Altes Land – neue Staaten: Slowenien – Kroatien – Bosnien-Herzegowina
Bosnien-Herzegowina
Land der Rosen und des Honigs - und des Krieges
Bei der Einreise nach Bosnien-Herzegowina machen wir im recht lebhaften Grenzort Gradiška Halt. In der Wechselstube versorgen wir uns mit dem einheimischen Geld, das hier Konvertible Mark (KM) heißt. Zunächst finden wir das lustig, dass die bosnische Konvertible Mark tatsächlich auf unserer guten, alten D-Mark gründet. Der Wechselkurs zum Euro beträgt folgerichtig 2:1, also für einen Euro bekommt man zwei KM. Erst als ich später mehr darüber lese, wird mir klar, dass Bosnien tatsächlich unter deutscher Finanzverwaltung steht! Der Bankensektor wurde bei Kriegsende umgehend privatisiert und heute befinden sich 90 Prozent des Eigenkapitals in ausländischen Händen. Dies in einem Land, in dessen Betrieben zu jugoslawischen Zeiten die Arbeiterselbstverwaltung galt und die Belegschaft die Direktoren wählen durfte.
Wir stärken uns mit einem ausgezeichneten Espresso in einer kleinen Bar und lassen erst einmal die neue Umgebung auf uns wirken. Es mutet hier moslemisch an, eine Moschee gleich am Hauptplatz. Endlich sind wir richtig auf dem Balkan angekommen. Wir versorgen uns an einem Stand mit frischem Obst, bevor wir der Ausschilderung in Richtung Banja Luka folgen.
Bosnien, dessen Einwohnerzahl vor dem Krieg noch über 4,4 Millionen betrug, hat heute nur noch 3,8 Millionen Menschen. Es setzt sich aus zwei Landesteilen zusammen, der Föderation Bosnien-Herzegowina und der hauptsächlich von Serben bewohnten Republik Srpska. Das Staatsoberhaupt muss man sich als Trinität vorstellen, sie besteht aus einem Bosniaken (d.h. einem moslemischen Bosnier), einem Serben und einem Kroaten, die im Vorsitz abwechseln und aufgrund der gegenseitigen und unüberwindbaren Vorbehalte, ausgelöst durch den brutalen Sezessionskrieg, praktisch nie zu einer Einigung kommen. Es leben etwa 48 Prozent Bosniaken, 37 Prozent Serben und 14 Prozent Kroaten in Bosnien-Herzegowina, davon sind ca. 44 Prozent muslimisch, 32 Prozent serbisch-orthodox und 17 Prozent römisch-katholisch.
Wir fahren durch die Berge. Gerne möchten wir halten und den Hunden ein Gassi gönnen, doch das bietet sich nirgends an. Und schon haben wir die Vororte von Banja Luka erreicht. Heiß ist es geworden, die Hunde müssen dringend mal raus und so beschließen wir, Banja Luka, die Hauptstadt des serbischen Bosniens, d.h. der Republik Srpska, einfach links liegen zu lassen. Das Banja Luka, das Le MondeDiplomatique in seiner Ausgabe vom Juni 2918 betitelt: „Kein Bleiben in Banja Luka. Der große Exodus aus dem westlichen Balkan geht weiter.“ Und im Text heiß es: „Die Leute gehen weg, weil sie jede Hoffnung verloren haben. Sie glauben nicht mehr, dass sich irgendetwas ändert.“ Der Artikel beschreibt, wie vor allem gut ausgebildete, junge Leute die heutigen Staaten Ex-Jugoslawiens in Scharen verlassen, weil es für sie entweder gar keine oder nur schlecht bezahlte Jobs gibt. Die beliebtesten Ziele sind Deutschland und Österreich. Über Bosnien heißt es, dass das Land „im Zuge eines endlosen Transformationsprozesses zugrunde gerichtet wurde, der die Plünderung der öffentlichen Ressourcen unter dem Deckmantel der Privatisierung ermöglichte.“
Auch wenn die Politik in Bosnien ein Trauerspiel ist, die Landschaft ist wunderschön. Wir folgen der Landstraße, die entlang eines Flusstals verläuft. Wieder keine Möglichkeit, irgendwo mit den Hunden spazieren zu gehen: Links von uns fällt das Flussufer steil ab, rechts von uns ragen die Berge steil in den Himmel.
Bosniens wilde Bergwelt
Es ist schon 14 Uhr und entnervt halten wir an einer Ausbuchtung am Straßenrand, verführt von einem Café mit Tischen und Stühlen im Freien. An einem Tisch sitzen ein paar Männer. Sie und auch die Bedienung mustern recht misstrauisch unsere Hunde. Im Hundeparadies sind wir hier wohl nicht gelandet.
