Klimanjjaro, Safari und Sansibar
Kilimanjaro Tag eins: Ein Auf und Ab - der Tragödie letzter Teil
Hochgefühle am Morgen
Der Morgen des vierten Tages beginnt mit einer Überraschung: Dominik fühlt sich etwas besser und will es noch einen Tag weiter probieren. "Wenn ich es bis zum Basislager schaffe, wäre das ein absoluter Traum. Mal sehen, ob es klappt. Danach ist auf jeden Fall Schluss", meint er beim Frühstück, das wieder aus leckerem Rührei, Chapati, seltsamerweise sehr frisch schmeckenden Früchten, Kaffee und Tee besteht.
Ich beobachte das Treiben der seltsamen Ami-Gruppe (s. Kapitel "Kilimanjaro Tag drei"). Alle schwarzen Helfer uniformiert, einer steht neben dem Luxus-Zeltklo, er scheint es zu bewachen, damit bloß keiner von einer anderen Wandergruppe es benutze. Dann brechen die Amis mit ihrer 99prozentigen Gipfelgarantie und viel Medizin im Blut auf.
Unsere Truppe ist nicht so uniform, dafür aber herzlich. Wieder heißt es: Zelte abbauen, Alles verstauen, auf in die Bergwelt. Was uns diesmal erwartet? Erst einmal eine sechsstündige Wanderung bis hin zum Basislager, der Barafu Hut, auf 4600 Meter. Dort soll ein paar Stunden geschlafen werden, bevor es dann um Mitternacht weitergehen soll zum Gipfel. Dort soll man nach Plan zum Sonnenaufgang sein. Dann wieder runter zur Barafu Hut, kurz ausruhen, dann weiter zum Mweka Lager auf rund 3000 Meter, um dort die letzte Nacht zu verbringen, bevor man am Morgen darauf dann nach drei Stunden weiterem Abstieg den Kilimanjaro-Nationalpark verlässt. Mit einer Urkunde in der Hand, den höchsten Berg Afrikas bestiegen zu haben - wenn Alles gut geht. Anne überschlägt die vor uns liegenden Höhenmeter und kommt auf rund 5000 - mit nur ein paar Stunden Schlaf zwischendrin. Da kann einem schon beim Gedanken schwindlig werden. Und auch der Anblick der Felswand, die wir gleich am Anfang überwinden müssen, erheischt Respekt. Aber Alles der Reihe nach...
Schöne Überraschung beim Frühstück. Dominik geht es etwas besser. Er will es doch nochmal einen Tag lang probieren
Die vor uns gestartete Ami-Truppe in der Felswand. Die Helfer tragen nicht nur das Gepäck. Auch einige der älteren Bergabenteurer werden über die schlimmsten Klippen gehievt.
Hochgefühl
Als wir an die erste steile Felswand kommen, hängen die Amerikaner gerade dort fest. Alles sehr gemächlich, sie haben ja auch vier Tage mehr Zeit bis zum Gipfel, und einige betagte Herren sind nicht mehr so sicher auf den Beinen und werden von ihren Helfern regelrecht über die schlimmsten Klippen hochgehievt.
Nach und nach überholen wir die Luxus-Wanderer, nach einer halben Stunde anstrengender Kraxelei sind wir auf einem Hochplateau mit ganz neuen Aussichten. Ich fühle mich auf einmal ganz beschwingt. Zwar liegt ein weiter Weg vor uns, aber einen noch weiteren haben wir bereits hinter uns. Ich sehne mich nach einem warmen Bett, nach einer Dusche, nach Wärme - und die Aussicht, dass das Alles nicht mehr so weit weg ist, beflügelt mich.
