Nordkorea - Oktober 2016

Reisezeit: Oktober 2016  |  von Nick H.

Tag 3 - Zeitreise durch Pjöngjang

Noch etwas müde schalte ich den Fernseher des Hotelzimmers ein. Es läuft der "Flammensender", wie wir das Koreanische Zentralfernsehen (der einzige landesweite Fernsehsender) aufgrund seines entsprechend aussehenden Logos nennen.

Da das Frühstücksfernsehen in Deutschland ja auch nicht gerade das Nonplusultra ist, arrangiere ich mich schnell mit der mitreißenden traditionell-koreanischen Volksmusik. Es laufen sogar Karaoke-Texte mit, die mich zum Mitsingen animieren sollen. Aufgrund der spärlich vorhandenen Koreanischkenntnisse muss ich mich auf gelegentliches Kopfnicken beschränken. Nur kurz bin ich über die Unterlegung der fröhlich klingenden Musik mit Bildern von Torpedos, fallenden Bomben und marschierenden Soldaten irritiert. Man lernt hier schnell, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind.

Hier und hier gibt es zwei Beispiele für das nordkoreanische Fernsehen.

Frühstücksfernsehen in Nordkorea - Karaoke und Torpedos

Frühstücksfernsehen in Nordkorea - Karaoke und Torpedos

Voller Vorfreude auf ein Rührei - frisch zubereitet vom Michelangelo unter den Rührei-Köchen - betrete ich den Frühstücksraum. Auch heute zaubert er wieder voller Inbrunst etwas so Akkurates auf meinen Teller, dass niemand ernsthaft an seiner ideologisch einwandfreien Gesinnung zweifeln kann. Selbst die Zubereitung des Instant-Kaffees durch eine Angestellte gleicht hier einer kleinen Zeremonie. In all den Tagen der Reise fällt mir immer wieder der Stolz dieses Volkes auf. Man sieht Männer im Anzug über matschige Wege in der Pampa laufen, Frauen in Kleidern kilometerweit auf Fahrrädern im Nieselregen fahren oder eben die Akribie bei kleineren Tätigkeiten wie den oben genannten. Die Menschen sehen stets würdevoll dabei aus, als wollten sie sagen: 'Wenn ich das schon machen muss, dann mache ich es richtig!'. Das beeindruckt mich!

Typisch nordkoreanisch sind wir alleine in einem völlig überdimensionierten Speisesaal. Auch hier läuft der Fernseher und eine Gruppe älterer Herren und Damen zeigt uns auf der Mattscheibe, zu welch lieblicher Musik man Morgengymnastik betreiben kann.

Der Tag verspricht interessant zu werden, da ein paar ganz besondere Punkte auf dem Programm stehen:

- Fahrt mit der Metro
- Besuch des Triumphbogens
- Koreanische Geschenkausstellung
- Besuch des ganz neu eröffneten Sci-Tech-Komplexes ("Palast der Wissenschaft und Technik")
- Spaziergang durch die ebenfalls neue Mirae-Straße (Wohnviertel für verdiente Wissenschaftler)

Wir beginnen mit der Metro. Während eine U-Bahn-Fahrt in Deutschland so spannend wie Knäckebrot ist, vergisst man diese hier nicht so schnell. Die Metro von Pjöngjang verläuft teilweise in über 100 Meter Tiefe. So können die Haltestellen in Kriegszeiten praktischerweise als Schutzbunker verwendet werden. Der Bau des Netzes begann 1968 und besteht heute aus zwei Linien, der Chŏllima- und der Hyŏksin-Linie.

Wir haben erstere genutzt und die Metrostation Puhŭng (부흥 = Wiederauferstehung) nach einer langen Rolltreppenfahrt erreicht. In einigen Reiseberichten heißt es, dass das Metronetz gar nicht "echt" sei und die Bevölkerung dieses nicht wirklich nutze. Oder dass nur die zwei Haltestellen existieren, die die meisten Touristen zu Gesicht bekommen.

Rolltreppe zur Metrostation Puhŭng

Rolltreppe zur Metrostation Puhŭng

Beides ist nicht der Fall. Schon auf dem Weg "nach unten" strömen uns jede Menge Personen entgegen. Falls das Statisten für unsere persönliche Truman-Show sind, ziehe ich meinen Hut vor dem Organisationsgeschick und Schauspieltalent unserer Gastgeber! Unten angekommen bietet sich uns eine spektakuläre Szenerie! Untermalt von lauter "sozialistischer Arbeitermusik" aus diversen Lautsprechern schweift mein Blick über eine pompöse Haltestelle, die sich vor der Moskauer Metro nicht zu verstecken braucht. Die Reliefs und Mosaike dieser Haltestelle stehen unter dem Motto "Arbeit" und zeigen eine florierende Industrie + Landwirtschaft. Das zentrale Wandbild „Der Große Führer Kim Il-sung unter Arbeitern“ misst 15,8 Meter x 9,25 Meter.