Ein Spaziergang scheint schwierig und so fahren wir weiter bis ein Sträßchen rechts in Berge in Richtung Grebengrad abbiegt. Steil geht es hinauf in die bewaldeten Berge, nirgends ist ein Halt möglich. Inzwischen ist es schon 16 Uhr und wir sind total entnervt. Das Sträßchen wird immer enger, geteert ist es schon lange nicht mehr. Und immer steiler wird es auch. Was tun? Endlich kommt ein Stück Wiese, auf der das Gras kniehoch wächst, mit einer kleinen Ausweichmöglichkeit für das Auto.
Wir lassen den Camper stehen und gehen mit den Hunden zu Fuß weiter. Als wir uns gerade damit abgefunden haben, dass diese Ausweiche wohl unser Notquartier für die Nacht werden wird, sehen wir rechts oben auf einer Bergwiese eine Hütte stehen. Und wir können dort auch Leute ausmachen. Von unserer Straße führt ein mit Campo bezeichneter Weg hinauf durch den Wald. Als wir bei der Hütte und zwei älteren Männern ankommen, staunen diese nicht schlecht, als wir Spaziergänger mit zwei Hunden, aber ohne fahrbaren Untersatz, plötzlich vor ihnen auf der Wiese stehen.
Wir können uns überhaupt nicht verständigen! Mit keinem einzigen Wort! Also versuchen wir uns mit Gestik und Mimik zu verständigen: Unser Auto steht weiter unten und wir suchen einen Platz zum Schlafen.
Die beiden bedeuten uns zu warten. Dann geht der eine los, noch weiter den Berg hinauf. Nach etwa zehn Minuten kommt er mit einem dritten Mann wieder. Der Mann sieht genauso aus, wie man sich einen bosnischen Bergbauern vorstellt: hoch gewachsen mit muskulösem, nacktem Oberkörper, dichtem Bart und freundlichem Gesicht. Auch hier läuft über Sprache gar nichts. Aber so viel verstehen wir durch Gesten: Wir sollen das Auto holen und mit ihm noch ein Stück hochfahren.
Hinter den Bäumen kommen weiter oben einige Häuser in Sicht. Das unterste ist ein kleines, schmuckes Bauernhaus mit einem wunderbaren Blumengarten, das unserem Patrone gehört. Der weist uns auf einer Wiese einen Standplatz zu. Der Blick auf das Bergpanorama ist unglaublich! Perfekt!
Nachdem uns der Patrone noch gezeigt hat, wie wir uns aus seinem Brunnen mit frischem Quellwasser bedienen können, koche ich Spaghetti mit Tomatensauce. Ein Trostessen nach dem stressigen Tag. Und der krönende Abschluss: Unser Patrone, der sich inzwischen als Boktan vorgestellt hat, bringt von seiner Frau selbstgebackenen Kuchen vorbei. Wirklich sehr lecker! Dazu ein Gläschen Rotwein und ein Zigarrchen mit Blick auf die Berge. Der Weg hat sich gelohnt.
Jetzt gibt’s einen Minisprachkurs in Serbokroatisch: dobar dan (guten Tag), molim (bitte), hvala (danke), da (ja), ne (nein). Sprachlich so gerüstet kann die Reise weitergehen.
Da haben wir aber gut geschlafen auf unserer Wiese im Hochgebirge! Boktan fragt, ob wir zu ihm hochkommen möchten und bewirtet uns morgens um neun mit einem Stamperl selbstgebrannten, samtig durch die Kehle fließenden Klaren. Die Sonne strahlt und wir sitzen auf einer Holzbank mit Tisch in seinem wunderbaren Garten. Ein Werk seiner Frau, wie er uns stolz zu verstehen gibt. Seine Frau ist morgens schon mit dem Bus losgefahren, weil sie in der Stadt etwas besorgen muss.
Wir müssen uns erst einmal mittels unseres Reiseführers verorten. Die Berge gehören zum Dinarischen Gebirge, das sich von Slowenien bis Albanien erstreckt und mehrere 2000er Gipfel aufweist.
Und dann gibt’s eine große Überraschung. Boktan ruft seine Tochter an, die in Sachsen lebt und mit einem Deutschen verheiratet ist. Und natürlich perfekt deutsch spricht. Ihre erste Frage: Wie wir denn auf diesen Berg und zu ihrem Vater gefunden hätten? Es klingt für sie ganz unglaublich, dass es reiner Zufall war. Wir haben ein sehr nettes Gespräch! Auf meine Frage meint sie, wir bräuchten für die Übernachtung natürlich nichts zu zahlen, was wir auf keinen Fall gelten lassen. Und fragen gleich, ob wir nicht noch eine Nacht bleiben dürfen, weil es hier so wunderschön sei. Kein Thema! Natürlich gerne. Und man glaubt es kaum: Es gibt WLAN, das bestens funktioniert.
