Altes Land – neue Staaten: Slowenien – Kroatien – Bosnien-Herzegowina
Kroatien - erste Grenzübergänge
Wir erreichen die slowenisch-kroatische Grenze bei Dubrava Krizovljanska. Es wirkt befremdend, wenn man als alte Jugoslawienreisende und als EU-Bürgerin gewohnt ist, dass Schlagbäume nicht mehr existieren. Der hier existiert sehr wohl und ist geschlossen. Wir werden streng kontrolliert. Einst geeinter, jugoslawischer Staat, heute geschlossene Schlagbäume? Ein Europa ohne Grenzen – für Jugoslawien hat sich diese Vorstellung in ihr Gegenteil gekehrt.
Es ist nicht weit in das Städtchen Ivanec, wo wir gegen Mittag ankommen. Die Gründung des Städtchens ist auf den Orden des heiligen Johann von Jerusalem zurückzuführen, die Johanniter heißen auf serbo-kroatisch „ivanovci“. An einer Tankstelle wollen wir uns eine Flasche Mineralwasser kaufen und müssen mit der Kreditkarte zahlen, weil dort keine Euro angenommen werden. Mit kroatischem Geld, dem Kuna (HRK) haben wir uns noch nicht eingedeckt. Ein Kuna hat 100 Lipa. Etwa 7,4 Kuna entsprechen einem Euro.
Unsere Freundin empfängt uns in ihrem schönen Haus mit dem liebevoll gestalteten Garten, wo alles in voller Blüte steht, mit einem mehr als üppigen Mittagessen. Nach dem Essen machen wir einen Spaziergang zum nahegelegenen See. Ein Schwanenpaar ist mit seinen vier Sprösslingen unterwegs und die Frösche quaken. Unsere kroatische Freundin erzählt, dass zu jugoslawischen Zeiten der See für die Allgemeinheit zugänglich war. Es habe einen schönen, gepflegten Strand gegeben, ein kleines Lokal, im Sommer habe man dort gegrillt und Sommerfeste gefeiert. Nach der Zerschlagung Jugoslawiens sei der See an eine Privatperson verkauft worden, das Lokal geschlossen und der Strand verwildert. Baden verboten.
Es schwingt in Marizas Erzählungen Nostalgie über vergangene Jugoslawien-Zeiten mit. Nie habe Feindschaft zwischen den verschiedenen Volksgruppen geherrscht, die Zerwürfnisse seien politisch geschürt worden. Hier teilt sie die Meinung mit der Autorin Dubravka Ugrěsić, die schreibt: „Ich wuchs in einer multinationalen, multikulturellen und monoideologischen Gesellschaft auf, die eine Zukunft vor sich hatte.“ Und weiter: „Reale und mentale Granaten vernichteten Menschen, Häuser, Städte, Kinder, Brücken, Erinnerungen. Im Namen der Gegenwart wurde ein Krieg um die Vergangenheit geführt, im Namen der Zukunft ein Krieg gegen das Heute. Im Namen einer neuen Zukunft fraß der Krieg die Zukunft.“
In den 90er Jahren war in Kroatien Nationalismus angesagt. Es wurde die alte Schachbrettfahne der faschistischen 40er Jahre hervorgeholt und Franjo Tudjman zunächst zum neuen Führer der nationalistischen Bewegung und 1991 zum Präsidenten gewählt. Die zwölf Prozent serbische Minderheit, die in Slawonien und im Gebiet der Krajnia die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und die den Status eines „Staatsvolks“ hatte, wurde dabei nicht gehört. Bald schon kam es zu Kämpfen zwischen kroatischer Nationalgarde und Serben um Polizeistationen. Zu diesem Zeitpunkt war die Unabhängigkeit Kroatiens noch nicht ausgerufen, so dass das Völkerrecht auf Seiten Jugoslawiens stand, das seine staatliche Integrität verteidigte. Im Mai 1991 stimmten bei einem Referendum 94 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit Kroatiens. Die serbische Minderheit hatte das Referendum boykottiert und erklärte die von ihr bewohnten Gebiete ihrerseits zur autonomen Provinz. Der damaligen UN-Generalsekretärs Pérez de Cuéllar appellierte an Deutschland, Kroatien nicht anzuerkennen, da ansonsten „ein dramatischer Kampf um jugoslawische Territorien ausbrechen“ würde. Sein Appell fand kein Gehör.