Eine seltsam vertraut aussehende Bahn fährt in den Bahnhof ein...und tatsächlich, es handelt sich um ein ehemaliges Gefährt der Berliner U-Bahn! Für die Fachleute: "Typ D ('Dora'), Züge aus dem ehemaligen West-Berlin, Großprofil, hergestellt zwischen 1957 und 1965. 108 Doppeltriebwagen. Im Einsatz seit 1999 in Pjöngjang."

Unsere Reiseleiter meinen entschuldigend, dass inzwischen auch neuere Bahnen parallel zu den Berliner Wagen in Betrieb sind, wir jetzt aber leider Pech gehabt hätten. "Klar, und der BMW ist auch nur in der Werkstatt", denke ich boshaft. Eine Haltestelle später fährt eine nagelneu aussehende Bahn an mir vorbei. Ich schäme mich ein wenig. Zwei Tage und schon zweifle ich chronisch jede Aussage hier an. Mit einem "Die sehen aber wirklich modern aus!" versuche ich, mein Karma wieder ins Gleichgewicht zu rücken.

Fairerweise muss man anmerken, dass die neuen Bahnen eventuell gar keine neuen sind, ha! Wikipedia: "Obwohl Nordkorea behauptet, dass es komplette Neubauten sind, erkennt man an vielen Details, dass es nur erneuerte Wagen des Typs D sind. So sind die Drehgestelle und die Wagengrundplatte zur Baureihe D absolut identisch, auch die Anordnung und Größe der Fenster und Türen sind 1:1 die der Baureihe D. Geändert wurde lediglich der neu designte Fahrzeugkopf und der Aufbau für die Klimaanlage etc. auf dem Dach, auch die Inneneinrichtung ist komplett erneuert worden."
...das wusste ich vorher natürlich!

Metrostation Puhŭng samt altem Berliner U-Bahnwagen

Metrostation Puhŭng samt altem Berliner U-Bahnwagen

Metrostation Puhŭng - Rushhour

Metrostation Puhŭng - Rushhour

Florierende Industrie

Florierende Industrie

Florierende Landwirtschaft

Florierende Landwirtschaft

Zentrales Wandbild „Der Große Führer Kim Il-sung unter Arbeitern“

Zentrales Wandbild „Der Große Führer Kim Il-sung unter Arbeitern“

Wir steigen in den zuerst einfahrenden alten Berliner Wagen ein. Früher war es wohl so, dass man als Tourist ein komplett eigenes Abteil bekommen hat. Heute kann man unter strenger Beobachtung zusammen mit den Einheimischen fahren. Einer meiner Mitreisenden macht allerdings den Fehler, einer Dame seinen Sitzplatz anzubieten. Diese nett gemeinte Geste lässt alle Farbe aus dem Gesicht der armen Frau weichen. Sie blickt zwischen uns und unseren Begleitern hin und her, bis sie schließlich schnell aufsteht und sich entfernt. An der Völkerverständigung muss hier noch ein wenig gearbeitet werden. Immerhin winkt ein kleiner Junge schüchtern und ein alter Mann schaut uns offen und lächelnd an. Vielleicht denkt er, dass ihm in seinem Alter ehe niemand mehr etwas kann. Alle anderen schauen stur auf den Boden. Auf den Fensterscheiben des Wagons sieht man tatsächlich noch das Scratching einiger Berliner, die sich hier vor etlichen Jahren verewigt haben. Am Kopfende des Wagons hängen Bilder der Führer. Wahnsinn!

Schon an der nächsten Haltestelle geht es für uns raus. Die Metrostation Yŏnggwang (영광 = Blühendes Licht) ist in einem anderen Stil, aber ähnlich prachtvoll gestaltet. Überall Marmor, Kronleuchter und Fresken! Das Highlight sind hier zwei jeweils 80 Meter(!) lange Wandmosaike, die die westlichen und östlichen Uferpromenaden Pjöngjangs mitsamt seiner prägnanten Gebäude darstellen. Die Gleise und der Bahnsteig bilden somit symbolisch den Fluss Taedong.