Wer mich kennt, weiß: wenn ich richtig gut drauf bin, fange ich an, schlechte Wortspiele zu machen. Dabei schrecke ich auch nicht vor polyglotter Sprachakrobatik zurück. Vor 18 Jahren sprach ich nach Studium und längerem Sprachstipendium fließend Swahili. Danach hatte ich nie wieder etwas mit der ostafrikanischen Lingua Franca zu tun. Tausende mühsam erworbene Vokabeln entschwanden in Gehirnregionen, aus denen der Wortschatz nur noch schwer zu heben ist. Doch nun, auf der Wanderung durch die Bergwelt des Kiimanjaro, ständig umgeben von Swahili sprechenden Begleitern, kehren viele Ausdrücke zurück. "Pole pole", rufen einem die Träger immer zu, wenn sie den Eindruck haben, man haste zu schnell durch die dünne Hochgebirsluft. "Langsam, langsam!" "Pole Pole".
Es ist kein Witz: auf dem eben erreichten Hochplateau lerne ich bei einer kurzen Rast ein polnisches Pärchen kennen. Ich bin überrascht, wie viele Polen die Hochgebirgsregionen der Welt erkunden. In den Anden traf ich Viele, in Afrika ebenso. Als unser Führer Mrope um die Ecke kommt, sage ich zu ihm. "Mrope, schau mal, auf Deutsch ist das hier Pole Pole", und zeige auf das Pärchen aus Krakau. Die Lacher sind auf meiner Seite. Noch geht es Allen gut...
Aufstieg zum Basislager
Zunächst geht es relativ flach weiter, etwa zwei Stunden lang bewegen wir uns auf einer Höhe zwischen 3800 und 3900 Meter. Bis erneut eine steile Felswand vor uns auftaucht. Oben machen wir Rast. Eine unwirtliche Gegend, kaum Vegetation, ein eisiger Wind. Der Blick nach oben verheißt nichts Gutes: Dunkle Wolken, eine stetig ansteigende Geröllwüste. Klar, wir müssen ja noch hoch auf 4700 Meter nach Barafa Hut, zum Basislager. Langsam merke ich, dass die eigentliche Anstrengung jetzt erst beginnt. Und plötzlich habe ich das Gefühl, hier etwas völlig Sinnloses zu unternehmen. Ich wende mich an die Führer Mrope und Felix. "Sagt mal: denkt ihr nicht, dass das total verrückt ist, was die Europäer und Amerikaner hier machen? Eine Menge Geld bezahlen, um sich auf einen Berg hoch zu schinden?" Mrope und Felix sehen sich an. Und die Art, wie sie sich ansehen, macht klar, das ich mit meiner Vermutung richtig liege: die Afrikaner halten uns für völlig bekloppt. Mrope antwortet diplomatisch: "Einerseits hast Du Recht, wir können das nicht wirklich nachvollziehen. Sogar Opas im Alter von 70 Jahren und mehr quälen sich den Berg hoch. Ein afrikanischer Opa würde nie freiwillig hier hochgehen. Man müsste ihm wahrscheinlich noch Geld bieten, damit er das macht." Ich nicke. Für die Einheimischen sind 1200 Dollar eine Menge Geld, vielleicht ein halbes Jahresgehalt. Und wir zahlen das, um zu Hause erzählen zu können, dass wir auf dem Kilimanjaro waren. "Andererseits", fährt Mrope fort, "helft Ihr uns sehr damit." Klar, wir bringen Devisen, wir schaffen Arbeitsplätze im Tourismus. Die Städte Moshi und Arusha leben zum großen Teil davon, dass Menschen aus aller Welt, den weißen Riesen bezwingen wollen.
Ich verscheuche die Gedanken über die Sinnhaftigkeit meines Unterfangens schnell wieder. Jetzt bin ich schon mal hier, also auf, weiter. Pole pole zum Basislager, es geht wieder durch eine unwirtliche Geröllwüste. Aber ich fühle mich fit, bis auf ein paar Druckstellen an den Füßen, die mich etwas beunruhigen. Und auch Dominik ist weiter dabei. Gut so, zusammen ist es leichter, den Berg anzugehen. Ich bewundere Alain, einen 67jährigen Franzosen, der ganz allein das Abenteuer Kilimanjaro angeht. Einmal morgens sehe ich ihn auf einem Felsen stehen, auf einem Bein nur, er macht Tai Chi. Ich bin sicher: Alain wird es bis ganz nach oben schaffen.
