ALBANIEN - Unbekanntes Land zwischen Shkodra und Saranda
In den Süden bis Saranda und Butrint
Im November 2000 stand eine Inspektionsreise zu den südlichen Polizeidirektionen an.
Die Umsetzung und die Wirkung der in der fernen Hauptstadt beschlossenen Gesetze und Verwaltungsrichtlinien sollte dort in der Praxis geprüft werden.
Zwar liegt Saranda im Süden Albaniens nur etwa 200 km von Tirana entfernt, die Infrastruktur, vor allem jedoch die Straßenverhältnisse, bedingen aber fast eine ganze Tagesfahrt mit dem Landrover.
Für die Hinfahrt haben wir uns die Strecke: "Tirana-Elbasan-Lushnje-Fier-Gjirokastra-Jergucat-Saranda" ausgesucht.
Ein letztes Mal grüsst die "Mutter Albaniens" von ihrem überdimensionalen Sockel im Park des Heldenfriedhofs in Tiranas Süden
Eine lange holprige Fahrt über rissige Asphaltstrassen mit teilweise abenteuerlichen Schlaglöchern führt uns zunächst durch eine malerische, fast noch lieblich anmutende, grüne Hügellandschaft.
Etwa 15 km südöstlich Tiranas thront die Burg Petrela oberhalb des Flüsschens Erzen. Petrela ist eine von drei Festungsanlagen, die der Nationalheld Albaniens Gjergj SKANDERBEG (1405 - 1468) im Kampf gegen den türkischen Sultan anlegen liess.
Nachdem wir die Burg zurückgelassen haben, steigt die Strecke langsam aber stetig zum Höhenzug von Krrabe an. Die Strasse ist zwar ziemlich eng und steil, ob aber die Schilder mit den 22% Gefälle westeuropäischen Standards entsprechen, wage ich zu bezweifeln. Der Hinweis mag für einzelne Stichstrassen, die von der Hauptstrasse abzweigen durchaus Gültigkeit haben; die Überlandstraße ist aber bis Elbasan mit jedem Fahrzeug sehr gut zu bewältigen. Zumindest kommen uns grosse Busse und riesige Trucks entgegen, also werden auch wir mit unseren Fahrzeugen durchkommen.
Die Strasse selbst wurde im zweiten Weltkrieg von der im Jahr 1944 hier durchziehenden deutschen Wehrmacht angelegt und ausgebaut. Häufig sind am Strassenrand noch überdimensionale albanische Monumente aus den "Befreiungstagen" zu finden.
Nach etwa 30 km sehen wir vor uns über einem weiten Tal eine 4-5 km lange, seltsam wabernde, gelbliche Wolke.
Der Übergang von der unberührt erscheinenden Berglandschaft in den Talkessel des Flusses Shkumbin mit der Stadt Elbasan (ca. 83 000 Ew.) könnte krasser nicht sein.
Die gelbliche Wolke hängt über einem fast den gesamten Talboden bedeckenden riesigen, maroden, Eisenhüttenwerk. Ich male mir aus, was die Menschen ertragen müssen, die hier aufwachsen, zur Schule gehen, als Arbeiter im Werk schuften und irgendwann hier auch sterben...
Erst später wird mir bewusst, dass diesem Tal mit seinem grossen Fluss Shkumbin eine grosse Bedeutung zukommt.
Kulturpolitisch markiert der Shkumbin die antike Bruchlinie zwischen dem ost- und dem weströmischen Reich.
Der Fluss ist aber gleichzeitig auch die Grenze zwischen den beiden Landesteilen Nord- und Südalbanien.
Als solcher trennt er auch die zwei grossen Bevölkerungsgruppen Albaniens, nämlich die im Norden lebenden, stolzen, sonnengebrannten, kantigen "Gegen" mit ihren riesigen Schnauzbärten und den feurigen Augen, von den im Süden lebenden "Tosken", die deutlicher den Einfluss vieler Völker erkennen lassen und dementsprechend für manche weniger markante Erscheinungen darstellen.
Erstaunlich, welche Kräfte die Natur aufbringt, um sich selbst zu regenerieren.
Wenige Kilometer südwestlich von Elbasan und der unweit gelegenen Petroleum-Raffinerie von Cerrik fühlt man sich wieder ins 19. Jahrhundert zurückversetzt.
