2013 Tadschikistan
Bulungkul - Murghab
Wir kamen gerade rechtzeitig an, um noch die letzten wärmenden Sonnenstrahlen zu erhaschen und nutzten daher die Gelegenheit, um in der Abendsonne noch das ein oder andere Bild zu machen. Das Licht der Sonne mußte nun der Übermacht der den See und die Ortschaft umringenden Berge weichen, und mit ihm auch die wärmespendende Kraft. Letztere wurde durch das aufschüren von Kuh-, Esel- und Ziegendung im Haus unserer Gastgeber erzeugt und bald saßen wir warm bekleidet in der Stube, in der wohl manch gläubiger Christ dem Anschein nach die Geburt des Heiland vermuten könnte. Es roch ein wenig nach Stall in unserer Speisekammer, und die stufenartige Erhöhung, die den Sitzbereich um rund 50 cm an Höhe vom Rest des Raums trennt erinnert mich an Abbildungen, die ich im katholischen Religionsunterricht der Grundschule gesehen hatte. Zudem waren es einzig die Millionen von Sternen, die einem geübten Beobachter wohl den rechten Weg zu weisen vermochten. Wahrscheinlich hätte sich die Geburt des Sohns Gottes von hieraus nicht so schnell verbreitet wie in der Gegend rund um den fruchtbaren Halbmond, denn während vor rund 2000 Jahren durch die Seßhaftigkeit der Völker entstandenen Gesellschaftsstrukturen auch die Schriftgelehrten und Geschichtenschreiber genährt wurden, wird hier bis zum heutigen Tag die physische Tatkraft eines jeden einzelnen Bewohners zum Erhalt des Dorfes benötigt.
Der Begeisterung über die herrliche Brause auf knapp 4000 m über dem Meeresspiegel meines Vaters folgte die Bestätigung durch unseren Freund, der als zweiter eine reinigende Dusche nahm. Ich mag mir kaum vorstellen, welcher Anstrengung es im Winter bedarf, allein den Gang zur Waschkammer vorzunehmen. Meinen Bruder und mich erwartet die Brausekammer vorgeheizt, jedoch unbeleuchtet, und wir erfreuten uns der Sammelleidenschaft unseres Vaters, der sämtliche brauchbaren und unbrauchbaren "Überlebensgegenstände" mehrfach vorrätig hat, und wir uns somit eine Stirnlampe borgen konnten. Der eigentlichen Brause ist ein beheizter Vorraum vorgelagert in dem wir unsere Kleidung ablegen um dann im Duschbereich mit einer eisernen Kelle nahezu kochendes mit eiskaltem, von Hand hergetragenem Wasser mischen und uns über den die Köpfe gießen. Bemerkt sei abermals, daß es momentan noch die warme Jahreszeit ist und mich fröstelt einzig der Gedanke daran wie es sich anfühlt, die beheizte Vorkammer bei -60 Grad zu verlassen. Unser Gastgeber spricht noch persisch, ich betone "noch", da diese hochgelegene Region bereits von Kirgisen besiedelt wird, welche des Persischen nicht mächtig sind. Er berichtet mir über die kalten Winter und erzählt, wie die Familien des Dorfes oft gemeinsam nur wenige Räume bewohnen, um der unmenschlichen und lebensfeindlichen Kälte zu trotzen. Es fällt mir schwer vorzustellen, wie das Leben hier im Winter wohl sein mag, hier in dieser Gegend in der es im Sommer bereits scheint, als könnte man der Natur nichts lebensspendendes abgewinnen. Selbst die sonst so aufdringlichen großen schwarzen Fliegen, die einem in der Regel auf den Trissebuden der Welt Gesellschaft leisten, treffe ich hier nicht mehr an. Die Landschaft um den Bulungkul kann ich nur mit dem Attribut "einmalig" beschreiben, ein Hochplateau, umringt von durch Erosion abgetragenen und zerklüfteten Gipfeln.