Kurzer Zwischenstopp fürs Mittags-Lunchpaket: Unsere Führer Felix und Mrope, die insgeheim denken: "Die spinnen, die Kilimanjaro-Touristen"
Und auch der gesamte Proviant muss hoch - Szenen, die mich - nicht ganz passend - an die Passionsgeschichte erinnern
Die wahren Helden des Kilimanjaro: die oft schlecht ausgerüsteten, miserabel bezahlten Helfer, die teilweise 40 Kilo die steilen, steinigen Wege hochwuchten
Eine Stunde vor dem Basislager fühle ich mich immer noch überraschend fit - bis auf ein paar Druckstellen an den Füßen
Schlaflos in Barafu
Gegen vier Uhr nachmittag erreichen wir Barafu, das Basislager. Die Beine sind müde, aber das ist wohl normal nach vier Tagen Laufen. Ungemütlich ist es hier oben, kalt, und dann fängt es auch noch an zu regnen. Jetzt bloß nicht nass werden! Die Ausrüstung, die Kleidung muss trocken bleiben für den Aufstieg in der kommenden Nacht. Zum ersten Mal bekomme ich heftige Kopfschmerzen. Sind das erste Symptome der Höhenkrankheit? Habe ich vielleicht zu wenig getrunken? Nach einem guten Essen und einer Aspirin verschwinden die Beschwerden.
Was ist mit Dominik? Es ist unglaublich! Einige Male war er drauf und dran aufzugeben, doch plötzlich fühlt er sich so gut, dass er es um Mitternacht mit uns probieren will. Er will zumindest den Versuch machen.
Mrope kommt ins Essenszelt. Er ist sehr ernst und warnt vor den Gefahren, die da oben auf uns lauern: die Höhenkrankheit, die Kälte, die Müdigkeit. "Trinkt viel, esst immer wieder." Die Ausrüstung muss in Ordnung sein. "Denkt an die Stirnlampen, denn wir werden stundenlang in der Dunkelheit laufen. Packt Eure Wasserflaschen in Socken, denn sonst gefrieren sie ganz schnell zu." Da sitzen wir auf 4600 Meter, eine Höhe, in der ich erst einmal gelaufen bin, als ich den Marsch der Indios in Bolivien begleitet habe (s. meinen Reisebericht "Ich braus dann mal davon", Kapitel "Der lange Marsch der Tieflandindianer"). Kurz danach war ich in Peru auf 4950 Meter, es war eine Passtraße, ich stieg kur aus dem Auto aus und war nach wenigen Metern völlig außer Atem. Und jetzt sollen wir bis auf 5895 hoch? Den Kilimanjaro bezwingen? "Das größte Problem, das Viele haben, ist die Müdigkeit", meint Mrope. "Es ist ja mitten in der Nacht, und Viele wollen irgendwann einfach nur noch schlafen. Legt Euch deshalb jetzt hin und ruht ein paar Stunden."
Der Mann ist gut, wie soll man um 18 Uhr schlafen? Ich gehe zum Zelt, nein, noch einmal mich erleichtern, darauf werde ich später keine Lust mehr haben, wenn ich erst mal im warmen Schlafsack liege. Nun also ins Zelt. Alles bereitlegen für die Nacht. Ich mühe mich schon mal in die Funktionsunterwäsche, die ich extra für diese Nacht gekauft habe. Noch drei Pullover darüber, wird das reichen gegen die Kälte? Ich versuche zu schlafen. Es geht nicht. Ich liege da, höre von außen das Radio. Arsenal London gegen Manchester United. Unsere Helfer sind verrückt nach englischem Fußball und hören jedes Match im Radio. Arsenal London gegen Manchester United. Und Peter gegen den Kilimanjaro, denke ich, auch so ein sportlicher Wettkampf. Wie wird es mit Anne und Dominik gehen? Ich vernehme ihre Stimmen aus dem Nachbarzelt. Ich verstehe aber nichts. Arsenal gegen ManU. Peter gegen den Kili. Ich schließe die Augen, der Schlaf will nicht kommen. Ich wünsche mir, es wäre schon halb zwölf, ich könnte losgehen, es endlich hinter mich bringen.
