Burkina Faso im Schnelldurchgang - ein westafrikanisches Tagebuch
Eine afrikanische Geschichte
Montag, 26.11.2001
Meine paar Sachen sind schnell gepackt. Wir brechen früh auf, um 6 Uhr, noch im Dunkeln. Wohin, weiß ich nicht. Nach Sindou auf jeden Fall, bizarre Felsformationen, 50 km entfernt. Wo noch hin, hat mir Abou gestern abend noch erklärt, habe ich aber wieder vergessen. Und was es da zu sehen gibt, auch. Kurz nach der Abfahrt eröffnet mir Abou die nächste Programmänderung, gratis vom Reisebüro, speziell für mich, sagt er immer wieder. Ich lasse mich überraschen.
Er hat mittlerweile gemerkt, daß für mich der Alltag hier das eigentliche Abenteuer darstellt. Kompliment. Und so zeigt er mir heute vormittag auch die Felsformationen von Sindou, in jedem Reiseführer beschrieben, großartig, aber so ähnlich wie die Kegel von Fabedougou gestern, nur größer. Vor allem aber, und da macht er die Minuspunkte vom Hipposee gestern dicke wieder wett, zeigt er mir zunächst sein Dorf, in dem er aufgewachsen ist, stellt mir Mama und Papa vor, dann weitere Dörfer oder auch nur kleine Gehöfte, in dem oft nur eine einzelne Großfamilie lebt. Immer tiefer dringen wir in den Busch vor, und ich sehe wieder alles, was Afrika ausmacht, was ich daran so mag, nur dieses Mal noch intensiver, hautnah. In den Dörfern kennt Abou jeden, hält mit den Dorfältesten bzw. mit den Familienoberhäuptern ein Schwätzchen. Seine Freunde sind auch die Freunde der Gastgeber, und so wird mir überall sofort der beste Hocker angeboten, direkt neben dem Dorfhäuptling. Die Eingeborenen können hier kein Französisch, nur Dioula, den Dialekt der Bobo, aber aus ihrer Unterhaltung kann ich unschwer entnehmen, daß es erst mal um mich geht, dann auch um andere Themen. Man ist äußerst freundlich, ich darf überall herumgehen, Fotos sind oft sogar erwünscht, ich soll sie schicken, dann wird sie Abou das nächste Mal mitnehmen.
Ein Alter zieht sogar seine Jagdkleidung an, nimmt sein Gewehr in die Hand und seine Lieblingsfrau an seine Seite für das Foto, ein anderer zieht schnell seine Sonntagsausgehuniform an und nimmt seinen Enkel voller Stolz auf den Arm. Seine Frau darf auch mit drauf, muß aber irgendwas vor ihre entblößte Brust halten. Denn die Frauen laufen hier noch oben ohne rum, die alten zumindest, die jungen tragen bereits T-shirts oder Blusen. Das ist die Konzession an die neue Zeit, ansonsten hat sich das Leben hier im Laufe der Jahrhunderte kaum verändert. Auch die Kinder sind neugierig und stellen sich in Positur. Leider können wir uns überall nur kurz aufhalten, 20 Minuten, eine halbe Stunde, wir müssen ja heute wieder zurück nach Bobo.
Warten auf die Impfung.
Unterwegs, also mitten im Busch, sehen wir einmal eine große Ansammlung von Frauen und Kindern, die in einer langen Schlange anstehen. Es ist der Tag der Schutzimpfung. Dann sehe ich ein Gebäude in L-Form. "Schule?" - "Ja" - "Halt mal bitte an." Ich will gerade ein Foto machen, da sehen uns wohl ein paar Kinder in ihren offenen Klassenräumen, kommen raus, dann immer mehr, rennen auf uns zu und umringen im Nu unseren Jeep, lachen mich um die Wette an. Die Lehrer stehen derweil vor den nun leeren Klassenräumen und fuchteln mit den Armen. Die Kinder sollen wohl wiederkommen und weiter lernen. Abou hat bei dem Menschenauflauf langsam Angst um sein Auto und fährt schnell wieder los. Schade.
Willkommene Pause für die Schulkinder.
So vergehen die Stunden heute viel zu schnell und gegen 15 Uhr treffen wir wieder in Bobo ein. Gegessen und getrunken habe ich heute noch nichts. Abou ist ja Moslem, muß fasten. Das kann dieser deutsche Tourist dann auch gleich mitmachen.
Dieses Mal gibt es kein Problem mit der Hotelsuche, der Kongreß ist wohl zu Ende. Ich nehme das Hotel, wo Henk, der Holländer, gewohnt hat, viel besser wie mein letztes und kaum teurer, ca. 33 DM mit Aircon und kompletten Badezimmer. Abou will heute abend noch mal vorbeikommen, mein Flugticket, das er rückbestätigt hat, vorbeibringen, noch eine Musikcassette, die mir gut gefallen hat. Außerdem will er mir unbedingt schon mein Busticket nach Ouaga für morgen besorgen. "Für den 14-Uhr-Luxus-Bus von S.T.M.B., mit Aircondition und Video, echt toll, du wirst begeistert sein. Viel besser als mit dem Zug", behauptet er. "Ok. Ich brauche aber zwei Tickets", sage ich. Er zieht die Augenbrauen hoch. "Oh. Auf welchen Namen ? Monsieur Decker und ???" -"Schreib Viviènne. Nein, schreib Maria" ...
Samstag nacht nach der Disco hatten Viviènne und ich uns für heute, 18 Uhr, in der Bar des L' Auberge verabredet. Und daß sie wahrscheinlich mitkommt nach Ouaga.