Staubige Schotterpisten, glasklare Bäche, tiefgrüne Wiesen zwischen hohen Bergen unter strahlend blauem Himmel.
Ich könnte mir gut vorstellen, bei den angenehmen Temperaturen im November hier mehrere Wochen Urlaub zu machen, die Gegend zu erkunden und mehr von den hier ansässigen Bewohnern zu erfahren.
Störend ist jetzt eigentlich nur noch der scharfe, beissende Geruch der Zigarette, die unser Dolmetscher voller Genuss qualmt.
Pferd und Esel, Ochsengespanne und vor allem die eigenen Füsse sind in dieser Gegend Albaniens, abseits der Hauptverkehrsstrassen auch Ende des 20.Jahrhunderts, immer noch übliche Fortbewegungsmittel.
Wir sind ziemlich froh, dass wir einen starken Landrover fahren. Die Strassenverhältnisse werden bis Lushnje und weiter bis Fier doch recht schlecht.
Teils fahren wir über Staubpisten, die vor allem nach Regen sehr trügerisch sind - weniger wegen der Rutschgefahr, gefährlicher finden wir die vielen Pfützen, unter denen sich nicht nur kleine Mulden, sondern zum Teil bis zu einem halben Meter tiefe Schlaglöcher tarnen...
Unmittelbar nach Fier biegen wir nach Osten Richtung Ballsh und Tepelene ab, weil wir auf unserer Inspektionsreise auch noch die Kreishauptstadt Gjirokastra besuchen müssen.
Wundervolle Landschaftsbilder lassen die üblen Schlaglöcher, die unbefestigten Banquette und die engen Kurven vergessen.
Die Strasse steigt immer weiter an; die Ortschaften liegen in den kargen Hochtälern viele Kilometer auseinander; der Bewuchs wird spärlicher und alles erinnert an südliche Karstlandschaften - weshalb auch nicht? Schliesslich befinden wir uns hier unweit der Adria und ganz sicher wurden auch hier in Vorzeiten alle Wälder für den Schiffbau abgeholzt.
Unvergesslich schöne Landschaften, aber auch Bilder die nachdenklich stimmen, begleiten den Reisenden von Fier nach Gjirokastra.
Dann aber ein unglaublicher Kontrast. Inmitten des türkisfarbenen Flusses schlängelt sich eine schwarze "Linie", die immer breiter wird. Des Rätsels Lösung ist bald gefunden. Ein gutes Stück oberhalb stehen eine Reihe verrosteter, aber noch in Betrieb befindlicher Ölfördertürme links und rechts des Flusses. Die verrotteten Anlagen fassen das geförderte Petroleum nicht mehr; eine ekelige, zähe, schwarze Brühe wälzt sich langsam durch eine grüne Wiese bis zum Fluss...
Wir sollten aufpassen, dass wir mit dem Rover nicht unversehens im Strassengraben landen oder mit einem kreuzenden Eselsgespann kollidieren!
Die Gedanken müssen sich wieder den ganz banalen Strassenverhältnissen zuwenden.
(Wie lange es wohl dauern würde, bis ein Abschleppdienst ein liegen gebliebenes Fahrzeug hier abholen würde... Nicht auszumalen, woher die Ersatzteile für eine gebrochene Vorderachse unseres Rovers kommen sollte. Erfreulich zumindest, dass selbst in dieser verlassen erscheinenden Gegend unser Handy einwandfrei funktioniert - und natürlich gibt es auch hier Kfz-Werkstätten, deren Mitarbeiter sich noch darauf verstehen aus einem Stück Eisen jeden gewünschten Gegenstand für den Motor herzustellen. Lediglich vor der Bordelektronik müssten wohl auch diese Künstler kapitulieren.)
Hinter der nächsten Bergkuppe wandelt sich das Bild erneut.
Durch ein scheinbar unberührtes Tal führt eine schnurgerade, kilometerlange Eisenbahnstrecke auf deren Schwellen zwei Frauen und ein Mann mit ihrem vollbeladenen Esel gemächlich entlang ziehen...
Diese beiden sind halbwilde Tiere, die offensichtlich die Wirren 1996/1997 ausgenützt und sich aus dem heimischen Stall davon gemacht haben.