Kayembe, unser "Kellner" kommt noch mal vorbei. Er hat Wasser aus einer Quelle geholt und abgekocht. "Ahsante, Kayembe", rufe ich durch die dünne Zelthaut. Kayembe, unser Koch Abdallah und die Träger waren noch nie auf dem Gipfel. Für sie ist hier Schluss, sie werden auf uns warten. Nur die drei Führer werden mit uns gehen die letzten 1300 Höhenmeter. "Noch 1300 Höhenmeter, das ist Wahnsinn", denke ich. "Wenn ich es bis auf 5000 schaffe, ist schon gut. Ich war noch nie auf 5000." Warum vergeht die Zeit nicht? Ein Tor! Für Arsenal oder Manchester? Ich schaue auf die Uhr. Es ist gerade mal halb acht. Ich habe keine Lust mehr auf Zeltgeruch. "Gottseidank ist das bald vorbei", denke ich. Die nächste Nacht wird schon auf unter 3000 sein, dann ist es jedenfalls nicht mehr so kalt. "So ein richtiger Outdoor-Autor werde ich jedenfalls nie", versuche ich mich selbst mit einem Wortspiel zu belustigen.
Die Zeit - sie vergeht einfach nicht. Ich schließe die Augen, ich mache sie wieder auf. Arsenal gegen ManU scheint vorbei zu sein, es wird still draußen, totenstill. Nur der Wind streichelt manchmal das Zelt. Wieder der Blick auf die Uhr. Warum vergeht die Zeit nicht? Mein Kopf brummt ein wenig. Ist das ein Anzeichen für die Höhenkrankheit? Warum mache ich das Alles? Zum zweiten Mal heute zweifle ich am Unterfangen Kilimanjaro-Besteigung.
Irgendwann ist es doch elf Uhr, irgendwann höre ich wieder Stimmen. Noch ein bisschen liegen bleiben, im Schlafsack ist es einigermaßen warm. Die ganze Zeit konnte ich es nicht erwarten, los zu laufen, und jetzt will ich nicht mehr aus dem Schlafsack raus. Halb zwölf, der Wecker meines Handys klingelt überflüssigerweise. Also hoch, die Jacke über die drei Pullover. Die Stirnlampe über die Schapka, rein in die kalten Wanderstiefel. Draußen steht Alain, der Franzose, die Ruhe selbst. "Keine Angst, wenn es ernste Anzeichen für die Höhenkrankheit gibt, werden die Guides mit Dir runtergehen, sie sind geschult, sie erkennen, ob es ernst ist oder nicht. Leichte Kopfschmerzen sind normal, darüber brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen", beruhigt er eine andere Bergwanderin (und mich gleich mit). Kayembe bringt ein paar Kekse und Saft, ich rufe Anne und Dominik, sie klingen erstaunlich ruhig: "Wir kommen gleich!" Ich blicke nach oben, Richtung Gipfel. Eine Hunderte Meter lange Prozession schlängelt sich den Berg hoch. Erkennbar nur an den tanzenden Stirnlampen in der schwarzen Nacht. "Sie sind Alle schon unterwegs, warum wir noch nicht?", denke ich. Ich friere. Warum sind Anne und Dominik immer noch im Zelt? "Kommt Ihr?", rufe ich. "Ja, gleich!". Mein Gott, ich will endlich los. Wo bleibt Mrope, unser Führer? Alleine stehe ich in der eisig kalten Nacht herum. Ich fühle mich wie ein Rennpferd, das endlich aus der Box will. Ich will laufen, endlich diesen verdammten Berg hoch. Alle sind schon unterwegs! Seelenruhig packen Anne und Dominik ihre letzten Sachen zusammen. Mrope, Felix und der Assistant Guide Jacob stehen endlich auch auf der Matte. Endlich! Es geht los!
