Georgien und Armenien (Oktober 2013)
Armenien
Der tiptop sanierte Hauptbahnhof von Eriwan. Es fahren täglich keine zehn Züge (im wesentlichen wird jede Strecke einmal täglich bedient). Der einzige Fahrkartenschalter öffnet um 10.
Eriwan am Sonntag
Auf dem Bahnsteig in Tiflis hatte ich noch zwei Deutsche gesehen, K. einen in Frankfurt arbeitenden, in Unterfranken wohnenden Bürohengst Mitte 50, der nett, aber ein bißchen hektisch (auf seinen ersten Herzinfarkt wird er nicht mehr lange warten müssen), den Kaukasus in drei Wochen durcheilte. Er hatte 1. Klasse gebucht. Dazu kam noch R. aus Thüringen, Student, der auf einer längeren Reise bevorzugt kalte Länder besucht und Berge besteigt. Er will diesen Winter in Nord-Finnland verbringen.
Man merkt in Eriwan sofort, daß Armenien deutlich wohlhabender ist als Georgien. Besonders die Häuser sind in besserem Zustand, man muß nirgendwo Angst haben einen herabfallenden Brocken auf den Kopf zu bekommen. Auffallend in der Innenstadt die zahlreichen teueren Boutiquen. In den Geschäften gibt es deutlich mehr russische Ware als in Georgien, was besonders bei den Wodkaregalen (½ Liter ab ca. 1,80 €), die gewaltige Ausmaße annehmen, auffällt. Dort auch einige sehr interessante Marken wie Putinka, erhältlich zum für Oligarchen erschwinglichen Preis oder Kalaschnikow -- da weiß man am nächsten Morgen wenigstens warum man Kopfschmerzen hat . In der Innenstadt sind sämtliche Straßenschilder auch lateinisch beschriftet. Armenier sind deutlich reservierter als die Georgier. Auch die Nasenform unterscheidet sich deutlich. In Georgien herrscht das "klassische Profil" vor, Armenier sind eher vom abgeplatteten "semitischen" Typ. Der klassische Kurzhaarschnitt mit korrektem Seitenscheitel ist noch sehr in Mode.
Englisch- und auch Deutschkenntnisse sind weiter verbreitet als in Georgien.
Denkmal vor dem Bahnhof Eriwan. Wenn man dem Hengst zwischen die Beine schaut stellt man fest, daß es anantomisch sehr korrekt ist.
Gar nicht selten sieht man Autos mit syrischem oder iranischem Kennzeichen -- ein Wagen hatte sogar ein Nummernschild des Golfemirates Shajrah.
In der Innenstadt gibt es die "blaue Moschee" von einem persischen Statthalter im 18. Jahrhundert errichtet, wurde sie in den 1990ern auf Kosten des Iran renoviert. Ich fand schon den Innenhof (des an sich schönen Baues) mit den darin herumlaufenden verschleierten Frauen bedrückend.
Anatomisch sicherlich ebenso korrekt ist "Mama" dargestellt -- Moralapostel dürften sich allerdings an der Kippe in der Hand stören.
In Eriwan, Sonntag früh um halb sieben ergab sich zunächst das Problem Geld zu wechseln. Es fand sich schließlich eine offene Wechselstube. K., der ein Zimmer gebucht hatte, war mit einem Reiseführer bewaffnet (zum Glück nicht LP!) und schritt nun forsch voran, unser Grüppchen durch die ruhige Innenstadt leitend. Ich checkte ebenfalls in das gepflegte Envoy-Hostel (52 Pushkin Av.), allerdings in den Schlafsaal. Der war zwar fensterlos, aber dafür gab es zu jedem Bett ein "Neues Testament" -- Hallelujah! Ein kleines Frühstück war im Preis dabei, sehr untypisch für die Region verlangte man aber Geld für die Benutzung der Waschmaschine, noch dazu satte 5 €, wofür man in Eriwan zwei Abendessen samt Bier bekommt. Wir verabredeten uns mit R., der anderswo gebucht hatte, für den nächsten Morgen 10 Uhr an der Botschaft von Nagorno-Karabach, um das Visum zu beantragen.
