viel zu müde, um noch etwas zu unternehmen. Anmerkung der Autorin: Schon als wir heute heimkamen, haben wir ein Nickerchen eingeschoben. Meines hat 3 Stunden gedauert. Und so groggy wie wir uns heute Abend fühlen, hat sich auch die Gesamtstimmung eingependelt. Bisher dachte ich, alles wäre so anstrengend, weil ich eben keine ausgebildete Lehrerin bin, mit Pädagogik im eigentlichen Sinne habe ich nicht viel am Hut und Schulalltag ist eben doch ein wenig anstrengender als Studentenleben...durch die Unterhaltungen mit den anderen Mädels bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass es wohl an der Situation und den Umständen hier liegen muss. Ich denke, dass ich soweit ganz gut mit allem zurecht komme, die Mädels sind aber sehr unzufrieden. Immer öfter höre ich von ihnen, dass sie ihre zwei Jahre nicht voll machen wollen. Ich habe sie gefragt, ob sie nur ein Jahr....bis zum Halbjahr oder bis Weihnachten hier arbeiten wollen, jedes Mal war die Antwort "Oder früher heimfahren!". Beide sind sich relativ einig, dass sie mit der momentanen Situation nicht glücklich bzw. sogar sehr unglücklich sind. Dazu gehört zum einen, dass sie nicht das versprochene Gehalt bekommen (sondern noch weniger als in Deutschland), zusätzlich hatte man ihnen versprochen, nicht den ganzen Stundenplan voll zupacken um noch etwas Freizeit genießen zu können. Das ist leider auch nicht drin. Darüber hinaus gibt es Probleme mit Kostenrückerstattungen und Krankenversicherung, und ich habe gehört, wir hätten sogar einen Chauffeur zur Verfügung gestellt bekommen sollen. Hm, den haben wir auch...nur fährt der Nachmittags die ganze Schule nach Hause bzw. alle Kinder, die sich so in den Microbus stapeln lassen. Da unsere Schule mitten in der Pampa liegt in einem Gebiet, das jetzt noch gar nicht richtig erschlossen ist was Straßen angeht oder z.B. Wohnanlagen (99% der Mini-Villen sind noch im Rohbau), haben wir große Probleme damit, Taxifahrer dort zu finden. Oder anders ausgedrückt: DA FAHREN KEINE! Wenn wir später als zur 1. Stunde in die Schule fahren können, dann müssen wir dem Taxifahrer genau den Weg beschreiben und die meisten denken, wir wollen sie in die Wüste entführen, denn kein Mensch kennt sich dort aus. Sollten wir aber mal früher als nach der 8. Stunde Schulende haben, dann bringt uns das gar nichts, denn nach Hause kommen wir nur per Auto oder mit dem Microbus. Vorher gibt es keine Möglichkeit, der Einöde zu entflüchten. Momentan fahren wir mit dem Bus des Kindergartens mit. Und es kommt uns vor, als würden es jeden Tag mehr Kinder...heute z.B. waren wir 3 Mädels, noch eine Lehrerin, die Busmadame und ein Dutzend Kinder im Bus. Inzwischen dauert alleine schon das Beladen des Buses mit Kindern und mit uns an die 10 Minuten. Da wird vor- und zurückgesetzt, zwei Kinder müssen auf den Schoß, am Ende sitzen wir da drin wie die Ölsardinen (auch die Beifahrerbank ist schon besetzt) und dann steht aber die Busmadame noch draußen!...Also alles noch mal von vorne. Von der Fahrweise unserer Busfahrer spreche ich erst gar nicht, nur so viel: wegen der Geschwindigkeit und der Bodenwellen bin ich nicht mehr arg weit entfernt vom Bandscheibenvorfall. Außerdem halte ich die Raserei angesichts der kleinen Mäuse in unserem Bus für sehr unangemessen. Finden wir uns doch auf der Schnellstraße doch eben mal bei Tempo 90-100km/h ca. 1 Meter entfernt zum vorderen Lieferwagen wieder...und sind dabei, uns durch eine nadelöhrgroße Lücke zwischen diesem einen und dem anderen LKW durchzuquetschen. So viel zu unserem "Chauffeur". Seit einigen Tagen ist die Stimmung hier noch etwas mieser, denn Katja und Wolfgang haben Streit, und der lässt sich irgendwie nicht beilegen. Alle Lehrer sind erschöpft und ausgelaugt, Katja meinte, dass sie jetzt erst mal Urlaub bräuchte, wir laufen mit einer Dauerheiserkeit herum, da wir meistens nur durch schreien zu den Kindern durchdringen. Heute hatte ich in den letzten beiden Stunden wieder meine Horrorklasse 2c. Ich nenne sie ja liebevoll "Monster". Eigentlich hätten wir Sport machen sollen, da sie sich aber wie beim letzten Mal schon auf dem Weg zur Sporthalle aufführten wie die Affen, habe ich kurzerhand das Programm geändert. Leute, heute