Viva Argentina !!!
Ein Tag auf einer Estancia
Ostermontag 2009:
Ostermontag ist hier bereits wieder ein ganz normaler Arbeitstag und ich lerne am Morgen erstmals den höllischen Berufsverkehr von Buenos Aires kennen. Plötzlich ist es laut, sehr laut. Die erste Aktion des Tages ist mal wieder der Weg über die Strasse zum Geldautomaten, denn irgendwie traue ich dem Visa-Karten-Frieden noch immer nicht so ganz und melke die nächsten 600 Pesos aus der Maschine. Nach dem Frühstück verfrachte ich meine Reisetasche in den store-room des Hotels und warte geduldig auf die Abholung zur estancia. Illusionen habe ich keine, es wird eine Touri-Ranch sein mit allem Pipapo. Als mich 45 Minuten nach der vereinbarten Abholzeit noch immer keiner abzuholen gedenkt, beschliesse ich, mal eben da anzurufen. Und schon wedelt die ausschliesslich spanisch-sprechende Rezeptions-Tante mit einem Telefonhörer. Die estancia ist am Apparat und man bittet mich, mich in ein Taxi zu setzen und zu einem anderen Hotel zu fahren, dort würde der Bus auf mich warten. Ok, mache ich. Dort steht ein Riesentourbus, vollbesetzt mit Touris aus aller Welt. Sie gucken mich etwas angesäuert an, wahrscheinlich warten die schon Ewigkeiten auf mich. Nur, was kann ich dafür ? Jorge, der guide, dreht auf und erzählt uns Touri-Meute "alles" über Gauchos und estancias, was wir wissen sollten, u.a., dass es gar keine Gauchos mehr gibt. Läuft mit Mate-Tee im traditionellen Behälter durch den Bus und fordert die Leute auf, davon zu probieren. Die meisten haben es schon probiert und winken ab, ich auch. Es schmeckt scheusslich, einfach nur bitter, wie ich finde. Wir passieren den Rio de la Plata. Argentinien hat nicht nur die breiteste Strasse, sondern auch den breitesten Fluss der Welt.
Man darf sich bezüglich dieser Ranch wirklich keine Illusionen machen, es ist eine Touri-Ranch, in der hauptsächlich Tagestouristen auf ihre Kosten kommen. Die Begrüßung in der echten alten Pulperia der estancia mit Rotwein aus Plastikbechern und Empanadas, dient dem "Aufwärmen". Während Jorge eine etwa gleichaltrige Engländerin und mich, die wir als einzige über Nacht bleiben werden, in die Unterkunft geleitet, die wirklich superschön ist (das alte estancia-Haupthaus), glühen die anderen Gäste vor. Nalini und ich sind froh, aus dieser Nummer raus zu sein und nehmen unsere wunderschönen, rustikalen Zimmer in Beschlag.
Die "Automatik-Pferde" sind fix und fertig gesattelt und getrenst und warten darauf, mit wild fotografierenden Touris eine kleine Runde im Schritt umherzutrotten. Auch Nalini und ich trotten mit...
Das "event" des Tages ist das opulente Mittagessen in einer umgebauten Scheune mit Showeinlage. Es gibt nacheinander Spezialitäten vom Grill. Die wirklich fies aussehende gegrillte Blutwurst ist nichts für mich, da knabbere ich lieber am Salat. Erst als die Steaks auf die Teller kommen, greife ich auch so richtig zu. Lecker ! Meine Tischpartner sind 6 sehr lustige Rentner aus Aruba, wir unterhalten uns so dermassen gut, dass ich das Gaucho-Show-Programm draussen verpasse. Stattdessen bewundere ich die Tanzeinlagen auf der Bühne drinnen und sammele email-Adressen und Einladungen nach Aruba ein...
16.00 Uhr: Die Meute ist verschwunden ! Es kehrt eine himmlische Ruhe ein. Nalini ist unauffindbar. Die Ranch ist geradezu schlagartig total vereinsamt. Irgendwo müssen zig Leute die Reste des Gelages aufräumen und abwaschen, aber ich sehe niemanden und höre auch nichts. Ich wusste nicht, dass es hier einen Pool geben würde und hatte meinen Bikini in meiner grossen Tasche in Buenos Aires zurückgelassen, aber weil ich mich schon als einsame Großgrundbesitzerin hier fühle, steige ich einfach in Unterwäsche in den riesigen Pool und plansche Ewigkeiten herum. Meine Zuschauer sind nur Pferde, Schafe, Lamas, Nandus, Enten und Wildschweine.