Meine Erfahrungen mit diesen störrischen Vertretern ihrer Art waren nicht unbedingt die besten. Einem austretendem Eselshuf geht man besser aus dem Weg...
Unmittelbar vor der Kreishauptstadt Gjirokastra stürzt aus dem Mali Gjere-Massiv von Westen her ein reissender, klarer, eiskalter Gebirgsfluss. Unmittelbar an der Brücke wurde ein neues Hotel gebaut, das alle Annehmlichkeiten bietet, die auch den Erwartungen eines westlichen Touristen entsprechen und die wenigen Meter bis zur Stadt kann man notfalls zu Fuss zurück legen.
Vom Polizeichef der Stadt wurden wir an diesem Tag in eine, zu einem rustikalen Restaurant umgebaute, uralte Mühle am Stadtrand Gjirokastras eingeladen.
Wie häufig in Albanien gab es dort eine Vielzahl wohlschmeckender Speisen - vor allem gegrilltes Lamm mit gegarten Kartoffeln und landestypischem Gemüse.
Aufgefallen ist mir allerdings, dass es fast überall in Albanien wohl Usus ist, dass Speisen allenfalls lauwarm auf den Tisch kommen. Bei den wohlschmeckenden Suppen mag das gerade noch angehen, fast kaltes Lamm- oder gar Schaffleisch mit evt. noch etwas Fett ist aber ganz sicher nicht unbedingt das, was mein Gaumen besonders köstlich findet. Eine kleine Bitte an den Kellner und schon liegt das Fleisch wieder auf dem Rost des im Lokal lodernden Grillfeuers
Unvergesslich wird mir aber der Nachtisch bleiben: Orangenschnitze in frischen Bienenhonig getaucht oder mit einem Zucker-/Zimtgemisch bestreut. Ein starker albanischer Espresso und ein bis zwei Raki - es braucht nicht viel, um glücklich zu sein.
Am späten Nachmittag wollten wir das letzte Stück nach Saranda fahren und dabei auch noch das "Blaue Auge" in der Nähe von Jergucat und Muzine besuchen.
Neben der tiefblauen Quelle (Blaues Auge) befindet sich ein landestypisches Lokal, in dem gute, ausgewählte Speisen angeboten werden.
Wir mussten uns die Situation aber vom Polizeichef mündlich erklären lassen. Zwischenzeitlich war es nämlich bereits dunkel geworden und der Kollege liess es sich nicht nehmen, uns mit einer Eskorte nach Saranda zu begleiten.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Gefahr eines nächtlichen, räuberischen Überfalls tatsächlich so gross war oder ob er nur nach Saranda fahren wollte, um dort mit uns noch ein Gläschen Raki zu trinken.
Am nächsten Morgen war der etwas schwere Kopf durch die frische Meeresluft bald wieder klar.
Unser Hotel konnten wir leider nur eine Nacht und für ein hervorragendes Frühstück geniessen, bevor wir uns aufmachten, um Saranda etwas genauer zu erkunden.
Zumindest im Jahr 2000 war es in Albanien durchaus noch üblich, dass Gastwirte und Hoteliers unverblümt erklärten, dass sie von einem "Missionsangehörigen" Dollars nehmen müssten.
Die Übernachtungspreise in einem Hotel der oben gezeigten Kathegorie konnten so durchaus auch mal 50 US-Dollar betragen, während unser einheimischer Dolmetscher ganz offiziell etwa 5 Euro bezahlen musste.
Ob dieses Verhalten auch für -normale- Touristen Gültigkeit hatte, konnte ich nicht herausfinden, zumal ich während der gesamten Zeit meines Aufenthaltes in Albanien eigentlich keinen einzigen klassischen Touristen getroffen habe.
Saranda besitzt eine herrliche Strandpromenade. Nur wer etwas genauer hinschaut, findet den maroden Charme, wie er vielen postkommunistischen Urlaubsanlagen kurz nach ihrer Öffnung nach Westen zu eigen war.
Insgesamt ist Saranda ein Hafenstädtchen wie viele andere an der Adria und ist weniger wegen seiner architektonischer Sehenswürdigkeiten bekannt, als vielmehr wegen seines glasklaren Wassers, des beeindruckenden Hinterlandes und seines prächtigen Sonnenuntergangs. Dieser Sonnenuntergang, den wir leider nicht mehr geniessen konnten, hat viele Dichter inspiriert und unzählig albanische Brautpaare heiraten nur wegen des abendlichen Schauspiels in Saranda.
