Auf dem Drahtesel durch den wilden Westen

Reisezeit: August / September 2013  |  von Jörn Tietje

Das Finale: Durch die Rockies nach Denver

Der Rueckflug ist von Denver gebucht und es bleibt mir noch eine Woche fuer die Fahrt durch die Rocky Mountains in die Metropole Colorados. Und ein bisschen Reserve moechte ich auch noch haben, um fuer moegliche Zwischenfaelle noch ein Polster zu haben. Kurz: Es liegen lange Tage auf dem Fahrrad vor mir und hier macht jeder wissende Bemerkungen ueber die langen Berge, die vor mir liegen...

Nachdem der Arches National Park hinter mir liegt, kaufe ich noch einmal fuer die naechsten Tage in Moab ein und folge dem Colorado River flussaufwaerts durch ein beeindruckendes Tal am Rande des Nationalparks. Zwischen Fluss und Strasse gibt es hier zahlreiche Campingplaetze - fast ohne alles! Kein Strom, keine Wasser, nur Plumpsklos, Tische und Baenke und natuerlich eine Feuerstelle. Das alles zum Preis von $15 zur Selbstbedienung.

Der kuerzeste Weg, ohne auf die Interstate 70 zu muessen geht mitten durch die Berge und irgendwann endet auch der Asphalt. Diese Etappe nach Gateway zaehlt mit zu den schwersten, die ich auf dieser Tour gefahren bin - nicht weil sie so hoch, so lang oder so steil ist. Es ist die Laenge der Steigung, die mich fertig gemacht hat. "Nur" 800 Hoehenmeter, die sich aber auf 38km Steigung ohne nennenswerte Unterbrechung verteilen. Jede kleine Pause beim Treten fuehrt sofort zum Stillstand. Die letzten steilen Anstiege habe ich geschoben, das einzige Mal auf dieser Reise! Dafuer gab es aber auch zur Erfrischung erstmals Bergbaeche mit klarem, kuehlen Wasser, das man bedenkenlos trinken kann. Auch mal nett nach all den Fluessen, in denen mehr Sediment als Wasser unterwegs ist...

Mit dem Castle Rock auf dem Weg nach Gateway verabschiede ich mich endgueltig aus Utah mit seinen einzigartigen Felsformationen

Mit dem Castle Rock auf dem Weg nach Gateway verabschiede ich mich endgueltig aus Utah mit seinen einzigartigen Felsformationen

So harte Arbeit wird natuerlich belohnt. Nach dem langen Anstieg geht es dann die gesammelten Hoehenmeter am Stueck wieder runter mit 14% Gefaelle auf einer nach den starken Regenfaellen der letzten Tage gerade neu hergerichteten Schotterpiste. Der Canyon ist wieder etwas fuer das Auge, laesst sich mit Bildern aber kaum wiedergeben.

Das Bild verraet nicht das starke Gefaelle, auf dem ich 800 m tiefer rolle - immer schoen vorsichtig und nie die Haende von den Bremsen lassen

Das Bild verraet nicht das starke Gefaelle, auf dem ich 800 m tiefer rolle - immer schoen vorsichtig und nie die Haende von den Bremsen lassen

An eines muss ich mich hier in Colorado erst noch gewoehnen. Waehrend es in Utah an jeder Strassenkreuzung, an der ein Ort eingezeichnet ist, zumindest eine Tankstelle mit einigen Basics gibt, darf man in Colorado nicht unbedingt darauf vertrauen, dass die Orte hier irgendetwas an Infrastruktur fuer den Reisenden anzubieten haben. Gut, Gateway bietet etwas, naemlich des Gateway Canyon Ressort. Aber $600 pro Person und Nacht liegen dann doch ein bisschen jenseits meines Budgets. Nach dem langen Tag im Sattel habe ich auch keine Lust mehr, mir das als "Geheimtipp" im Reisefuehrer (es ist einer von nur dreien fuer den gesamten Suedwesten!) angepriesene Automuseum anzusehen. Eine Uebernachtungsmoeglichkeit geht vor. Die finde ich dann auf dem Rasen (endlich mal kein Sand oder Schotter!) eines Privathauses und Abendessen und Fruehstueck gibt es dann auch noch obendrauf - wieder mal Glueck gehabt.