Metrostation Yŏnggwang - Die einheimische Bevölkerung liest die Tageszeitung

Metrostation Yŏnggwang - Die einheimische Bevölkerung liest die Tageszeitung

Metrostation Yŏnggwang

Metrostation Yŏnggwang

Metrostation Yŏnggwang

Metrostation Yŏnggwang

Metrostation Yŏnggwang - Mosaik des Westufers samt Großer Studienhalle des Volkes

Metrostation Yŏnggwang - Mosaik des Westufers samt Großer Studienhalle des Volkes

Metrostation Yŏnggwang - Mosaik des Ostufers samt Juche-Turm

Metrostation Yŏnggwang - Mosaik des Ostufers samt Juche-Turm

Nun folgt eine Überraschung! Wider Erwarten verlassen wir nicht die Metro, sondern fahren ganze vier Stationen weiter! Diese sind nicht so prunkvoll und werden vielleicht deshalb weniger häufig vorgezeigt. Schöner und vor allem sauberer als die meisten deutschen Bahnhöfe sind sie dennoch allemal. Ich kann somit jedenfalls die Existenz von mindestens sechs Haltestellen bezeugen.

An der Station Kaesŏn (개선 = Triumphale Wiederkunft) erblicken wir schließlich wieder das Tageslicht und befinden uns direkt beim Triumphbogen (Kaesŏnmun). Ebenfalls in unmittelbarer Nähe liegt das Kim-Il-sung-Stadion, das mit 70.000 Zuschauerplätzen das zweitgrößte in Nordkorea ist.

Metrostation Kaesŏn - Kim Il-sung is watching you!

Metrostation Kaesŏn - Kim Il-sung is watching you!

Metrostation Kaesŏn - Titel des Wandbildes: "The People Rise up in the Building of a New Country"

Metrostation Kaesŏn - Titel des Wandbildes: "The People Rise up in the Building of a New Country"

Kim Il-sung hat zum 70. Geburtstag nicht nur den Juche-Turm geschenkt bekommen bzw. sich selbst geschenkt, sondern auch ebendiesen Triumphbogen. Da er drei Meter höher ist als sein Pendant in Paris (Arc de Triomphe de l’Étoile), handelt es sich hier um den höchsten Triumphbogen der Welt. Warum? Weil es geht!

Tatsächlich ist er sehr beeindruckend und die Eckdaten (Höhe, Breite, Anzahl Steine, usw.) wieder voller Symbolik. Auf der Vorderseite des 500-Won-Scheines von 2008 und als Wasserzeichen auf dem 100-Won-Schein von 1992 kann man ihn begutachten. Naja, könnte man, wenn man die einheimische Währung überhaupt besitzen dürfte.

Triumphbogen (Kaesŏnmun)

Triumphbogen (Kaesŏnmun)

Kim-Il-sung-Stadion

Kim-Il-sung-Stadion

Bereits vor Reiseantritt wurde uns mitgeteilt, dass die "Internationale Freundschaftsausstellung" aufgrund einer Überschwemmung nördlich von Pjöngjang nicht erreichbar sei. Hierbei handelt es sich um eine Art Museum, das tief in einen Berg des Myohyang-Gebirges getrieben wurde. Auf 50.000qm werden rund 225.000(!) Geschenke ausgestellt, die den Führern durch Partei- und Staatschefs, politische Parteien, Organisationen und berühmte Personen aus dem Ausland gemacht wurden.

Zwar ist es schade, dass wir diesen Ort nicht besuchen können, jedoch soll es aufgrund der Größe unmöglich sein, auch nur annähernd alles dort zu sehen. Daher bin ich mit der Alternative, eine kleinere Geschenkausstellung, in der die Geschenke koreanischer Personen des In- und Auslandes ausgestellt sind, durchaus zufrieden.

Etwas außerhalb von Pjöngjang taucht irgendwo im Nirgendwo auf einmal ein riesiger "Kasten" auf, der von schwer bewaffneten Soldaten bewacht wird. Nachdem wir eintreten, werden wir - wie so oft - von Prunk und Marmor erschlagen. Was das wieder gekostet haben muss! Die perfekte Fassade erleidet jedoch leichte Risse, als es bei unserem Toilettenbesuch kein fließendes Wasser gibt. Die Priorisierung zwischen Neubau und Instandhaltung wird hier frei nach Peter Fox gelebt: "...wenns dir nicht gefällt, mach neu!"

Fotografieren darf man im Museum leider nicht, daher muss ich die folgende Szene aus der Erinnerung bzw. mithilfe von Google Bilder beschreiben. Zunächst aber: Verbeugung vor einer Führerstatue, gemessenen Schrittes in den Hauptraum schreiten und aufmerksam dem Local Guide zuhören...soweit, so bekannt.

