Ägypten, wieder einmal!
Eine ägyptische Hochzeit
"You want to go to Egyptian wedding tomorrow?", fragte mich Ahmed vorgestern, der Bruder von einem seiner Freunde würde heiraten. Da ich noch keine anderen Pläne hatte und natürlich mal sehen wollte, wie die Ägypter so Hochzeiten feiern, sagte ich spontan zu, jedoch gab ich zu bedenken: "I have nothing nice to wear..." - Kein Problem, meinte er. Ich könne auch noch Philipp fragen, ob er mitwolle und meine neue Zimmergenossin, eine Literatur begeisterte Australierin, die gerade neu zur Sultanfamilie gestoßen war. Letztere war aber von ihren Unternehmungen des Tages sehr erschöpft und wollte bald schlafen gehen. Philipp zeigte sich aber genau wie ich begeistert und kam gerne mit.
Erst hieß es, die Feier geht etwa von 19-23 Uhr und wir machen uns um 18 Uhr auf den Weg. Dann 18:30. Dann "gleich"... Letztendlich verließen wir etwa um 19 Uhr das Hostel, so sind sie eben, die Ägypter. Dann wusste Ahmed nicht so 100%ig, wo wir eigentlich hin mussten, außer, erstmal mit der Metro zu fahren und anschließend etwa 20 Minuten Fußweg hinter uns zu bringen. Also rein in die U-Bahn - um diese Uhrzeit angenehmerweise nicht überfüllt, wie sonst tagsüber - und nach zwei Haltestellen (an Ghamra) wieder aussteigen.
Dort fragte Ahmed dann ein paar Passanten nach dem Weg: Erstmal über die viel befahrene, gefühlt 10-spurige Straße! Mittlerweile bin ich ja schon gut daran gewöhnt, diese Todesfallen zu überqueren, diese (Ramses Street) war aber etwas anspruchsvoller, als die Straßen in Downtown, da hier das Fahrtempo um einiges höher war, als sonst. Dazu kommt teils schlechte Beleuchtung der Straße und Autofahrer, die ohne Licht unterwegs sind... Irgendwie haben wir es aber doch heil auf die andere Straßenseite geschafft, wo wir wieder nach der Richtung fragten. "Allatuul, allatuul!" (geradeaus) und dann an der Tankstelle rechts, war die Antwort. Nach ein paar Metern machten wir kurze Rast an einem Saftladen, die es hier zuhauf gibt.
Frisch gestärkt mit Erdbeersaft und Bananenmilchshake ging es weiter, geradeaus, geradeaus, weiter und immer weiter, bis wir endlich zu der Tankstelle gelangten und rechts abbogen. Dort sollten wir auch immer der Straße folgen, allatuul, voran! voran!, geradeaus, und so weiter, und so fort. So weit war es eigentlich gar nicht, vielleicht 2 km. Aber ein bisschen übertreiben darf man ja wohl noch. Gegen 20 Uhr waren waren wir endlich angelangt, die Feier fand in einer Räumlichkeit im Stadtteil Abasia statt.
Wie gesagt, haben es die Ägypter nicht so sehr mit der Pünktlichkeit, also waren wir einige der ersten Gäste. Die Brautfamilie musste immerhin aus der Nähe des Suezkanals anreisen, wie wir von einem Bekannten erfuhren. Nach und nach trudelten die anderen Gäste ein und wir vertrieben uns derweil die Zeit mit Gesprächen und Teetrinken, bis schließlich auch Braut und Bräutigam vorfuhren.
Obwohl die Ägypter nicht die personifizierte Pünktlichkeit sind, gingen die Feierlichkeiten doch in einem straffen Zeitplan voran. Alle versammelten sich vor dem Gebäude, die Frauen trillerten vor Freude laut um die Braut zu feiern, die Musiker begannen, traditionell ägyptische Musik auf Trommeln, Trompeten zu spielen und zu singen, das Brautpaar tanzte mit den Schwestern, Cousinen und Freundinnen und die Prozession bewegte sich langsam von der Straße zum Eingangsbereich der Halle.
Braut und Bräutigam bei der Ankunft
Das Brautpaar war ständig von vielen Leuten umgeben: Kameramann, Musikern, Freunden und Familie
Die Mädels waren alle fein rausgeputzt, mit schönen Kleidern, aufwendigen Kopftuchkreationen und viel Schmuck. Auch in Ägypten tragen die Bräute mittlerweile ein weißes Brautkleid mit Schleier, viel Glitzer und sehr sehr viel Schminke. (Ein bisschen zu viel für meinen Geschmack. Aber Geschmäcker sind bekanntlich verschieden!)
Neben den Musikern war ein erster Programmpunkt des Abends der Sufitänzer. Dieser Derwisch trägt bunte Kleidung, bemerkenswert - und äußerst wichtig - ist der weite Rock, ohne den das ganze wohl ziemlich lächerlich aussehen würde, und dreht sich zur Musik im Kreis, wobei er verschiedene Showeinlagen darbietet; unter anderem löst er auch den Rock von seinen Hüften und schwingt ihn über seinen Kopf. Ich muss allerdings gestehen, dass ich schon bessere Derwische gesehen habe.
Für meine Freunde, die sich für Fotographie begeistern: Den tollen Effekt auf den Bildern des Sufitänzers, dass man ihn scharf sieht, die Farben des Rocks aber fließend sind, habe ich dadurch erzielt, dass ich bei einer Belichtungszeit von 1/30 mit Blitz gearbeitet habe.
Es folgen einige Impressionen...
Ein Sufitänzer war auch da...
... Sufitänzer tragen diese weiten Röcke und drehen sich im Kreis.