Nach Geateway geht es durch den Unaweep Canyon. Angeblich der einzige Canyon der Welt, der eine Wasserscheide in seiner Mitte hat. Allerdings bin ich mit solchen Superlativen immer etwas vorsichtig. Jedenfalls kann man sich darauf einstellen, dass es erst einmal wieder lange berauf geht - heute sind es 34km, bevor sich die Fliesrichtung des Wassers neben der Strasse aendert und das Rollen anfaengt. In Whitewater treffe ich dann auf den Highway 50, dem ich fuer den Rest des Tages folge. Whitewater ist noch nicht ganz Geisterstadt, aber auch nicht mehr weit davon entfernt. Alle Laeden, die es hier einmal gegeben hat sind geschlossen und ich bin froh, dass ich zumindest meine Wasserflaschen auffuellen kann. Der Highway 50 von Grand Junction kommend in Richtung Delta hat die Qualitaet einer vierspurigen Autobahn und ist so spannend zu befahren wie die A7 zwischen Flensburg und dem Nordostseekanal - besser schnell vergessen.

Ein bisschen amerikanisch-laendliche Bilderbuchidylle

Ein bisschen amerikanisch-laendliche Bilderbuchidylle

Der Besitzer des Campingplatzes in Delta, auf dem ich uebernachte, empfiehlt mir dringend nicht weiter auf dem HW50 zu fahren, sondern die landschaftlich wesentlich reizvollere Strecke ueber Crawford zu nehmen. Hierbei unterlaufen mir gleich zwei Fehler: 1. uebersehe ich eine Meilenangabe auf der Landkarte und komme zu dem Ergebnis, dass die Strecke nur 6 Meilen laenger ist als auf der Hauptstrasse, tatsaechlich ist sie aber 14 Meilen laenger und 2. man sollte nie auf Leute hoeren, die selbst nur mit motorisierten Fahrzeugen unterwegs sind. Mehrfach habe ich den Tippgeber gefragt, ob die Strecke sehr bergig ist, worauf er meinte, sie waere huegelig aber ohne steile Passagen. Beides stimmt. Allerdings wird es der Tag mit den meisten Hoehenmetern, die ich bergauf fahre, der gesamten Reise! Immerhin mit den Aussichten in den Black Canyon und auf den Stausee des Gunnison River hat er Recht, leider komme ich so spaet in diese Gegend, dass die tiefe Schlucht bereits in ebenso tiefen Schatten liegt

Um diese Aussicht zu erleben, muss man lange Berge nach oben fahren

Um diese Aussicht zu erleben, muss man lange Berge nach oben fahren

Kein Zurueck, um noch einmal einen Blick bei gutem Tageslicht in die Schlucht zu werfen, auch im weiteren Verlauf bleibt die Landschaft abwechslungsreich

Kein Zurueck, um noch einmal einen Blick bei gutem Tageslicht in die Schlucht zu werfen, auch im weiteren Verlauf bleibt die Landschaft abwechslungsreich

Gunnison soll eigentlich nur Etappe fuer einen Mittagsimbiss sein, um dann wieder ueber Nebenstrecken durch die Berge zu radeln. Waehrend ich mich wieder mal total gesund per Fastfood mit reichlich Kalorien versorge, faengt es draussen an zu giessen. Da die Beine von den vielen Bergetappen der letzten Tagen ohnehin schwer sind, faellt es mir nicht schwer, dem Tipp anderer Gaeste auf das Hostel "Wanderlust" zu folgen und mich dort fuer die Nacht einzuquartieren. Auch zu diesem Hostel keine Kommentar, nur soviel: Ich wuerde es nicht noch einmal waehlen.
So eine amerikanische Kleinstadt bei Regen an einem Sonntagnachmittag hat schon seinen ganz besonderen Reiz. Vor allem, wenn man sich zu Fuss in den Ort wagt. Selbst Nebenstrassen haben das Format von Autobahnen und hier wie dort fehlen die Buergersteige. Wozu auch. Neil Armstrong muss sich bei seinem ersten Spaziergang auf dem Mond aehnlich gefuehlt haben - man ist der einzige Fussgaenger weit und breit...

