Myanmar (Birma) 2009/10
Stupa-Stolpern: Pagan
Das New Heaven ist im Augenblick genau das richtige Hotel: ein einfacher Reihenbungalow, sogar mit Terrasse, drinnen zwei Betten und ein funktionierendes Duschbad. Genau halb sechs in der Frühe ist es, als wir ankommen, und erst gegen Mittag erwachen wir wieder aus unserem Schlaf. Die Tempel von Pagan sind gleich das erste Ziel. Wir mieten uns bis Sonnenuntergang eine Pferdedroschke und bereits zehn Minuten später durchqueren wir ein Tor, es ist der Eingang zu einer Stadt mit einer kaum überschaubaren Anzahl von Tempeln. Der Begriff Stadt ist sicher irreführend, denn abgesehen von derzeit einigen Zeltlagern und drei, vier luxuriösen Hotels ist Alt-Pagan nicht bewohnt. Genau betrachtet ist es Buschland, nur dass zwischen Büschen und Bäumen überall Stupas aufragen. Manchmal sind sie so klein wie ein Wigwam, manchmal haben sie fast den Umfang einer Kathedrale. Errichtet zwischen dem elften und dem dreizehnten Jahrhundert, betrug ihre Zahl einmal unglaubliche viereinhalbtausend. Ein Erdbeben in den siebziger Jahren hat viele zerstört, zumindest die bedeutenderen sind dann, wie man erkennt, mit bescheidenen Mitteln wieder restauriert worden. Diese Stupas verteilen sich ohne ein erkennbares Muster über das Areal, sie sind meist backsteinbraun, manche haben vergoldete Spitzen oder sind weiß angestrichen. Man findet darin haushohe Buddhas, während man nach alten Fresken, sofern noch erhalten, mit Lampen die Wände absuchen muss. Die einheimischen Besucher und ihr spiritueller Überschwang verhindern glücklicherweise, dass die Tempel zu bloßen Museen erstarren. Von den Souvenirhändlern werden wir häufig auf Deutsch angesprochen, meist mit "schönen Tag". Dieser Tag heute endet auf dem Dach eines alten Klosters, das man über enge, stockdunkle Treppen erreicht, um von dort den Sonnenuntergang zu erleben. Hernach bleiben nur noch die Schattenrisse dieses Stupa-Dschungels übrig und man ahnt etwas von den eitlen Launen der Könige von Pagan und alten, glorreichen Zeiten.
Am Abend ein lokales Büffet, heißt, es werden (für weniger als vier Euro) mehr als ein Dutzend Schälchen vor uns auf dem Tisch verteilt, alle mit unterschiedlichen Fleischsorten und Gemüsen, und es ist wirklich nur das Bestreben umgehend einen möglichen Wunsch, den wir haben, erfüllen zu können, wenn zwei oder drei Leute vom Personal in geringer Entfernung neben uns stehen, uns beim Essen zusehen und lächeln. Anschließend noch eine Unterhaltung mit der Wirtin und ihrem wunderschönen Lachen. Die Nacht ist nicht sehr geruhsam, das hängt zusammen mit den fortwährenden Gesängen der Priester, die aus einem Kloster per Lautsprecher in die Nacht tönen. Nyaung U ist ein gleichwohl angenehmes Städtchen. Die Steinhäuser an der Hauptstraße sind, wenn man will, nur Fassade, denn kaum biegt man in eines der Seitensträßchen, öffnet sich sogleich wieder diese einfache Welt aus den mit Bast verkleideten Stelzenhäusern und ihren Strohdächern, mit Ochsenkarren und herumtollenden Kindern. Wem man hier auch begegnet - und im Grunde ist es wie überall in diesem Land -, der grüßt entgegenkommend, drängt sich nicht auf.
