Australien - eine Radtour auf Tasmanien

Reisezeit: November / Dezember 2009  |  von Jörn Tietje

Tasmanien - der wilde Westen

Ja, ich habe es so gewollt und ich habe es mir selbst ausgesucht! Also halte ich es mit dem Motto von Arved Fuchs: "I do not complain!" Nein, ich beklage mich nicht, dass ich am letzten Freitag, kurz nachdem ich den letzten Bericht geschrieben hatte, der Skyline von Melbourne auf der "Spirit of Tasmania" mit der strahlend untergehenden Abendsonne und angenehmen Temperaturen den Ruecken gekehrt habe, um am naechsten Morgen um 07.00 Uhr in Devonport auf Tasmanien bei bleigrauem Himmel und heftigem Regen mit einzelnen Gewitterschlaegen von Bord der Faehre zu gehen und meinen Weg nach Westtasmanien anzutreten. Ich habe es gewusst, dass es hier kuehler und regnerischer ist als auf dem Festland, deswegen bin ich ja auch hier, denn bei mehr als 40 Grad kann und will ich nicht fahren. Auch habe ich gewusst, dass Tasmanien - und speziell der Westen - sehr bergig ist - oder, wie es die Radfahrerkarte, die ich an Bord der "Spirit of Tasmania" gekam, treffender ausdrueckt: "...at times brutally hilly..."
Also gut. Gelegentlich Regen, immer Berge und die manchmal endlos und steil, Temperaturen von 3 Grad nachts bis ueber 30 Grad am Tag, gleich am ersten Tag im heftigen Regenguss auf dem Highway, als ich ohne Brille durch Scherben fuhr, den ersten (und bisher einzigen) Platten der Reise hatte. Soviel zu den Widrigkeiten. Aber deswegen bin ich ja nicht hier. Es gibt ja unbedingt die anderen Seiten dieser abwechslungsreichen, teilweise sehr duenn besiedelten und wilden Insel. Deswegen bin ich doch hier...

Riesige Baumfarne in den Regenwaeldern Westtasmaniens

Riesige Baumfarne in den Regenwaeldern Westtasmaniens

Erst einmal folge ich der Kueste in Norden der Insel in Richtung Westen. Herrliche Buchten mit traumhaften Sandstraenden und gepflegten Urlaubsorten reihen sich hier aneinander. Dann biege ich nach Sueden ab und fahren wieder durch Farmland, dass sich bis auf eine Hoehe von etwa 400m erstreckt und dort von endlosen Waeldern abgeloest wird. Es sind aber ueberwiegend keine Waelder wie wir sie uns vorstellen, sondern Baumplantagen, in denen vor allem Eukalyptus und Kiefern in Reih und Glied stehen, um nach ca. 20 Jahren geerntet und dann als Rohstoff fuer Papier oder Spanplatten zerschreddert zu werden. Immerhin ist etwa ein Viertel Tasmaniens in Nationalparks unter Schutz gestellt. Riesige Bereiche sind so dem Zugriff der maechtigen Forstindustrie entzogen - und das ist auch gut so. Vor allem im Suedwesten gibt es riesige Bereiche, die noch nie von Menschen betreten wurden. Durch die Nationalparks fuehren nur wenige Strassen und so bleiben meine Eindruecke ueberwiegend auf diese Touren und die Uebernachtungen auf den Campingplaetzen an den Visitor Centers der Nationalparkverwaltung, meistens am Rande der Parks gelegen beschraenkt. Tiefer in die Natur gelangt man nur auf z. T. sehr langen Wanderungen. Allerdings sind die Eindruecke auch so schon beeindruckend. Flora und Fauna sind zum Greifen nah - und das nicht nur im uebertragenen Sinne.
Als ich nach einer langen und schweren Bergtour von Queenstown kommend den Campingplatz am Lake St. Clair erreichte, war es schon spaet abends. Im Visitor Center sah ich dann, dass hier im See haeufig die einmalig seltsamen Schnabeltiere - Platypus - gesehen werden. Daher baue ich mein Zelt schnell auf und dann gehe ich in der Abenddaemmerung an den See. Leider ohne Erfolg. Auch spaeter entzieht sich dieser Sonderling hartnaeckig erfolgreich meiner Kamera. So bleibt mir nur noch eine heisse Dusche zu nehmen und endlich in der Campkueche etwas zu essen. Als ich dann recht spaet im Dunkeln zu meinem Zelt unter den Baeumen zurueckkomme, sehe ich dort etwa Schwarzes liegen. Mein erster Gedanke ist, dass ich eine Socke vergessen habe und greife danach. Aber statt eines uebel riechenden Bekleidungsstuecks habe ich eine buschiges, weiches Etwas in der Hand. Verschreckt lasse ich los. Aber offenkundig bin ich der einzige, der einen Schreck bekommen hat. Denn das andere Ende des Fellteils bleibt voellig unbeeindruckt in der Apsis. Auch heftiges Klopfen auf das Zelt hilft nicht. Als ich den Reissverschluss aufmache, sitzt da vor meiner Packtache mit den Lebensmitteln ein Opossum und versucht (fast) erfolgreich, durch den geschlossenen Rollverschluss an eine Tuete mit einer Nussmischung zu gelangen. Erst das Blitzlicht meiner Kamera veranlasst den frechen Raeuber zum geordneten und keinesfalls uebereilten Rueckzug. So komme ich denn zu meiner ersten Begegnung mit einem lebenden Exemplar dieser possierlichen nachtacktiven Tiere, die ich sonst immer nur ueberfahren am Strassenrand sehe.

