Nach Odessa durch Transnistrien

Reisezeit: August / September 2004  |  von Manfred Sürig

Annaberg, Tschenstochau, Krakau, Auschwitz

Sonntag, 22.August 2004

Auf dem Weg nach Annaberg haben wir am Berg Mühe, mit Krystofs Bulik mitzuhalten, und das, obwohl wir nun keine Computer mehr an Bord haben. Horst belehrt mich: Mit 55 PS kannst Du nicht mehr verlangen. Die Wallfahrtskirche in Annaberg besuchen wir während des Gottesdienstes, anschließend steigen wir in der Nachbarschaft in den bombastischen Sportstätten und im Amphiteater herum, die die Nazis als demonstratives deutsches Denkmal dem polnischen Wallfahrtsort entgegensetzen wollten.
Ganz oben haben die Russen nach dem zweiten Weltkrieg ihr Sieges-Denkmal draufgesetzt, in dem zum Sieg auch der Opfer gedacht wird. Die ganze Anlage verfällt allmählich, die Wallfahrtskirche dagegen ist frisch restauriert, seitdem sie der Papst besucht hatte.
Tschenstochau überrascht uns zunächst mit riesigen Parkplätzen, auf denen wir mit Mühe noch eine Lücke finden. Wir lassen uns zu Fuß von Menschenmassen in die Kirchenanlagen treiben, kommen auf diese Weise an der schwarzen Madonna vorbei (nicht länger als eine Minute, andere wollen auch noch hin) und landen im Hof zwischen langen Menschenschlangen, die an 16 Beichtstühlen auf eine Beichtmöglichkeit warten. Etwas höher gelangen wir auf die Kanzel, von der aus der Papst mehrfach mehrere Millionen Menschen bei der Wallfahrt begrüßt hat: Ein riesiger Platz vor der Kathedrale, vor den man ein Holzpodium für solche Anlässe gebaut hat. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, es ist voll, aber niemand drängelt. Wir scheinen die einzigen Touristen unter den vielen Wallfahrern zu sein. Zum vereinbarten Zeitpunkt um 16 Uhr treffen wir uns wieder bei den Autos, nun folgt eine weite Fahrt bis Krakau. Der Verkehr ist stark wie nach einem Fußballspiel und wird auf der Nebenstraße nach Krakau nur wenig schwächer. Dies soll eine schöne Fahrradroute durch den Karst und durch die einzige Wüste Mitteleuropas sein. Wir finden aber weder die Wüste noch könnte ich bei so viel Verkehr hier mit dem Rad fahren. Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit sind wir in Wielicka im Hotel Galicia. Hungrig stürzen wir uns aufs Abendessen, das zwar gut und einigermaßen preiswert ist, aber die Portionen sind so klein, dass wir die nächsten Tage hier sicher nicht speisen werden.

Montag, 23,August 2004

Zunächst nehmen wir uns zu Fuß das Salzbergwerk vor. Es gibt Führungen in 9 verschiedenen Sprachen, deutsch aber erst morgen wieder. So trennen wir uns von Krystof, der sich polnisch durchschleusen läßt, wir nehmen Englisch. Vom Salz hat im späten Mittelalter die Stadt gut gelebt, unterirdisch reichen die Flöze bis zu 800 Meter, nur etwa 5 % des Berges können wir besichtigen, Dabei sehen wir nicht die aktuelle Arbeit unter Tage,-die beschränkt sich heute auf die Herstellung von Badezusätzen und kosmetische Salzen. Sehenswert sind die historischen Flöze, in denen die damaligen Bergarbeiter in Salz gehauen viel sakrale Kunst bis hin zu einem riesigen unterirdischen Dom hinterlassen haben.
Nach über drei Stunden sind wir wieder "oben". Für den nachmittag nehmen Horst, Peter und ich uns eine Fahrt nach Auschwitz vor, Toni Krüger und Berthold erkunden Krakau und scheinen dabei kulinarische Genüsse zu entdecken.

