Südamerikareise von Martina und Tobias
Patagonien II
Es ist der 23. Februar und wir beschliessen, von Coyhaique direkt nach Punta Arenas, der südlichsten Stadt auf dem Kontinent, zu fliegen, da wir auf dem Landweg zuviel Zeit verlieren würden. Bei der Neujahrsfeier in Valparaiso haben wir nämlich mit Manuel abgemacht, dass wir uns kurz vor dem 1. März in Punta Arenas treffen, um den Kapitän "seines" Eisbrechers um Mitfahrt in die Antarktis zu bitten. Ab und zu sei es nämlich für Touristen möglich, mitzureisen. Wir sind ganz aufgeregt, es wäre das I-Tüpfli auf unserer Reise. Wer Bilder von der Antarktis gesehen hat, weiss warum. Beim Kauf des Flugtickets bemerken wir, dass Tobias' Pass nicht mehr in der Tasche liegt... Eiligst kehren wir ins Hotel zurück, das einige Kilometer ausserhalb des Städchens liegt. Sicher ist er dort, beruhigen wir uns. Fehlanzeige. Wir rennen, bergauf, zurück in die Stadt. Eine verzweifelte Suche beginnt. Uns bleibt nicht viel Zeit, es ist schon spät und am nächsten Morgen um zehn Uhr müssen wir los, wenn wir das Flugzeug erwischen wollen. Martina schaut beim Internetcafe vorbei und erklärt dort die Situation, rennt dann ins Reisebüro, wo wir den Flug gebucht haben, um zu fragen, ob wir ohne Pass überhaupt fliegen können. Tobias klappert währenddessen diverse Polizeistationen ab. Es ist schon lange her, dass wir eine Polizeistation von Innen gesehen haben. Doch irgendwie ähneln die Büros denen in Bolivien sehr. Wir werden von Ort zu Ort geschickt (sogar aufs Standesamt), überquellende Schubladen werden aufgezogen und jeder hat noch einen besseren Tipp. Wir beschliessen, den Papierkram in Punta Arenas zu erledigen, wo wir uns kompetentere Unterstützung erhoffen. Was sich auch promt bewarheitet: Vom Hostalbesitzer unterstützt suchen wir auf Anhieb die richtigen Büros auf, Tobias gibt ein Interview im lokalen Radio (=Fundbüro) und verspricht Finderlohn. Wir werden freundlich ausserhalb der Öffnungszeiten empfangen und die nötigen Papiere sind schnell geschrieben. Doch bald ist für uns klar, dass dieser Pass nie mehr aus der Versenkung auftauchen wird. Chile ist zu chaotisch. Plötzlich werden uns aber die Konsequenzen des Verlusts klar: Eine Ausreise nach Argentinien wird nicht mehr möglich sein, der vorgängige Besuch bei der Botschaft in Santiago, 2000km weiter nördlich, ist unumgänglich. Was ist mit dem argentinischen Patagonien, mit Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt? Was wird aus Buenos Aires? Unsere Reisepläne müssen umgekrempelt werden, das ist das Einzige, was im Moment klar ist. Statt uns zu sorgen, geniessen wir stattdessen die Gastfreundschaft von Eduardo, treffen uns mit Manuel und schreiben einen hochoffiziellen Brief an den Chef des Kapitäns. So vergeht eine Woche und wir stehen jeden Tag pünktlich um neun Uhr beim Empfang und fragen nach der Antwort auf unseren Brief.
Mit zwei ausgeliehenen Fahrräder legen wir uns gegen den patagonischen Wind an und lernen die zwei Schweizer Velofahrer, die sich immer vor uns in die Geocaching-Logbücher eingeschrieben haben, kennen.
Langsam verlieren wir die Geduld, offensichtlich interessiert sich der Kapitän nicht im Geringsten für die zwei gringos, die auf seinem Schiff in die Antarktis mitwollen.