Der Anfang ist beschwerlich. Dicke Felsbrocken müssen überwunden werden. Nach zehn Minuten bleiben Anne und Dominik stehen. "Es ist zu warm", meinen sie. "Wir müssen einen Pullover ausziehen." Die drei Führer und ich stehen in der Kälte und warten frierend. Ok, weiter, fünf Minuten später bleiben die Beiden wieder stehen. "Wir müssen was trinken", rufen sie. "So wird das nie was", denke ich. Ganz langsam gehe ich weiter, um nicht zu frieren. Da ist Felix neben mir und sagt "Let´s go". Ich schaue mich um. Anne und Dominik kriechen in einer unglaublichen Langsamkeit den Weg hoch. Wir haben drei Guides für drei Leute. Was spricht dagegen, mit Felix ein bisschen voranzugehen? Weit vor uns die hüpfenden Stirnlampen, der Mond schiebt sich durch die Wolken und spendet etwas Licht.
Felix legt ein beachtliches Tempo vor. Aber ich fühle mich super, ich könnte Bäume ausreißen (wenn wir nicht längst die Baumgrenze hinter uns gelassen hätten). Ich merke, wie die tanzenden Lichter vor uns immer näher kommen. Bald überholen wir erste Grüppchen, auch Alain, den Franzosen, passieren wir. Ab und zu kauern Wanderer hinter einem Felsen und übergeben sich, Einige geben auf und kommen uns entgegen. Und was ist mit mir? Ich scheine überhaupt nicht anfällig zu sein für die Höhenkrankheit. Gut, mein Herz schlägt mittlerweile ziemlich schnell. Aber das ist normal bei diesem Tempo. "Nicht so schnell, Felix", rufe ich, "lass uns ein bisschen langsamer gehen. Pole pole." Doch Felix meint: "Das Tempo ist gut, wir sind nicht zu schnell" Ich will ihm glauben, es läuft doch super. Wir überholen Grüppchen um Grüppchen. "Was ist mit den Anderen?", frage ich, "kommen sie nach?". "Ich glaube, sie werden es nicht schaffen", meint Felix. Ich fühle mich schlecht, dass ich einfach davon gelaufen bin. Andererseits, was soll ich tun? Ich habe die ganzen Tage immer geduldig gewartet, aber ich kann doch nicht die Gipfelbesteigung riskieren. Oder? "Felix, lass uns eine kurze Pause machen, mein Herz schlägt so schnell". - "Nein, lass uns noch ein wenig weitergehen, in zehn Minuten machen wir kurze Pause." Es sind nicht mehr viele Lichter vor uns. Der Weg wird steiler. Ich höre Deutsch mit österreichischem Akzent. Eine große Gruppe. Mein Puls ist sicher auf 150, doch Felix ist weiter auf der Überholspur. "Auf welcher Höhe sind wir nun?" - "Ungefähr 4950", meint Felix. Wow, bald sind wir auf 5000. Ich bin in einer Art Höhenrausch. Wir hasten an den Österreichern vorbei. Das kostet Kraft, weil wir immer wieder den schmalem Pfad verlassen. Mein Herz hämmert nun gegen die Brust. Kurze Pause. Ein Blick nach oben: kaum noch Lichter, doch die wenigen verraten eine beängstigende Steilheit. Ein Blick nach unten: ein kleines Lichtermeer. Wahnsinn, wie viele wir schon hinter uns gelassen haben. Ich esse ein paar Nüsse, doch Felix drängt. Mein Herz rast aber immer noch. Nun gut, Felix muss es wissen, er kennt den Berg. Eine größere Gruppe der Österreicher ist wieder an uns vorbeigezogen. Sie gehen ein angenehmes Tempo, ich will mitgehen, um meinen Puls ein wenig zu beruhigen. Aber Felix zieht schon wieder links vorbei, ich habe Mühe, ihm zu folgen. Ich atme ganz tief, ganz schnell, ich gerate völlig aus der Puste. Ein paar Minuten nach dem Überholmanöver muss ich Pause machen. Felix scheint das nicht zu passen. Die Österreicher ziehen wieder vorbei, ganz gleichmäßig, ganz ruhig. "Auf welcher Höhe sind wir nun?" - "Ungefähr 5100". 