Ich kenne Auschwitz und Birkenau von meinem Besuch im März 2002, dennoch ist es erneut eindrucksvoll und bedrückend. Hier meine Gedanken vom Besuch 2002:
Zunächst ist man schon von dem Gesamteindruck betroffen: wie hier Tausende von Menschen auf engstem Raum wie Tiere zusammengepfercht worden sein müssen, unter primitiven sanitären Verhältnissen und unter der Bewachung sadistischer Aufseher der SS. Dann in den ehemaligen Kasernenstuben die akribisch geführten Bücher, die täglich fast so viele Verhungerte ausweisen ("Abgang") wie neueingelieferte Zwangsarbeiter ("Zugang"), der Hof, auf dem sich die Inhaftierten jeden Morgen zum Appell versammeln mußten und dann manchmal stundenlang von ihren Aufsehern schikaniert wurden. Kaum noch vorstellbar die Bereiche, in denen mit lebenden Menschen medizinische Experimente angestellt wurden. Hier können die Fotos nur einen kleinen Eindruck des Elends wiedergeben. Folterzellen, in denen Geständnisse erpreßt wurden oder die Mauer, in der mitten im Lager ständig Leute standrechtlich erschossen wurden. In einem anderen Bau Abertausende von Schuhen der Opfer, ihre lebensnotwendigen Utensilien wie Rasierpinsel, Zahnbürsten. Die zerbeulten Koffer und Taschen der Leute, die von hier nie zurückkehren konnten. Nur indirekt, aber umso eindrucksvoller kann man an Hand dieser Exponate die gewaltige Größenordnung der Vernichtungsmaschinerie erkennen. Wie kann es da Leute geben, die von einer Auschwitzlüge sprechen und auch noch Zulauf haben? Kein Film und keine Fernsehdokumentation kann den unmittelbaren Eindruck ersetzen, den der Besucher in Auschwitz bekommt. Dabei wird in den dokumenierenden Texten (in hebräisch, polnisch und englisch) auf Propaganda ganz verzichtet. Wenn von durch Deutsche begangenen Greueln berichtet wird, werden SS, Wehrmacht, Nazis oder Namen der Täter genannt, nie ist von "den Deutschen" die Rede. Immer wieder belegen Originaldokumente die geheimgehaltene Organisation der Deportation der Juden aus Osteuropa, bis hin zu einer Bestellung von Weckern für deutsche Dienststellen "da in Auschwitz Wecker und Uhren ja in großer Zahl anfallen". War Auschwitz ursprünglich noch als Straf- und Arbeitslager konzipiert worden, in dem das tägliche Sterben hingenommen und gebilligt wurde und wo kleinste Verstöße gegen die Hausordnung mit Folter oder sofortigem Tod bestraft wurden, so steigerte sich der Vernichtungswahn im Lager Birkenau ins Unermeßliche. Wir fahren von Auschwitz wenige Kilometer nach Birkenau. Ein riesiges, mit Drahtzaun begrenztes Gelände, größer als der größte Versammlungsplatz oder die größte Sportarena liegt vor uns. Ein Gleis in der Länge eines Güterzuges führt mitten durch ein Tor zur "Todesrampe" inmitten des Lagerplatzes. Hier wurden die Deportierten nicht zum Zwecke von Zwangsarbeit "konzentriert", sondern, um möglichst schnell vergast und verbrannt und verscharrt zu werden. Vom Wachtturm am Eingang kann man die Reste des KZs übersehen: Hunderte von Ruinen von Schuppen, von denen zwei restauriert sind, 5 Krematorien (von den Nazis vor Kriegsende zerstört). Auf den Gedenktafeln am anderen Ende des Lagers lesen wir in den Sprachen aller Länder, aus denen Juden hierher deportiert wurden, dass hier über 1 ½ Millionen Menschen in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr von 1943 bis 1944 umgebracht wurden. Wurde in Auschwitz noch akribisch Buch geführt, in Birkenau scheinen nicht einmal die Personalien der Angekommenen mehr registiert worden zu sein. Eine Mordmaschinerie lief auf vollen Touren, um offenbar im Angesicht des nahenden Kriegsendes es mit Gewalt noch zu einer "Endlösung" zu bringen. Auch ohne schriftliche Dokumente ist nach dem Museumsbesuch in Auschwitz der Besuch in Birkenau noch eindrucksvoller und bedrückender.