Einen Tag vor der Abfahrt schliesslich wird uns dann endlich freundlich mitgeteilt, dass eine Gruppe ausländischer Wissenschaftler bereits sämtliche Plätze für die Mitfahrt bekommen hat. Wir sind genervt, das hätten sie uns auch früher sagen können und wir hätten nicht unzählige Male antanzen müssen!
Patagonische Steppenlandschaft
Enttäuscht über die vergebliche Mühe und die Absage der Marine machen wir uns auf den Weg nach Puerto Natales, um von dort aus den Nationalpark Torres del Paine zu besuchen. Mit dem Bus brausen wir über eine der wenigen asphaltierten Strassen Patagoniens, an Tausenden von Schafen vorbei, über immense Weiten. Am Himmel türmen sich Wolkenberge, ab und zu dringt die Sonne durch und taucht alles in goldenes Licht, Regenbogen leuchten am Himmel. Unsere Traurigkeit mischt sich bald mit einem Glücksgefühl. Es ist wunderbar, unterwegs zu sein, egal ob auf dem Weg zu den Pinguinen oder zu den bekanntesten Bergspitzen Chiles! In Puerto Natales, einem farbigen kleinen Städtchen, hören wir plötzlich unsere Namen; Haiko und Steffi, das deutsche Paar, das wir schon im Parque Nacional Herquehue getroffen haben, stehen vor uns. Die Wiedersehensfreude ist gross. Bei einem Abendessen erzählen wir uns von unseren Erlebnissen, tauschen Tipps aus und freuen uns, einmal zurück in Europa, uns die unzähligen Fotos zu zeigen. Dieses Mal klappt auch der Büchertausch, wir werden stolze Besitzer des Meisterwerks "Reise ans Ende der Welt" von Klaus Bednarz.
Früh am Morgen steigen wir mit vielen anderen, in Goretex Gekleideten und mit ultaleichten Wanderstöcken Ausgerüsteten (nein, es sind nicht alte Leute) in den Bus. Unser Plan ist es, den sogenannten "Cirquito Grande" zu wandern. Der Vorteil von diesem 8-tägigen Trekking ist, dass die Länge und Dauer viele Wanderer abschreckt und die Wege deshalb nicht ganz so überlaufen sind wie im einfacheren Teil. Trotzdem kann von patagonischer Einsamkeit nicht die Rede sein...
Die ersten zwei Tage kämpfen wir gegen Wind und Regen, geniessen es aber, draussen zu sein. Der dritte oder vierte Tag beinhaltet einen Passübergang, der je nach Wetter nicht machbar ist. Schon nach vier Stunden erreichen wir das Camp unterhalb des Pasos Garner. Wir möchten aber noch weiter, das nächste Camp auf der anderen Seite des Passes ist weitere sechs Stunden entfernt. Wild campieren ist eigentlich nicht erlaubt, trotzdem setzen wir unsere Wanderung fort, im Wissen, dass wir vor Dunkelheit nicht im nächsten Camp sein können.
Unterhalb des Passübergangs finden wir inmitten von Steinen einen ebenen Platz, gerade gross genug für unser Zelt. Es ist eiskalt, der Wind bläst wie verrückt. Wir sorgen uns um unsere wertvolle Behausung. Nachdem das Zelt endlich steht, dreht sich der Wind und drückt die Seitenwand ein, dass uns graust. Wir eintscheiden uns, das Zelt zu wenden und in eine bessere Position zu stellen. Tobias baut eine riesige Schutzmauer aus Steinen ums Zelt auf. Der Wind tobt und rauscht, es ist unheimlich. Mit gemischten Gefühlen und fast gefühlslosen Fingern, Zehen und Nasen probieren wir, aneinandergekuschelt, einzuschlafen. Mitten in der Nacht erwachen wir - es ist absolut windstill, nicht das leiseste Lüftchen weht
Der Morgen ist kalt und klar, der Boden gefroren. Überall entdecken wir wunderschöne Eisgebilde, Zeugen der kalten Nacht.