Dann aber wird uns - aus all den prächtigen Geschenken, die hier herumstehen - unbedingt das eine Geschenk ausführlich präsentiert, das mich beinahe ins Straflager gebracht hätte! Es soll keine Respektlosigkeit ausdrücken, aber ich war einfach nicht auf das gefasst, was nun folgt...

Einige kennen sicher das Spaßfoto, auf dem Wladimir Putin oben ohne auf einem Bär reitet (Google Bildersuche: "Putin Bär"). Nun ja...Peanuts! Der Local Guide zeigt uns eine Art großen Wandteller mit unverkennbarem Stolz auf dieses spezielle Exponat. Ich kann erst gar nicht glauben, was darauf abgebildet ist: Es handelt sich um den etwas untersetzten Kim Jong-il, wie er in einer silber-goldenen Römerrüstung samt rotem Umhang und Erich Honecker-Gedenk-Hornbrille auf einem Sibirischen Tiger reitet. Das habe ich mir jetzt nicht ausgedacht! Und es ist ganz offensichtlich nicht als Witz gedacht. Verdammt!

Wir wissen alle, was passieren kann, wenn man über einen der Führer lacht. Wir wissen aber auch alle, was passiert, wenn man in einer bestimmten Situation auf gaaar keinen Fall lachen darf.

Damit der ein oder andere vielleicht ein bisschen mehr Verständnis für meine prekäre Situation aufbringt... Google Bilder: "Kim Jong Il Tiger".

Am Bildschirm zu Hause wirkt es sicher nicht so extrem wie für mich in einem tausende-Quadratmeter-großen Marmorpalast samt schwerbewaffnetem Wachpersonal und weiblichem Guide, deren Stimme vor Stolz bebt.

Der Augenblick, meine Fingernägel mit aller Kraft in meine Handinnenflächen zu rammen, ist gekommen. Der Schmerz verhindert Schlimmeres. Gerade so. Es wäre sicher schwer geworden, den entgeisterten Koreanern klar zu machen, dass ich es nicht despektierlich meine, sondern dass ein solcher Anblick eines Würdenträgers für mich einfach...ungewohnt ist. Unsere Kanzlerin im Amazonengewand auf den Schwingen eines Kondors im Reichstag hängend hätte wohl den gleichen Effekt.

Um noch ein Beispiel (dieses Mal aus der "Internationalen Freundschaftsausstellung") für das Kaliber der Geschenke zu bringen, kann man noch "North Korea Alligator" bei Google Bilder eingeben. Sollte ein aufrecht stehendes Krokodil auftauchen, das ein Tablett mit Holzbechern trägt... Jep, auch dieses Exponat existiert in genau dieser Form. Ansonsten gibt es dort Dinge wie Stalins gepanzerte Limousine, ein Sturmgewehr von Fidel Castro, signierte Basketbälle von Dennis Rodman oder einen ganzen Zug von Mao.

Dank eines übermenschlichen Kraftaktes und purer Selbstbeherrschung wahren wir alle halbwegs unser Pokerface: "Interessant!". Wir gehen weiter.

Am Ende stellt einer der Mitreisenden die Frage, ob theoretisch auch von uns ein Geschenk in der "Internationalen Freundschaftsausstellung" ausgestellt werden könnte. Unsere Führer lächeln und sagen irgendetwas Unverbindliches. Ich glaube, das heißt "Nein". Wir sind unwürdig.

Koreanische Geschenkausstellung

Koreanische Geschenkausstellung

Koreanische Geschenkausstellung

Koreanische Geschenkausstellung

Blick vom Balkon der Koreanischen Geschenkausstellung - Wie der Parkplatz offenbart, sind wir alleine vor Ort.

Blick vom Balkon der Koreanischen Geschenkausstellung - Wie der Parkplatz offenbart, sind wir alleine vor Ort.

Erleichtert und mit leichten Schmerzen in der Handinnenfläche geht es zum Bus. Bevor es zurück nach Pjöngjang und zurück in die Zukunft (Sci-Tech Complex) geht, machen wir eine kleine Wanderung durch das Ryong-Ang(?)-Gebirge (Drachengebirge) zu einer buddhistischen Einsiedelei.

Das Thema "Religion" ist auch so eine Sache. Offiziell gibt es Religionsfreiheit in Nordkorea (garantiert in Artikel 68 der Verfassung). Mehrfach wird uns erzählt, dass es christliche Kirchen und buddhistische Klöster im Land gibt. Aber wehe, du lässt dich mit einer Bibel erwischen!