Hier lacht die Braut endlich mal.
... hier ganz stolz mit seinem neuen Freund Philipp...
... und auch ein paar andere der jungen Hochzeitsgäste wollten unbedingt fotografiert werden. Da sage ich doch selbstverständlich nicht nein!
Anschließend begab sich die ganze Gesellschaft in die Halle, wo es weiterhin ein straffes Programm abzuarbeiten galt. Ein DJ legte fetzige Arab-Popmusik auf und die Familien und Freunde suchten sich alle einen Platz, das Brautpaar hatte natürlich ganz vorne einen bunt geschmückten Platz, wo sie aber immer nur kurz saßen um Fotos zu machen. Als endlich alle da waren, wo sie sein sollten, folgte der Hochzeitstanz zu langsamen Schnulzen, die aber wenig später wieder von schnellerer Musik abgelöst wurden. Es gab den ersten Musikerauftritt des Abends, die ViOla Band sang zwei ihrer Songs - naja, die Musik kam vom Band, bei der Akustik hätte man den Gesang eh nicht gehört.
beim Hochzeitstanz...
Es gab auch einen Auftritt von der ViOla Band, im Bild ist einer der Sänger zu sehen.
Während also die jungen Leute ausgelassen feierten und tanzten saßen der Großteil der Gäste eher gelangweilt auf ihren Stühlen, Unterhaltungen waren nahezu unmöglich, denn die Lautstärke der Musik war in etwa der einer Disko zu vergleichen. Große Augen und Oh's und Ah's wurden gemacht, als eine der älteren Damen - ich schätze mal die Mutter der Braut - den Brautschmuck, goldene Armreifen, Ringe und Ohrringe, an allen Tischen präsentierte.
Es folgte ein kurzer Programmpunkt, wo Braut und Bräutigam gemeinsam mit Limonade anstießen und sich gegenseitig dieses pappsüße Zeug einflößten, anschließend wurde die Hochzeitstorte hereingetragen und wieder rausgetragen.
So langsam wurde es uns zu laut, deshalb beschlossen Philipp und ich eine Weile nach Draußen zu gehen. Ahmed war sowieso ständig unterwegs und redete immer mit irgendwelchen Leuten. Wir stellten uns vor die Halle und konnten das bunte Treiben auch von dort aus gut mitverfolgen. Mittlerweile wunderten wir uns schon, ob es denn keinerlei Speisen oder Getränke für die Gäste geben würde, sahen aber, dass Torte für alle bereit stand, welcher auch bald, nebst Limonade, an alle verteilt wurde. Es gab verschiedene Sorten von Torten (das reimt sich! Und was sich reimt ist gut. Haha.), ich bekam ein Stück Kaffee-Creme-Torte ab. Schmeckte ganz gut, aber wie nahezu alle Süßigkeiten hier, sehr sehr süß.
Es war jetzt Zeit für den letzten großen Programmpunkt des Abends, den Auftritt des Schauspielers, Showmasters und Sängers Hasan el-Helaly, eines riesigen Ägypters mit ziemlich verrücktem Bart. Auch er gab einige seiner Lieder zum besten, feierte eine Viertelstunde mit den Gästen und zog es dann vor, sich draußen mit seinen kleinen und großen Fans ablichten zu lassen.
Der bekannte Showmaster, Schauspieler und Sänger Hasan el-Helaly trat auch mit ein paar seiner Songs auf und stand anschließend gerne noch für ein paar Fotos zur Verfügung...
Hasan ist wohl der größte Ägypter, den ich bisher gesehen habe. Zum Vergleich: Ahmed ist nur wenige Zentimeter kleiner als ich.
Während wir draußen standen wurden wir auch Zeugen von zwei lautstarken Auseinandersetzungen: Erst gingen zwei Frauen aufeinander los, mit Geschrei, Haareziehen und sowas; eine der Frauen verlor dabei sogar ihr Kopftuch. Die Streithennen wurden aber schnell voneinander getrennt. Wenig später gab es dann einen anderen Streit zwischen zwei Männern, bei dem es nicht ganz so "brutal" zuging; die Ägypter werden zwar dann schon mal sehr laut und schubsen sich auch gegenseitig, "Schläge" gibt es aber grundsätzlich nur mit der flachen Hand und auch nie wirklich fest! Es bilden sich aber immer schnell größere Menschentrauben um die Streithähne, die sich dann auch gegenseitig anschreien. Verletzte gibt es aber bei solchen Auseinandersetzungen verhältnismäßig selten.
Nach etwa zwei Stunden war dann alles wieder vorbei - ganz schön kurze Party - und wir wurden von den Jungs der ViOla Band zurück nach Downtown gefahren. Es war schon mal ganz interessant, solch eine Hochzeit live mitzuerleben, einmal reicht aber auch. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass eine traditionellere Hochzeit, die nicht in der Großstadt, sondern auf dem Land stattfindet, um einiges interessanter sein dürfte. Ich schätze, dass etwa 200-250 Gäste teilnahmen, was laut Aussage eines Freundes von Ahmed jedoch nur eine kleinere Hochzeit in einer eher bescheidenen Lokalität war.
Vor Mitternacht waren wir schon wieder im Hostel, wo wir uns noch in der Küche mit Josh, Matthieu, Mustafa (dem Besitzer des Hostels) und einem Spanier unterhielten. Philipp ging bald schlafen, Ahmed fuhr nach Hause und ich las noch einige Kapitel in Elizabeth Gaskells "Wives and Daughters", bevor ich ins Bett ging.
Aufbruch: | 14.12.2010 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 16.01.2011 |