Den Pass überqueren wir bei tollen Wetterverhältnissen, der Ausblick auf den Greygletscher, Ausläufer des südlichen patagonischen Eisfeldes, verschlägt uns den Atem.
Der Greygletscher, Ausläufer des südlichen Eisfeldes
Wir treffen immer wieder auf ein kanadisches Paar, gehen Wegstrecken gemeinsam, verlieren uns aus den Augen und wandern wieder zusammen. Wir unterhalten uns in spanisch, sie sind aus Quebec und weigern sich englisch zu sprechen, französisch scheidet aus bekannten Gründen aus...
Die Schönheit des Parks ist unglaublich. Oft bleiben wir mit offen Mündern stehen und staunen: Goldgelbe Steppen, dunkelrote Flechten, tiefblaue Seen, vom starken Wind an den Himmel gezeichnete fantastische Wolkenformationen, schneebedeckte Bergspitzen, donnernde Gletscher, türkisblaue Lagunen, langsam sich verfärbende Südbuchenwäldchen- wir sind tief beeindruckt!
Das Abendessen, auf einem Felsvorsprung direkt gegenüber des riesigen Greygletschers, der Sonnenaufgang im "Valle Frances" und der Anblick der majestätischen Torres gehören zum Schönsten, was wir in Patagonien bis jetzt gesehen haben.
Unterwegs besteht immer wieder die Möglichkeit, Nahrungsmittel einzukaufen. Die Preise sind astronomisch, trotzdem leisten wir uns ein kühles "Austral". Nach vielen Wandertagen erscheint uns dieses Bier als das Beste, was wir je getrunken haben...
Die Torres del Paine im Morgenrot
Je näher wir uns dem Ausgangspunkt kommen, desto stärker befassen wir uns mit dem Projekt "Grüne Grenze".
Das "ÜberdiegrüneGrenzenachArgentinienschleichen" hat sich in der Zwischenzeit als einzig brauchbare Lösung herauskristallisiert, wenn wir auf dieser Reise den Perito Moreno Gletscher, das Fitz Roy-Massiv und den Cerro Torre sehen wollen. Und das ist keine Frage...
Im Internet sind wir auf eine knappe Wegbeschreibung gestossen. Ausser unserem GPS mit sehr ungenauer Karte wird das unsere einzige Unterstützung sein. Die Karte, die das Grenzgebiet abdeckt, ist erst in Druck und noch nicht erhältlich.
Nach dem Torres del Paine-Trekking müssen wir unsere Essensvorräte etwas aufstocken, für die nächsten vier Tage sollte es ausreichen.
Motiviert und ahnungslos machen wir uns auf den Weg ins Ungewisse. Wir sollen, laut Beschreibung, 30 Kilometer einem Fluss folgen, dann, zusammen mit dem Fluss, nach Norden abbiegen, wo man dem Quellfluss nach Osten folgen soll...
Schweigend wandern wir durch die Einsamkeit, zum Glück wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was uns noch erwarten wird.
Wir sehen Hunderte von Hasen, die in erschrockenem Zick-Zack davonjagen, Ñandus, eine patagonische Straussenart, unzählige Guanacos, die uns mit ihren lustigen Knopfaugen neugierig nachblicken, um dann in grossen Gruppen elegant wegzuspringen. Zorros, graue Füchse, kreuzen unsere Wege und überall liegen Schafskelette, ein untrügliches Zeichen, dass hier auch der Puma zuhause ist.
Auf einmal entdecken wir in der Ferne eine Estancia, ein Bauernhof. Uns sinkt das Herz in die Hose. Wenn uns jemand sieht, könnte das das Ende unseres Abenteuers sein. Wir sehen weder Rauch noch hören wir Hundegebell- erleichtert wandern wir in grossem Bogen so schnell wir können daran vorbei.
