Die Sehnsucht ruft - ein Wiedersehen auf Kodiak (deutsche Version)

Reisezeit: September / Oktober 2005  |  von valesca schaefer

Alaska: Wanderung der Extreme

Waere ich auf diese Wanderung mitgekommen wenn ich gewusst haette, was auf mich zukommen wuerde?

Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Mit meinem heutigen Wissen ob meiner Faehigkeiten, ja! Aber vor einem Jahr, ein paar Monaten? Schwer zu sagen.

Ich fand mich in Situationen wieder, die ich frueher freiwillig nicht eingegangen waere, dazu war ich viel zu feige. Aber wenn es nicht anders geht, dann waechst man ueber sich selbst hinaus...

Baeren haben wir auf der ganzen Wanderung nicht einen einzigen gesehen! Und wir hatten extra ein Gewehr fuer Notfaelle dabei... es hat Ian mehr behindert als genuetzt.

Hier mal eine Liste der gesichteten Tiere:
Baeren: keine
Fuchs: 1
Rehe: 2
Hermelin: mindestens 3
Wuehlmaeuse
Weisskopfseeadler
Raben
Elstern
Goldhaehnchen (Kinglet)
Zaunkoenig (Wren)
Schneehuehner (Ptarmigan)
Silber Lachse
Rotlachse (Sockeye)
Forellen
...
Eigentlich ziemlich wenig, aber wir haben uns ja auch Muehe gegeben, auffaellig durchs Unterholz zu streifen und die gelegentlichen Lagerfeuer am Abend taten sicherlich ihr uebriges.

Jetzt aber mal schoen der Reihe nach:

Tag 1:
Bereits auf dem Weg zum Boot verabschiedet sich die Sohle meines linken Wanderstiefels. Es waren ein paar ganz alte, die ich anstelle von Watstiefeln (die haben eine Filzsohle) mitgenommen hatte. Macht nichts, dann trage ich halt meine altbewaehrten und lange eingelaufenen Salomons. wie sich in Laufe der Wanderung herausstellt, ist das sogar ein riesiger Vorteil!
Wegen Niedrigwasser werden wir im Watt abgesetzt und laufen den ganzen Vormittag bis zur eigentlichen Flussmuendung. Die Sonne scheint und ich koche in meinen Neoprenhosen... Als wir dann den Fluss entlang laufen, kuehlt das Wasser zwar meine Beine doch angesichts des ungewohnten im-Wasser-Laufens wird mir erneut ganz warm.

Z.B. muss ich um eine Felsnase herumklettern. Nur wenig unter mir herrlich blaugruen der Fluss: "I'm not going to fall, I'm not going to fall..." mein Mantra dabei.
Abendessen dann am Lagerfeuer, herrlich romantisch

Tag 2:
Wir lassen es gemuetlich angehen. Um die Mittagszeit ersteigen wir einen kleinen Berg, mehr eine Felsklippe oberhalb des Flusses. Voellig ueberrschend und ueberwaeltigend schoen ist der Ausblick: die verschneiten Berge! Samt Gletscher.
Unser Nachtlager schlagen wir diesmal auf einer Kisbank auf. Wieder ist genuegend Feuerholz vorhanden. Doch erst mal muessen wir die Fischgerippe entfernen.
Das Anglerglueck ist Ian heil und bereits beim zweiten Wurf zieht er einen dicken Silberlachs an Land. Allerdings ist er schon etwas aelter (an der rosa Faerbung erkennbar) und daher nicht mehr so richtig lecker. Aber mir schmeckt er immer noch besser als jeder TK-Lachs daheim!