Schlechtes Fahndungsfoto nach einem versuchten Mundraub - ein Opossum auf der "Flucht"

Schlechtes Fahndungsfoto nach einem versuchten Mundraub - ein Opossum auf der "Flucht"

Die Ortschaften im Westen hatten ihre Bluetezeit von etwa 100 Jahren, als hier die Berge nach Gold und anderen Metallen umgegraben wurden. Seither sind viele seinerzeit boomende Staedte sind zu kleinen verschlafenen Doerfern geschrumpft, die die Nostalgie die Goldgraeberstimmung pflegen. Einzig Queenstown - auf keinen Fall zu verwechseln mit der gleichnamigen Touristenmetropole auf der Suedinsel Neuseelands - ist nach wie vor eine aktive Bergwerksstadt. Und die Folgen dieser Aktivitaeten sind in einer grossraeumig zerstoerten Umwelt deutlich erkennbar. Die Berge sind abgetragen und unterhoehlt. In der Bluetezeit, als hier noch 40 Minengesellschaften taetig waren, wurden woechentlich 2000 t Holz der umliegenden Waelder in den Hochoefen verheizt. Sauerer Regen, Waldbraende und Erosion verhinderten bis heute, dass auf den Bergen um die Stadt neuer Wald gewachsen ist. Auch die schmucke Dampfeisenbahn von Strahan nach Queenstown ist kein Grund, sich hier laenger als irgendwie noetig aufzuhalten!

Nostalgische Dampfeisenbahn zwischen Strahan und Queenstown

Nostalgische Dampfeisenbahn zwischen Strahan und Queenstown

Eine zerstoerte Umwelt ist der Preis fuer die Milliardengewinne, die hier aus den Bergen geholt wurden

Eine zerstoerte Umwelt ist der Preis fuer die Milliardengewinne, die hier aus den Bergen geholt wurden

Westtasmanien hat aber nicht nur Waelder und Berge, sondern auch Straende zu bieten. Die sind aber kein Magnet fuer die Massen, denn hier rollen die Wellen der roaring fourties ungebremst von Suedamerika an. Bei Strahan hat man so einen 40 km langen, menschenleeren Strand fuer sich ganz allein und wenn man Glueck hat und die Brandung nicht allzu stark ist, koennte man sogar baden. Hinter diesem Strand hat sich ein Streifen von bis zu 30 m hohen Wanderduenen gebildet, der weit ins Land hineinreicht, die Henty Dunes, - ein Traum von Einsamkeit und Abgeschiedenheit mit immer neuen Fotomotiven...