Dieser Laden war leider geschlossen, das Warenangebot fuer unsere Begriffe schon ziemlich ausgefallen: Ausgestopfte Wapitihirsche, Bisons, Pumas, Kojoten und alles Moegliche andere, wobei man sich fragt: Wer kauft das Zeug bloss?

Dieser Laden war leider geschlossen, das Warenangebot fuer unsere Begriffe schon ziemlich ausgefallen: Ausgestopfte Wapitihirsche, Bisons, Pumas, Kojoten und alles Moegliche andere, wobei man sich fragt: Wer kauft das Zeug bloss?

Ironie des Schicksals, dass dieser Waschbaer ausgerechnet vor dem Laden mit den ganzen praeparierten Wildtieren ueberfahren wurde

Ironie des Schicksals, dass dieser Waschbaer ausgerechnet vor dem Laden mit den ganzen praeparierten Wildtieren ueberfahren wurde

Am naechsten Morgen ist es kalt, dunkle Wolken haengen ueber Gunnison, aber es ist trocken. Einen guten Grund hier zu bleiben kann ich ohnehin nicht entdecken. Vor mir liegt der Monarch-Pass, mit ca. 3400m der hoechste Pass auf meinem Weg nach Denver. Von der Nebenstrecke habe ich mich schon gedanklich verabschiedet, weil ich keine Informationen ueber den Zustand der Schotterpiste habe. Dafuer zeigt mir aber ein anderer Gast des "Wanderlust" Bilder von der Webcam vom Monarch-Pass: Es ist der erste Schnee gefallen und davon nicht zu wenig! Nuetzt nichts, irgendwie muss ich ja nach Denver.

6 Grad, dunkle Regenwolken und der Hinweis auf vereiste Strassen - der Tag faengt gut an...

6 Grad, dunkle Regenwolken und der Hinweis auf vereiste Strassen - der Tag faengt gut an...

Mit gutem Rueckenwind komme ich auf der zunaechst ebenen Strecke zuegig voran. Die leichten Regen- und Hagelschauer halten sich in Grenzen, sodass das Regenzeug eher als Kaelteschutz dient. Der ist auch erforderlich, als ich die Passstrasse in Angriff nehme. Es geht mal wieder gut 800m aufwaerts, allerdings zeigt ein Schild am Beginn des Berges an, dass es bis zum Pass nur 7 Meilen sind - und dass ist mit einer durchschnittlichen Steigung von 6 - 7% nun wirklich keine grosse Huerde mehr

Auf etwa 3000m Hoehe angekommen liegt reichlich Schnee, die Strasse ist aber gut geraeumt und auch schon trocken

Auf etwa 3000m Hoehe angekommen liegt reichlich Schnee, die Strasse ist aber gut geraeumt und auch schon trocken

Und ein bisschen Indian Summer gibt es auch noch dazu

Und ein bisschen Indian Summer gibt es auch noch dazu

Ich bin auf dem hoechsten Punkt der Tour angekommen, der zugleich die kontinentale Wasserscheide markiert

Ich bin auf dem hoechsten Punkt der Tour angekommen, der zugleich die kontinentale Wasserscheide markiert

Ein eiskaltes Versprechen - und ich habe keine Handschuhe im Gepaeck. Da muessen die wasserdichten Struempfe herhalten - Bremsen geht, Schalten ueberfluessig

Ein eiskaltes Versprechen - und ich habe keine Handschuhe im Gepaeck. Da muessen die wasserdichten Struempfe herhalten - Bremsen geht, Schalten ueberfluessig

Der erste Frost faerbt das Laub. Fuer "richtigen" Indian Summer fehlt aber das rote Laub des Ahorn

Der erste Frost faerbt das Laub. Fuer "richtigen" Indian Summer fehlt aber das rote Laub des Ahorn