Tag 3:
Ich gewohne mich zwar langsam an die Flussdurchquerungen, doch so richtig mein Ding ist es immer noch nicht. Ich fuehle mich oft unsicher und habe Angst zu stuerzen.
Gegen Mittag faengt es nun richtig an zu regnen. Am spaeten Nachmittag erreichen wir einen Zufluss, von dem aus der von der Lodge angebotenen Rafting-Trip startet. Wir bauen das Zelt auf, Pieseln beide noch mal kraeftig in die direkte Umgebung (soll die Baeren fern halten) und starten zu einem kleinen Ausflug zum Munsey-Lake. Dort werden die Leute fuer das Raftig sonst mit den Flugzeug abgesetzt. Es regnet, trotzdem ist es wunderschoen! Ein einsamer Loon schwimmt am entfernten Ufer, sogar zwei wilde Schwaene fliegen herbei!

Tag 4:
Es regnet bereits beim Einpacken und ab Mittag sogar heftiger. Der Spirodon ist hier ein bilderbuchmaessiger "braided river", an dessen Ende ein Canyon uns den Weg versperrt. Trotz des Regens gelingt es Ian, ein Feuer zu entfachen. Doch diesmal ist es unmoeglich, die Kleidung zu trocknen. Einen Fisch zum Abendessen zu fangen ist angesichts des trueben Wassers unmoeglich. Der Fluss ist bereits deutlich angestiegen und voller Sediment. Oberhalb muss es also auch ordentlich schuetten...

Tag 5:
Der haerteste Tag ueberhaupt. Anfangs kommen wir noch ganz gut durch den Canyon, doch irgendwann ist es damit vorbei. Wir muessen auf die Anhoehe und die etwa 3-4 Meilen umgehen. Links und rechts steile Felsklippen. Ein Ausweg bleibt: ein kleiner Bachzulauf. Anfangs ist es noch ganz angenehm. Ian allerdings entscheidet sich relativ frueh, nach rechts in die Vegetation auszuqueren. Ich aber vertraue dem Fels mehr. Bis ich dann auf einer Felsklippe von einem Baum aufgehalten werde. Mit Gepaeck komme ich einfach nicht durch die Zweige! mein Tritt, der mich hier heraufgebracht hat, hat sich verabschiedet. Es kommt Panik auf. Ich komme nicht vorwaerts, sehe keinen Weg zurueck und zur Seite ist es mir zu steil. Ian ist ausser rufweite. Ich kaempfe mit dem einen Ast, schreie den Baum an in meiner Wut. Dann die Erloesung: ich hoere Ian rufen! Irgendwie schaffen wir es, uns zu verstaendigen und er kommt, mich aus meiner misslichen Lage zu befreien. Bis er dann aber tatsaechlich da ist, habe ich den Ast endlich abgebrochen und mich auf einen deutlich gemuetlicheren Absatz gerettet. Meine Hand blutet, keine Ahnung, wo der Schnitt herkommt. Vermutlich von den Schieferfelsen.

Ich bin gerade dabei, meine Lage neu zu ueberblicken als Ian ohne seinen Rucksack angeklettert kommt. Er kaempft mit dem Gestruepp und der Neigung - es scheint schwieriger zu sein als ich angenommen hatte!
Als er sieht, wo ich mich befinde wird es ihm unheimlich und er fordert mich auf, alles bis auf meine Stirnlampe zurueck zu lassen. Es ist kurz nach 4 und wir muessen irgendiwe hier raus! Doch letztendlich siegt meine Logik. Ich werde mein Gepaeck nicht irgendwo liegen lassen, das waere Wahnsinn (fast schon Selbstmord)! Nachdem ich einige schwierige Stellen ohne Rucksack bewaeltigt hatte, geht es dann ploetzlich auch mit. Diesmal uebernehme ich die Fuehrung und klettere voran den Wasserlauf hinauf bis wir endlich sicher seitlich heraus kommen. Ian muss jetzt nur noch seinen Rucksack wiederfinden und wir verabreden, uns am Gipfel (sollte es sowas geben) zu treffen.
Es bleibt weiterhin wahnsinnig steil und das Gestruepp ist dicht. Die letzten Klippen ueberwinde ich einigermassen problemlos und stehe dann auf einem Plateau inmitten von scheinbar undurchdringlichem Dornengestruepp und Farn! Fast zeitgleich mit meinem Juchzer der Erleichterung (der Ausblick ist gigantisch) hoere ich Ian jubeln, er hat seinen Kram gefunden!
Und wie ein Wunder kommt er nur wenige Meter neben mir aben an und wir finden eine herrliche von Rehen platt gelegene Wiese, auf der wir unser Zelt aufschlagen koennen.