Auch in Eriwan ist Sonntag Flohmarkt, hier eher auf den lokalen Bedarf ausgerichtet. Eine Ecke mit Gebrauchtkleidung, eine andere mit Hundewelpen, dazu ein reiches Angebot an Büchern, Porzellan, Sowjet-Paraphernalia und Kunsthandwerk, besonders schöne Holz-Einlegearbeiten. Gekauft habe ich zwei Geldscheine der "Alliierten Militärbehörde" für Deutschland ausgegeben 1944.
Montag
Die "Kaskade" von unten. Die Baustelle oben steht seit mehreren Jahren still. Zumindest die aus Anlaß der Grundsteinlegung durch den Präsidenten gefertigte Marmortafel ist schon mal da.
"Mein Führer" K., marschierte mich dann, mit seinem Kampfbuch in der Hand, Montag früh entlang viel befahrener Hauptstraßen, den Berg die "Kaskade" hinauf. Insgesamt brauchten wir, mit zahlreichen Photostops und einmal verlaufen, gut 1½ Stunden bis zur Gesandtschaft. Zwischendurch stifteten wir mit unseren Postkartenstapeln in einem Vororts-Postamt reichlich Verwirrung. Eine der netten Damen probierte dann ihr gutes Deutsch an uns aus.
Anstrengend war es die Kaskade hinauf, aber die gebotene Kunst gab immer wieder Ausreden für Verschnaufpausen.
Im Inneren das Cafesjian Centre for the Arts.
Kaskadensport.
Richtig gelohnt hat sich der Aufstieg, wenn man mit diesen Blick auf den Ararat bekommt.
Der Ararat liegt überings nicht in Armenien -- obwohl man ihn dort als das Nationalheiligtum betrachtet -- sondern fast 40 km auf türkischem Gebiet in einem militärischen Sicherheitsbereich. In Eigenregie Besteigen, auch wenn man seine Arche selber mitbringt, ist nicht möglich.
Einen Hügel weiter hat man ebenfalls einen schönen Blick über die Stadt. Er ist gekrönt von einem Denkmal der "Mutter Armeniens" -- einem umgewidmetem Stalin-Denkmal.
Die Metro in Eriwan stammt aus den 80ern und umfaßt nur eine Linie. Die Ausstattung folgt dem sowjetischen Standard. bezahlt wird jede fahrt mittels orangener Plastichips, die pro Stück 100 Dr. (ca. 0,18 €) kosten.
Visum für Karabach
Nagorno-Karabach (deutsch: Berg-Karabach) ist noch so ein Land, das es nicht gibt. Zu Sowjetzeiten eine Exklave Armeniens in Azerbaidschan kam es 1993 zu Krieg und Vertreibung. Der Landstreifen dazwischen wurde ebenfalls armenisch besetzt und man rief seine eigene Republik aus.
Auch R. hatte sich verlaufen, so daß wir uns kurz nach 11 trafen und die Anträge (1 Paßphoto) stellten. Die Gebühr von 3000 Dr. kann nun direkt bezahlt werden, nicht wie in Reiseführern geschildert per Einzahlung auf ein Bankkonto. Die früher verlangten Eilzuschläge sind weggefallen.
Abzuholen nach der Mittagspause um 2. Insgesamt ein problemloses Verfahren. Wer eines Tages mit demselben Paß nach Azerbaidschan will, kann sich den Sichtvermerk auf ein separates Blatt geben lassen, denn mit einem Stempel von Karabach darf man dort nicht einreisen. Mit dem Visum erhält man eine Anmeldebestätigung auf der die zu bereisenden Regionen aufgeführt sind, sinnigerweise mit dem Hinweis "mit Ausnahme der Frontlinie."
Das Statdzentrum bildet der Platz der Republik mit Regierungsgebäuden und Theater, sämtlich in einem lokalen rötlichen Sandstein gebaut.