5100, das bedeutet, dass es noch 800 Höhenmeter bis zum Gipfel sind. Viel. Sehr viel. Denn ich merke, dass meine Energie langsam zu Neige geht. Ich beschließe, Felix´Tempo nicht mehr mitzugehen. Ich hänge mich an die Österreicher dran, Felix kann machen, was er will. Er muss sowieso bei mir bleiben, das ist sein Job. Eine halbe Stunde gehe ich mit der Gruppe mit. Es geht nun einigermaßen. Mein Herz schlägt immer noch schnell, aber ich bin nicht mehr völlig außer Atem. Doch irgendwann muss ich abreißen lassen, es geht nichts mehr, ich brauche eine Pause. "Wir sind zu schnell gegangen", sage ich zu Felix, doch der schüttelt den Kopf. Dem Mann fehlt jedes Einfühlungsvermögen! Ich glaube, aus dem Augenwinkel Alain zu erkennen, der an uns vorbei zieht, bin mir aber nicht sicher. Der Schein meiner Stirnlampe reicht nicht so weit. Ich friere. "Weiter", sagt Felix. Ich gehe ein paar Meter weiter, doch dann bin ich schon wieder völlig fertig. Ich lasse mich in das Weiß am Wegesrand fallen, in die Firnis am Hang des Kibo. Weit oben flackern die Lampen der Österreicher. In diesem Moment gebe ich das Ziel auf, den Gipfel am Uhuru Point auf 5895 Meter zu erreichen. Meine Beine werden mich nicht mehr so weit tragen können. Aber aufs Gipfelplateau muss ich irgendwie kommen. Den Krater sehen. Also, bis zum Stella Point auf 5739. Dann werde ich immer noch stolz auf die erbrachte Leistung sein können. Mehr aber wird nicht gehen. Wenn überhaupt...
Ich raffe mich wieder auf. Wir sind inzwischen auf etwa 5500 Meter. Ich merke, wie ich wanke. Es geht einen Schritt vor, dann hängt ein Fuß in der Luft, ich rutsche ein wenig weg, fange mich. Wieder ein Schritt. Pause. Ich werde immer langsamer. Mein Akku ist leer. Ich lasse mich wieder in die Firnis fallen. Felix schaut besorgt. Ich sage: "Ich kann nicht mehr." Er sagt: "Es ist nicht mehr weit." Ich ahne, dass er lügt. Ich krabbele ein paar Meter auf allen Vieren hoch, bevor ich wieder die Kraft habe zu Stehen. Wie ein Betrunkener wanke ich durch die Nacht. Der Schein meiner Stirnlampe wandert über die Felsen, nach rechts, nach links, nach rechts. Was ist los mit mir? Felix nimmt mir meinen Rucksack ab. Der ist tonnenschwer, die Wasserflaschen und meine Kameraausrüstung ziehen mich nach unten, talwärts. Jetzt, von dieser Last befreit, geht es wieder etwas besser. Ich schaue nach oben, es ist immer noch weit, wie die tanzenden Stirnlampen verraten. Und steil! Immer wieder rutsche ich zurück. Dann wieder ein Schritt vor. Einen halben zurück. Es ist nur noch Quälerei. Ab und zu ziehen stille Gestalten an mir vorbei, die ich irgendwann mal überholt hatte. Irgendwann, als es mir noch richtig gut ging. Ich versuche, mich noch einmal an Andere dran zu hängen. Ein paar Minuten lang schaffe ich es. Dann falle ich wieder auf den kalten Boden.