Tag 6:
Ein herrlicher Sonnenaufgang mit Blick auf die Gletscher begruesst unseren Tag! Wir nutzen die Gelegenheit und trocknen erst mal all unseren Kram bevor es dann wieder weiter geht mit dem Kampf gegen das Dickicht.

Die Haende noch wund und zerkratzt vom Vortag, doch gilt es heute keine Felsklippen mehr zu ueberwinden.
Immer wieder geniessen wir den herrlichen Ausblick auf der schier unerreichbar vor uns liegende "Golden Valley", dessen erste Auslaeufer wir tatsaechlich am Abend erreichen.

Tag 7:
Es regnet fast ohne Unterbrechung. Aber da wir fast auschliesslich das Flussbett entlang laufen, stoert es nicht besonders. Allerdings nehmen wir am Nachmittag einen falschen Arm und muessen uns dann doch wieder durch Gestruepp schlagen. Wir campieren windgeschuetzt auf einer kleinen Lichtung und hoeren in der nacht den Sturm ueber uns hinweg fegen.

Tag 8:
Es hat erst mal aufeghoert zu regnen Doch ist der Fluss ueber Nacht erneut angestiegen und ich stuerze beim ersten Queren fast ins Wasser! Erneut muessen wir einen kleinen Canyon umgehen, also wieder mit dem Bueschen kaempfen. Hinzu kommen Sumpfgebiete, die allerdings mit einer reichen Auswahl an Beeeren entschaedigen: Cranberries, Blueberries, Crowberries.
Unser Zeltplatz liegt auf einer Wiese in Sichtweite der letzten hoeheren Vegatation. Ab morgen also nur noch Gras, Flechten und Moose...

Tag 9:
Meine Neoprenhose hat an der linken Ferse ein riesiges Loch. Somit habe ich zwar ab jetzt immer nasse Fuesse, doch warm bleiben sie trotzdem!
Wir wandern weiter den Fluss hinauf, muessen dann aber zwei kleine Eisfelder umgehen. Dass heisst, wir kaempfen uns durch steile Geroellfelder! Ich liebe Granit...
Es zieht sich unendlich und ich habe schon fast die Hoffnung verloren, dass wir es vor Einbruch der Dunkelheit tatsaechlich bis zum See schaffen werden. Aber dann liegt er kalt und tiefblau vor uns! Es beginnt schon zu daemmern, als wir unser Zelt aufbauen und hoffen, dass der See seinem ioffiziellen Namen (Windy Lake) keine Ehre machen wird.

Tag 10:
Noch ein Tag, der so nicht auf meiner Wunschliste gestanden haette...
Um zum Pass zu kommen, muessen wir den See halb umrunden. Anfangs klettern wir dazu direkt am Ufer ueber die Granitbloecke, halb im Wasser, aber sich sicher fuehlend. doch dann wird klar, dass wir die Felsklippen am Ende nicht umkletern koennen. Also muessen wir hoch ins Geroellfeld, darueber hinweg. Bis auf ein paar wenige schiefrige Stellen ist es fast ausschliesslich Granit, das erleichtert die Sache ungemein. Auch ist das Wetter uns wohlgesonnen und der starke Wind kommt erst auf, als wir oberhalb des eigentlichen Passes auf die andere Seite des Bergrueckens klettern.
Der Abstieg ist steil aber die Felsen sind mit saftigen Gras stabilisiert. Das ganze Tal ist anders als das des Spiridon. Viel gruener und die Berghaenge sind steiler.
Meine Knie jubeln beim Abstieg... Am Nachmittag bereits erreichen wir die Vegetationszone des Gestruepps. Doch diesmal habe ich ja noch meine Handschuhe an und aergere mich, dass ich vor ein paar Tagen nicht daran gedacht hatte, sie ueberzuziehen.

