Burkina Faso im Schnelldurchgang - ein westafrikanisches Tagebuch
Ouagadougou
Dienstag, 20.11.2001
Der nächste, der sich mir als Führer anbietet, ist ein junger Mann, der sich um 8.30 Uhr in der Lobby meines Hotels einfindet. Ich habe ihn noch nie vorher gesehen, vermute, er hat mich gestern am Airport gesehen und hörte, wie ich den Namen des Hotels dem Taxifahrer sagte. Erstaunlich, wie die Leute hier versuchen, Kunden zu finden.
Er ist durchaus symphatisch und hat sich mit zwei dicken Fotoalben bewaffnet, die voller Fotos mit all seinen zufriedenen Kunden sind und würde mir gerne in den eineinhalb Wochen, die ich zur Verfügung habe, viel von seinem Land zeigen. Von Vorteil wäre, daß er auch gut englisch spricht. Ich erkläre ihm, daß ich aber genau das nicht will, hinter einem Führer herdackeln und quasi alles mundgerecht serviert zu bekommen. Ich will meine Erfahrungen mit Land und Leuten lieber selber machen, ungefiltert, auch wenn es etwas mühsamer und anstrengender werden sollte. Dafür erlebe ich dann Afrika pur, so wie es wirklich ist.
Versteht er natürlich nicht, ich bekäme sicher Probleme mit den Leuten, wenn ich z.B. Fotos machen will usw. Mit ihm wäre alles gar kein Problem. Er hat Recht, trotzdem ...
Wir tauschen einige Male unsere unterschiedlichen Standpunkte aus, ohne uns anzunähern, verabreden uns aber für abends im Biergarten. Abends kommt er dann nicht. Egal.
Ouagadougou ist etwas für Chaosforscher. Oder für Selbstmörder, die gerne durch einen Verkehrsunfall oder durch Vergiftung sterben möchten. Das liegt am wachsenden Wohlstand der Bevölkerung. Wie der zustande kommt, ist mir schleierhaft, ist doch Burkina Faso laut einer neuen UNO-Statistik noch immer eines der ärmsten Länder der Erde. Auf jeden Fall äußert er sich dadurch, daß die Leute, vor allem Frauen und Jugendliche, nicht mehr zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren, sondern mit dem Moped oder Mofa.
Mit dem Moped unterwegs in Ouagadougou.
Dazu kommen die schrottreifen Autos, die in Europa nicht mehr durch den TÜV kamen, dann nach Afrika verschifft werden und dort solange auf den Straßen weiterrollen, bis sie auseinanderfallen. Und alle Fahrzeuge stoßen ihre Abgase ungefiltert in die Luft, so daß ständig eine blaue Abgaswolke in den Straßen steht, die zum späten Nachmittag hin so weit ansteigt, daß teilweise sogar die Sicht eingeschränkt ist. Ist auf den breiten Hauptverkehrsstraßen, die nach Pariser Muster alle in irgendwelchen Kreiseln münden, die solch klanghafte Namen wie "Place des Nations" oder "Place des Cineastes" (ja, Ouagadougou ist auch als Stadt der Kinos mit einem berühmten westafrikanischen Kinofestival bekannt) tragen, noch ein halbwegs geordneter Verkehr möglich, so ist auf den nur teilweise asphaltierten Nebenstraßen ein kaum beschreibliches Chaos festzustellen, und in der Nähe von Märkten vermischen sich die Autos, Mofas, Fahrräder, Eselskarren und Fußgänger zu einem kaum zu entwirrenden Knäuel, so daß man selbst als Fußgänger oft stecken bleibt und kaum noch vorwärts kommt.
Der Anblick besonders der allein, oft aber zu zweit, manchmal sogar zu dritt auf dem Mofa sitzenden Frauen ist stets interessant. Wohin die alle fahren, weiß ich nicht, wahrscheinlich zur Arbeit, zur Schule, zum Markt. Die meisten tragen traditionelle Kleidung, d.h. Kleider, lange Röcke, Umhänge aus möglichst buntem Stoff, die islamischen Frauen bevorzugen einfarbige Umhänge und Kopftuch (selbstverständlich kein Schleier) und ihre Kleider wehen auf der Fahrt mit ihren kunstvoll geflochtenen Zöpfen um die Wette. Einige junge Frauen tragen auch kurze Röcke, die dann bisweilen während der Mofafahrt gefährlich nach oben rutschen. Dabei stehen die Frauen in Sachen brutaler Fahrstil ihren männlichen Konkurrenten offensichtlich in nichts nach, drängeln sich an roten Ampeln stets nach vorne und fahren schon los, wenn sie meinen, daß es demnächst eventuell grün werden könnte.