An die letzten Meter vor Stella Point habe ich keine Erinnerung mehr. Auf einmal stehe ich da oben auf 5739 Metern. Ich sehe Alain, der glücklich lächelt. Ich sehe das Schild "Congratulations. You reached Stella Point." Viel mehr sehe ich nicht, denn es ist stockdunkel. Und bitter kalt. Über das Plateau am Kraterrand fegt ein eisiger Wind, es müssen so um die minus 15 Grad sein. Ich kauere mich gegen eine Felswand und ziehe die Handschuhe aus. Ich muss etwas trinken. Seit Stunden habe ich keine Flüssigkeit zu mir genommen. Doch die Flaschen sind vereist. Obwohl in Socken verpackt, ist alles gefroren. Ich nehme die Kamera raus. Das Beweisfoto muss her. Die Kamera tut keinen Mucks. Dann also das Iphone. Ich versuche, mich selbst vor dem Gratulationsschild abzulichten. Man erkennt kaum mehr als einen schwarzen Schatten vor einem verschwommenen Grün.
Ich will nur noch runter. So sehr friere ich. So erschöpft bin ich. Felix meint: "Lass uns zum Uhuru Point gehen." - "Nein, ich kann nicht mehr."
Felix sagt "ok", und wir gehen langsam wieder runter. Doch selbst dafür fehlt mir die Kraft. Nach rund 100 Höhenmetern lasse ich mich wieder auf den Boden sinken. Ich mache die Augen zu. Ich würde jetzt gerne schlafen. Als ich die Augen wieder aufmache, bietet sich mir eine unwirkliche Szenerie. Die Sonne geht gerade auf. Die Berge leuchten in wunderbarem Rosa. Noch unwirklicher ist die nächste Szene: Eine Gruppe wandert auf mich zu, ganz langsam. Zwei Führer und ein Pärchen. Anne und Dominik. Mrope spricht mich an. "Peter, was ist los?" - "Ich kann nicht mehr. Ich war auf Stella Point." - "Los, komm, geh nochmal hoch." - "Ich kann nicht mehr. Keine Energie mehr" Pole pole, ganz langsam ziehen Anne und Dominik an mir vorüber. Ich schließe die Augen. Was ist hier eigentlich passiert?
Felix sitzt seelenruhig ein paar Meter weiter. Trotz meiner unglaublichen Müdigkeit braut sich in mir eine Wut zusammen. "Wir sind zu schnell gelaufen. Deshalb bin ich jetzt so kaputt." Diesmal widerspricht Felix nicht. Wie sollte er auch? Anne und der geschwächte Dominik sind gerade seelenruhig an uns vorüber, sie werden sicher bis zum Uhuru Point laufen. Und ich sitze hier wie ein Häufchen Elend. Nicht nur auf Felix bin ich wütend, auch auf mich selbst. Warum bin ich nicht von Anfang an bei den Anderen geblieben? Warum dachte ich, voranlaufen zu müssen? Meine Wut verwandelt sich in einen kleinen Rest Energie. Ich will zumindest nochmal hoch bis zum Stella Point. Jetzt, wo die Sonne gerade aufgeht. Jetzt, wo ich vielleicht tief in den Krater schauen kann. Jetzt entscheide ich. Felix muss mir folgen, und meinem Tempo. Ganz langsam nochmal hoch. Inzwischen ist es nicht mehr ganz so kalt, weil die Sonnenstrahlen etwas wärmen. Die Kamera funktioniert, wenn auch nicht tadellos. Zehn Minuten lang versuche ich, die Szenerie zu genießen, dann steige ich ab. Endgültig.