Nalini und ich treffen zum Abendessen wieder zusammen. Das Personal, das zur show-time mittags noch aus ca. 50 Leuten bestand, ist auf eine nicht-englisch-sprechende Köchin zusammengeschrumpft. Nalini und ich gucken uns an - wir sprechen beide kein spanisch...Ok, die Köchin erzählt in langsamem spanisch, was sie zur Auswahl hat, zum Abendessen. Ravioli mit Spinatfüllung verstehen wir und schlagen zu, Fleisch können wir beide nicht mehr sehen. Die Zeit schlagen wir tot, indem wir das Satelliten-TV anschmeissen und uns dann über die "Qualität" deutscher und britischer Fernsehkanäle unterhalten. Unsere tolle Köchin kommt zurück mit einer Flasche Rotwein. Die leeren wir kurzerhand zum Essen, es gibt wirklich selbstgemachte Ravioli ! Wir waren zum spicken in der Küche. Bei dieser Gelegenheit fragt uns die Köchin nach unseren Dessert-Wünschen, Obstsalat oder Tiramisu ? Während ich (kaloriensparend) "ensalada de fruta" antworte, lechzt Nalini nach "Tiramisu", (sie ist indisch-stämmig und somit von Haus aus eine "Süsse"), unsere Köchin zaubert beides. Nachdem wir pappsatt auf CSI Miami umschalten und uns langsam kalt wird, denn die Nächte in der Pampa sind kalt, zündet unsere Köchin den Kamin an und platziert die zweite Flasche Rotwein vor uns. Danach hört fast augenblicklich das Geklapper in der Küche auf und wir sind allein. Es ist ca. 21.00 Uhr und von diesem Augenblick an, sehen wir keinen anderen Menschen mehr für diesen Abend. Es ist fast unheimlich still.
Ich bin todmüde und steige zufrieden in das unglaublich hohe Eisenbett. Schlafe praktisch augenblicklich ein und wache nicht vor dem Wecker-Handy-Klingeln auf. Nalini durchlebt unruhige Stunden, wie sie mir morgen am Frühstückstisch erzählen wird. Sie hört den Wind rauschen, die Gardinen bauschen sich unheimlich, sie hört Geräusche von überall, es knistert und knarrt. Das Haus ist leer bis auf uns, aber sie hört Schritte über sich und direkt vor ihrer Tür. Sie schwört, Pferdegetrappel gehört zu haben, direkt vor ihrem Fenster, obwohl die Pferde weit weg sind...
Himmelherrgott ! Kann mal jemand einer waschechten Engländerin etwas über Spukgeschichten erzählen ??? Auf diesem Gebiet sollte sie sich eigentlich auskennen ! In jedem besseren englischen Landhaus gibt es doch eine white Lady oder kopflosen James, oder so...und hier eben einen Geister-Gaucho. Jedenfalls war sie sehr überrascht, dass ich so eine völlig ereignislose Nacht verbracht hatte. Bei mir hatte es nicht gespukt !
Wahrscheinlich das Zaumzeug des Geisterreiters, den Nalini vor ihrem Fenster in der Nacht gehört hatte...
Am nächsten Morgen bekommen wir ein grandioses Frühstück serviert und die Ranch ist auch wieder zum Leben erwacht, es gibt wieder Menschen um uns herum ! Als erstes klären wir, wie wir wieder nach Buenos Aires zurückkommen. Kein Problem, Enrique holt mich ab und Nalini fährt mit dem offiziellen Tourbus wieder zurück, wird den show-lunch also noch ein zweites Mal erleben. Jetzt wollen wir mal testen, ob die Pferde auch etwas anderes können, als die Standard-Runde drehen. Zu dritt (mit "Gaucho") reiten wir aus und machen eine richtig grosse Runde über die angrenzenden Ländereien, denn eines muss man wissen - Touri-Ranch hin oder her - das Ding wird nach wie vor bewirtschaftet, nur dass die eigentliche Landwirtschaft nicht unbedingt in Sehweite von den Gebäuden stattfindet. Wir bringen die Pferde zum Galoppieren, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten, denn sie wissen, dass sie das normalerweise nicht tun sollen. Nalini möchte unbedingt ein kleines Video auf ihrer Kamera haben, wie sie galoppiert. Ich breche mir fast einen Arm, um letzten Endes 4 Sekunden galoppierende Nalini gefilmt zu haben, der blöde Gaul macht einfach nicht, was ich will !
Enrique steht mal wieder überpünktlich parat und tut uns noch den Gefallen, ein paar Gemeinschaftsfotos von Nalini und mir zu schiessen. In seinem Minibus überrascht mich der ca. 60-jährige Enrique mal wieder und präsentiert eine Auswahl an Musikvideos. Was möchte ich sehen ? Madonna live in Buenos Aires oder Brasiliens Superstar Ivete live im Maracana Stadion in Rio ??? Ich wähle Ivete und werde nicht enttäuscht. Auf der ereignislosen Fahrt zurück nach Buenos Aires unterhält mich diese junge Frau sehr gut auf dem Bildschirm. Was für ein Luxus ! Videounterhaltung im privaten Fahrzeug ! Der Rest des Tages verläuft mit Besorgungen, internet-sessions, Packen und Essen. Nichts aufregendes...
Aufbruch: | 10.04.2009 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 27.04.2009 |
Brasilien