Bogdan macht mit uns einen Rundgang durch sein Refugium. Es gibt einen Hühnerstall und einen Verschlag für Hasen. Ziegen, Schafe und einen imposanten Schafsbock leben hier. Unsere Hunde sind schwer beeindruckt. Auch hier gibt es ein junges Hündchen, das leider an einer viel zu kurzen Leine angebunden ist.
Und jetzt wird es richtig spannend. Bogdan führt uns auf einem steilen Waldweg zur gigantischen Tijesno-Schlucht. Wir kommen zu einer Aussichtsplattform in Form einer Felsnase, die aus einer hohen Felswand heraus ragt. Etwa 400 Meter tief unter uns schlängelt sich der Fluss durch das Gebirge. Gegenüber ragen noch höhere Felswände in den blauen Himmel. Überwältigend! Nur leider: Ich leide unter Höhenangst und mir schlottern die Knie.
Doch es geht noch schwindelerregender. Bogdans Tochter schickt uns später eine Mail mit einem Video über ein Hängematten Caravaning „Ticket To The Moon - The Hammock Caravan“, bei der ganz Wagemutige ihre Hängematten über der Schlucht aufspannen.
https://vimeo.com/183614185
Nur anschauen, wenn schwindelfrei! Im Sommer wird der Fluss mit Kajaks befahren und viele Bergsteiger sind im Klettergarten Tijesno Canon (Banja Luka) unterwegs.
https://www.bergwelten.com/t/k/7449
Von unserer Tour erholen wir uns mit einem Blätterteigstrudel, gefüllt mit Tomatensauce und Pilzen, gekocht von Bogdans Frau. Aber schon so lecker!
An unsere Wiese grenzt ein Waldstück. Darin befindet sich ein großer Krater. Ist das noch ein Überbleibsel aus dem Bürgerkrieg? In diesen Wäldern wurde gebombt. Außerdem sollen von den in Bosnien gelegten drei Millionen Minen immer noch 200.000 verbuddelt sein. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis alle Minenfelder entschärft sind. Neben Giftschlangen wohl das Gefährlichste, was einem hier in der Natur widerfahren kann. Unser Reiseführer rät, die Wege nicht zu verlassen.
Am nächsten Morgen verabschieden wir uns ganz herzlich von Bogdan und seiner Frau, die uns auch noch ein Abschiedsgeschenk überreicht: selbstgestrickte Hüttenschuhe aus warmer Schafwolle. Herzlichen Dank! Der nächste Winter kommt bestimmt.
Vom Navy lassen wir uns auf kleinen Straßen durch die Berge hinunter zur Tijesno-Schlucht führen, an deren Ufern wir in Richtung Knezevo fahren. An einer exponierten Stelle des Canons befindet sich ein Restaurant mit Aussichtsplattform. Der gigantische Wildwasserfluss ist ein attraktives Fotomotiv.
Langsam wird es Zeit, wieder nach einem Stellplatz für die Nacht Ausschau zu halten. Bei Kraljevice fahren wir von der Straße rechts ab und erleben ein déjà-vu. Wieder schraubt sich ein immer enger und steiler werdendes Sträßchen hinauf in die Bergwelt. Auf einer Hochebene wird neben der Straße von einer jungen Frau Schafskäse und Waldhonig zum Verkauf angeboten. Diese Gelegenheit zum Einkauf lassen wir uns nicht entgehen.
Ohne geländegängiges Fahrzeug wäre diese Fahrt schier unmöglich. Die Berge sind dicht bewaldet und die Bäume reichen an beiden Seiten bis an die Fahrbahn. Endlich kommt uns ein Traktor entgegen. Als wir dem jungen Fahrer zu verstehen geben, dass wir einen Platz für die Nacht suchen, überlegt er lange, bis er uns zu verstehen gibt, dass rechter Hand bald ein Plateau käme.
Und tatsächlich: Rechts neben der Straße steigt sanft eine Schäferwiese an, auf der die dazugehörigen Tiere ebenso wenig fehlen wie ein alter Schäfer, der gleich zu uns kommt, auf einen Ratsch mit Händen und Füßen. Bald gesellt sich ein zweiter Schäfer dazu, der ein bisschen englisch spricht. Angebotene Getränke werden abgelehnt, denn es sei Ramadan. Aha, jetzt sind wir also unter Moslems.
Mitte des 16. Jahrhunderts hatten die Osmanen Bosnien fast vollständig besetzt, um es 1580 zur osmanischen Provinz zu erklären. Aus dieser Zeit stammen viele Moscheen, Bäder, Uhrtürme und Brücken. Viele Bosnier traten zum muslimischen Glauben über, um Repressalien zu entgehen und ihre Karrierechancen im Osmanischen Reich zu erhöhen.
