Lima, Peru und wer weiss, wo sonst noch...
Das Dorf San Martin
Ich bin wieder gluecklich und gesund aus dem Dschungel zurueck - abgesehen von dem Durchfall, den ich seit gestern habe. Nachdem ich fuer vier Wochen keine einziges Auto gesehen habe, empfinde ich die Stadt Iquitos umso anstrengender - merke richtig, wie sich mein Koerper verspannt. Trotzdem geniesse ich den Luxus, abends Licht und eine Dusche zu haben - Dinge, die im ersten Moment fast merkwuerdig wirkten.
Fuer meine Hinreise nach San Martin, dem 600 Selendorf in dem Reservat Pacaya-Samiria, hatte ich Glueck: am gleichen Tag wie ich reiste auch die Frau von dem Praesidenten des Departments, so dass ich mit ihr zusammen in dem Schnellboot 4 Stunden anstatt 20 in dem regulaeren Schiff reisen konnte. Die wichtige Persoenlichkeit machte mit ihrer Familie Urlaub. Die Organisation ASIENDES, mit der ich 4 Wochen als Voluntaria leben sollte, befindet sich ein wenig ausserhalb des Ortskernes. Da dessen Praesident anscheinend eine recht wichtige Person im Dorf ist, hatte er einem Empfang fuer die Frau des Regierungspraesidenten vorbereitet. Diese stieg allerdings frueher als ich aus dem Boot im Ortskern aus, und so kam ich als erste bei Asiendes an. So bekam ich einen Empfang mit einem traditionellen Tanz der in Blaettern gekleideten Frauen und Maedchen. Ich war etwas verwirrt und sie merkten auch bald, dass ich wohl nicht die peruanische Signora war und brachen den Tanz ab.
Das Dorf San Martin besteht aus etwa 100 Hausern mit Daechern aus Palmenblaettern, die an einem toten Flussarm liegen. In der Mitte befindet sich ein grosser Platz, wo sonntags Fussball gespielt wird. Es gibt eine Schule, zwei winzige Kirchen, 3 Laeden, die allerdings selten Wechselgeld haben, zwei kleine Baeckereien und jede Menge Kinder. Die Bewohner gehoeren zu dem Stamm der Cocama, deren Sprache weiss allerdings so gut wie keiner mehr.
Der Fluss spielt eine grosse Rolle im Leben der Menschen. Hier wird gebadet, Geschirr und Waesche gewaschen, das Wasser zum trinken gefiltert. Ausserdem ist er die einzige Verkehrsanbindung des Dorfes.
Jeden abend um halb 7 sieht man einen wunderschoenen Sonnenuntergang ueber dem anderen Ufer. Es gibt jede Menge Delfine, die neugirig neben mir auftauchten und prusteten, wenn ich im Fluss schwomm.
An dem Dorfplatz gibt es ein Haus, in dem die Politik gemacht wird: wenn es etwas zu besprechen gibt, wird eine Reunion veranstaltet, zu der die Maenner und tlw. auch Frauen des Dorfes gehen. In dem gleichen Haus wird abends der einzige Fernseher aufgestellt, vor dem dann vor allen Dingen die Kinder fasziniert sitzen. Die Werbung fuer Waschmittel wirkt hier, wo alle die gleiche Seife fuer alles benutzen, allerdings etwas skuril.
Da ich als Freiwillige gekommen bin, stellt der Praesident des Vereins und Familienvater ein Arbeits-Programm mit mir auf, das Medizinpflanzen kennenlernen, Bodenduengung und arbeit in dem Nutzgarten sowie Englisch unterrichten beinhaltet.
So lief ich morgens um 6 mit den Kindern durchs Dorf und liess mir die Medizinpflanzen-Gaerten zeigen, die alle dort besitzen.
Ausserdem traf ich mich jeden Tag mit den 6-16 Kindern im Alter von 5 bis 15 fuer 2 Stunden zum Unterrichten - wieder einmal eine neue Erfahrung fuer mich. Ich denke, ich machte mich fuers erste Mal ganz gut als Lehrerin. Sehr suess waren die Kinder, die der "Signorita Professora" stolz die von der kleinen Tafel abgeschriebenen Saetze zeigten und von mir Hausaufgaben forderten. Etwas schwierig gestaltete sich der Unterricht allerdings doch angesichts des sehr verschiedenen Alters, so dass ich am Ende vorwiegend deutsche und englische Kinderlieder sowie Spiele beibrachte. Als alle Kinder dabei anfingen, zu schummeln, wo es nur ging und ich mich vor allem wegen meinen begrenzten Spanischkenntnissen nur schwer durchsetzen konnte, war ich doch froh, dass das nicht mein Beruf werden wird!
Die anderen Arbeiten hielten sich in Grenzen. Zwei Tage half ich beim Kultivieren, "Rasen maehen auf peruanisch" mit Maschete. Der Abwasch des Geschirrs, natuerlich ausschliesslich Frauensache, dauerte bis zu einer Stunde, bis die vom Feuer geschwaerzten Toepfe mit Sand wieder einigermassen Silber geschrubbt waren.
So fuehlte ich mich manchmal 1000 Jahre in Europa zurueck versetzt. Die Maenner des Dorfes gehen fischen und jagen, waehrend die Frauen zu Hause auf die Kinder aufpassen, Essen kochen und waschen. Die Rollen sind ganz klar verteilt. Die Frauen bedienen die Maenner bei den Malzeiten und setzen sich tlw. erst nach ihnen zum Essen hin. Gespraeche mit ihnen sind viel schwieriger, da ihre Welt noch viel anders zu meiner erscheint, als die der Maenner. Mein Versuch, ihnen Englisch beizubringen, scheitert klaeglich. Fuer die Frauen ist das zu abstrakt, sie wissen nicht, was sie mit der Sprache anfangen sollen und hatten weder viel Intresse, noch das Selbstvertrauen, zu lernen.
In meiner Familie herrscht eine klare autoritaere Ordnung. Die fuenf Kinder wissen ohne zu fragen, was ihre Aufgaben sind. Das aelteste Maedchen steht kommentarlos auf, wenn der Vater das Salz braucht. Die kleinste 7-jaehrige heulte recht viel, waehrend ich dort war. Anstatt das Maedchen zu troesten, zogen die Mutter und der Vater aber meist eine andere Metode vor: Die Ishanga-Pflanze, aehnlich wie eine riesige Brennessel wurde vor das Maedchen gehalten. "Wenn Du nicht sofort aufhoerst zu heulen..."
Und wenn sie nicht sofort aufhoerte zu heulen, dann fuhren die Eltern ihr damit ueber den Koerper. Ich erstarrte jedes Mal ein wenig und die Kleine tat mir leid.
Obwohl es immer wieder einige Touristen in dem Dorf gibt und schon viele andere Voluntarios vor mir dort waren, war diese Begegnung, diese "Zeitreise" sehr spannend!
Aufbruch: | 11.01.2005 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 23.03.2005 |