Die drei Stunden Wartezeit überbrückten wir in einem "MacGyros" und mit einem Bummel über einen Bauernmarkt. K., in seiner ganzen Sensibilität als deutscher Tourist, hielt ohne Zögern jedem Standbesitzer ungefragt seine Digitalkamera unter die Nase, was den Rinderinnereienverkäufer zu einer Tirade erregte, die auch ohne Armenischkenntnisse deutlich war. R. und ich marschierten ohne Umzuschauen davon, halb in der Erwartung, daß der Händler K. mit dem Hackebeil verfolgen würde. In der Markthalle mehrere Stände getrockneter und glasierter Früchte. Von einer Frau deren Sohn in Trier lebt, kaufte ich mit Honig glasierte Feigen, gekrönt von einer Walnuß -- absolut göttlich. Am nächsten Tag habe ich mir noch ein Zehnerpack geholt.
Visum für Karabach. (Mit diesem Paß ist keine legale Einreise nach Azerbaidschan mehr möglich.)
Völkermord
Dienstag stand dann der Besuch des Völkermordmuseums (der Türken an den Armeniern) auf dem Programm. Auf einem weiteren Hügel gelegen besteht es aus einer moderaten aber geschmackvolen Gedenkstätte mit einem Museum, das bis 2014 erweitert wird. Gelegen in einem weitläufigen Park, den man mit getragener Musik beschallt.
Zum Lesen (so wenig die Erwähnung des Völkermordes auch der heutigen türkischen Regierung gefällt): Werfel, Franz; Die vierzig Tage des Musa Dagh. Dazu Literaturliste zum Thema.
Mahmal für die, je nach Schätzung 300000 bis 1½ Mio., Opfer des 1915-7 ganz ohne Gaskammern höchst effizient durch die türkischen Ordnungskräfte ermordeten Armenier, die weite Teile Kleinasiens besiedelt hatten.
Abfahrt der Busse nach Stepanakert (Hauptort von Karabach) ist am frühen Morgen. Im Nachhinein muß ich sagen, daß, alleine schon wegen der schlechten Verkehrsverbindungen, eine angebotene Drei-Tagestour (Hyer-Reisen, ca. 145 €) mit gutem Hotel für Karabach die Sehenswürdigkeiten besser abgedeckt hätte.
Kirchen und Klöster
Zum Pflichtprogramm einer Armenienreise gehört auch der Besuch der Kirchen in Echmiadzin (offiziell Vagharshapat seit 1992), Garni und Artashat.
Eigentlich bin ich kein Freund von Touren, aber wegen der schlechten Verkehrsanbindung, dieser gar nicht weit von der Hauptstadt gelegnene Orte erscheinen Tagesausflüge durchaus sinnvoll.
Am Bahnsteig wieder in Eriwan kontrollierte bei der Rückfahrt derselbe mürrische Schaffner die Fahrkarten, jedoch freundlich lächelnd als er mich wieder erkannte. Dann kam es zu einem dieser Zufälle, die individuelles Reisen zum Erlebnis machen: G., der Bekannte von der Herfahrt erscheint ebenfalls am Bahnsteig -- nach einer herzlichen Begrüßung stellt sich heraus, daß er wieder das Bett unter mir hat. Zusammen im Abteil dann noch zwei die beiden jungen Ukrainer, die sich mit mir beim Fahrkartenkauf über den Karbolgeruch des Putzmittels "gefreut" hatten und leidlich Englisch sprachen. Es wurde wieder ein extrem gemütlicher Abend. Der Schaffner versah seinen Dienst mit demselben Elan -- schlafend -- wie bekannt und entwickelte erst eine halbe Stunde vor Ankunft so etwas wie Bewegung, als er die Bettbezüge "dawai, dawai" abliefern ließ.
Hausbriefkästen in Armenien.
Aufbruch: | 07.10.2013 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 25.10.2013 |
Türkei
Armenien