Auf dem Drahtesel durch den wilden Westen
Mal verliert man, mal gewinnen die anderen
Beim Desert Doctor
Die kommenden drei Tage sind nicht unbedingt vergnuegungssteuerpflichtig. Der Regen ist die eine Sache, wenn dann aber zum fehlenden Glueck auch noch Pech dazu kommt, kann einen der Humor schon mal verlassen. Mit viel Regen und langen Bergfahrten (im Regenzeug auch kein Spass) komme ich durch den kleinen Ort Escalante. Eigentlich keiner Erwaehnung wert und nach einem kurzen Imbiss bin ich auch schon wieder weg. Der Regen macht sogar eine Pause und die Strecke ist relativ flach, sodass ich ganz flott vorankomme. Ein paar Kilometer hinter Escalante habe ich meinen Kaputze der Regenjacke abgenommen und stelle ein nervendes Graeusch beim Treten fest. Zu meinem Entsetzen sehe ich, dass ich drei von vier Muttern des kleinsten Kettenrades der Gangschaltung verloren habe und das Kettenrad nur noch lose an einer Schraube baumelt. Ich habe zwar viele verschiedene Schrauben im Gepaeck, aber diese sehr speziellen mit Feingewinde natuertlich nicht. Vor mir liegen lange und steile Passstrassen, die ich ohne die kleinen Gaenge nicht fahren kann. Es gibt also nur einen Weg: Zurueck nach Escalante und hoffen, dass es dort irgendjemanden gibt, der mir helfen kann. Auf einen Fahrradladen wage ich in dieser sehr duenn besiedelten Gegend nicht zu hoffen. Hinzu kommt, dass es Sonntagnachmittag ist...
An der Tankstelle weiss man auch keine Rat. Die Werkstatt im Hinterhof koenne vielleicht morgen helfen. Aber es gebe da noch den Desert Doctor gleich um die Ecke, eine Motorradwerkstatt, in der schon vielen geholfen wurde. Eine Motorradfahrerin bestaetigt sofort, dass das eine gute Adresse waere, wo ihr auch schon geholfen wurde. Nur 200m weiter finde ich in einer Nebenstrasse die Werkstatt des Desert Doctor...
Die Werkstatt hat die Groesse einer Doppelgarage ist bis an den Rand vollgestopft mit Maschinen, Teilen und, und, und. Der Desert Doctor ist natuerlich in seiner Praxis und bastelt an irgendetwas herum. Er sieht sich den Schaden an und sagt mit groesster Selbstsicherheit: "I will fix it for you!" Er dreht die letzte Schraube heraus und ist sicher, dass er eine solche nicht auf "Lager" hat. Er sucht in den verschiedensten Ecken des Chaos und findet dann ziemlich grobe Schrauben, die zumindest in Laenge und Dicke stimme und ohne zu fragen wird aus drei Feingewindefassungen drei Grobgewindefassungen. Der Mann ist es gewohnt zu handeln und nicht lange zu fragen. Wer zu ihm kommt hat ein Probelm und er hat die Loesung - die einzige im Umkreis von 200 Meilen. Der Mann ist in Motorradfahrerkreisen eine ziemliche Beruehmtheit und er holt ein deutsches Motorradmagazin heraus, in dem ein Artikel ueber ihn veroeffentlicht ist. Dann zeigt er noch einen mindestens 5cm hohe Packen Visitenkarten von Menschen, denen er in den letzten zwei Monaten geholfen hat - meine ist jetzt auch dabei.
Die Aussenwaende seine Werstatt zieren Abschnitte von Motorradreifen, auf denen der Desert Doctor die Herkunft der Eigner geschrieben hat
Naechtlicher Besuch im Zelt
Nach der geglueckten Reparatur setze ich meinen Weg am spaeten Nachmittag fort. Bis heute haben sie gut gehalten und ich bin ueberzeugt, diese drei Schrauben werden ewig halten.
So weit komme ich heute allerdings nicht mehr und so steuere ich den sehr einfachen Campingplatz des State Parks am Calw Creek an. Alles ist nass und matschig. Ich baue mein Zelt immer mit einem Auge darauf auf, wo fliesst das Wasser, wo sammelt es sich. Den Hinweis am Eingang auf Maeuse, Eichhoernchen und anderes, z. T. krankes Getier ignoriere ich einfach. Ein Fehler! Denn in der Nacht bekomme ich Besuch im Vorzelt und am Morgen stelle ich ein ca. 3 cm grosses Loch in der Packtasche mit den Lebensmitteln fest. Ortlieb ist eben nur Waterproof - nicht Mouseproof! Notduerftig stopfe ich das Loch, damit kein Regenwasser eindringt und mache mich auf eine lange, harte Tagesetappe mit einem ca. 2850m hohen Pass und bis zu 14% Steigung - ohne die Arbeit des Desert Doctor waere das nicht zu schaffen gewesen. Immerhin bleibt der Tag trocken und am Abend kommt mir mein umfangreiches Reparaturmaterial in den Taschen zugute und ich kann die Tasche wieder einigermassen herrichten. Den Abend verbringe ich auf einem RV Park in Torrey. Dort bietet man mir fuer nur $4 mehr als fuer einen Zeltplatz eine - zugegebenermassen sehr schlichte - Huette an. Angesichts der sehr dunklen Gewitterwolken schlage ich sofort ein. Ich bin nicht der einzige Radler hier. In der Nachbarhuette hat sich ein hollaendisches Paar einquartiert.
Flash Flood im Capitol Reef National Park
Die ganze Nacht hat es wieder gegossen und der Regen setzt auch beim gemeinsamen Start mit Thelma und Jan in Richtung Capitol Reef National Park wieder ein. Nach kurzer Fahrt bis zum Visitors Center ist erst einmal Schluss. Die Baeche und Fluesse sind ueber die Ufer getreten und haben die Strassen ueberschwemmt. Kein Fortkommen. Allerdings hat der Regen aufgehoert und so schnell der Wasserstand in den Fluessen steigt, so schnell sinkt er danach auch wieder und die Strassen werden wieder frei gegeben.
Das Wasser ist weg, nur der Schlamm ist noch auf den Strassen und muss erst einmal beiseite geraeumt werden, bevor der Verkehr wieder rollen darf
Ueberall steht und fliesst das Wasser und nahe Gewitter sind auch kein Spass auf dem Fahrrad, wenn kein Schutz zu finden ist
Hanksville - ein Ort dem es schon bei gutem Wetter schwer faellt, zu begeistern, ist bei diesem Wetter zum Abgewoehnen. Der Campingplatz gegenueber steht unter Wasser und so ist das Hanksville Inn DIE Adresse
The day after - die Sonne scheint, das Wasser ist abgezogen, nur die Schaeden sind noch nicht behoben.
Hoert sich alles bisschen dramatisch an, war es aber im Grunde nicht. Wenn man bedenkt, welche fuer die Jahreszeit ungewoehnlichen Unwetter hier in den USA herrschten, habe ich mit diese drei Tagen wirklich ausgesprochenes Glueck gehabt. Zumal ich oft von anderen Reisenden hoere, wie viel Regen sie in der naeheren Umgebung hatten, wenn ich im Sonnenschein gefahren bin. Also: I do not complain!
Nur schade, dass ich vom Capitol Reef NP so gar nichts gesehen habe.
Aufbruch: | 30.08.2013 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 28.09.2013 |