Nach einem schmackhaften Milchreis und ein paar Stück Brot mit Honig gestärkt machen wir uns weiter auf den Weg Richtung Murghab, jener Grenzstadt, die an keiner wirklichen Grenzen zu liegen scheint und dennoch diese Titulierung verdient haben sollte, wie wir später noch erleben sollten. Die Fahrt führt uns durch undendlich lange Hochebenen. Es ist kaum Verkehr und ich verstehe bereits jetzt, daß kein Foto der Welt die Einmaligkeit und besonders die enorme Abgeschiedenheit der Landschaft zu beschreiben vermag. Wir halten an einem kleinen, unscheinbaren See und beobachten die Fische im kristallklaren Wasser. Im Hintergrund sehen wir einige junge Yaks grasen und wir entscheiden uns, eine warme Suppe zu uns zu nehmen, ehe die Fahrt weitergeht. Es folgen unzählige Fotospausen, und beim erklimmen eines kleineren Hügels läßt mich die erhöhte Atemfrequenz unmißverständlich spüren, daß wir uns nach wie vor auf rund 4000 m Höhe befinden. Einige km vor Murghab sind wir abermals in einer der vielen Paßkontrollen. Wonach hier offiziell gesucht und gefahndet wird, ist mir nicht wirklich klar, denn laut Information eines Bekannten aus Doshanbe werden auf der Murghab - Osh - Route gestohlene Autos gegen Heroin getauscht, und wie es augenscheinlich in Khorog und Doshanbe aussah, stößt dieses Geschäft auf nicht sehr viel Opposition in der Regierung. Unser Freund füttert den mageren Drogenhund mit ein paar Keksen, welcher mit wedelndem Schwanz die trockene Mahlzeit zu sich nimmt und plötzlich wird mir die Anfälligkeit für das Übersehen von Details, das plötzliche Abgelenktsein klar. Ich muß ehrlich zugeben, wäre ich an der Stelle dieses Hundes gewesen, ich hätte mich auch für die Kekse und nicht für das Heroin entschieden. Wir kommen an in Murghab, dessen Bedeutung für mich nicht klar ist, auf persisch bedeutet Morgh = Huhn und Ab = Wasser, aber es ähnelt nicht nur einem Hühnerwässerchen sondern (*eigene Phantasie spielen lassen). Der gesamte Ort scheint menschenverlassen zu sein, obwohl sich ein Haus ans andere reiht, und es herrscht eine Art Totengräberstimmung, die einem beim Ansehen eines amerikanischen Westernfilm vermittelt werden soll. Die vom Wind herbei und durch die Szenerie geblasenen Wüstenblumen werden hier lediglich zur schwarze und weiße Plastiktüten ersetzt. Der provisorisch installierte Basar am Ortsrand wirkt ebenfalls wenig einladend. Die nacheinander aufgereihten Container erinnern rein äußerlich eher an einen Schrottplatz für unbrauchbares chinesisches Transportgut, das aus welchem Grund auch immer hier strandete, und nun händeringend nach einem Abnehmer sucht. Die äußere Tristess des Ortes ist unverkennbar und die ausgetrockneten und sonnengezeichneten Gesichter der hier ansässigen Kirgisen scheinen mir das Bild einer Grenzstadt wiederzuspiegeln, wie ich sie bereits in Nordpakistan (Soust 4h vor der chin. Grenze) zwei Mal besucht hatte. Es hat nicht den Anschein, daß aus politischer Sicht in die Ortschaft investiert wird, zumal Präsident Rahmon der der mit 65 % größten Volksgruppe der Tadschiken angehört. Ich freue mich beim Spaziergang am Nachmittag umso mehr über das vereinzelte freundliche Winken mancher Einheimischer, von denen es augenscheinlich nicht sehr viele zu geben scheint. Mir fallen die wenigen Frauen auf, die, die letzten Sonnenstrahlen im Gesicht, mit einem Eimer Wasser in der Hand Richtung ihres Hauses von Dannen ziehen. Unsere Unterkunft bietet durch ihre farblich freundliche und rustikale Gestaltung einen wunderbaren Ort, um den Abend eines von vielen verschiedenen Eindrücken geprägten Tages bei einem Teller Kartoffeln ausklingen zu lassen.
Der kleine blaue See bietet einen wunderschönen Kontrast zu den gründen Weiden und den hohen Gipfeln
Ich wundere mich über Murghab, die Landschaft ist einmalig schön, aber der Ort hat eine seltsame Atmosphäre
Aufbruch: | 05.09.2013 |
Dauer: | 17 Tage |
Heimkehr: | 21.09.2013 |