Naja...Artikel 67 der Verfassung garantiert ja auch (mit Einschränkungen) die Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Scheinbar alles dehnbare Begriffe hier.

Ob der Mönch in der Einsiedelei "echt" ist oder für solche Vorzeigezwecke herhalten muss...ich weiß es natürlich nicht. Landschaftlich schön ist es im Drachengebirge! Der Ort wird daher unter anderem für Hochzeiten genutzt.

Drachengebirge

Drachengebirge

Buddhistische Einsiedelei im Drachengebirge

Buddhistische Einsiedelei im Drachengebirge

Erntezeit - selten eine so akkurate Heuballenanordnung gesehen

Erntezeit - selten eine so akkurate Heuballenanordnung gesehen

Wie oben auf dem Bild zu sehen ist, herrscht momentan Erntezeit. Daher sehen wir auf den Feldern zwischen Drachengebirge und Pjöngjang (und auch sonst im Land) wirklich viele Menschen auf den Feldern arbeiten. Vereinzelnd befinden sich dort auch Kinder, aber ich kann nie mit Bestimmtheit sagen, ob sie dort wirklich mithelfen müssen. Zumindest in den Regionen, die wir besucht haben (Süden des Landes) treffen wir immerhin kein Mal auf einen offensichtlich unterernährten Menschen. Technische Geräte oder gar Maschinen wie einen Traktor vermisst man allerdings weitestgehend bei der Ernte. Gerade bei Reisfeldern, auf denen man teilweise mehr als knöcheltief im Wasser steht, ist das wahrlich eine sch*** Arbeit.

Zunächst steht nun unser Mittagessen auf dem Plan. Und in einem nordkoreanischen Restaurant offenbart sich immer wieder - gerade im Zusammenspiel mit unseren Ernte-Beobachtungen von eben - warum eine Planwirtschaft nicht richtig funktioniert.

Im Restaurant treffen wir auf sage und schreibe acht Kellnerinnen. Hinzu kommen sicher noch mehrere Personen, die in der Küche arbeiten. An Gästen gibt es...uns. Wenn es 15 Planstellen für dieses Restaurant gibt, werden auch 15 Personen beschäftigt! Das Restaurant muss ja keinen Gewinn abwerfen. Und dass sich die Personen auf den Feldern sicher über weitere Hilfe gefreut hätten, ist auch egal.

Nordkorea ist das perfekte Reiseland für Menschen mit Klaustrophobie

Nordkorea ist das perfekte Reiseland für Menschen mit Klaustrophobie

Die spannendsten Beobachtungen während der Reise sind eigentlich immer die kleinen, unauffälligen Szenen des Alltags. Dinge, die nicht von unseren Reiseleitern "geskriptet" sind. Personen, die nicht für uns bestellt wurden oder im Optimalfall gar nichts von uns mitbekommen.

Wie hier (s.u.) diese zwei Jungen, die Arm in Arm und in Fußballtrikots gekleidet an einem Kiosk stehen und sich gerade vielleicht etwas Süßes kaufen. Selbst wenn Pjöngjang eine Oase der privilegierteren Einwohner ist...für viele Menschen (sicherlich nicht alle) gibt es diesen "normalen" Alltag. Auch auf dem Land sehen wir oft Personen, die keine Kenntnis von unserer Anwesenheit haben, miteinander scherzen und lachen. Als Deutscher fällt einem ein Lachen auf offener Straße durchaus auf, so etwas kennen wir von zu Hause ja nicht.

Alltag in Pjöngjang

Alltag in Pjöngjang

Nun aber auf zum Sci-Tech Complex!

Wikipedia: "Der Palast der Wissenschaft und Technik (과학기술전당건설장) bzw. Sci-Tech Complex ist ein Forschungs- und Studienzentrum. Das Institut dient nicht nur der Forschung und der Entwicklung, sondern auch der Ausbildung. Das Äußere des Gebäudes ähnelt einem Atom. Weiterhin gibt es hier Plätze für Fernstudium, Konferenzen, Symposien und Ausstellungen. Für Kinder gibt es einen Erlebnisbereich, Traumhalle genannt, und ein Museum für die Entwicklungsgeschichte der Wissenschaft und Technik wurde eingerichtet. Die Gesamtfläche beträgt 106.600 m² und wird damit fast so groß wie die der Großen Studienhalle des Volkes ausfallen. Für den Bau wurden größtenteils Angehörige der Koreanischen Volksarmee eingesetzt. Kim Jong-un besuchte die fertiggestellten Gebäude am 28. Oktober 2015. Die offizielle Eröffnung fand am 1. Januar 2016 statt."

