MAROKKO
FES
Marokko hat ein gut ausgebautes Eisenbahnnetz, sogar eine Strecke für einen TGV ist bereits in Planung. Der Zug besteht aus ausrangiertem, umlackierten Wagenmaterial der SNCF. Schnell gewinnt er an Fahrt und macht sogar richtig Tempo. Büsche, Sträucher und Palmen fliegen an den Fenstern vorbei, Bahnhofschilder sind kaum zu lesen und jedesmal, wenn ein anderer Zug entgegen kommt und der dadurch entstehende Druck mit einem Rums an den Fenstern rüttelt, erschrecken sich die jungen Marokkanerinnen, die auf der anderen Seite sitzen. Bis hinter Rabatt ist die Gegend landwirtschaftlich geprägt, dann schlängelt sich der Zug in eine kurvige, trockene Hügellandschaft, mal vorbei an kleinen Dörfern, mal an einem Fluss entlang. Wir halten in der alten Königsstadt Meknes.
Pünktlich um halb sieben erreichen wir Fes. Auch hier ist das Hotel Ibis direkt am Bahnhof. Ich brauche nur quer über den Vorplatz zu gehen und schon bin ich da. Mit aufdringlichen Schleppern, die Reisende gleich in der Bahnhofshalle abfangen, ihnen erzählen, ihr Hotel sei geschlossen oder überfüllt, wovor im Reiseführer gewarnt wird, mache ich keine Bekanntschaft. Dafür hatte der Beifahrer im Taxi vom Flughafen gestern Abend plötzlich versucht, den vereinbarten Fahrpreis von 300 auf 500 Dirham anzuheben.
"C'est pour un café - Für einen Café!."
Da habe ich strikt abgelehnt und der Fahrer bestätigte schließlich 300 Dirham. Aber auch er war ein Gauner, wie er im Buche steht: An der Zahlstelle für die Autobahn hängte er sich dicht an den Vordermann und huschte schnell noch mit unter der Schranke durch und der Kassierer musste in die Röhre blicken.
Sieben Uhr ist zu früh zum Abendessen und ich gehe noch eine Runde spazieren. Unweit vom Hotel ist ein ein Flohmarkt. Billige Plastikartikel, Haushaltswaren und Spielsachen werden angeboten. Aus einem alten Ghettoplaster dudelt arabisch Musik. Jetzt nach Sonnenuntergang beginnt eine Zeit verhältnismäßiger Kühle. Langsam trauen sich die Leute wieder nach draußen und die Straßen erwachen langsam zum Leben und auch die Restaurants füllen sich.
Ich ziehe es vor, im Hotel zu Abend zu essen. Man sitzt im lauschigen Hotel-garten. Eine rote Katze schleicht neugierig um die Tische, der Pool leuchtet türkis-blau und plätschert kühl vor sich hin. Tajine ist das marokkanische Nationalgericht schlechtin. In einem Tontopf gedünstetes Gemüse aller Art in verschiedensten Variationen. Mit Lamm, Rind oder Huhn, Fisch oder Meeresfrüchten. Dazu wird Couscous, eine Art körniger Hartweizengries gegessen.
Die erste Aufgabe, die ich heute Früh erledigen muss, bevor ich mich ins Getümmel der Medina von Fes stürze, ist es, einen Platz im Bus nach Merzuga zu reservieren. Ungünstigerweise gibt es täglich nur einen Bus und der fährt abends ab und ist die ganze Nacht unterwegs. Schade, sicher wäre es landschaftlich eine sehr interessante Fahrt geworden. Der Hauptbusbahnhof befindet sich nahe der Altstadt und der Abstecher dorthin bedeutet keinen Umweg.
Es gibt keinen freien Platz mehr im Bus heute Abend. Alles ist ausgebucht. Ich soll es doch bei der anderen Busgesellschaft am Bahnhof versuchen.
"Wo zum Kuckuck ist am Bahnhof ein Ticketbüro gewesen? Mir ist keines aufgefallen."
Also wieder zurück zum Bahnhof. Das Taxi hält auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Bahnhof. Dort ist tatsächlich ein kleines Büro einer Busgesellschaft. Das war mir gestern Abend bei einbrechender Dunkelheit im allgemeinen Chaos, was um Bahnhöfe einer Großstadt herrscht untergegangen. Doch auch hier ist der Bus für heute Abend bereits ausgebucht.
"Demain?"
"Demain, oui!"