Sie erscheint auch tatsächlich. Um 18 Uhr african time, also 18.30 Uhr, völlig außer Atem, entschuldigt sich, das wäre eine blöde Zeit, zuviel Verkehr und kein Taxi, hatte Angst, ich würde nicht warten. Ich denke, wenn ich sie mir so anschaue, sie hätte einfach nur ne halbe Stunde weniger vor dem Badezimmerspiegel verbringen sollen.
Das Timing ist blöd. Wir wollen eigentlich ins "L'Eau Vive", dem Ableger des Nonnen-Restaurants in Ouaga, auch hier die erste Adresse. Das macht aber erst um 19.30 Uhr auf, um 20 Uhr kommt schon Abou, um die Sachen vorbeizubringen. Also suchen wir ein anderes Restaurant, das "L'Entente", etwas schummrig, aber das Essen ist gut und preiswert. Danach gehe ich schnell zum Hotel, um Abou zu treffen und die Tickets in Empfang zu nehmen, Viviènne wartet im Restaurant.
Als ich wiederkomme, sind wir die einzigen Gäste. Es ist noch düsterer als vorher. Aber das ist gut so. Denn was nun kommt, kann man im Hellen nicht ertragen. Im Dunkeln aber eigentlich auch nicht. Viviènne, nein, Maria, 22, aus Monrovia/Liberia , erzählt ihre Geschichte, unaufgefordert, ich habe sie nicht danach gefragt. Keine typische afrikanische Geschichte, aber eine, die im heutigen Afrika viel zu oft vorkommt. Leider. Über ein Leben im Bürgerkrieg. Bürgerkrieg ist immer schlimm, in Afrika ist er schlimmer, in Liberia besonders, weil besonders brutal. Ich habe mich schon immer für Afrika und den Rest der Welt interessiert, kenne aus dem Fernsehen die Namen, die mit diesem Krieg verbunden sind, Charles Taylor und Prince Johnson, die wie die Wahnsinnigen dort gehaust haben. Aber es ist etwas anderes, ob man Berichte darüber im Auslandsjournal oder Weltspiegel sieht, alles weit weg, im Fernsehen, oder ob jemand vor einem sitzt, der das selbst erlebt hat und darüber erzählt, sehr ausführlich, zu ausführlich. Bürgerkrieg heißt, dass jeder gegen jeden kämpft, die Fronten und Seiten oft wechseln, daß man jeden Tag damit rechnen muß, daß Banden ins Haus kommen, stehlen, morden, vergewaltigen. Jeden Tag. Maria erzählt viele Einzelheiten, die ich mir hier ersparen möchte. Erzählt, wie allmählich aus ihrer ursprünglichen Großfamilie in Freetown nur noch wenige Familienmitglieder übrig bleiben. Als auch ihr Vater letztes Jahr ermordet wird, ist sie schließlich mit ihrem Onkel und ihrer Tante geflüchtet, hierher, nach Bobo. Sie erzählt leise, stockend, flüstert fast, aber sie weint nicht. Obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte. Man weint nicht in Afrika. Ich habe während meiner Zeit dort niemanden weinen sehen. Auch keine Kinder.
Aber hier in Bobo haben sie es schwer, es gibt kaum Arbeit. Sie haben ein kleines Haus zugewiesen bekommen, bauen im Garten etwas an, verkaufen es auf dem Markt. Aber es reicht nicht zum Leben. Und so geht Maria seit einiger Zeit abends ins Stadtzentrum, da, wo die Touristen und Geschäftsleute sind, um andere Geldquellen zu erschließen ... Aber auch das ist schwer. Die Nachfrage ist nicht sehr groß, und sie will nicht das machen, was die Männer von ihr wollen und bekommt so auch nicht viel Geld. Sie hat Angst vor AIDS. Naja, eigentlich gibt es AIDS hier gar nicht. Oder genauer gesagt, gibt es schon, heißt im Französischen nur anders, S.I.D.A. Ihr Arzt sagt, daß man sogar vom Küssen AIDS bekommen kann. Das mag ich nun nicht bestätigen, ansonsten muß ich aber feststellen, daß ich von dieser Krankheit auch nicht viel Ahnung habe. Sie möchte bald wieder aufhören, wenn sie das Geld zusammen hat für einen Container. Der kostet hier gar nicht so viel. Für einen Frisiersalon. Sie meint, im Februar könnte es vielleicht soweit sein.
Als sie mit ihrer Geschichte endet, blickt sie schweigend auf den Tisch. Wie lange, weiß ich nicht, 10 Minuten, 20, eine Ewigkeit jedenfalls. Ich weiß, was sie denkt. Ich schaue sie an. Sie ist jung, sehr hübsch, intelligent, spricht mehrere Sprachen, kann lesen und schreiben, für eine junge Frau in Afrika auch heute noch keine Selbstverständlichkeit. Was für eine Zukunft hätte sie woanders. Aber hier?
Und dann kommt das, was immer kommt, wenn man eine junge Afrikanerin näher kennenlernt. Aber dieses Mal ist es symphatisch, als Scherz verpackt, obwohl es eigentlich kein Scherz ist.
Sie lächelt mich an und sagt: "Lass doch deine Sachen hier und nimm mich in deinem Koffer mit. Nimm mich doch bitte einfach mit ..."
Das war's dann. Mehr kommt nicht. - Sie würde gern mitkommen nach Ouaga, aber das lohnt eigentlich nicht für einen halben Tag. Morgen 5 Stunden hin, übermorgen 5 Stunden zurück, zu stressig, allein will sie in Ouaga nicht noch bleiben. Wenn wir da schon gewußt hätten, was am Airport noch alles passieren würde, wär's doch gegangen. Aber es ist wohl auch besser so.
Aufbruch: | 19.11.2001 |
Dauer: | 11 Tage |
Heimkehr: | 29.11.2001 |