Ich muss schon sagen... Auch hier wurde mal wieder geklotzt und nicht gekleckert! Vergleichbares gibt es in Deutschland (wie sollte es anders sein) nicht.

Sci-Tech Complex von der Chungsong Bridge aus betrachtet

Sci-Tech Complex von der Chungsong Bridge aus betrachtet

Sci-Tech Complex

Sci-Tech Complex

Vorplatz des Sci-Tech Complex

Vorplatz des Sci-Tech Complex

Modell des Sci-Tech Complex

Modell des Sci-Tech Complex

In einer größeren Halle sehen wir schließlich eine kreisrunde Vertiefung, in der sich Sitzreihen um eine gewaltige Kugel mit Projektionsfläche anordnen. Auf einem der Sitzplätze befindet sich ein kleines, unscheinbares Schild. Ich ahne es bereits: 'Das wird doch nicht etwa...?!' ...eben doch!! Hier saß der leibhaftige General Kim Jong-un! Völlig klar, dass auf diesem Platz seitdem nie mehr jemand anderes saß.

Links unten das Schild auf dem Platz, auf dem Kim Jong-un saß

Links unten das Schild auf dem Platz, auf dem Kim Jong-un saß

Zunächst schauen wir einen Bereich an, in dem Medizinstudenten an Modellen, aber auch an Computern, die über eine Art Intranet verfügen, lernen können.

Medizinische Abteilung des Sci-Tech Complex

Medizinische Abteilung des Sci-Tech Complex

Medizinische Abteilung des Sci-Tech Complex

Medizinische Abteilung des Sci-Tech Complex

Weiter geht es in die Haupthalle. Hier steht das Modell einer Rakete, die bis in den 3. Stock reicht. Im wahrsten Sinne des Wortes überragend!

Haupthalle des Sci-Tech Complex samt Rakete

Haupthalle des Sci-Tech Complex samt Rakete

Haupthalle des Sci-Tech Complex samt Rakete

Haupthalle des Sci-Tech Complex samt Rakete

Uns wird erklärt, dass man hier spielend lernen soll. So gibt es viele Stationen, an denen z.B. physikalische Grundgesetze durch praktische Versuchsanordnungen erläutert werden. Wir dürfen vor Versuchsstart jeweils tippen, was wohl passieren wird. Meist liegen wir daneben. Ungebildete Westler!

Wir kommen zu meinem Lieblingsbereich, der "Traumhalle" für die Kinder!

Erlebnisbereich/Traumhalle im Sci-Tech Complex

Erlebnisbereich/Traumhalle im Sci-Tech Complex

Mein erster Blick fällt auf drei kleine Fahrräder, auf denen die Kleinsten - wenn sie nur fest genug in die Pedale treten - Strom erzeugen und eine Lampe leuchten lassen können.

Kurz frage ich mich, ob die Rädchen wohl an den zentralen Stromkreislauf angeschlossen sind. Ich muss bei den Bildern, die unweigerlich in meinem Kopf entstehen, grinsen: Drei Soldaten mit viel zu großen Militärhüten, die auf den Kinderrädern strampelnd die Stromversorgung des Gebäudes sicherstellen.

Ich habe noch nicht ganz diese absurden Bilder aus meinen Gedanken verbannt, als ich auf einmal vor circa zehnjährigen Kindern stehe, die an einem Simulator das Kampfpanzerfahren samt Zielerfassung üben. Bitter, wenn die Realität skurriler ist als die eigene Phantasie!

Kinder beim "Panzerfahren" im Sci-Tech Complex

Kinder beim "Panzerfahren" im Sci-Tech Complex

Es gibt allerdings auch pazifistischere Stationen, an denen die Kinder nordkoreanisches Lego-Duplo oder per entsprechendem Wii-Klon Badminton spielen können.

Sci-Tech Complex

Sci-Tech Complex

Sci-Tech Complex

Sci-Tech Complex

Vom Sci-Tech-Komplex aus geht es weiter zum nächsten Programmpunkt: Ein Geschichtsmuseum in Pjöngjang.

Kurze Anekdote: Beim Hineingehen ins Museum wird uns plötzlich von den Reiseleitern mitgeteilt, dass wir drinnen nicht fotografieren dürfen, gerne aber unsere Kameras zur Verwahrung im Bus abgeben können. Äääähm...

