Georgien und Armenien (Oktober 2013)
Abchasien und die "Hauptstadt" Suchumi
Begrüßung in der "unabhängigen Republik" Abchasien -- am Grenzübergang wird nur diese Riesenfahne geboten.
Abchasien (= Abkhazia) war zu Sowjetzeiten eine halbautonomer Teil der Sowjetrepublik Georgien. Tatsächlich gibt es einige kulturelle Unterschiede, die eine Autonomie rechtfertigen. Allerdings siedelten nach Eingliederung des Transkaukasus ins Zarenreich viele Georgier, Balten und Russen hier, so daß die einheimische Bevölkerung nur noch 17% ausmachte. (Vgl. Die Landschaft Abchasien; Geographische Zeitschrift, 2. Jg., 6. H. (1896), S. 345-347).
Ebenso wie für Süd-Ossetien (= Samachablo; wo die behauptete "kulturelle Eigenständigkeit" noch mehr konstruiert ist) handelt es sich im wesentlichen um russische Provinzen, für die sich der Kreml eine lokale Regierung hält. Dort stammt auch gleich ein Großteil des Budgets aus Rußland, ebenso wie die Beamtenschaft. Bezahlt wird mit russischem Rubel, die Einwohner erhalten seit 2000 russische Päße, haben auch Anspruch auf russische Sozialleistungen (was sonst nur für Inhaber eines registrierten [[k]propiska[/k]] "Inlandspasses" möglich ist). Das am besten gepflegte Amtsgebäude ist das der russischen Gesandtschaft. Putin-Bilder sind im öffentlichen Raum nicht so groß und zahlreich wie die des "Präsidenten," aber doch augenfällig.
(Zur Paßsituation aus pro-russischer Sicht: Mühlfried, Florian; [k]Citizenship at war: Passports and nationality in the 2008 Russian-Georgian conflict;[/k] Anthropology Today, Vol. 26 (2010), No 2)
[trennlinie]
Diplomatisch anerkannt ist das "Land" u.a. von der Pazifikinsel Nauru (21,3 km²), einer ehemaligen deutschen Kolonie, die vor einigen Jahren -- nachdem ihre einzige Exportquelle, die Phosphatlager erschöpft waren -- [verweis=http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/umwelt/pazifikinsel-nauru-paradies-vor-der-pleite-1158204.html]so pleite[/verweis] war, daß es wochenlang vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten war, weil die Telekommunikationsgesellschaften wegen unbezahlter Rechnungen die Leitungen kappten. Rußland war die Unterstüzung 50 Mio. US$ wert. (Ähnlich hatte Nauru sich von der VR China 2002 bezahlen lassen, um dann 2005 wieder zur Anerkennung Taiwans zu wechseln.)
Der Inselstaat Vanuatu (2009: 234000 Einw.) schloß bei der erkauften Anerkennung 2011 gleich noch ein Abkommen zur visafreien Einreise, es wäre interessant zu erfahren, wieviele Besucher das jährlich ausnützten. Seit Mai 2013 hat man die Seiten gewechselt und erkennt Georgiens Ansprüche an.
Abchasien hatte 1989 bei der letzten Volkszählung 525000 Einwohner (17% Abchasen, 46% Georgier), nach der ethnischen Säuberung schätzt man heute runde 180000 Einwohner. 2-30000 georgische Vertriebene sollen, besonders in die Region von Gali (russ.: Gal), zurückgekehrt sein.
Chefchen zum ersten ...
... und zum Zweiten. (Der gezeigte "Präsident" Vladislav Ardzinba ist verstorben)
Aber es geht noch besser ...
Ich habe mich bei der Reisevorbereitung stark vom Blog Daniel Hamiltons (1 seine Grenzerfahrung 2 Reisebeschreibung; engl.) leiten lassen.
Meine Erfahrungen widersprechen beiden seinen Darstellungen. Zum einen war die Behandlung and der Grenze penibel, aber korrekt (und nicht zu vergleichen mit der Abfertigung in die Ostzone prä-1989), zum zweiten fand ich keine übermäßig interessanten Sehenswürdigkeiten, noch empfand ich die Einheimischen als übermäßig freundlich. Ein nicht-russisch sprechender Ausländer wird behandelt, als ob er ein kleines grünes Männchen ist. Die Beschilderung ist ausschließlich kyrillisch (zweisprachig abchasisch/russisch), Informationsmaterial, abgesehen von russischen Karten in den wenigen Buchläden, sind nicht verfügbar.
Nun beschränkt sich mein Russisch auf nützliche Ausdrücke wie: "Stoy!" (Halt!) ,"njet" (Nein), "Dawai, dawai!" (zack, zack!), "towarisch" (Genosse), "nastarowje!" und "Ruke werch!" (Hände hoch) was, besonders in letzerem Falle, heutzutage nicht allzu weit hilft.
Einreise
Das Verfahren zur Einreise in die "unabhängige" Republik Abchasien ist weltweit einzigartig. Man beantragt beim "Außenministerium" per eMail durch Einsendung einer Paßkopie -- interessanterweise unverschlüsselt über einen gmail-Account, wohl damit der "große Bruder" NSA auch ungestört mitlesen kann -- ein Einladungsschreiben, das man sich ausdruckt. Dies wird an der Grenze einbehalten, man muß sich dann innerhalb dreier Tage beim "Ministerium für Verteibung" (engl.: "Ministry of Repatriation," was ich hier absichtlich frei mit "Vertreibung" übersetze, denn die Aufgabe der Herrschaften ist es die verbliebenen ethnischen Georgier in ihre "Heimat" zu vertreiben und potentiellen Rückkehrern der rund dreihunderttausend Kriegsflüchtlinge das Leben schwer zu machen) in der "Hauptstadt" Suchumi (110 km entfernt; Kleinbus 300 R.) zur Ausstellung des Visums einfinden.