Also kann ich erst morgen nach Merzouga fahren, dabei hatte ich extra zwei Tage für die Wüste eingeplant, da es sicher interessant werden würde. Aber dieser mießliche Umstand soll sich als glücklicher Zufall erweisen, wie sich noch zeigen wird.
Jetzt wo die Sonne am höchsten steht und die mittägliche Hitze hereinbricht, lohnt es sich nicht mehr in die Stadt zu fahren. Jetzt schließen viele Läden und die meisten Leute trauen sich wegen der Hitze nicht auf die Straße. Nachdem ich einen Tag in Fes gewonnen habe, kann ich mir einen entspannten Nachmittag am Pool leisten. Dort muss ich mich ganz besonders über den Schwimmmeister amüsieren, der als echtes Vorbild fungiert: Jedesmal, wenn eines der Kinder vom Beckenrand springt, wird es umgehend getadelt. Der Schwimmmeister selbst aber, springt von Zeit zu Zeit in elegantem Stecher ins Wasser und schwimmt eine Runde zur Abkühlung.
Erst als die Sonne tiefer steht und die Schatten wieder länger werden, breche ich auf. Ich lasse mir Zeit, gehe jetzt zu Fuß, streife durch den langweiligen Souq der Neustadt "Fes el-Jdid", und komme zu den alten Mauern der Medina, die bekannt für ihre verwinkelten, labyrintartigen Gassen ist, in denen sich sogar die Einheimischen verlaufen können. Zwei Hauptadern führen nebeneinander hinunter in die Altstadt, treffen sich dort, um sich dann wieder tausendfach zwischen Häusern, Moscheen und Läden zu verzweigen.
Es ist Zeit für das Nachmittagsgebet. Gläubige verschwinden in finsteren Eingängen von Moscheen und folgen dem Ruf des Ezan, nicht ohne vorher ihre Schuhe in die hierfür vorgesehenen Regale gestellt, oder sich an einem der vielen Brunnen, die reich mit Kacheln verziert, in Wände eingelassen sind, gewaschen zu haben.
Fes ist sehr orientalisch. Der Reisefürer hat nicht zu viel versprochen. Unzählige Läden breiten sich in den engen Gassen aus. Ein buntes Warenangebot bringt Farbe in die grauen Mauern der Altstadt. Kleider in hellem Gelb oder leuchtend grün, blaues Keramikgeschirr, kunstvoll beschlagene Kupferteller mit Teegläsern oder die berühmten Tontöpfe, in denen Tajine zubereitet werden kann. Berberteppiche hängen an einer Wand, der nächste Laden bietet Lederwaren, für die Fes bekannt ist, und dahinter ist einer der alten Tordurchgänge, die an Kreuzungen die Gassen häufig unterbrechen. Oft hängt dann in der Mitte ein alter marokkanisch verzierter Leuchter an der Decke, als wäre es zweihundert Jahre früher. Ein schöner, bunter Hahn stolziert vor einem Laden, der Keramikschüsseln verkauft, als habe er sich dort verirrt. Schwer bepackte Esel sind keine Seltenheit und wegen der Enge der Gassen die einzigeste Möglichkeit, Waren in die Altstadt zu bringen. Autos können hier nicht fahren. Mancherorts, wo es besonders eng ist, herrscht ein Gedränge und Geschiebe.
Schwere Holztore verschließen den Eingang der Kairaouine-Moschee. Verzierungen aus Stuck und Koransuren umranden sie. Massive Holzkonstruktionen, kunstvoll geschnitzt, tragen wuchtige Vordächer.
Und dennoch sind viele Marokkaner modern, auch Frauen sind häufig westlich gekleidet. Sicher kommt das von den Französischen Kolonien, die in ganz Nordwestafrika verbreitet waren. Immer wieder werde ich in Marokko an Südfrankreich erinnert, wo ich in meiner Kindheit und Jugend zahlreiche Urlaube mit meinen Eltern verbracht habe. Früher hatten wir dort ein Ferienappartment am Mittelmmer, kurz vor der Spanischen Grenze. Direkt vor der Haustür lag ein breiter Sandstrand und lud zum verweilen ein und nur wenige Kilometer entfernt begannen die Pyrenäen, eine herrliche, wilde, blühende Landschaft aus duftendem Ginster, Thymian und Rosmarin, summenden Insekten, Wäldern aus Korkeichen und Krüppelkiefern, trockenen Almwiesen mit bimmelnden Kühen, glasklaren Bergseen und drohenden Gipfeln. In den mediterranen Städten Kataloniens blieb der spanische und maurische Einfluss nicht verborgen.
