2015 - Palermo - Sizilien (Italien)

Reisezeit: November 2015  |  von Uschi Agboka

7. Tag - 7. November 2015: Informationen über Falcone

Geschichte Falcone

Anhang Falcone

Giovanni Falcone wurde 1939 im Viertel Kalsa geboren. Das Viertel war heruntergekommen und wurde von der Cosa Nostra dominiert. Sein Elternhaus stand in der Via Castrofilippo. Es fiel 1959 dem Sacco di Palermo zum Opfer. Sacco bedeutet hier Plünderung und bezeichnet eine Phase destruktiver, von der Mafia angetriebener Bauspekulation in den 1950er und 1960er Jahren.

Der junge Falcone wuchs also in einer durch die Mafia vergiften Atmosphäre auf. Viele seiner Spielkameraden wurden Mafiosi. Einer der bekanntesten war Tommaso Spadaro, der zum König der Kalsa wurde. Falcone brachte ihn später hinter Gitter. Ein anderer Freund wurde später sein engster Kollege – Paolo Borsellino.

Die Eltern Falcones entstammten einem unpolitischen, katholisch-konservativen Kleinbürgertum, denen es wichtig war, dem Land zu dienen und es nicht auszuplündern. Hier liegen die Wurzeln zum späteren Engagement von Falcone.

Falcone besuchte die Grundschule im Convitto Nazionale Vittorio Emanuele II. Diese Internate dienten in vielen großen Städten dazu, Kindern aus der ländlichen Umgebung eine höhere Schulbildung mit dem Ziel des Universitätsbesuchs zu ermöglichen. Gleichzeitig wollte man damit das Bildungsmonopol der katholischen Kirche brechen. Häufig wurden darum auch kirchliche Schulen verstaatlicht.

Dieses passierte auch 1860 in Palermo. Das Convitto Nazionale Vittorio Emanuele II. steht direkt neben der Kathedrale von Palermo, was also kein Zufall ist. Heute kämpft der Staat nicht mehr gegen die Kirche, sondern gegen die Mafia.

Falcone wechselte 1954 zum Liceo classico Umberto I. und machte dort sein Abitur. Nach dem Abitur begann Falcone ein Jura-Studium an der Universität Palermo. In dieser Zeit wandte er sich von den katholisch-konservativen Wurzeln seiner Eltern ab. Er kritisierte deren unkritische Einstellung zum Faschismus und entwickelte so ein starkes demokratisch-rechtsstaatliches Bewusstsein.

Es mag seltsam erscheinen, dass der Student Falcone mit der kommunistischen Partei Italiens sympathisierte. Man hat wohl vergessen, dass die KPI damals eine der Protagonisten des sog. Eurokommunismus und somit demokratisch ausgerichtet war. Die KPI fuhr zudem einen sehr konsequenten Anti-Mafia-Kurs.

Im Laufe seines Berufslebens verlor Falcone seine Vorliebe für die KPI. Er legt Wert darauf, niemals Mitglied einer Partei zu sein. Falcone sah sich als Richter jederzeit der Neutralität verpflichtet. Rechtsstaatlichkeit hatte für ihn höchste Priorität. Bei dünner Beweislage plädierte er mehrfach dafür, einen Mafioso freizusprechen.

Falcone schloss sein Studium 1961 mit Auszeichnungen als 22-jähriger ab. Seine juristische Karriere begann außerhalb Palermos. Einen Großteil dieser Zeit war er Staatsanwalt in Trapani. Dort konnte er einige Mafia-Morde aufklären.

1978 kehrte Falcone nach Palermo zurück. Er bewarb sich im Justizpalast. Dort fürchtete man, dass seine Arbeit zu viel Staub aufwirbeln würde. Darum wies man ihm eine Stelle im Konkursrecht zu. Doch dieses Abstellgleis befähigte Falcone später, erfolgreich seinen Kampf gegen die Mafia zu führen. Falcone bekam am Konkursgericht einen Einblick in die Beziehungsgeflechte der Mafia.

Mitte der 1970 Jahre dominierte die ländlich geprägte Mafia aus dem Umland Palermos. Die Anführer stammten aus Corleone. Hier zeigte die Mafia ihr wahres Gesicht. Spitznamen wie „Die Bestie“, „Der Traktor“ sprechen Bände. Sie betrachteten Mord nicht als Ultima Ratio, sondern als alltägliches Mittel und perversen Spaß.

Diese Gewaltorgien werden einmal in die Geschichtsbücher als Anfang vom Ende der Mafia in Sizilien eingehen. Im Justizpalast von Palermo wurde eine Gruppe von Antimafia-Ermittlern gegründet. 1979 trat Falcone dieser Gruppe bei. Die Arbeit von Falcone war so erfolgreich, dass er sich schon nach einem Jahr durch eine Eskorte rund um die Uhr schützen lassen musste. Sein Erfolg beruhte auf einer Methode, die uns heute normal erscheint, damals aber völlig neu war.