Feinster, schier endloser Sandstrand im Westen bei Strahan

Feinster, schier endloser Sandstrand im Westen bei Strahan

Die Henty Dunes fressen sich langsam immer weiter in den Wald hinhein. Der Ozean ist mehr als einen Kilometer weit entfernt.

Die Henty Dunes fressen sich langsam immer weiter in den Wald hinhein. Der Ozean ist mehr als einen Kilometer weit entfernt.

Die letzten beiden Naechte habe ich auf einem Campingplatz im Mount Field Nationalpark verbracht. Endlich nach 1700 km mal einen Ruhetag einlegen. Platznachbarn mit einem Wohnmobil meinten, ich muesste mir unbedingt den Gordon Dam am Ende der ca. 90 km langen Sackgasse ansehen, eine technische Meisterleistung. Da die Strecke aber sehr schwer ist und ich keine Lust hatte, zwei Tage wegen eines Staudamms in einer Sackgasse zu fahren, hatte ich diesen eigentlich fuer mich schon abgehakt, als Brian am Morgen meinten, ich duerfte diesen Damm nicht verpassen und bot an, mir mit noch einmal dort hinzufahren, obwohl er erst am Vortag dort gewesen war. Gern nahm ich das freundliche Angebot an und bei Regen und starkem Wind bekam ich den Staudamm, die beeindruckende Schlucht und die schwere Strecke einmal aus anderer Perspektive doch noch zu sehen.
Leider hatte ich auch hier kein Glueck mit dem Platypus. Dafuer waren im angrenzenden Wald 80 m hohe und 400 Jahre alte Eukalyptusbaeume zu bestaunen - so koennen diese Baeume also aussehen, wenn man sie nicht nach 20 Jahren zerhaeckselt! Es sind die hoechsten Hartholzbaeume auf der Erde.
Auch auf diesem Campingplatz wimmelte es von Tieren. Hier waren es vor allem die kleinen Kaengurus, etwas groesser als unsere Feldhasen, die den Platz bevoelkerten. Ich kann es nicht lassen, auch von diesen noch einmal ein Foto zu zeigen.
Von diesem Platz bin ich dann 80 leichte Kilometer nach Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens gefahren und damit endgueltig im Osten der Insel angekommen - nicht ganz so nass, nicht ganz so bergig und dichter besiedelt. Fast haette ich ja geglaubt, die Menschen standen meinetwegen an der Strasse, aber kaum war ich im Zentrum angekommen, knatterte ein riesiger Motorradkorso durch die Stadt - MOGO in Hobart, nur die Typen um einiges schraeger als bei uns - schwere Harleys mit Glimmergirlanden und Teddybaeren geschmueckt und einige Fahrer im Weihnachtsmannkostuem. Naja, wem es denn gefaellt - so aufgemachte Radfahrer habe ich noch nicht getroffen...

Tall Tree Walk im Mount Field National Park - da kommt man  sich ziemlich klein vor!

Tall Tree Walk im Mount Field National Park - da kommt man sich ziemlich klein vor!

Und hier noch einmal ganz klein, dafuer aber gleich im Doppelpack

Und hier noch einmal ganz klein, dafuer aber gleich im Doppelpack

Soviel fuer heute, es bleiben mir noch zwei Wochen - und ich werde weiter berichten.

© Jörn Tietje, 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Winter in Deutschland - Zeit, die Welt wieder einmal von der anderen Seite zu betrachten. Fahrrad fahren im australischen Sommer - zu groß, zu heiß, sagen viele Radlern, die dort unterwegs waren. Trotzdem lockt Down Under. Einen ganzen Kontinent werde ich fünf Wochen ohnehin nicht erkunden können und so habe ich mich für die Südostecke um Melbourne mit der Great Ocean Road als Highlight und Tasmanien entschieden. Über eure Tipps, Kommentare und Rückmeldungen im Gästebuch freue ich mich immer!
Details:
Aufbruch: 15.11.2009
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 20.12.2009
Reiseziele: Australien
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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