Wir kommen deutlich später von Auschwitz/Birkenau weg als wir uns vorgenommen hatten, unterwegs wird es schon dunkel, Zeit, sich ums Abendessen zu kümmern. Wir landen in einer Straßenkneipe mit lauter Fernsehbeschallung. Eine Speisenkarte gibt es nicht, aber ein Gast, der deutsch spricht, kann für uns eine Gulaschsuppe bestellen.
Wir sind erstaunt über Qualität und Preis, dazu zwei schöne Bier, unser seelisches Gleichgewicht ist hergestellt, Horst bringt uns sicher ins Hotel zurück, heute abend läuft nichts mehr.

Dienstag, 24.August 2004

Heute ist die Besichtigung von Krakau dran. Krystof setzt uns zu Füßen des Wawel ab und will lieber bei seinem "Bulik" bleiben. Bei strahlender Sonne schließen wir uns den Touristenströmen an. Überall langes Schlangestehen nach Eintrittskarten, die dann immer nur zur Besichtigung eines Teils der Burg berechtigen. Wir beschränken uns auf die Kathedrale und landen danach im Cafe, wo wir der Speisenkarte nicht widerstehen können. Der Wiener Pfannkuchen ist eine kulinarische Entdeckung, die wir hier nicht erwartet hatten. Auf die Gobelins in der Burg verzichten wir, 2 Stunden Anstehen für eine Stunde Besichtigung lohnt sich nicht. So schlendern wir weiter nach Kazimierz, ins ehemals jüdische Ghetto, das sich heute zu einem Szenestadtteil entwickelt. Wir besuchen die Isaac-Synagoge, in der in schlechten Schwarzweißfilmen die Deportation der Juden vorgeführt wird. Ein weiterer jüdischer Friedhof mit angegliederter Synagoge scheint auch mehr Museum und Gedenkstätte als Kirche zu sein. Man versucht, Nostalgiestimmung zu erzeugen, aber einen Eindruck von heutigem jüdischen Leben bekommt man nicht, -es sei denn die Touistenabzocke. Auf dem alten Marktplatz kauft Peter von einer Zigeunerin für billiges Geld ein Fernglas . Schon bald zwingt uns die Hitze zur Einkehr in einer "typisch jüdischen" Gaststätte, in der wir polnisches Bier trinken und die Gäste beobachten. Hier entdecken wir tatsächlich Juden, nämlich amerikanische Besucher, die Kazimierz sehen wollen. Sie logieren wahrscheinlich in einem der umliegenden, eigens für jüdische Besucher restaurierten Drei- und Vier Sterne-Hotels. Zu echtem Szene-Leben fehlen hier die Einwohner. Es gibt noch viel zu restaurieren, aber dann ziehen dort Besserverdienende ein. Den Stadtteil so lebendig zu gestalten, wie er mal war, dürfte nicht gelingen, denn das Ghetto war einst durch den Fleiß ihrer Bewohner und ihre Armut geprägt, etwas, das heute nicht zu touristischen Attraktionen zählt.

Nun zieht es uns zu den Sehenswürdigkeiten der der Stadtmitte. Die Tuchhallen sind ein riesiger Andenkenmarkt mit typisch polnischem Kunsthandwerk Berthold und Toni stürzen sich auch in den Konsum und verpassen fast zur vollen Stunde den Trompeter auf dem Turm der Kathedrale, die wir anschließend noch besichtigen. Soviel Straßenpflaster macht müde. Zum Collegium Maius, dem Hof der alten Jagellonen-Universität schleppen wir uns noch, dann schließen wir den Tag in einem böhmischen Restaurant ab. Krystof hat den ganzen Tag beim Bulik ausgehalten und begrüßt uns an der Weichsel an einem lauen Sommerabend vor dem Denkmal des feuerspeienden Drachens.

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eigentlich sollte das Auto hauptsächlich das Fahrradgepäck aufnehmen, damit wir uns fürs Radeln noch mehr vornehmen konnten. Doch so große Entfernungen verführen zum Autofahren, was dem Abenteuer aber nicht den geringsten Abbruch tat...
Details:
Aufbruch: 20.08.2004
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 20.09.2004
Reiseziele: Polen
Slowakei
Ukraine
Rumänien
Moldau
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.