Die Mafia war ja eine Geheimorganisation, die mit dem Gesetz der Omerta dafür sorgte, dass alles geheim blieb. In Sizilien wusste jeder, dass es besser ist, nichts zu sehen, nichts zu hören und nichts zu sagen. In den 1970er Jahren stieg die Mafia in das internationale Rauschgiftgeschäft ein. Die Omerta konnte jedoch außerhalb Siziliens nur schwer durchgesetzt werden.

Falcones Idee war, mittels des internationalen Geflechts etwas über die inneren Strukturen der sizilianischen Mafia zu lernen. Um Licht in das Geflecht zu bringen, bediente er sich der Erfahrungen, die er am Konkursgericht gesammelt hatte.

Falcone ließ sich von allen sizilianischen Banken die Belege sämtlicher Devisentransaktionen der letzten 5 Jahre geben. Auf diese Weise fand er u. a. heraus, dass die Mafia in Sizilien 5 große Heroin-Labore unterhielt.

Normaler Finanzdelikte werden vor einem ausschließlich mit Berufsrichtern besetzten Gericht behandelt, während Mordfälle vor einem Schwurgericht enden. Geschworene lassen sich leichter einschüchtern als Berufsrichter. Falcone mied daher Mordprozesse.

Neben diesen Ideen halfen Falcone drei persönliche Eigenschaften. Er arbeitete ohne Probleme 16 Stunden täglich, hatte das Gedächtnis eines Elefanten und war – Sizilianer. Letzteres half ihm sehr bei seinen vielen Vernehmungen.

1984 gelang der große Durchbruch. Er beruhte auf den Gewaltorgien der Mafia aus Corleone. Sie führten auch zum Tod von Angehörigen des hochrangigen Mafiosos Tommaso Buscetta. Nach seiner Festnahme entschloss er sich, mit der Mafia zu brechen und sein gesamtes Wissen über ihre innere Struktur preiszugeben.

Die so gewonnenen Erkenntnisse führten am 29.9.1984 zum Blitz di San Michele (das Wort Blitz wird im Italienischen zur Beschreibung einer Polizei- oder Militäraktion genutzt, der 29.9. ist im Katholizismus dem Erzengel Michael gewidmet). In dieser Nachtaktion wurden über 366 Mafiosi festgenommen.

Anfang 1986 begann der Maxi-Prozess im Hochsicherheits-Bunker auf dem Gelände des berüchtigten Gefängnisses Ucciardone.

Die Erfolge Falcone dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass er in seiner Arbeit harten Widerständen ausgesetzt war. Dass er ein Todfeind der Mafia war, ist klar. Er wurde jedoch auch innerhalb des Justiz-palastes von Palermo und sogar von Mitgliedern der Anti-Mafia-Szene angegriffen.
Doch wenn man an die enge Vernetzung der Mafia mit dem Staat denkt, begreift man, dass auch im Justizpalast von Palermo Zuarbeiter der Mafia saßen.
Viele störte das entschlossene Vorgehen Falcones. Seine reservierte Art und seine intellektuelle Überlegenheit wurden fälschlicherweise als Arroganz ausgelegt. Die Anti-Mafia-Szene kritisierte Falcone wegen seiner medialen Präsenz. Sein Erfolg, mehr und mehr Mafiosi zum Ausstieg zu bewegen, erregte Misstrauen.

Falcone schrieb darüber: Man behauptet, ich würde diesen Männern alles versprechen, um Informationen aus ihnen heraus zu holen. Man behauptet, ich verstecke bei mir Zuhause den politischen Teil der Aussagen Buscettas. Man verbreitet die Lüge, ich würde mit einem Teil der Mafia zusammen arbeiten, um die anderen auszulöschen.

1988 ging sein bisheriger, ihn immer unterstützender Chef Antonino Caponnetto in den Ruhestand. Ein unfähiger Nachfolger nahm seinen Platz ein und die bisher so erfolgreiche Ermittlergruppe brach auseinander.

Falcone arbeitete zwar weiter erfolgreich, nahm aber 1991 das Angebot des Justizministers in Rom an, eine landesweit agierende Ermittlungsbehörde gegen die Mafia aufzubauen.
Sie wurde unter dem Namen Direzione Investigativa Antimafia (D.I.A.) gegründet und koordiniert seither sämtliche Aktivitäten gegen die organisierte Kriminalität in Italien.