Stunden später, wir folgen dem Fluss nun schon nordwärts, erblicken wir in einiger Entfernung den Pass in der Gebirgskette- Grenze zwischen Chile und Argentinien, die wir morgen früh passieren wollen.
Ich bin ein Guanaco! Wer bist du?
Plötzlich hören wir hinter uns Geräusche, wir drehen uns um und erstarren. Zwei Reiter kommen aus dem Nichts direkt auf uns zu. Wir sind uns sicher, dass sie sofort ahnen, was wir im Sinn haben. Uns kommen die Warnungen einer Frau aus Puerto Natales in den Sinn, dass Polizisten der Grenze nach patroullieren, um Schmugglern einen Strich durch die Rechnung zu machen. Als sie uns eingeholt haben, beäugen sie uns neugierig und grüssen freundlich. Wir nehmen unseren Mut zusammen und fragen möglichst ruhig, ob wir etwas weiter hinten im Tal unser Zelt aufschlagen dürfen.
Sie schauen sich kurz an und verneinen dann, es sei viel zu kalt und mit grosser Wahrscheinlichkeit werde es diese Nacht schneien. Etwa zwei Kilometer weiter befinde sich ihre Hütte, sie würden schon mal voraus reiten und uns dort erwarten...
Als wir später dort ankommen, brennt schon ein gemütliches Feuer im alten Gusseisenofen, die beiden Gauchos, (oder Ovejeros, Schäfer, wie sie in Chile genannt werden) versorgen ihre Pferde, die vielen Hunde nagen an Knochen, die untergehende Sonne taucht die friedliche Szene in goldenes Licht. Ohne grosse Worte werden wir zum Mate eingeladen, der Ältere schickt den jüngeren Mann hinaus, das Abendessen vorzubereiten. Schon bald duftet es wie im Schlaraffenland-wir werden zu einem der besten Abendessen in unserem Leben eingeladen. Gebratenes Lammfleisch, dazu gibt es selbstgebackenes Brot und Aji, die omnipräsente scharfe Sauce Südamerikas. Wir fühlen uns wie im Paradies, immer und immer wieder werden wir aufgefordert, uns doch noch einmal zu bedienen. Es scheint, dass der riesige Topf voller Fleisch sich einfach nicht leeren will. Die Reste verzehren die Beiden einige Stunden später zum Frühstück...
Bei einem weiteren Mate erzählen sie uns von ihrer harten aber schönen Arbeit, von der Schwierigkeit, wochenlang von der Familie weg zu sein und vom kleinen Lohn, der nicht ausreicht, den Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Sie zeigen uns die feinsäuberlich geführten Listen, wo sie eintragen, wieviele Schafe sie unter welchen Umständen verloren haben. In der Zeile von "Natürlicher Tod" und "Puma" hat es am meisten Kreuzchen. Lachend erzählen sie uns, dass der Besitzer der Estancia, ein reicher Geschäftsmann aus Santiago, den sie noch nie gesehen haben, eine Versicherung hat und für jedes vom "leon" gerissene Schaf den vollen Betrag zurück bekommt...
Zur melancholischen Melodie eines Gaucholiedes, das aus dem Radio ertönt, schlafen wir satt wie schon lange nicht mehr und zufrieden auf dem Boden neben dem Ofen ein. Das flackernde Muster, das das Feuer an die Wand der armseligen Hütte wirft, begleitet uns in den Schlaf.
Wir sind tief beeindruckt von der Begegnung. Ohne viel zu fragen, haben sie uns so herzlich in ihrer einfachen Behausung empfangen, mit grosser Selbstverständlichkeit und Wärme haben sie uns Fremde bewirtet. -Eine unvergessliches Zusammentreffen, das wir ohne Passverlust sicher nicht erlebt hätten!
So sehen ovejeros am frühen Morgen aus...
