...lului - transsilvanische Verwirrungen

Reisezeit: Juli 2008  |  von Norbert Wallner

Stau(b)

Wer jetzt meint, wir hätten noch einen halben Tag für Sightseeing, war wohl noch nie in Rumänien.
Bereits nach kürzester Zeit bestätigt sich meine Befürchtung, dass alle Straßenkarten von Rumänien unbrauchbar sind. Wie ich zu Hause auf Google Map feststellen konnte, decken sich Weltraumfotos und eingezeichneter Straßenverlauf nur hin und wieder zufällig. DAS hat sich also nicht geändert seit dem Kommunismus. Habe meine Irrfahrten durch die ehemalige Tschechoslowakei in bester Erinnerung, wo teilweise nicht einmal die Richtungen und nicht einmal die Namen der Dörfer gestimmt haben. Kein Wunder, dass wir die Abzweigung auf die Umfahrung von Bukarest übersehen. Sporadisch anzutreffende Hinweisschilder weisen auf nichts hin, was auf der Straßenkarte auffindbar wäre. Um die Mittagszeit, wenn die Sonne überm Kopf steht, wäre zumindest ein Kompass hilfreich. Das nächste Mal werde ich so etwas wieder mithaben, dachte, in Europa brauch ich das nicht.
Vulkaniseure sind im Gegensatz zu Straßenschildern alle paar hundert Meter, und ich verstehe, warum Reifenschäden von der Vollkasko ausgenommen sind. Jede Versicherung würde da wohl in den Konkurs schlittern. So hoppeln wir also durch tausende Schlaglöcher von Bukarest, suchen Stellen, wo man Straßenbahnschienen ohne Achsbruch überqueren kann und versuchen uns im übrigen westwärts zu halten, in der Annahme, irgendwo auf die Umfahrungsstraße zu stoßen. Als ich meine, wir müssten bald in Ungarn sein und sollten nach Süden einschwenken, stehen wir im Stau. Wir sind also richtig. Zufällig sind wir jetzt auf der Umfahrungsstraße gelandet. Rechts Staub, links Disteln. Eine Stunde und zwei Kilometer später umgekehrt. Links Staub und rechts Disteln. Wir haben ausreichend Zeit, die zwanzigtausend Autos zu begutachten, die uns entgegen kommen. Hin und wieder reißt der entgegenkommende Verkehrsstrom ab und das eine oder andere Auto beginnt, unsere stehende Kolonne zu überholen. Deshalb kommt dann noch länger nichts entgegen. Ein kleines rumänisches Wunder, warum überhaupt jemals wieder etwas entgegen kommen kann, weil Straßenbankette zum Ausweichen in diesem Land unbekannt sind. Immerhin haben Pferdefuhrwerke dadurch die Möglichkeit, unsere Straße zu queren. Absolut im Blindflug, weil sehen kann man nichts. Im Notfall trifft's eh nur die Pferde. Nach eineinhalb Stunden setzt sich unsere Kolonne nachhaltig in Bewegung. Gut, dass ich mir die Satellitenfotos ausgedruckt habe, sonst würden wir wohl jetzt noch dort herumirren. Diesmal verlasse ich mich nämlich nicht auf Straßenkarte und fehlende Beschilderung, habe mir die Fotos jeder wichtigen Kreuzung ausgedruckt. Und siehe da, Wunder geschehen, wir sind auf der einzigen Autobahn Rumäniens, und sogar in der richtigen Richtung unterwegs. Wenig überraschend, dass die Autobahn inzwischen entgegen aller (neuen) Karten und Satellitenfotos über Pitesti hinausführt und wir dadurch ein wenig Zeit aufholen können. So viel Wunder auf einmal lässt uns hoffen.
Vor der Überquerung der Karpaten wollen wir uns trotzdem sicherheitshalber stärken, wer weiß, wer weiß.

Wir machen bei einem schönen neuen Gasthaus halt und finden eine ausführliche, wenn auch unverständliche Speisekarte vor. Piept de Pui, oder wie das Zeug heißt, wird wohl so was wie Hendl sein. Also zwei Mal das, Manfred will nur eine Kleinigkeit, und ich denk mir, bei diesen Preisen können die Portionen nicht groß sein, und bestelle das Teuerste auf der Karte. Auf meinem Teller entpuppt sich das dann als geselchte Hammelripperln. Ledersohlen sind leichter zu beißen, aber zumindest bin ich beschäftigt. Meine Damen zeigen Mitleid und geben mir ein bisschen Piept ab.
Manfred ruft unser Quartier in Sibiu an, dass wir später kommen. In seinem grenzenlosen Optimismus hatte er uns für 14 Uhr angekündigt. Es ist nun halb drei und wir sind noch viele Stunden von unserem Ziel entfernt.
Frisch gestärkt beginnen wir die Landschaft und Häuser zu genießen.

Die ersten hügeligen Ausläufer der Karpaten schieben sich gemächlich in die öden Ebenen der Walachei. Den ersten Berg erklimmt unser Astra im Null komma Nichts, bergab begegnet uns eine vielkilometerlange stehende Kolonne. Glück gehabt. Es wird viel gebaut in diesem Land, aber vielleicht sollten sie nicht überall gleichzeitig, weil dadurch nichts weitergehen kann und auch jede denkbare Umfahrung eine Baustelle ist. Wir haben die überwältigend schöne Landschaft des Olt-Tales erreicht.
Da wir ohnehin schon viel zu spät dran sind, meine ich, ich kann mir genauso gut das Kloster anschauen, an dem wir grad vorbei fahren. Nur ganz schnell, bin gleich wieder da. Die anderen bleiben im Auto. Jo, ok, wenn's glauben...

Ich entdecke, dass es sich zufällig ums Kloster Cozia handelt, das ich auf meinem ursprünglichen Programm hatte. Der ganz kurze Halt wird daher zu einem kurzen Halt, ein bisschen Choral möchte ich nämlich schon hören.

Meine lieben Beifahrer haben vergessen, den Stopp effizient zu nutzen, sodass sie einige Kilometer später eine Luluipause fordern. Mir ist es recht, ich finde eine Tankstelle an einem Stausee und kann die Landschaft genießen.

Die nächsten paar Stunden verbringe ich mit Stau, während Manfred jedes Mal zwischen zwei Funklöchern mit dem Faxgerät des Gästehauses telefoniert. Da scheint wohl niemand mehr zu sein. Ich weiß nicht, warum mich das nicht aufregt, vielleicht, weil ich nur zweieinhalb Stunden Schlaf hatte und es im Wachkoma egal ist, ob man ein Bett hat.

© Norbert Wallner, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine zehntägige Reise durch Siebenbürgen. Ahnenforschung und Besuche von Kinderheimen wurden mit einem touristischen Programm verknüpft, das nicht nur die Highlights umfasste. Städte, Burgen, Menschen: Abenteuer am Rande Europas.
Details:
Aufbruch: 02.07.2008
Dauer: 10 Tage
Heimkehr: 11.07.2008
Reiseziele: Rumänien
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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