Tag 11:
Fast ist es geschafft! Morgens noch ein wenig Dickicht, doch sind die Wildpfade in diesem Tal sehr gut begehbar, nur noch selten muessen wir unter Bauemen nindurchkriechen. Speatestens mit erreichen des Flussbettes beginnt der gemuetliche Teil. Die Sonne scheint und die Aussicht auf die umgebenden Gipfel ist einfach herrlich! Da stoert es auch nicht so sehr, dass alle Kiesbaenke voll sind von verwesenden Lachskadavern und ziemlich stinken.
Am Nachmittag dann erreichen wir die Gegend, an der wir den Flusslauf verlassen muessen und Richtung Old Harbour abbiegen muessen. Es soll angeblich einen 4-Wheeler-Pfad geben. Nachdem wir eine gute 3/4 Stunde in einem Bibersumpf wie im Tiefschnee herumgestapft sind, finden wir ihn.

Die Spuren der Zivilisation sind deutlich erkennbar und nach einiger Strecke schlagen wir unser vorerst letztes Nachtlager auf.

Tag 12:
Nach nur 40 Minuten Laufen erreichen wir das erste Gebaeude von Old Harbour. Zwar muessen wir noch eine ganze Weile die Strasse entlang wandern, bis wir endlich in bewohnte Gebiete kommen. Den Flughafen finden wir durch Beobachtung (Windhosen stehen nun mal nicht einfach so in der Gegend herum), denn Wegweiser oder gar Strassenschilder gibt es keine. Der Flughafen entpuppt sich als Rollfeld mit zwei Blech-Hangars. Kein Telefon, nichts. Also zurueck Richtung Stadt. Alle Geschaefte sind zu, doch in der Lobby einer Lodge finden wir ein Telefon. Wenn auch niemand anzutreffen ist, denn wir erst um Erlaubnis bitten koennten. Aber es ist ja eh eine gebuehrefreie Nummer...
Noch waehrend wir am Rollfeld in der Sonne liegen und warten, dass wir unseren Flug am Nachmittag bestaetigen koennen, landet eine Maschine einer anderen Fluggesellschaft. Und wie es das Schicksal will, sind noch zwei Plaetze frei und wir koennen spontan einsteigen. Bezahlt wird dann nach der Landung in Kodiak.

Und dann eine Dusche und trockene, saubere Klamotten...

Fazit:
In eine Gegend wie Kodiak, wo die Baeren noch die Menschen fuerchten (und sie nicht als Futterquelle entdeckt haben), wuerde ich vermutlich das naechste mal kein Gewehr mehr mitnehmen.
Auch wuerde ich vermehrt darauf achten, einander nicht aus den Augen zu verlieren. Also keine "Alleingaenge" unternehmen. Abgesehen von kurzen Ausfluegen vom Camp natuerlich.
Wir waren uns einig, das das Mitnehmen von Angel und Zubehoer zwar den Speiseplan willkommen erweitert, aber letztendlich den Aufwand nicht wert ist. Zumindest dann nicht, wenn man sich haufig fern der fischreichen Gewaesser bewegt.

Irgendwann mittendrin habe ich beschlossen, dass der naechste Trip in die Wueste geht! Endlich mal nicht jeden Abend klatschnass das Zelt aufbauen und jeden Morgen wieder in die noch feuchten Klamotten steigen muessen... Und ohne wirklich daran gedacht zu haben, geht es ja nun in wenigen Tagen genau dorthin!

© valesca schaefer, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Per Billigflieger geht es nach Alaska um meinen Freund Ian wieder zu sehen. Eine Woche muss er bis zum Saisonende auf der Lodge noch arbeiten, dann werden wir ein paar Tage durch die Wildnis wandern. Zum Kontrast geht es anschließend in den Südwesten der USA...
Details:
Aufbruch: 11.09.2005
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 20.10.2005
Reiseziele: Vereinigte Staaten
Der Autor
 
valesca schaefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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