Erstes Kennenlernen der Slowakei nach der Wende

Reisezeit: August / September 2000  |  von Manfred Sürig

in die Slowakische Pußta

Dienstag, 12.September 2000
Wenn ich auch noch nach Ungarn will, dann wird es Zeit, den Kurs nach Süden abzusetzen. Bis Ulic kenne ich die Strecke schon, bergab ist es ohnehin ein Kinderspiel.
Dann will ich eine Abkürzung benutzen, die für Autos gesperrt ist und die hart an der urkrainischen Grenze entlangführt.
Zunächst beginnt die Straße tadellos ausgebaut, aber an einem Osthang hat der Regen dreiviertel der Straße weggespült, und das gleich mehrere Male.
Wer hier mit dem Auto reinfährt, wird einfach in die Ukraine entsorgt - den Abhang hinunter. Nach weiteren 200 Metern endet die Ausbaustrecke und es beginnt auch mit dem Fahrrad ein Abenteuer.

Nur weil weder nach rechts noch nach links eine Nebenstraße abzweigt, sage ich mir, daß es geradeaus wohl irgendwohin gehen muß. Die Straße macht überdies einen großen Bogen erst am Berg hinauf, dann hinunter, bloß gut, daß hier kein Gegenverkehr ist. An einigen Wasserlöchern muß ich absteigen und das Rad herumtragen.

Ich halte die wildesten Stellen in Fotos fest, keiner wird mir glauben, daß das die Reichsstraße Nr. 243 ist. Und doch führt sie nach U'bla, wo sie auf die Hauptstaße von Humenne zur Grenze trifft.
Die Grenze zur Ukraine nehme ich kurz in Augenschein, frage auch mal, ob man etwa ein Transitvisum zur Abkürzung des Weges nach Ungarn bekommen könnte, um ohne Berge im Tal der Uz bergab fahren zu können, natürlich vergeblich.
So bleibt noch ein letzer Paß nach Südsüdosten zu überwinden, bevor es in den slowakischen Teil der Pußta gehen soll.
Der Abschied von den Bergen wird eine rauschende Fahrt bergab und führt von den kargen Berghöhen bis hinunter in immer wärmere Klimazonen, hinter einer Kurve taucht ein Weinfeld auf, und von da an finden sich Weinreben an allen Häusern in den Dörfern. Auf der Europastraße 50 von Kosice nach Uzgorod wird fleißig gebaut, besonders eine Umgehungsstraße um das letzte Dorf vor der Grenze, nur der Grenzverkehr tendiert gegen Null.

Hier gibt es sogar noch Wachttürme wie früher an der DDR-Grenze. Ich bin in der Ebene und muß mir nach der Karte den kürzesten Weg nach Velke-Kapusani suchen, den einzigen größeren Ort, wo ich die Chance habe, eine Unterkunft zu finden.
Das Landschaftsbild hat sich völlig verändert. Total platt ist die Gegend, offenbar ein trockengelegtes Sumpf gebiet, durch das Be- oder Entwässerungskanäle gezogen sind mit hohen Deichen an beiden Ufern, die die einzige Erhebung dieser Ebene bilden. Ganz stimmt meine Karte nicht und die wenigen Wegweiser stehen oft an der falschen Stelle.
Einmal lande ich auf dem Deich eines Flusses, dem ich bis zur nächsten Brücke kilometerweit folgen muß. Die Brücke stammt noch aus der Besatzungszeit von 1945 und darf immer nur im Schrittempo in einer Richtung befahren werden. Für 80 Pfennig kaufe ich eine Wassermelone bei einem Straßenhändler und verzehre sie am Rande des nächsten Tabakfeldes mit Behagen.
Überhaupt werden hier ganz andere Sachen angebaut: Sonnenblumen in Massen, Tabak, Mais, Kürbisse und Melonen.

Velke-Kapusani ist ein zweifelhaftes Kaff mit Plattenbauten schlimmster Art. und ohne erkennbaren Stadtkern. Aber ich finde ein gutes Hotel (Hotel Pension Griff), in das mich ein Gast aus einem Cafe führt, in dem ich nach dem Weg dorthin gefragt hatte.

Leider werde ich den Gast nicht so einfach los. Er trägt mir das Fahrrad ungefragt bis in mein Zimmer und gibt nicht nach, mir anschließend noch das Rotlichtviertel in der Umgebung zu zeigen. Da ist eine Spielhölle mit einem so engen Eingang, daß jeder Gast nur einzeln an einem Schlägertyp vorbei rein oder rauskommt und eine Bar ohne Stühle und Tische mit Einschußlöchern in den Schaufensterscheiben. Hier sollen sich die ungarische und die ukrainische Mafia Schießereien geliefert haben, die Leute drinnen haben die Tische als Schutzschilde verwendet. Zum Schluß bettelt der Typ mich noch um 5 deutsche Mark an und bedankt sich mit Kniefall, als ich ihm einen 5-DM-Schein gebe, um ihn endlich loszuwerden.

Man soll immer Kleingeld bei sich haben.
Weshalb sich die Mafiosi hier Kleinkriege liefern, kann ich nur ahnen: Velke-Kapusany liegt genau an der größten Erdgaspipeline von Rußland nach Westeuropa, südlich des Ortes ist der einzige Industriekomplex rundum, eine Pumpstation für Erdgas, umgeben von meterhohen Stacheldrahtzäunen und Selbstschußanlagen. Aber offenbar auf dem technisch letzten Stand.
Mittwoch, 13.September 2000
Ich scheine in den Sommer zurückgekommen zu sein. Heute geht es durch die Latorica, ein Sumpf gebiet, durch das sich das Flüßchen windet und in viele Arme und Seen aufteilt. Das Gebiet steht unter Naturschutz, wird aber dennoch landwirtschaftlich genutzt, und das wohl schon seit Jahrhunderten. Auf natürlichen kleinen Warften ragen kleine Dörfer aus der Ebene, ansonsten gibt es Schilf in allen Schattierungen zu sehen, sogar Weiden, die wie auf Magrovenwurzeln stehen.
Ich möchte Ungarn auf dem kürzesten Wege erreichen und habe einen ersten Grenzübergang westlich der ukrainischen Grenze in Pacin ausgemacht. Erst an der Grenze erfahre ich, dass hier nur Slowaken oder Ungarn passieren dürfen 22 km Umweg für nichts und wieder nichts, dazu noch ein weiterer schikanöser Umweg von 8 km bei Slovenske Stare Mesto, wo ich erst 4 km nördlich des Fußgängerübergangs über die Grenze darf.

© Manfred Sürig, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
eigentlich wollte ich nur mal dorthin, wo ich als 7jähriger 1944 mit meinen Eltern in der "Sommerfrische" im Sudetenland war. Doch mit dem Rad macht man ungeahnte Entdeckungen und fährt immer weiter nach Osten...... und heute, 10 Jahre danach, kann man sich einige Abenteuer in diesem Land so gar nicht mehr vorstellen.
Details:
Aufbruch: 28.08.2000
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 21.09.2000
Reiseziele: Tschechische Republik
Slowakei
Ungarn
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.