Wir verlassen die beiden Männer frühmorgens und steigen gutgelaunt zum Pass hinauf. Es liegt Schnee, der uns aber nicht hindert, gut vorwärts zu kommen. Die argentinische Seite ist ganz anders als die chilenische, obwohl nur wenige Kilometer dazwischen liegen. Die karge chilenische Steppe voller Tiere, Argentinien mit knorrigen, widerstandsfähigen Südbuchen, tiefen Schluchten und wilden Bächen...
Weil es viele Bäche und Nebenflüsse hat und wir nicht genau wissen, in welches Tal "unser" Fluss führt, sind wir gezwungen, ihm in naher Distanz zu folgen. So steigen wir dauernd auf und ab, furten den kalten Fluss immer und immer wieder, balancieren auf schmalen Weglein, kraxeln Abhänge hinunter und schlittern auf lehmigem Grund. Das Ganze ist ein Vielfaches anstrengender als das Torres del Paine-Trekking mit seinen breiten, ausgelaufenen Wegen...
Flussfurten (kurz vor Aufnahme dieses Bildes ging schier Tobis linker Wanderschuh bachab)
Wir sind müde und haben beide, auch wenn wir das einander erst in Calafate sagen, Angst. Wenn uns in dieser Wildnis, weit weg von der Zivilisation, etwas passieren würde... Wir wollen gar nicht daran denken. Wir merken, wie die Angst lähmt. Die Essensvorräte gehen langsam aber sicher zu Ende. Das verschmutzte Wasser (Kuhdreck und Tierkadaver in den Bächen) zwingt uns, alles abzukochen, in Kürze wird uns das Benzin in der Flasche ausgehen. Wir fühlen uns alleine, können die Schönheit der Landschaft und der Reiz der Einsamkeit nicht mehr geniessen. Am vierten Tag sehen wir in der Ferne plötzlich eine riesige Ebene, ein See glitzert- vom Städtchen El Calafate aber keine Spur! Wir sind motivierter, stecken uns als Tagesziel, endlich dieses ***!! Tal zu verlassen und in diese Ebene zu gelangen.
Wir kommen auf Kuhwegen schneller voran als erwartet. Weit unten im Tal taucht plötzlich eine Strasse auf, eine Stunde später entdecken wir eine Staubwolke, die sich auf der Strasse voran bewegt. Noch nie haben wir uns über den Anblick eines Autos so gefreut!
Drei Stunden später stehen wir in der Ebene neben der Strasse, es ist sechs Uhr abends. Wir probieren unser Glück und warten darauf, dass sich eine zweite Staubwolke nähert und uns nach El Calafate mitnimmt. Das ist eher unwahrscheinlich, weil auf dieser Schotterstrasse vielleicht drei oder vier Autos pro Tag vorbei holpern, doch wir sind wohl definitiv Glückskinder: Zehn Minuten später sitzen wir in einem Pick-up, eine Stunde später im touristischen El Calafate. Wir könne unser Glück kaum fassen. Wenn uns das heute morgen jemand vorausgesagt hätte, hätten wir ihn schlichtweg als Lügner abgetan!
In der patagonischen Touristenhochburg angekommen, wollen wir nur drei Dinge: Heiss duschen, viel essen und lange schlafen. Es tut gut, nach zwölf strengen Trekkingtagen wieder in der Zivilisation zu sein!
Zusammen mit vielen anderen Touristen holpern wir einige Tage später Richtung Perito Moreno. Dieser Gletscher ist einer der Einzigen, der noch wächst oder jedenfalls nicht kleiner wird. Die Abbruchkante ist um die siebzig Meter hoch und drei Kilometer lang. Dauernd donnert und kracht es im Innern, riesige Eisstücke klatschen ins Wasser und hinterlassen hohe Wellen im eisigen Wasser- ein unbeschreibliches Naturschauspiel, das uns aber auch nachdenklich stimmt: Unsere Kinder oder Grosskinder werden es nicht mehr so erleben können...