habe ich das erste Mal Strafarbeit aufgebrummt. Wir sind alle wieder ins Klassenzimmer zurückgedackelt und nachdem wir noch einmal die Regeln für Sportunterricht besprochen hatten, durften die Zwerge einen "Aufsatz" zum Thema: "Was haben wir falsch gemacht?" schreiben. Das Ergebnis: Bis auf zwei Jungs, die wohl irgendwie lerngestört sind, haben mir alle ein Blatt abgegeben mit geniialaalen Antworten. Ich denke, ich muss die Blätter aufbewahren und mitnehmen, denn die Orthographie ist einfach unglaublich und zum Totlachen! Komischerweise habe ich trotz meinem Plan B dann noch ein kleines Geschenk von Mustafa bekommen. Unten seht ihr das Foto dazu. Hm, ich glaube ich habe im letzten Eintrag schon von meinem neuen Verehrer aus der 1.Klasse erzählt? Was soll ich sagen...es ist einfach typisch! Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass der Kleine ein verhaltensgestörter, auffälliger Junge ist, der sich in Behandlung befindet. Man gerät wirklich immer an die Falschen!! So, jetzt muss ich aber doch noch auf Ramadan eingehen. Heute ist also der erste Fastentag gewesen. Schon in der 1.Stunde haben uns die Kids was vorgejammert. Da kann man echt was erleben. Die Moslems unter den Kindern jammern und ertragen es nicht, von Essen und Trinken zu sprechen, die Kopten machen sich einen Spaß daraus, vor den Fastenden mit Essen zu wedeln, und den ganzen Tag schwankt ihre Stimmung von Müdigkeit hin zu Aggressivität. Dabei hatte ich noch in den Ohren, dass Kinder nicht fasten müssen. Tjaha, aber wer 10 Jahre alt ist, muss mitmachen. Wer jünger ist tut gut daran, sich einzufügen. Man merkt wirklich, wie unterschiedlich doch auch die Eltern sind. Einige erklären ihren Kids tatsächlich, je eher sie mit dem Fasten beginnen, desto mehr Punkte sammeln sie bei Allah....welches Kind will sich da schon ausschließen? Der gesellschaftliche Druck ist enorm. Andere Eltern wiederum erlauben ihren Kindern, zu essen und zu trinken wie sie möchten, andere sollen nur trinken, oder abwechselnd einen Tag fasten und dann wieder einen Tag normal essen. Dass dieses Fasten einigen Kindern gar nicht bekommt...also denen es noch schlechter geht als dem Durchschnitt...ist dabei vollkommen egal. In unserer 5. stand Salah plötzlich mit aufgeplusterten Backen vor uns und deutete immer darauf. Erklärung: Er darf das Wasser nicht runterschlucken sondern muss es ausspucken- er wollte deshalb auf die Toilette. Einen Moment lang standen wir sprachlos im Raum. Ein anderer Junge aus derselben Klasse klagte über Kopfweh, Katja empfahl ihm etwas zu trinken, was in der Klasse sofort zu großem Entsetzen führte. Er hat die Kopfschmerzen lieber ausgehalten. Wie sonst nie haben sich heute die Kinder über Abschreib-Arbeit gefreut. Denn die lenkt sie von ihrem Hunger ab, haben sie uns gesagt. Vier Wochen lang sollen sie und wir das aushalten. Auf die weiteren Entwicklungen sind wir gespannt. Selbst die arabische Lehrerfraktion lag heute erschöpft in ihren Freistunden mit den Köpfen auf den Tischen. Im Übrigen wurde uns zum Ramadan nicht zu wenig versprochen...leere Straßen, kein Hupen und alles ist ganz leise nun morgens und kurz vor dem Iftar. Das könnte so weitergehen! Mei is deees schee. Soo schee scho ah!
Jetzt sind mir doch noch 2 Dinge eingefallen. Zum einen ein Beispiel dafür, wie meine 2c austickt. Ismail hat es heute geschafft seine Schultasche so rumzuschleudern, dass einem Mädchen 2 (allerdings schon lockere) Milchzähne rausgeschlagen wurden. Das Geschrei war groß. Zum anderen fällt mir noch eine Geschichte zum Elternabend ein. Da wollte Katja die Eltern ihrer 9. um die Erlaubnis bitten, mit der Klasse in Musik Standardtänze unterrichten zu dürfen. Alle Eltern fanden die Idee gut, nur...na?wer wohl?....nur die deutsche, verhüllte Konvertitenmutter hat sich aufgeplustert und es verboten. Alle sagten bisher: die Konvertiten sind die schlimmsten Moslems. Kaum zu glauben, die kommen hier in ein moslemisches Land, haben einen arabischen Ehemann, müssen/ wollen konvertieren, und sitzen dann plötzlich von oben bis unten komplett verhüllt im Zimmer und wollen einem die Welt neu erklären. Verrückte Welt!
Aufbruch: | 31.08.2007 |
Dauer: | 5 Monate |
Heimkehr: | 02.02.2008 |