Italien?, Südfrankreich, Portugal, Kroatien oder doch Albanien? Ansicht der Strandpromenade von Saranda
Wenige Kilometer vor der Stadt finden sich leider viele, wilde Müllhalden und verlotterte Geländestreifen, wie sie bis vor wenigen Jahren auch noch in manchen anderen Mittelmeerländern zu sehen waren.
Es liegt mir fern, über Albanien im Allgemeinen und über die Bevölkerung im Besonderen zu richten.
Ich möchte nur einen ungeschönten Einblick in ein Land bieten, das über eine unglaubliche landschaftliche Schönheit verfügt, eine reiche kulturelle Geschichte besitzt und das mit vielen Bodenschätzen gesegnet ist.
Wo viel Licht ist, gibt es bekannlich auch Schatten.
Und nachdem wir nun schon so tief Albaniens Süden waren, wollten wir uns natürlich die etwa 18 km entfernten historischen Ausgrabungsstätten von Butrint nicht entgehen lassen.
Der Ausflug zu den Ruinen bleibt nicht nur wegen des Atems der Geschichte unvergesslich.
Vorbei an dem grossen Butrint See durch fruchtbare Landschaften, die an das Delta der Neretwa in Kroatien erinnern, fahren wir auch durch weitläufige Orangenhaine.
Angeblich wurden zu Zeiten Enver Hoxhas jedes Jahr jeweils Heerscharen von Studenten zur Pflege und Ernte der Orangen hierher "abkommandiert".
Zumindest die klimatischen und landschaftlichen Rahmenbedingungen konnten wohl kaum irgendwo anders besser sein.
Nicht selten und vor allem auf dem Lande haben uns während kurzer Stops Bewohnern an der Strasse zu einem Glas Tee oder einer Tasse Kaffee mit dem unvermeidlichen Raki eingeladen. Eine solche Einladung auszuschlagen würde als sehr unhöflich angesehen.
Vollbehangene Orangenbäume im November unter strahlender Sonne...
und immer wieder herrliche Ausblicke... Die Nordspitze Korfu lag in Sichtweite vor uns, war aber auf keiner der albanischen Landkarten verzeichnet.
Nach dem Eingang zu den Ausgrabungsstätten von Butrint wies zunächst noch nichts auf griechische oder römische Aktivitäten hin. Tatsächlich wurden in dieser Gegend aber auch viele andere frühzeitliche Zeugen der Geschichte gefunden.
... das eigentliche Butrint! Der Abstecher war es wert... auch wenn die Anlagen erst wieder langsam den wuchernden Pflanzen entrissen werden müssen.
Kann der Fisch frischer sein? Unmittelbar am Hafenrestaurant landen die Fischer ihren Fang an...
Ein paar erholsame Stunden in Butrint und ein tolles Fischgericht in einem Strandrestaurant... Wie herrlich muss ein Urlaub hier im Frühjahr oder Herbst sein!
Wenige Seemeilen gegenüber liegt Korfu ... Mir schmeckt der Fisch in Albanien genau so gut - das Gläschen Rotwein habe ich vorsorglich zur Seite gestellt.
Auf der Rückfahrt von Saranda ging es auf der gut befahrbaren Küstenstrasse entlang an grandiosen Bergmassiven und über karge Passhöhen nach Vlora.
Olivenhaine, seltsame Weggefährten und einsame Bergstrassen - eine unvergesslich Fahrt.
Gelegentlich war es gut, dass die Strassenverhältnisse eine schnelle Fahrt nicht zuliessen...
Abenteuerliche Gebirgsstrassen mit winzigen Bergdörfchen und mit unvergesslichen Ausblicken entschädigen für so manches Schlagloch.
Abschied von Albaniens südlicher Küste und ein letzter Blick auf die Nordspitze Korfus ...
Vlora im Abendlicht. Von hier aus liefen viele überfüllte Boote zur gegenüberliegenden Küste Italiens aus.
Aufbruch: | Mai 2000 |
Dauer: | 9 Monate |
Heimkehr: | Februar 2001 |