Fünf Wochen nach der Ausrufung der kroatischen Unabhängigkeit brach der Krieg mit voller Wucht los. Die jugoslawische Armee rückte in Kroatien ein, zerstörte die Küstenstadt Dubrovnik, vertrieb die Kroaten aus serbisch besiedelten Gegenden. Tausende Kroaten kamen ums Leben. Aber auch 60.000 Serben waren auf der Flucht, ihre Häuser wurden gesprengt, ebenso ihre orthodoxen Kirchen, woraufhin die Serben gleiches mit gleichem vergalten. Besonders schwer umkämpft war das Gebiet um den berühmten Naturpark Plitvicer-Seen. Beide Seiten schenkten sich an Gräueltaten nichts: Serben metzelten Kroaten, Kroaten metzelten Serben. Ein mörderischer Krieg.
Hannes Hofbauer schreibt in seinem Buch Balkankrieg: „Die blutige Bilanz der kroatischen Nationalwerdung bis Ende 1992: 6.500 Tote, ebenso viele Vermisste, 20.000 Verwundete; eine bis zu 50 Prozent ruinierte Industrie, 600.00 Flüchtlinge, Kroaten wie Serben.“
Im August 1995 starteten die Kroaten eine Großoffensive zur Eroberung der Krajina. Die dort stationierten UNO-Soldaten schritten nicht ein, als 230.000 Serben vertrieben und ihre Häuser in Brand gesteckt wurden. Kroatische Bomben fielen auf die Flüchtlingstrecks, Kroatien wurde zu „serbenfrei“ erklärt. Die Einseitigkeit in der Berichterstattung in den deutschsprachigen Medien zugunsten der Kroaten war nicht zu übertreffen.
Heute stellen Serben nur noch 4,5 Prozent der Bewohner Kroatiens.
2012 stimmten bei einem Referendum zwar zwei Drittel der Wähler für einen EU-Beitritt, allerdings betrug die Wahlbeteiligung nur 43,6 Prozent, d.h. es haben nur 28 Prozent der Bevölkerung tatsächlich für einen Beitritt gestimmt. Nichtsdestotrotz wird Kroatien 2013 das 28. Mitgliedsland der EU.
Aller Politik zum Trotz, genießen wir das schöne Wetter und tolle Frühstück, das uns unsere Freundin bereitet hat. Wir wollen Kroatien auf dem schnellsten Weg durchqueren, dann Bosnien-Herzegowina bereisen, von dort aus über Mostar durch die Berge wieder nach Kroatien einreisen und entlang der Küste nach Norden fahren.
Doch unser Navi macht uns da einen Strich durch die Rechnung. Es führt uns nicht auf dem schnellsten, sondern auf dem kürzesten Weg zur bosnischen Grenze. Es geht auf engen Sträßchen mitten durch eine unglaublich schöne, wild-romantische Berglandschaft. Wir fahren über Produte am idyllisch gelegenen Schloss Pusta Bella vorbei, bevor wir wieder auf die AB geleitet werden.
Zunächst fahren wir Richtung Gradiška, wo sich nun eine Grenze zwischen den beiden Ex-Jugoslawien-Ländern Kroatien und Bosnien befindet. Grenze? Eiserner Vorhang! Die Grenzer auf bosnischer Seite nehmen die Einreisekontrollen sehr genau, kontrollieren nicht nur unsere Papiere und die unserer Hunde, sondern lassen sich auch die Autopapiere zeigen. Am Schlagbaum in die Gegenrichtung, also zur Einreise nach Kroatien, bilden sich lange Schlangen, auch von Fußgängern, die diese ehemals innerjugoslawische Grenze überqueren wollen. Das soll Europa sein? Drei Grenzen, drei Grenzkontrollen, drei Währungen innerhalb weniger Kilometer? Das ist ja ein super Fortschritt. Jetzt wird mir der Begriff „Balkanisierung“ klar.
Aufbruch: | 26.05.2018 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 15.06.2018 |
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