Abstieg und Abschied
In den folgenden anderthalb Tagen des Abstiegs habe ich Zeit, über das Erlebte nachzudenken. Natürlich schafften es Anne und Dominik bis zum Uhuru Point und erlebten dort den grandiosen Sonnenaufgang. Ich gönnte es ihnen von Herzen, gerade nachdem, was sie in den Tagen zuvor durchgemacht haben. Doch natürlich war es für mich eine kleine Tragödie. Ich war der Fitteste unserer Gruppe und kam doch nicht ganz oben an. Warum? Es war eine Mischung aus Selbstüberschätzung und dem Versagen eines schlechten Bergführers. Tausendmal ging mir die entscheidenden Szenen seitdem durch den Kopf: wie Felix plötzlich neben mir auftaucht und mich auffordert, mit ihm zu gehen, Anne und Dominik also zurück zu lassen.
Wie ich mich in einen Höhenrausch versetzte, wie wir fast Alle überholten. Wie ich nicht die Kraft hatte, Felix deutlich zu machen, dass ich langsamer gehen will. Pole pole - das ist die entscheidende Losung für die Bezwingung des Kilimanjaro. Geh Dein Tempo, lass Dich nicht hetzen. Man kann viel über sich selbst lernen an diesem Berg. Denn er verzeiht keinen Fehler, keine Überheblichkeit. Am Ende musste ich dankbar sein, es wenigstens bis Stella Point geschafft zu haben. Ich habe die Urkunde, es wurde kein totales Fiasko. Richtig traurig wurde ich, als mir Alain, der rüstige Franzose, beim Abstieg sein Gipfelerlebnis erzählte. Nur 150 Meter von Stella Point habe er bei Sonnenaufgang die riesigen Schneefelder in rosa Licht getaucht gesehen. Das sei das Schönste gewesen, was er je im Leben gesehen habe. Er habe 15 Minuten vor Glück und Erschöpfung geweint. 150 Meter von der Tafel des Stella Point! Warum hat mich Felix nicht wenigstens bis dorthin gebracht? Noch einmal steigt Wut in mir auf. Auf mich, auf Felix.
A propos Felix. Felix Austria! Am letzten Tag, kurz vor Verlassen des Parks, höre ich immer wieder Rufe durch den Wald hallen. "Super Bibi, Super Bibi." Bibi heißt Oma auf Swahili. Und schließlich bekomme ich die Super Oma zu Gesicht. Sie strahlt bis über beide Ohren. Sie erzählt: "Mein Mann hat mich einfach für diese Kilimanjaro-Besteigung angemeldet. Ich bin 75, mich hat das nicht interessiert. Ich dachte: was soll ich da, in Afrika? Aber es war halt der Wunschtraum meines Mannes." Es stellt sich heraus, dass Super Bibi Teil einer österreichischen Skigruppe war, eben jene Österreicher, die eine Stunde vor uns losgelaufen sind, die ich überholte und dann wieder aus den Augen verlor. Super Bibis Mann musste auf 5400 Meter aufgeben - die Höhenkrankheit. Super Bibi aber ging locker hoch und kam als Allererste an diesem Morgen beim Uhuru Point an. Mit 75 Jahren! Für ihren Mann tut es ihr sehr leid. "Das war sein Lebenstraum." Wir unterhalten uns noch ein wenig, sie findet meine Weltreise eine grandiose Idee. Dann verliere ich sie aus den Augen, aber ich höre ich noch eine Zeitlang die Rufe der schwarzen Träger durch den Wald: "Super Bibi, Super Bibi."
Am letzten Morgen tanzen und singen unsere Führer und Träger "Jambo, jambo Bwana, habari gani, nzuri sana."
Aufbruch: | Januar 2012 |
Dauer: | circa 5 Wochen |
Heimkehr: | Februar 2012 |