Mit den schneebedeckten Bergen im Hintergrund aber trotzdem ein schoener Anblick

Mit den schneebedeckten Bergen im Hintergrund aber trotzdem ein schoener Anblick

Die kommenden Naechte werden ziemlich kalt und die Entscheidung, den Daunenschlafsack mitzunehmen, zahlt sich hier aus! Regen und Schnee liegen hinter mir, strahlender Sonnenschein begleitet mich auf meinem Weg nach Denver, jetzt immer mit dem Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains. Es liegen noch drei weitere Paesse um 3000m Hoehe auf dem Weg, da ich aber nicht wesentlich weiter runterfahren, kann ich sie ziemlich problemlos an einem Tag fahren und auf dem letzten und hoechsten noch einmal auf einem Campingplatz der Forstverwaltung verbringen. Der Hinweis an der Zufahrt, dass es hier in der Gegend Elche gibt laesst mich aber nicht so unruhig schlafen, wie das Geraeusch einer Maus im Vorzelt - ich habe da so meine Erfahrungen...

Gepuderte Gipfel, wohin man schaut

Gepuderte Gipfel, wohin man schaut

Letzter Akt: Denver
Vom Kenosha-Pass bis in die Innenstadt von Denver sind es noch einmal ca. 130km. Aber auch 1400 Hoehenmeter - nach unten Ein entgegenkommender Radler aus Denver gibt mir noch den Tipp auf eine Nebenstrecke, die mich abseits vom viel befahrenen Highway direkt an das Ende einer Strecke des Radwegenetzes von Denver bringen soll. Als ich diese Strasse gefunden habe - an den gepflegten Anwesen ist die Naehe der reichen Millionenstadt schon deutlich abzulesen - gibt es nur noch ein Hindernis: Ein Holztransporter, den ich auf der kurvigen Strecke nicht ueberholen kann...
Unter dem Autobahnring um Denver herum gelange ich auf den Fahrradtrail und die letzten 25 km durch die Vororte und durch Denver fahre ich mit zuegigem Rueckenwind und ohne auch nur einmal mit dem Strassenverkehr in Kontakt zu kommen direkt in die City Denvers - besser geht's wirklich nicht.

Angekommen in Downtown Denver

Angekommen in Downtown Denver

Denver ist offenkundig eine reiche Stadt. Hier wird Geld in grossem Umfang umgeschichtet - aber das war's denn auch schon, was man ueber diese Stadt sagen kann. Abgesehen von den glitzernden Hochhausfassen gibt es hier fuer mich nicht so viel, was mich beeindrucken oder interessieren koennte. Die 50 Museen werde ich wohl in den letzten beiden Tagen nicht mehr besuchen. Aber Denver ist ja auch nur die letzte Station meiner Reise, nicht das eigentliche Ziel. Das lag in der reichlich vorhandenen Natur, die ich in den letzten Wochen bestaunen konnte!!!

Reichtum wohin man schaut - hier das Kulturzentrum, in dem sich auch die Bibliothek befindet, wo ich gerade meinen letzten Bericht schreibe

Reichtum wohin man schaut - hier das Kulturzentrum, in dem sich auch die Bibliothek befindet, wo ich gerade meinen letzten Bericht schreibe

Kann man moegen, muss man aber nicht

Kann man moegen, muss man aber nicht

Letztes Bild: Ende einer Reise

Letztes Bild: Ende einer Reise

© Jörn Tietje, 2013
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Die Reise
 
Worum geht's?:
"Utah im September" war Bill's Empfehlung vor zwei Jahren als wir uns vor zwei Jahren in Patagonien trafen und eine Weile zusammen durch die Anden radelten. Also Utah im September! Vier Wochen geht's durch Halbwüsten des Südens und durch die Landschaften, die zahlreichen Edelwestern als Kulisse dienten - und wieder werde ich hier in Wort und Bild berichten. Ihr seid herzlich eingeladen mich zu begleiten und freue mich auf eure Kommentare und Anregungen.
Details:
Aufbruch: 30.08.2013
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 28.09.2013
Reiseziele: Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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