Perito Moreno
In El Chalten treffen wir unverhofft auf Francis und Milene, die beiden Kanadier. Sie sitzen strahlend vor der Panaderia, mit einer Tüte bestem Süssgebäcks. "Ihr habt ja den Pass wieder gefunden!" rufen sie uns entgegen.
Zusammen mit den Beiden wollen wir morgen die Wanderung zum "Paso del viento" unternehmen, eine windige Angelegenheit, wie der Name es verheisst. Wir mieten uns Klettergestältli, das wir für die Querung eines Wildbachs benötigen und tragen uns beim Guardaparque ein. Was uns in den drei kommenden Tagen erwartet ist unvergesslich: Klarstes Wetter, farbige Herbstwälder und Nervenkitzel bei der Tirolesa, einem Stahlseil, in das eingehängt wir einen tosenden Wildbach in etwa 15 Meter überwinden.
Der Aufstieg zum Pass ist lang und trotz der Anstrengung frieren wir. Starke Windböen stossen uns einfach um und hindern uns, vom Fleck zu kommen.
Doch der Ausblick vom windgeschützten Picnicplatz ist der Lohn: Vor uns erstreckt sich das immens grosse südliche Eisfeld, liegt einfach still da und weiss nichts von Kyoto und Co.
Bei unserer Rückkehr stürzen wir uns einmal mehr auf die Panaderia und ihre Erzeugnisse.
Die drei weiteren Tage verbringen wir nun zu zweit, auf unserem vermeintlich letzten Trekking. Wir zelebrieren es mit allem möglichem Luxus. (Wein, viel Gemüse, sehr viel Schoggi) Leider sehen wir nicht viel von den schönen Bergen. Cerro Torre und der Torre Egger, benannt nach einem österreichischen Bergsteiger, der bei der Erstbesteigung 1959 tödlich verunfallt ist, können wir nur erahnen: Dicke Wolken verhüllen die patagonischen Schönheiten unerbittlich. Als wir frühmorgens das Dörfchen verlassen, erblicken wir in der Ferne das Fitzroymassiv, strahlend rot im Sonnenaufgang... Die Entfernung und die patagonischen Strassenverhältnisse verhindern gute Fotos.
Nervenkitzel auf der Tirolesa
woistwalter?
Zurück in El Calafate, Argentinien, informiert uns die Navimag, chilenische Frachtschiffgesellschaft, dass die Fähre, für die wir für Ostern Tickets gekauft haben, wegen einem Motordefekt nicht auslaufen wird. Wir sind froh, dass wir das E-mail mit dem Titel "News from the Navimag" nicht ungelesen gelöscht haben... Insgeheim freuen wir uns, dass uns dadurch noch eine zusätzliche Woche Patagonien "geschenkt" wird.
Wir überlegen hin und her, wie wir wieder nach Chile zurück kommen werden. Das lange Trekking steckt uns noch in den Knochen und ist uns zuwider. Im Internet finden wir aber viele Hinweise auf Minenfelder entlang der Grenze weiter südlich. Und weil unser Weg zwar lang und beschwerlich war, aber ohne unliebsamen Begegnungen mit Zollbeamten, entschliessen wir uns, den selben Weg wohl oder übel noch einmal in Angriff zu nehmen.
Aus Angst, dass auf dem Pass noch mehr Schnee liegt als vor drei Wochen, brechen wir, nach einem letzten Besuch in der Panaderia und dem Genuss eines guten Stück Fleischs, auf. Schwer bepackt mit, wie wir im Nachhinein belustigt feststellen, viiiel zu viel Proviant, lassen wir uns von einem Taxichauffeur an den Punkt bringen, wo wir vor drei Wochen überglücklich in den Pick-up gestiegen sind. Wir geben vor, nur wenige Brocken Spanisch zu sprechen, damit er nicht auf die Idee kommt, uns auszufragen, wo wir denn hinwollen... Wir sind traurig, dass wir auf dieser Reise Buenos Aires nicht sehen werden, sind uns aber ganz sicher, dass dieser nicht unser letzter Argentinienbesuch war.