Reiseführer geben die Lage des Amtes noch mit "2. Stock des Außenministerium, Lagoba Ave 21" an. Das stimmt nicht mehr, von dort kommen nur die Einladungen. Den Sichtvermerk erhält man als loses Blatt im EG des Vertreibungsministerium in der ul. Sacharova (9-12 und 13-17 Uhr; kurze Hosen unerwünscht, man versteht deutsch und englisch).
Der Zettel, der ein schönes Souvenier gegeben hätte, wird bei der "Ausreise" einbehalten. Vor Beantragung sollte man um die Ecke bei der Sperbank (Filiale Lagoba Ave, ggü. Nr. 37, grünes Schild) bereits die auf Dollarbasis zu Tageskurs umgerechnete Gebühr (10 $) einzahlen. Das geht überraschend reibungslos. Ein freundliches Lächeln, die Frage "Visa?" und "Olga" wußte Bescheid.
Aufenthaltserlaubnis für Abchasien.
Das innen vollkommen zerstörte ehemalige Regierungsgebäude des Sowjets (Gute Photos des Inneren von 2012). Die Symbole feiern die 20jährige "Unabhängigkeit" d.h. die Existenz eines Staates der russische Kolonie ist.
Unterkunft
Abgestiegen bin ich im Hotel Inter-Suchumi, mit 1400 R. fürs Einzelzimmer (1900 Doppel) ein anständiges Mittelklassehotel. An der Lagoba Ave, nahe dem Hauptmarkt (cum Busendhaltestelle) und der Seepromenade gut gelegen ist es auch bei Moskitos beliebt. Wohl die einzige Unterkunft, die für nicht russisch Sprechende schnell auffindbar ist. Etwa 300 m entfernst liegt der städtische Hauptmarkt mit zentraler Bus-Umsteigestelle. Zur Promenade gelangt man durch den rückwärtigen augang. Voller Russen, spricht man keine Fremdsprachen an der Rezeption. Typisch die Restaurantöffnungszeiten: Frühstück 8-10, Mittag 12-14, Abend 18-20, ansonsten nitschewo.
Sehenswürdigkeiten (?)
Suchumi selbst hat abgesehen von der vergammelten Seepromenade mit dem aus groben Kieseln bestehenden "Strand" nur den botanischen Garten zu bieten. Der ist gepflegt -- man wird allerdings mit 150 R. (4 €) auch kräftig zur Kasse gebeten. Etwas dahinter befindet sich ein kleiner Affenzoo. Eine frühere Generation der Insassen durfte für den Fortschritt der glorreichen Sowjetunion den Kosmos erobern (Eintritt 140 R; Beschreibung (engl.)). ansonsten kann man sich noch einstürzende Altbauten ansehen. Das Postamt, auf der Karte verzeichnet, ist eine ausgebrannte Ruine und das nicht erst seit 14 Tagen -- nirgendwo ein Hinweis, das es einen Postdienst gibt.
Nachtleben existiert keines, außer man bucht als geschlossene Gesellschaft ein Restaurant; der Ort klappt mit Sonnenuntergang -- abgesehen von Wodka-Buden -- die Bürgersteige hoch.
Es ist schwer zu glauben, daß dieser Ort einmal das "paradiesische" Traumziel der meisten sowjetischen Werktätigen gewesen sein soll (das läßt andrerseits natürlich Rückschlüsse auf die Zustände dort zu ).
Zugegbenermaßen war der für 20 R. erhältliche türkische Kaffee im Kiosk am Strand gut.
Gnädigerweise deckt das stimmungsvolle Abendlicht den verfallenen Zustand entlang der Promenade etwas zu.
Der einzige gepflegte Ort in Suchumi ist der botanische Garten, dessen Hauptattraktion eine 300 Jahre alte Linde ist.
Außer Suchumi empfiehlt man Besuchern noch Novy Afnon, mit einer Tropfsteinhöhle, die mittels Schmalspurbahn durchfahren wird und Stalins Datscha. Es erscheint sinnvoll, eine der russischsprachigen Tagestouren (800-1300 R.) zu buchen.
Der einstmals großartige Bahnhof Suchumis. Heute verkehren dort täglich 4-6 Züge nach Rußland. Das große Gebäude im Hintergrund ist innen ausgebrannt und komplett vernagelt. Fahrkarten gibt es nur an einem Schalter im renovierten Bau im Vordergrund.
Vom etwas auswärts gelegenen Bahnhof fahren auch die Marschurtkas zur Grenze (fahrplanmäßig nur drei täglich). Sofern man wegen Überfüllung nicht mitkommt, nach Gal fahren (stündlich) vom dortigen "Busbahnhof" fliehe man schleunigst per Taxi zur Grenze (350-400 R.)
Fazit Abchasien: wer einen gewissen masochistischen Trieb hat Orte zu sehen an die kein geistig Gesunder hinfährt sollte es sich antun ... (Interessant waren jedoch die Reaktionen der Georgier, wenn ich erwähnte in Suchumi gewesen zu sein, sie reichten von Begeisterung über den "Mut" die Reise zu wagen, bis zu Interesse ob der Zustände -- besonders der aus der Region Vertriebenen.)
Eigentlich wollte ich noch ein Billy-Regal mit nach Hause nehmen, aber die waren in dieser Filiale (in Suchumi) gerade nicht vorrätig. Da konnte man mich dann schwedisch fluchen hören, was dort aber wie erwähnt eh keiner versteht .
Aufbruch: | 07.10.2013 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 25.10.2013 |
Türkei
Armenien