Unsere beiden Hirten ziehen mit ihren Herden weiter, der Jüngere kommt nach einiger Zeit wieder und überreicht uns ein tolles Geschenk: ein Korb voller Steinpilze! Heute Abend steht also Steinpilzrisotto auf dem Speiseplan! Doch vorher lässt sich der nette Mann noch eine Schüssel von mir geben und melkt eine seiner Ziegen. Stolz überreicht er uns die Schüssel. Die warme Milch schmeckt gut. Wir bedanken uns und zum Abschied schreibt uns unser neuer Freund noch seine Telefonnummer auf, falls wir irgendetwas bräuchten. Nicht weit liegt sein Dorf, aus dem der Ruf des Muezzins zum Abendgebet ertönt. Der Hirte hat heute sein gutes Werk getan.
Alle Tiere weg, alle Menschen weg. Unsere Hunde sind erschöpft und wir auch. Doch kaum wollen wir uns ein Zigarrchen und ein Glas Wein gönnen, kommt ein Auto angefahren. Der Fahrer stellt sich als der zuständige Ranger vor. Wir erklären, dass wir hier gerne übernachten möchten. Ob das ok sei? Ja, das ist es. Nun kehrt auf unserer Wiese Ruhe ein. Nur der Gesang des Muezzins ist zu hören, der zum Fastenbrechen ruft.
Und jeden Morgen grüßt, nein nicht das Murmeltier, sondern der Kuckuck. Auf unserer Wiese lauschen wir beim Frühstück den vielen Vogelstimmen. Die Wiese ist umgeben von Tannen und Kiefern, dahinter erheben sich majestätisch die Berge, Tausender. Über uns blauer Himmel und Sonnenschein.
Langsam fahren wir die steile Straße zurück auf die Hauptstraße. Hier finden sich als Hinterlassenschaften des Bürgerkriegs Einschusslöcher in Hauswänden. Auf der Hauptstraße folgen wir der Ausschilderung in Richtung Sarajevo, der Hauptstadt Bosniens. Doch vorher wollen wir noch einen Stopp in Visoko einlegen, der Stadt, die berühmt ist für ihre umstrittenen bosnischen Pyramiden. Top oder Flop? Das wollen wir vor Ort erkunden.
An den größeren Ortseinfahrten hängen Spruchbänder „Ramazan sharif mubarah“. In den Orten finden sich Moscheen und die moslemischen Friedhöfe ziehen sich an den Hängen entlang der Straße. Christlich dagegen hält in dem Städtchen Travnik eine völlig überdimensionierte, moderne Kirche, von der ein noch überdimensioniertes, fettes Balkenkreuz in den Himmel ragt. Die Moschee im Ort mit ihren zwei Minaretten ist auch nicht viel bescheidener. Hier wird ein architektonischer Kampf der Religionen ausgetragen, der nicht unbedingt der Ästhetik zugutekommt. Ein bisschen hässlicher geht immer.
Die Durchgangssstraße von Travnik ist sehr belebt. Viele Geschäfte, Restaurants, Hotels und da vorne Polizisten – und oh nein! – sie winken uns raus. Die Beamten verlangen etwas schroff meinen Führerschein. Dann „Angelika, your papers for the car!“ Das klang schon ein bisschen weniger streng. Wir reichen auch die Autopapiere aus dem Seitenfenster. Himmel, jetzt fangen unsere zwei Hunde wie wild zu bellen an. Und gleich wird’s wieder strenger: „How many dogs have you?“ - „Only two!“ - „You have papers for the dogs?“ - „Yes, of course!“ Unsere blauen EU-Hundepässe mit hübschen Passfotos von Ali und Wolfi machen Eindruck. Die beiden Polizisten können sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Einer gibt mir die Papiere zurück und grinst mich breit an: „Everything ok! Have a good drive!“ Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Auf und davon geht’s.
Im nächsten Supermarkt füllen wir unsere Vorräte an Hundefutterdosen, Plätzchen, Brot, Gemüse und Obst auf. Zwei Flaschen Wein aus lokalem Anbau kommen auch mit. Muss ja mal probiert werden. Und der Hit: eine wunderschöne, rote Kaffeekanne mit buntem Blumenmuster! Echt Balkan-style! Damit geht jeden Morgen die Sonne auf.
Hier gibt es auch Schrottplätze, in denen Autos stehen, die in der Mitte auseinander geschnitten sind. Die Autos werden als Schrott zollfrei eingeführt, um dann hier wieder zusammengeschweißt zu werden. Not macht erfinderisch.
Aufbruch: | 26.05.2018 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 15.06.2018 |
Kroatien
Bosnien und Herzegowina
Österreich
Deutschland