Die Strecke bewältigen wir in nur drei Tagen und merken, wie ganz anders man einen Weg begeht, wenn die Angst und Ungewissheit nicht Begleiter sind - das reinste Psychologieexperiment!
In Chile besuchen wir in der "gewonnenen" Woche ein weiteres Mal Eduardo, den wohl freundlichsten Hotelbesitzer ganz Patagoniens. Wir geniessen die Zeit bei ihm, kochen oft zusammen, scherzen und führen gute Gespräche.
Wir haben das Autostöpplen entdeckt. So lernen wir viele spannende Patatgonier kennen und kommen an Orte, die wir sonst nicht erreicht hätten. Ein ca. 50-jähriger Mann, der uns mitfahren lässt, fragt uns über die Erlebnisse im Torres del Paine Nationalpark aus, will wissen ob es uns gefallen hat. Ja, sehr, antworten wir, aber kommen im gleichen Atemzug auf die absolut überteuerten Preise zu sprechen. Die 7 Dollar, die der Park pro Kopf und Übernachtung auf einem simplen Zeltplatz kassiert, fänden wir schon viel zu viel und erst die Refugios! Nein, danke! Das sei nichts für uns. Der Mann fährt ruhig weiter, sagt nicht sofort etwas, räuspert sich und erzählt uns dann, dass er der Besitzer all dieser Einrichtungen sei. Da sind wir ja voll ins Fettnäpfen getreten! Wohl haben wir die Sympatie doch nicht ganz verspielt, weil er uns dann, als wir uns seiner Estancia, die an der Strasse zwischen Puerto Natales und Punta Arenas liegt, zum Mittagessen einlädt. Seine Mutter habe sicher wieder zuviel gekocht. Wie sich heraustellt, ist er der Bruder des Estanciabesitzers, den Klaus Bednarz in seinem Buch besucht hat. Er ist kroatischer Abstammung, weitere Vorfahren sind Spanier, irische und polnische Einwanderer.
Während die Mutter das Essen vorbereitet, führt er uns stolz über die Estancia, zeigt uns das ursprüngliche Wohnhaus, das vollgestopft ist mit Antiquitäten und die Schafschurhalle, wo die letzten Packen Wolle darauf warten, nach Europa transportiert zu werden. Von der Wolle alleine lebe hier niemand mehr, der Tourismus sei weit lukrativer...
Blick in die Schafschurhalle
Morgens um neun Uhr verlässt die Fähre Punta Arenas, begleitet von tollenden Delphinen erreichen wir drei Stunden später Porvenir, eine der grössten Siedlungen auf Feuerland. Wir möchten gerne die drei Geocaches finden, die auf der Insel, die südlich des Kontinents liegt, versteckt sind.
Auch da zählen wir auf unser Glück und nach einer Stunde spazieren, kommt tatsächlich ein Auto vorbei. Wir laden unsere Rucksäcke ein und probieren, uns auf den Rücksitzen Platz zu schaffen. Das uralte Auto ist vollgestopft mit allem Möglichem, Zeitungen, ein Handschuh, Werkzeug, Wasserflaschen, Benzinkanister... Aber wir wollen nicht wählerisch sein. Die beiden Feuerländer sind wortkarg und wenn sie etwas brummen, verstehen wir es nur mit grosser Mühe. Ob der Royal Federer nicht auch aus der Schweiz sei? Und ABBA? Mehrere Male müssen wir halten und warten bis sich der Motor wieder abgekühlt hat, um sogleich wieder durch die feuerländische Steppe zu holpern. Wind, Meer, Einsamkeit, ein paar Schafe und ein Auto, das in der Schweiz schon Jahrzehnte lang nicht mehr fahren dürfte...