Wir stehen also vor der Wahl, entweder unsere Kameras samt Fotos für 1-2 Stunden abzugeben oder aber die Kameras trotzdem mit ins Museum zu nehmen und uns verdächtig zu machen. Da ich nichts Dramatisches fotografiert habe, entschließe ich mich zur Abgabe meiner Kamera. Sollen sie doch nachsehen. Ein Mitreisender behält seine Kamera, was geduldet wird. Jedoch wird diese Kamera später im Bus vom Reiseleiter in die Hand genommen ("Darf ich mal sehen...?") und ehe man sich versieht, scrollt er auch schon ungefragt durch die Fotos. Laut späterer Aussage eines Mitreisenden wurde der SD-Kartenschacht seiner Kamera, der sowieso schon aufgrund des Alters beschädigt war, minimal mehr beschädigt während der Zeit im Museum. Naja...wie auch immer, wahrscheinlich werden hier unsere bisherigen Fotos kontrolliert...was soll's! Gelöscht wurde nichts.

Eine weitere schöne Anekdote im Museum ist der Stromausfall. Das Museum zeigt die Geschichte Koreas und ist daher logischerweise in historischer Chronologie aufgebaut. Mitten in der Erzählung des weiblichen Local Guides wird es auf einmal stockfinster. Keine 20 Sekunden später kommen zwei Frauen angelaufen, die uns mithilfe der Taschenlampenfunktion ihrer Smartphones den Weg aus dem Raum hinaus leuchten. Man kennt diese Situation hier offenbar und ist vorbereitet. Da andere Räume - im Gegensatz zum aktuellen Raum - über Fenster verfügen und man daher dort während eines Stromausfalls mehr sieht, überspringen wir einfach mal Hunderte Jahre der koreanischen Geschichte. War sicher nicht so wichtig...

Nun fahren wir zu einer nordkoreanischen Zaubershow! Vorher allerdings ein paar Eindrücke aus dem fahrenden Bus, die auf dem Weg dorthin entstanden.

Plattenbau XXL

Plattenbau XXL

Von alt nach neu...

Von alt nach neu...

Ryugyŏng-Hotel

Ryugyŏng-Hotel

Das vorherige Bild mit der Baustelle rechts vom Ryugyŏng-Hotel erinnert mich an eine weitere schöne Geschichte: Als wir eines Tages an einer solchen Baustelle vorbeifahren, sehen wir Dutzende Arbeiter fleißig werkeln. Nur irgendwo im fünfzehnten Stock sitzt ganz am Rande der Etage ein älterer Herr auf einem Schemel und lässt sich – mitsamt Friseurkittel! – die Haare mitten auf der Baustelle schneiden, während er über Pjöngjang blickt...

Zur Zaubershow: Klingt komisch, aber es stellt sich heraus, dass sie eines der normalsten Erlebnisse im Land werden soll: Kartentricks, zersägte Frau, ein paar Scherze: Eine Zaubershow eben. Da sieht man außerhalb der Show mehr Illusionen in Nordkorea...

Spannend ist hier eher wieder das Drumherum. Wir sind spät dran, die Reiseleiter daher etwas nervös. Als wir endlich mit dem Bus ankommen, betreten wir eine bereits annähernd komplett gefüllte Halle (vielleicht 200-300 Personen). Alle Augen sind auf uns gerichtet. Plötzlich steht in Reihe 2 ein Herr auf, der uns offenbar vier der besten Plätze reserviert hat. Wir sitzen noch nicht ganz, da startet auch schon die Show. Haben hier gerade wirklich 300 Koreaner auf vier Westler gewartet? In diesem Fall glaube ich tatsächlich fast...ja! Mann, kein Wunder, dass einige Nordkoreaner nicht so gut auf das Ausland zu sprechen sind! Während der Show werden wir immer wieder von anderen Zuschauern beobachtet. Ich glaube, es ist nicht alltäglich, dass Westler einer solchen Show beiwohnen. Wir sind ja auch nur hier, weil der Staatszirkus angeblich renoviert wird. Es erschien uns die spannendere Wahl zu sein im Vergleich zum anderen Alternativprogramm, einer koreanischen Staatsoper. Das wäre sicher schwere Kost geworden (und natürlich perfekt), aber ist Geschmackssache. Allein die Tatsache, dass wir zwei Alternativen zum ursprünglichen Programm bekommen haben, ist ja positiv hervorzuheben.