Am 23. Mai 1992 wollte Falcone ein Wochenende in seiner Heimat Palermo verbringen. Auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt fiel er einem Bombenattentat der Mafia zum Opfer.

Ganz Italien fragt sich noch heute, wie die Mafia von der streng geheim gehaltenen und kurzfristig verlegten Fahrt Falcones wissen konnte – Verräter in den eigenen Reihen.

Bei der Trauerfeier für Falcone in der Chiesa San Domenico gaben ihm Tausende Bürger Palermos das letzte Geleit. Während er in den letzten Jahren beruflich sehr isoliert war, hatte sich in der Zwischenzeit ein viel größerer Teil der Bevölkerung als je erwartet auf seine Seite gestellt.

Wenige Monate nach der Ermordung Falcones ermordete die Mafia auch seinen Freund und Kollegen Borsellino.

Im ersten Entsetzen prophezeite Antonino Caponetto, der ehemalige Chef der beiden Ermordeten, das Ende der Anti-Mafia-Arbeit. Es zeigte sich aber, dass die Gewaltorgien der Mafia ihr selber am meisten schadeten.

Die Nachfolger von Falcone und Borsellino waren in der Zeit von 1992 bis 1994 so erfolgreich, dass man von einer magischen Zeit sprach.

Dafür waren zwei Gründe ausschlaggebend:
Die erfolgreiche Vorarbeit von Falcone und seinen Freunden. Kurz vor Falcones Ermordung hatte eine Gruppe von Staatsanwälten und Richtern in Mailand eine Lawine von Korruptionsverfahren losgetreten.

Sie brachte das politische System zum Einsturz und 1994 Berlusconi an die Macht.
Die Zeit von 1992 bis 1994 war in ganz Italien eine Phase des Aufräumens und daher ideal für die Arbeit gegen die Mafia.
Auch Antonino Caponetto änderte seine Meinung, beendete seinen Ruhestand und wurde in Palermo politisch aktiv. Am wichtigsten war aber wohl seine unermüdliche Anti-Mafia-Aufklärungsarbeit in Italiens Schulen.
Von der katholischen Kirche gab es ebenfalls deutliche Worte zum Thema Mafia.

Die große Anteilnahme der Bevölkerung an der Trauerfeier für Falcone zeigte, dass schon lange ein Großteil der sizilianischen Bevölkerung auf seiner Seite stand. Nach seiner Ermordung setzte sich dieser Meinungsumschwung weiter fort. Viele Bürger drücken noch heute ihre Solidarität mit Falcone aus. Sie heften Nachrichten und Bilder an den Baum von Falcone. Dieser steht vor dem Haus, in dem sich seine Wohnung befand.

Nach dem Amtsantritt von Berlusconi befürchteten viele ein Nachlassen des Kampfes gegen die Mafia. Dem war nicht so. Mittlerweile ist die gesamte erste und zweite Führungsebene der alten Garde tot oder hinter Gittern.

In Palermo spricht man von einer Wiedergeburt der Stadt. Besonders die alten, in der Nachkriegszeit so heruntergekommene Viertel wie die Kalsa, in der Falcone seine Kindheit verbrachte, werden Straßenzug um Straßenzug renoviert. Palermo ist heute sicherer als jede norditalienische Großstadt und Sizilien ins-gesamt eines der sichersten Reisegebiete in Europa.

Trotz allem existiert die Mafia auf lokaler Ebene nach wie vor. Man schätzt, dass in Palermo immer noch 80 % aller Geschäfte Schutzgeld – Pizzo – zahlen. Dabei ist die Höhe des Schutzgelds weniger belastend als die Einmischung der Mafia in die geschäftlichen Angelegenheiten.

Die Beendigung des Schutzgeld-Unwesens zählt zu den wichtigsten Aufgaben der Antimafia-Organisation Addiopizzo – Tschüss Schutzgeld. In ihr sind schon weit mehr als 700 Unternehmen zusammengefasst.
Addiopizzo ist geprägt von vielen jungen Leuten. Sie verkörpern eine ganz neue Generation sizilianischer Bürger. Falcone wäre stolz gewesen auf die Ragazzi di Addiopizzo.

Quelle: Britta Bohn

© Uschi Agboka, 2016
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Da die Facebook-Gruppen-Reisen in 2013 und 2014 (Venedig und Turin) ein Erfolg waren, haben wir beschlossen, auch in 2015 wieder einen gemeinsamen Ausflug zu machen. Palermo sollte unser Ziel sein. Drei Teilnehmer aus Deutschland – Anneken, Mario und Uschi, hinzu kamen Ursula aus Ungarn und Ute aus der Toskana.
Details:
Aufbruch: 01.11.2015
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 08.11.2015
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Uschi Agboka berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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