Die Nacht verbringen wir in einem Geisterdörfchen. Grosse, nun verfallene Gebäude erzählen von Reichtum vergangener Zeiten, wir sind in einer Goldgräbersiedlung. In der Nähe, das wissen wir von Klaus Bednarz' Buch, suchen noch heute einige Unermüdliche nach dem edlen Gestein, die Schürfmethoden haben sich seither nicht geändert.
Aus lauter Angst, niemanden mehr anzutreffen, der uns wieder pünktlich zur Fähre mitnimmt, getrauen wir uns nicht weiter südlich zu reisen. So erreichen wir, auf der Ladefläche eines Pickups, im Innern eines teuren Jeeps und in einem Touristenbus viel früher als erwartet die Küste, von wo aus uns die Fähre mit Schafen und anderen Passagieren wieder ans Festland bringt. Unser Tierra del Fuego-Ausflug war kurz, aber wird uns in lebhafter Erinnerung bleiben! Und die Caches, ja, die haben wir auch gefunden...
Englisches Schiffswrack
Nach einer köstlichen Cazuela, (chilenisches Nationalgericht) verabschieden wir uns definitiv von Eduardo und Pamela und quartieren uns fuer die nächsten drei Tage auf dem riesigen Frachtschiff ein, das uns, Hunderte von Tieren, drei Zürcher Geschwisterte, den Oltener Beat, der mit uns die Kabine teilt und vielen anderen Passagieren in drei Tagen nach Puerto Montt bringen soll. Dachten wir... Wegen dem schlechten Wetter und einem starken Sturm (Martina hat einen Tag im Bett verbracht und war ziemlich bleich um die Nase...) dauerte die Reise dann fünf Tage. Von der patagonischen Flora und Fauna haben wir ausser einigen Pinguinen und einem Walrücken nicht viel gesehen.
Nun sind wir einmal mehr in Santiago und warten darauf, dass es Montag wird, die Schweizerbotschaft wieder öffnet und Tobi für 90 Dollar seine Identität wieder bekommt...
Wir wollen morgen die beiden Chileninnen treffen, mit denen wir in Chiloê waren und unseren Flug buchen, der uns vom Herbst an die Wärme bringt.
Wenn wir uns das nächste Mal melden, werden wir hoffentlich einige Tausend Kilometer nördlicher, in Zentralamerika sein.
Das Werk argentinischer Panaderias und exzessivem Asadogenusses..
und ausserdem...
- ...sollte man Wanderschuhe nur ûber den Fluss werfen, wenn man sicher ist, dass er nicht zu breit ist.
- ...backen argentinische Bäckereien soooo leckere Süssigkeiten, dass eine zwei Wochen Argentinien ausreichen, dass man sie nicht mehr sehen kann.
- ...vertragen sich staubige, patagonische Landstrassen schlecht mit Martinas Kontaktlinsen.
- ...sind unsere Wandersocken nun definitiv zerlöchert.
- haben wir noch nie so viele Regenbogen in so kurzer Zeit gesehen.
- ...führen wir eine imaginäreTop-10-Liste, von Dingen, die wir vermissen. Käse, unser Duvet, Kaffee, gute Bücher, unsere Kleider, das Velo (T) , Galakäse (M) und natürlich Familie und Freunde besetzen momentan die Spitze.
- ...suchen wir ab Juli eine tolle Wohnung in Bern. Sachdienliche Hinweise gerne unter martina.iseli@gmx.ch. Finderlohn ist ein südamerikanisches Znacht.
- ...werden wir am Nachmittag des 7. Julis in Züri landen.
- ...fliegen wir diesen Mittwoch um 6.45 (Ortszeit) nach Costa Rica!
Aufbruch: | 16.07.2006 |
Dauer: | 12 Monate |
Heimkehr: | 06.07.2007 |
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