In diesem ganzen Chaos sind die zahlreichen Biergärten ein Hort der Ruhe, den man ansteuern kann, wenn man von dem ganzen Lärm erst mal genug hat. Sie liegen etwas zurückversetzt von der Straße hinter Mauern oder Büschen, sind meist relativ klein und mit Mobiliar versehen, das jederzeit zusammenbrechen kann. Die Prozedur der Bestellung ist überall und immer gleich:
Man setzt sich an einen freien Tisch, die Kellnerin, ein junges Mädchen meist mit "Antennenfrisur" unterhält sich noch eine Weile mit ihren Kolleginnen oder Stammgästen, schlurft dann betont langsam heran, blickt den Gast fragend an, man sagt "une bière, s'il vous plaît", sie fragt nach der Sorte (SO.B.BRA, Brkina, Flag, Castel) und schlurft dann genauso langsam wie sie kam von dannen. Nach 5 Minuten bringt sie wortlos das Bestellte, stellt ein Bastkörbchen mit der Rechnung dazu, bewegt sich im Schneckentempo wieder Richtung Kollegin und vertieft sich in das durch den Gast unterbrochene Gespräch. Nun hat man alle Zeit der Welt, seine Bierflasche zu leeren (es sind meistens 0,65l Flaschen und kosten gut 1 DM), denn ab dann wird man nicht mehr beachtet. Erst wenn man sich durch möglichst laute Rufe bemerkbar macht, kommt sie wieder, bringt erst die leere Flasche weg, kommt wieder, nimmt das Körbchen mit der Rechnung und dem Geld, geht weg, kommt wieder und stellt das Körbchen mit dem Wechselgeld, natürlich wortlos, auf den Tisch.
Möglicherweise hat man ihnen auf der Kellnerinnenschule zumindest zwei Dinge beigebracht.
Erstens, daß zu viele und zu schnelle Bewegungen in der hier immer herrschenden Hitze schaden und zweitens, daß übertriebene Freundlichkeit vom meist männlichen Biergartenbesucher leicht falsch verstanden werden könnte und daher unbedingt zu vermeiden ist.
Eines der größten Feste für die Einheimischen ist neben Weihnachten, Ramadanende und dem Unabhängigkeitstag anscheinend die Eröffnung einer neuen Tankstelle. Das muß ausgiebig gefeiert werden, mehrere Tage. Ein Entertainer, Discjockey sowie eine Reihe hübscher Tänzerinnen werden engagiert, in Tankstellenkleidung gesteckt und los geht die Unterhaltung in Discolautstärke. Das zieht die Massen an, sie stehen in Trauben bis auf die Straße und sorgen so für einen zusätzlichen Verkehrsstau.
Nachmittags ist dann der Grand Marché angesagt, der zentrale größte Markt der Stadt, gegenüber von meinem Hotel. Es scheint eine gewisse Gesetzmäßigkeit im Verhalten von Touristen zu geben. Geht man aus der Hoteltür des Central nach links in Richtung Ave. Mandela, will man sicher zum Air France Büro oder in den nahen Biergarten und wird in Ruhe gelassen. Geht man aber nach rechts, will man wohl zum Markt und massenhaft Souvenirs kaufen. Also stürzen sich die zahlreichen Händler auf den hilflosen Touristen und bombardieren ihn mit Lobpreisungen ihrer Waren.
Daß es hier dermaßen viele Souvenir- und andere Händler gibt, auch Tourist Guides, die ähnlich wie in arabischen Ländern hartnäckig an den Touristen kleben und sie volllabern, überrascht mich sehr. Hätte ich nicht erwartet. Soviele Touris gibt es hier nun wirklich nicht, und wer soll das ganze Souvenirzeug denn kaufen, daß an wirklich Hunderten von kleinen Verkaufsständen angeboten wird, Stoffe, Masken und andere Holzschnitzereien, Bronzefiguren, Messer, Dolche und andere Waffen und vieles mehr. Typisch sind auch die aus leeren Cola- u.a. Dosen hergestellten Gegenstände, meist kleine Autos, Motorräder, Fahrräder oder auch Tiere, die von (behinderten) Jungen hergestellt und angeboten werden. Ein sinnvolles Recycling.