Nordkoreanische Zaubershow

Nordkoreanische Zaubershow

Nordkoreanische Zaubershow

Nordkoreanische Zaubershow

Nordkoreanische Zaubershow

Nordkoreanische Zaubershow

Nach der Show steigen wir in den frisch aufgetankten Bus. Uns fällt auf, dass der Bus jeden Tag aufgetankt wird. Merkwürdig! Allerdings wird der ein oder andere sicher die Geschichten der toten nordkoreanischen Fischer, die mit ihren Booten in Richtung japanischer Küste gespült werden, kennen. Damit hat es folgendes auf sich: Angeblich dürfen Fischer in Nordkorea nur genau so viel tanken, um zu ihren Fischgründen und zurück zu gelangen. Andernfalls wäre die Fluchtgefahr per Boot offenbar zu groß. Kommen diese Fischer in ein Unwetter oder werden abgetrieben, reicht ihr Treibstoff nicht mehr für ihren Rückweg, sodass sie teilweise wochenlang auf offener See herumtreiben und einige von ihnen tragischerweise tot vor Japans Küsten enden.

Mit diesem Hintergrundwissen formt sich schnell eine Theorie, warum wir so oft tanken müssen. Erschreckend, falls es stimmt!

Für den Abend haben wir die Reiseleiter überredet, noch einen Spaziergang machen zu dürfen. Natürlich nicht alleine und natürlich an einem ausgewählten, abgesegneten Ort. Macht nichts, es soll trotzdem sehr beeindruckend werden!

Per Bus fahren wir in die Mirae-Straße. Es handelt sich um einen für verdiente Wissenschaftler der staatlichen Technischen Universität "Kim Ch’aek" neu angelegten Straßenzug, der im Oktober 2015 fertiggestellt wurde. Neben modernen Hochhäusern und einer sechsspurigen Fahrbahn gibt es hier Tennis- und Basketballplatz, Kindergarten und Kaufhäuser.

Sagen wir so: Gäbe es einen Ikea-Katalog für Muster-Straßenzüge...so stelle ich mir die werbewirksamen Fotos darin vor! Alles ist noch gepflegter, noch modellhafter, noch "perfekter".

Mirae-Straße

Mirae-Straße

Mirae-Straße

Mirae-Straße

Mirae-Straße

Mirae-Straße

Shopping in der Mirae-Straße

Shopping in der Mirae-Straße

Mirae-Straße

Mirae-Straße

Sportangebot in der Mirae-Straße

Sportangebot in der Mirae-Straße

Ich glaube kaum, dass hier jeder Einwohner Pjöngjangs nach Lust und Laune herumspazieren darf. Uns hingegen wird die Straße logischerweise sehr gerne gezeigt, übermittelt sie doch die optimale Außendarstellung. Als einer meiner Mitreisenden jedoch zu sehr mit seinem Teleobjektiv auf eines der Häuser zoomt, werden wir gefragt, ob es sich bei ihm um einen Spion handelt. Wir lachen nervös. Genau mein Humor! Im Übrigen werden wir an einem anderen Tag, als wir am (dank Stromausfall dunklen) Gerichtsgebäude vorbeifahren, dezent darüber informiert, dass hier Otto Warmbier zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Ich denke, die Message kam bei uns allen an. 'Wagt es ja nicht, Blödsinn zu machen!'

Im Zuge dieser Geschichte muss natürlich noch das Foto der sagenumwobenen "fehlenden" 5. Etage im Aufzug des Yanggakdo-Hotels folgen. Auf diesem für Gäste unzugänglichen Stock gibt es angeblich Überwachungsmonitore, Abhöreinrichtungen und eben auch die - aus dem Fall Otto Warmbier bekannt gewordenen - Propagandaplakate. Unabhängig davon, ob er tatsächlich ein solches geklaut hat oder nicht (und unabhängig davon, dass die Strafe vollkommen unangemessen und grausam war), ist es offenbar bei einigen Besuchern zum "Sport" oder zur Mutprobe geworden, sich über das Treppenhaus hier einzuschleichen und ggf. sogar etwas mitgehen zu lassen. Wem Fallschirmspringen zu langweilig ist...bitte! Empfehlen kann ich es nicht.

Wer sich für genauere Informationen über die Inhaftierung von Ausländern interessiert, kann im letzten Kapitel "FAQ" bei der Frage "Ist Nordkorea nicht viel zu gefährlich? Könnte ich inhaftiert werden? nachlesen.

Fehlende 5. Etage im Aufzug des Yanggakdo-Hotel

Fehlende 5. Etage im Aufzug des Yanggakdo-Hotel

© Nick H., 2017
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Achttägige Rundreise durch die Demokratische Volksrepublik Korea im Oktober 2016
Details:
Aufbruch: Oktober 2016
Dauer: unbekannt
Heimkehr: Oktober 2016
Reiseziele: Nordkorea
Der Autor
 
Nick H. berichtet seit 7 Jahren auf umdiewelt.