Ein neuer Morgen ist angebrochen. Eigentlich hätte ich jetzt schon in Merzouga, einem kleinen Wüstenort mitten in der marokkanischen Sahara sein sollen, aber der Zufall wollte es anders. Von dem Berg oberhalb der Medina kann man einen tollen Blick auf "Fes el Bali", das alte Fes genießen. Hier und da hebt sich ein Minarett aus dem Häusermmer empor und mittendrin leuchtet das tanngrüne Walmdach der Kairaouine-Moschee, einer der größten in Afrika. Nur von hier oben kann man einen Eindruck über ihre Größe bekommen, zumal der Komplex mit einer Universität, die die älteste der Welt ist, zusammenhängt, und man in der Enge der Gassen sich gar nicht vorstellen kann, was was ist, und wo genau man sich gerade befindet.
Die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit von Fes sind die Chaouwara-Gerbereien. Einheimische sorgen dafür, dass jeder, der vorbeikommt, den richtigen Weg findet. Die Gerbereien sind für Besucher nicht zugänglich, aber findige Fassi verkaufen in den oberen Stockwerken der umliegenden Häusern Lederwaren und hoffen, dass die Besucher nicht nur die Färbereien sehen wollen, sondern auch etwas kaufen. In einer engen Gasse steht ein junger Marokkaner und verteilt Pfefferminz-Stängel gegen den Gestank und zeigt mir den dunklen Eingang, in den kein Fremder von alleine hineingehen würde. Eine steile, schmale Treppe führt hinauf zum Aussichtsbalkon. Bottiche mit leuchtenden Farben, wie ein riesiger Malkasten, stehen in einem Hof. Blaue, rote, grüne, magentane, beige, gelbe und viele mehr. Felle stapeln sich oder hängen zum Trocknen an Wäscheleinen. Arbeiter stehen bis zu den Knien in der Farbe oder balancieren zwischen den Bottichen. Einer in lumpigen Hosen und mit Strohut hat gerde ein riesiges Lederstück, was groß genug ist, um eine Couch zu fertigen aus einem Bottich mit roter Farbe gezogen. Jetzt sitzt er auf dem Boden und bearbeitet es mit einem Werkzeug, das von hier oben wie ein großes Messer aussieht. Ein voll beladener Esel bringt Nachschub an Fellen. Sogar Kinder rennen umher, scheinen mehr zu spielen oder sich zu jagen, als zu arbeiten. Den Gestank hatte ich mir schlimmer vorgestellt und der Händler erzählt, dass die Arbeit zwar dreckig und gesundheitsbelastend, aber wegen der guten Bezahlung dennoch sehr beliebt ist.
Irgendwo in der Altstadt gerate ich mitten in eine große Gruppe spanischer Touristen.
"A la derecha - Nach rechts!" ruft es sich von vorne nach hinten durch. "A la derecha!" wird es weiter gegeben, "A la derecha!"
Ich finde den Gedanken "A la izquierda - nach links!" nach hinten zu rufen lustig, aber es ist unfair andere Touristen in die Irre zu führen.
An einem netten Platz finde ich ein schönes Straßenlokal. Ich lasse mir die Karte bringen und entscheide mich für gegrillte Hackspieße mit Pommes Frites. Man sitzt gemütlich im Freien und ich habe Zeit dort etwas zu verweilen, noch einen Minztee zu trinken und dem Treiben in den Gassen zu zusehen.
Mein Gepäck habe ich an der Hotelrezeption abgegeben, und bis der Bus um halb neun fährt, ist noch etwas Zeit, den Bahnhof unsicher zu machen. Der Eingang wurde einem alten Stadttor nach maghrebienischer Bauart nachempfunden und bestimmt fast das ganze Gebäude. Auch hier herrscht geschäftiges Treiben. Bald wird ein Zug Richtung Casablanca abfahren, und wegen der endenden Ferien herrscht ein erhöhtes Reiseaufkommen in Marokko, was auch die ausgebuchten Busse erklärt. Ganze Menschenschlangen schieben sich durch die Ausgänge zu den Bahnsteigen. Zwei oder dreimal fragt mich jemand nach einem Zug oder nach sonst etwas.
sowie Städte oder landwirtschaftlich geprägte Gegenden säumen die Bahnstrecke von Casablanca nach Fes.
Aufbruch: | September 2012 |
Dauer: | unbekannt |
Heimkehr: | September 2012 |