Hat man die Heerschar der Händler erfolgreich abgeschüttelt, kann man eintauchen in das Gewirr des Marktes, der hier zweistöckig ist und in dem unzählige Händler und Marktfrauen in winzigen Läden ihre Produkte anbieten oder Handwerker ihre Waren direkt herstellen. Was es dort zu kaufen gibt? Alles ! Von der Stecknadel bis zum Fernseher, vom BH bis zur Bohrmaschine, einfach alles. Und Lebensmittel natürlich, die Marktfrauen, die Gemüse, Früchte, Fleisch, Gewürze usw. verkaufen stellen das Zentrum jedes westafrikanischen Marktes dar.
Dabei ist alles recht übersichtlich geordnet, die Schneider sitzen an ihren Nähmaschinen dicht an dicht, dann folgen die Tischler mit ihren Werkstätten, die Läden, in denen man z.B. Kühlschränke kaufen kann, stehen nebeneinander und die Frauen, die Kosmetika und Seife anbieten, teilen sich ein Carree. Die Gassen sind so eng, daß kaum ein Sonnenstrahl hier eindringen kann, und so bleibt es relativ kühl.
Ich werde kaum wahrgenommen, niemand sieht mich dumm an, ich kann überall stehenbleiben und schauen. Nur eines darf ich nicht, fotografieren, leider. Das mögen die Leute hier nicht. Die Mohammedaner sowieso nicht und die Animisten (Anhänger von Naturreligionen) denken wahrscheinlich, daß dann die Seele geraubt wird oder ähnliches. Das Thema Fotografieren wird auch noch später für Gesprächsstoff sorgen. Ich ahne das jetzt schon.
Zwischen den einzelnen Aktivitäten, die bei dem Klima viel Anstrengung kosten, ist ausreichend Relaxen besonders wichtig, sei es, im Biergarten oder im Hotelzimmer, wo es dank der Air-Condition angenehm kühl ist und man bei einer uralten Derrick-Folge auf französisch auf RTL9 oder Canal+ herrlich einschlafen kann.
Dann ist man auch gut vorbereitet für den Abend oder die Nacht. Die können nämlich in Afrika zu einem Problem werden. Ab 20 Uhr im Zimmer bleiben will ich nicht, ich könnte ja was verpassen. Aber was soll ich machen? Ins Kino? Die Filme sind auf französisch und uralt. Theater oder so? Gibt's hier nicht? Gutes Restaurant? Ja, allein mit einem guten Buch, ok, ist aber auch nicht abendfüllend. Bar, Disco, Nightclub? Gibt es hier, da geht es aber erst nach Mitternacht los. Damals, in Accra, da hatte ich Glück gehabt, hatte Sylvia kennengelernt, die wußte, wo man wann hingehen konnte. So kam keine Langeweile auf.
Hier gibt es in der Nähe meines Hotels den "Zaka Club" (früher Wassa Club), ein Open Air Restaurant mit Live Musik, ein nettes Plätzchen, wo man für ca. 7 DM das Gericht des Tages, meist Hähnchen oder Fleischspieße mit gut gewürzter Sosse und Reis, bekommen kann, dazu die große Flasche Bier für 2 DM. An diesem Abend spielt eine der typischen einheimischen Percussion-Bands, 7 bis 8 Leute mit verschiedenen Trommeln und dem nationalen Musikinstrument, dem Balafon, eine Art Xylofon. Eigentlich nicht so mein Fall, kommt aber live gut rüber, der Rhythmus geht ins Blut und die Band ist wirklich gut. Ein Mann setzt sich an meinen Tisch, ist sehr nett, war schon mal in Europa als Mitglied einer Delegation auf einem Kongreß in Paris zum Thema "Dersertification", hat wohl was mit dem Vordringen der Wüsten zu tun, aber die Unterhaltung, auf französisch, ist schon allein wegen des Geräuschpegels recht schwierig.
Auch unter den Moskitos hat sich der Club als gutes Plätzchen, um harmlose Touristen zu ärgern, herumgesprochen. Leider vergesse ich häufig, mich vor dem Weggehen mit Autan einzureiben und muß es dann fürchterlich büßen.
Etwa 10 Minuten Fußweg vom Zaka Club entfernt liegt das "Amüsierviertel" Ouagadougous, die Avenue Nkrumah, mit sandsteinfarbenen neuen Wohnblocks, einigen guten Restaurants und Hotels, vor allem aber mit der "in"-Disco "Jimmy's". Das weiß ich aus dem Reiseführer und die Neugier treibt mich dort hin. Es ist bereits kurz vor Mitternacht. Vielleicht ist dort ja schon etwas los.