Ein Mann spricht uns an, er sagt etwas von "Seisi". Was er meint, ist angesichts des nahen Irrawaddy-Flusses nicht schwer zu erraten, er will eine Boots-, sprich Sightseeing-Tour mit uns machen. Wir sind interessiert und ein anderer Mann wird gerufen, besser gekleidet und mit ein paar Englischkenntnissen, der uns zu einem am Uferstrand gelegenen Boot führt und erklärt, dass wir "zu den Fischern" fahren würden. Eineinhalb Stunden soll der Trip dauern, der Preis ist deutlich zu hoch angesetzt, aber noch wissen wir nicht genau, was uns erwartet, und sind einverstanden. Viel ist es dann nicht und es dauert auch nur eine Stunde, aber dafür ist es etwas Besonderes. Der Mann, der uns angesprochen hat, steht am Ruder, kurvt ein wenig auf dem Fluss herum und legt schließlich auf der gegenüber liegenden Seite an, wo Fischerfamilien zu Hause sind. Sie leben ausgesprochen ärmlich, zum Teil muten ihre Hütten eher wie Unterstände an, haben nicht einmal richtige Wände. Die Menschen hier sind freundlich, gleichmütig und gestatten mir ohne Weiteres Fotos zu machen. Die Scheu ist eher auf meiner Seite. Ihren Fang, sagen sie, trocknen sie nicht, sie verkaufen ihn frisch auf dem Markt, wo wir zuvor freilich nicht viel davon bemerkt hatten. Karin erzählt mir hinterher, dass drei der Fischer - ich hatte es wegen meiner Knipserei gar nicht richtig wahrgenommen - zum Zweck einer kleinen Demonstration für uns mit dem Boot "ausgelaufen" seien, ein paar wenige Meter nur, zu dieser Zeit des Tages geht niemand auf Fischfang. Zurück wieder am anderen Ufer begleitet uns der Englisch sprechende Mann, der uns herumgeführt hatte, noch ein Stück bis zur Autostraße hinauf. Ich will ihm den vereinbarten Preis zahlen, aber er verweist mich an den Fischer, der uns gefahren hat. Der erhält das Geld und der Besserbetuchte entpuppt sich lediglich als ein gefälliger Mittler für seine ärmeren Nachbarn.
Auf gemieteten Fahrrädern zu einer Manufaktur für Lackwaren. Ein junger Mann erklärt uns den genauen Arbeitsprozess des Lackierens und Gravierens. Bei den höheren Qualitäten, sagt er, werden nach jeweils längeren Phasen einer Zwischentrocknung bis zu vierzehn Schichten Harzlack aufgetragen, dies auf unterschiedliche Materialien, vornehmlich Holz und Kokos, aber angeboten wird zum Beispiel auch ein lackierter Motorradhelm. Habt ihr so was schon mal verkauft? frage ich. Ja, sagt der Mann, da gibt es inzwischen zwei Leute, die damit herumfahren. Das Gravieren, wenn selbst winzige grafische Details noch präzise herausgearbeitet werden, zeigt, wie viel Sorgfalt aufgewandt wird, um auch nur eine kleine Teeschale herzustellen. Für etliche Dollars kaufen wir zwei Ess-, zwei Teeschalen kriegen wir gratis dazu.
Ganz in der Nähe - das Dorf heißt Myinkaba - stehen zwei beeindruckende alte Tempel (Manuha Paya und Nan Paya), der eine wieder mit monströsen, fast dämonisch blickenden Buddhas, auch einem liegenden , lächelnden, der andere mit bisher nicht gesehenen, wunderbar erhaltenen Steinreliefs. Wir schlagen die Wünsch-dir-was-Glocken, meine soll für meinen verstorbenen Vater klingen, dem das Reisen so viel Freude bereitet hat. Unser Fahrradausflug folgt einem Zirkel und wir passieren nun auf dem Rückweg noch einmal das alte Pagan mit seinen Stupas, über die man förmlich stolpert. Wieder in Nyaung U besuchen wir einen weiteren Tempel (die vermutlich leichteste Übung in diesem Land). Er ist neueren Datums und einen der natürlich auch hier so zahlreichen Buddhas befreie ich von einer halb abgebrannten Zigarette, die man ihm zwischen zwei Finger seiner erhobenen Hand gesteckt hat. Das Tempel-Benimm-Video im letzten Nachtbus hatte sicher seine Berechtigung. Wir fahren weiter bis zur Anlegestelle der Fähre, die morgen früh nach Mandalay starten wird, um noch ein paar Erkundigungen einzuholen. Abends ein Thai-Essen in der touristischen Restaurant Row. Neugierde halber und immer dem Lautsprechergeräusch folgend ein kleiner Spaziergang zu jenem Kloster, dessen Gesänge und Predigten uns auch heute wieder in den Ohren liegen werden. Dabei liegt es, stellt sich nun heraus, bestimmt zehn Minuten Fußweg von unserem Hotel entfernt. Viel neugieriges Entgegenkommen bei ein paar Mönchen, mit denen ich mich kurz unterhalte und die mir sofort - was wohl? - ihren Buddhatempel zeigen. Schließlich früh zu Bett und noch das Rätseln darüber, warum wir auf unserer Wegschleife zu gefühlten 90% nur bergab! gefahren sind.
Aufbruch: | 19.12.2009 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 10.01.2010 |