Tempeltour Japan
Ab nach Tokio
In den vier Jahren, in denen ich in Japan gelebt habe, bin ich so gut wie nie aus Groß-Tokio hinausgekommen. Wenn ich denn Urlaub hatte, ging es sofort zum Flughafen Narita (NRT), damals wie heute einer der übelsten Airports der Welt, auf nach Südostasien.
Für Pendler in der Hauptstadt gilt: 1½ Stunden Fahrzeit einfach ist angemessen. Wenn man dann bedenkt, daß der japanische ICE, der Shinkansen durchschnittlich 200 km/h fährt, kann man ausrechnen, wie groß das Einzugsgebiet ist. Der administrative Stadtbereich Tokio hat etwa 13 Mio. Einwohner, mit Umland (die Kanto-Ebene), wie oben definiert, sind es ca. 23-25 Mio., mithin ein Sechstel der japanischen Bevölkerung. Fahrtkosten zum Arbeitsplatz werden in Japan vollumfänglich von der Firma getragen. Autofahren ist wegen der Parkplatznot wenig sinnvoll. Dazu kommen noch ein paar Gemeinheiten, wie die die Auflage 500 m vom Wohnsitz einen Parkplatz nachzuweisen oder die KfZ-Besteuerung: Autos über 2000 cm3 oder breiter als 1,70 m (also praktisch alle europäischen Importe) kommen in die exorbitant teuere Steuerklasse "3." Gefahren wird links, Autobahnen sind gebührenpflichtig mit Höchstgeschwindigkeiten von 90-110 km/h.
Es hält sich aufgrund von Fernsehberichten die Vorstellung, daß in Japan hauptsächlich Hochhäuser gebaut werden. Das ist vollkommen falsch (Beton liebt man aber!). Lediglich in einigen geologisch stabilen engumgrenzten Orten in den Großstädten können Wolkenkratzern, wie im Tokioter Statdtteil Shinjuku, kann man auf Fels hoch hinaus. Stadtautobahnen auf Stelzen sind sehr beliebt. Sie erhöhen den Profit der Baufirma. Die öffentliche Auftragsvergabe ist eine extrem korrupte Affäre, Baukonzerne die größten Unterstützer der Fraktionen der Dauer-Regierungspartei LDP (von der selbst die CSU noch lernen kann). Man sieht auch, daß Bauten in Japan in der Regel in die Kategorie "häßliche Betonklötze" fallen, etwas, daß ich versuche soweit möglich aus meinen Photos auszublenden.
Tokio von oben. An einem der wenigen Tage im Jahr, an denen die Luft klar genug ist, bis zum Fuji (50 km; halb-links) zu sehen. Das bedrohliche schwarze Hochaus ist das nationale Polizeihauptquartier.
Ein Turm des neuen Rathauses (vollendet 1992).
Auch ist zu beachten, daß man in Japan in Jahrhunderten von Erdbeben und Feuersbrünsten gelernt hat nicht für die Ewigkeit zu bauen. Ein Wohnhaus wird hingestellt, gilt nach dreßig Jahren als alt und wird weggerißen. Eine Wartung (Anstrich) findet zwischendurch nicht statt. Typische Wohn- und Geschäftsstraßen sehen so aus (dabei ist der Abstand zwischen Gebäuden oft unter 1 m):
Typisches Apartment-Wohnhaus (Baujahr um 1970). Dies hier in Matsubara, Stadtteil Setagaya (heute abgerissen und Parkplatz).
Was hat sich geändert?
Ich bin also nach 15 Jahren zurückgekommen. Meine erste Wohnung (im Setagaya-ku) ist nun ein Parkplatz. Als ich das zweite Haus gesucht habe, konnte ich nicht einmal mehr sagen wo es gestanden hatte - die Hauptstraße war verbreitert, alle umliegenden Gebäude durch Neubauten (4-5stöckige Stahlrahmenkonstruktionen) ersetzt.
Diese Neubauten haben einen Nachteil: Es gibt in jeder Wohnung ein Bad. Dadurch benutzen immer weniger Leute das öffentliche Gemeinschaftsbad (sento; ¥ 400), eine der großen Errungenschaften japanischer Kultur. Ich war in fünf verschiedenen und habe alle genossen, auch wenn es oft mehr ein Rentnertreff war. (Als Ausländer wird man am Eingang immer etwas schel ageschaut. Weiß der gaijin ("Ausländer") denn wie man sich richtig wäscht?)
Was hat sich geändert?Wenig, die Preise waren fast unverändert. Zunächst einmal gibt es Papier auf öffentlichen Toiletten. Man ist nicht mehr auf die Werbemittelverteiler vor U-Bahnhöfen angewiesen. Dann sind die Schuluniformen im Stile preußischer Marinekadetten für Jungs sehr selten geworden, der zugehörige verpflichtende 2 mm-Haarschnitt scheint ganz verschwunden (was wohl an der unkonventionellen Haarpracht des ehemaligen Premiers Koizumi liegt). Zigaretten kosten das Doppelte. Nicht mehr gesehen (oder besser gehört) habe ich die "sound trucks" der Ultra-Nationalisten, die früher jeden größeren Bahnhofsvorplatz beschallten (die sind aber wohl noch nicht ganz ausgestorben.)
Was war unverändert? Zunächst die angenehm unaufdringlichen Polizisten (solange man nicht in der Zelle sitzt, dann wird es extrem unangenehm: 23 Tage incommunicado sind legal. Man hat so seine Methoden um Geständnisse zu erreichen.) mit Ihrer ausgesuchten Höflichkeit.
Die Sauberkeit und absolute Korrektheit im Geschäftsleben (man nimmt kein Trinkgeld, außer Regenschirmen und Fahrrädern wird absolut nicht gestohlen). Fisch ist immer frisch.
Angenehm waren die Ladenöffnungszeiten: zwar schließen die zahlreichen Tante-Emma-Läden immer noch gnadenlos Punkt 6, große Geschäfte haben aber bis 20 oder 22 Uhr auf und schließen einen Tag unter der Woche. Weiterhin gibt es in jedem Viertel einen Conveni-Laden, der 24 Stunden auf hat und wirklich alles Lebensnotwendige (inklusive Softpornos) zu nur geringfügig höheren Preisen anbietet.
Was fehlt? Zuvorderst Ruhe (Stille). Ständig läuft irgend eine Ansage (mehr unter Kurioses) oder piepst irgend etwas. Außerdem können Japaner keinen Rasen. Wo es Parks gibt, ist der Boden meist Dreck, es fehlen weiterhin Mülleimer und Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum. Ich stimme Christoph Neumann und seinem Buch "Darum nerven Japaner" (ISBN 978-3-492-24508-1, € 7) im allen wesentlichen Punkten zu und will das hier nicht wiederholen.
Weiteres dazu im Abschnitt Kurioses.
Werbemittelverteiler, meist gibt es als Toilettenpaier dienende kleine Päckchen mit Werbeaufdruck.
Aufbruch: | 10.10.2010 |
Dauer: | 15 Tage |
Heimkehr: | 24.10.2010 |