Ja, dort ist etwas los, wenn auch nicht übermäßig viel. Wie es läuft, bekommt man schnell heraus. Vor der Disco ist eine lange Open Air Theke mit Barhockern, davor zur Straße hin ein paar Tische und Bänke. Der Ort heißt "Pili-Pili", lustiger Name, dort finden sich die Päarchen, die dann ins "Jimmy's" gehen, d.h. man geht zum Tresen, bestellt etwas und sofort kommt ein Mädchen und fragt, ob man ihr auch etwas zu Trinken bestellt. Da ich nicht unhöflich und knauserig erscheinen will, gebe ich natürlich einen aus, bei den Preisen hier kein Thema - und habe ein Probem. Oder gleich mehrere.
Zu den Mädels ist hier allgemein Folgendes zu sagen:
Sie sind schöner als damals in Ghana. Wobei man aber unterscheiden muß. In Burkina gibt es mehr als 60 Stämme. Den überwiegenden Anteil der Bevölkerung, mehr als 50%, stellen die Mossi, die um Ouagadougou herum leben. Die Mossi sind im Durchschnitt recht gutaussehend, die Mädels, die man auf den Straßen sieht, fast alle sehr schlank, mit wilden Frisuren und hübschen Gesichtern. Die Bobos, die mehr im Süden leben und die ich später in Bobo-Dioulasso sehe, sind noch viel hübscher. Bei den meisten Stämmen sind Schönheitsnarben, meist im Gesicht, weit verbreitet. Sie werden bereits im Babyalter beigebracht. Dadurch ist für Eingeweihte auch die Zugehörigkeit zu den einzelnen Stämme erkennbar. Manche Ältere, vor allem Mossi mit Narben an beiden Gesichtshälften von den Schläfen bis zum Kinn und an den Wangen, sind durch diese Narben für unseren westlichen Geschmack ziemlich entstellt, bei Jüngeren scheint dieses Ritual nicht mehr so ausgeprägt zu sein, wenn überhaupt, dann sind die Narben, vorwiegend kleine Ritze an beiden Wangen, recht dezent angebracht. In diesen Fällen kann man dieses Schönheitsideal fast nachvollziehen
Die Mädels, die hier im Pili-Pili anzutreffen sind, sind gar keine Einheimischen. Es hat sich anscheinend eine Art umgekehrter Sextourismus in Westafrika herausgebildet, obwohl die Mädchen hier sicher keine typischen Prostituierte sind. Sie sind oft mit ihren Familien hergekommen, überhaupt ist anscheinend der grenzüberschreitende Reiseverkehr sehr rege. Die Länder Elfenbeinküste, Senegal, Mali, Niger, Burkina haben ja dieselbe Amtsprache, dasselbe Geld, zusammengehörige Stämme sind oft auf mehrere Länder verteilt. Arbeit aber gibt es kaum und so versucht man halt auf diverse Arten, zu Geld zu kommen. Sie stammen aus nahezu allen afrikanischen Ländern, von Algerien bis Angola ist so ziemlich alles vertreten.
Erzählt mir alles "Bébé", eigentlich heißt sie Sikopo, 26 Jahre, aus Trenchville/Cote d'Ivoire. Sie ist sehr nett, sieht nicht so aufgetakelt aus, die einzige mit Jeans. Die anderen sind ziemlich aufreizend angezogen und ziemlich penetrant, manche auch vom Geruch her. Sie nehmen keinerlei Rücksicht auf meine eher rudimentären Französischkenntnisse und reden pausenlos auf mich ein. Es ist schwer, sie wieder loszuwerden. Sikopo redet nur, wenn ich sie frage, will kein Getränk, fragt nicht, ob wir zusammen in die Disco oder ins Hotel gehen. Sehr angenehm, so müßten sich alle benehmen, dann würde es mir hier besser gefallen. Später schaue ich doch noch mal ins Jimmy's, dort ist aber nicht viel los, und so fahre ich bald zurück ins Hotel. Huch, ist ja schon halb drei.
Es wird eine wilde und weitgehend schlaflose Nacht - wegen der Moskitos. Über mein Einreiben mit Autan scheinen sie sich lustig zu machen, lassen mich gewähren und schlagen zu, wenn ich hilflos und ihnen ausgeliefert im Bett liege. Mir bleibt dann nur, die schlimmsten Schwellungen, die solche Stiche bei mir hinterlassen, mit Systral zu bekämpfen. Statt Schlafen bin ich also diese Nacht mit Einreiben beschäftigt.
Aufbruch: | 19.11.2001 |
Dauer: | 11 Tage |
Heimkehr: | 29.11.2001 |