Nach Odessa durch Transnistrien

Reisezeit: August / September 2004  |  von Manfred Sürig

Herbstliches Odessa bei Sonnenschein

Sonnabend, 11.September 2004

Stahlende Sonne über Odessa! Mit dem Touristenbuch unterm Arm starten wir per Straßenbahn bis an den Rand der City. Wir schließen uns den Menschenmassen an, die ins Kloster St.Panteleymon strömen. In der Kathedrale im zweiten Stock des Klosters werden offenbar Beichten abgenommen, es wimmelt von Popen, die alle sehr beschäftigt sind. Dennoch weist uns einer mit einer einladenden Handbewegung den weiteren Weg in die Kathedrale. Die Luft hier ist zum Durchschneiden, lange hält es uns nicht und wir schlendern zwischen schattenspendenden Platanen nach Nordosten auf das Opernhaus zu. Hier ist Odessa vorzeigbar: ein fast fertig restauriertes prächtiges Gebäude, die nächste Vorstellung--Verdi Aida - ist erst übermorgen, daneben das Museum der Schwarzmeerflotte und ein Stadtmuseum. Irgendwo muß auch ein Standesamt sein, in dem am laufenden Band getraut wird. Überall parken übertrieben lange Luxuslimousinen aller Jahrgänge, aus denen Hochzeitsgesellschaften zum Foto herausquellen. Ein festes Ritual wie in Czernovitz: Ein Foto vor der Oper, eins am Marinedenkmal, eins an der berühmten Potiemkin-Treppe von Odessa mit prächtigem Blick über die Bucht und den Hafen. Hier hat man einen neuen Fährterminal gebaut mit einem Viersternehotel, das das gesamte Gelände überragt. Wir schlendern durch die Empfangshalle des Terminals und zu meinem Erstaunen sehe ich die angezeigte Außentemperatur: nur 13 Grad mittags um 13.30 Uhr, kein Wunder, dass ich mich in T-Shirt und kurzer Hose in der Sonne wohler fühle als im Schatten. Sogar einen Yachthafen gibt es hier, in dem ein paar mondäne Motor- und Segelyachten liegen, Heimathafen Odessa. Wir machen eine Hafenrundfahrt mit, die mit lauter Beschallung in die Bucht hinaus führt. Vom Hafen wird nicht viel vorgezeigt, aber der Blick von See auf die Stadt ist beeindruckend. Odessa ist eine ganz grüne Stadt, von weitem sieht man nur wenige Häuser aus einem Meer von Bäumen herausragen.

Auf der Suche nach einer Synagoge kommen wir in den Vergnügungspark der Stadt, in dem man sich nach Paris versetzt fühlen könnte. Live Musik eines Orchesters mit dezenten Musikern in dunklen Anzügen, Künstler stellen ihre Zeichnungen aus und eine Unmenge von Ständen mit ukrainischer Volkskunst. Viel Kitsch auch dabei, aber auch schöne Sachen. Und wir staunen über die reiche Auswahl und die niedrigen Preise für Elektronik aus Fernost. Nur der Umsatz floriert nicht so richtig. Auf dem Rückweg mit dem Bus zum Hotel staunen wir über die Reinlichkeit der Schaffnerin: Selbst die weggeworfenen alten Fahrscheine klaubt sie vom Boden des Busses auf. Im Supermarkt um die Ecke decken wir uns noch mit Lebensmitteln ein, um auf unserem Hotelzimmer mal richtig zu schlemmen.

Sonntag, 12.September 2004

Horst möchte unbedingt im Schwarzen Meer baden, zumindest mal die Füße hineinstecken. Das Wasser kann nicht weit vom Hotel weg sein, also suchen wir die Küste zu Fuß. Wir finden den Strand auch, er ist nur wenig belebt, kein Wunder bei der Kälte bisher. Aber heute wärmt die Sonne schon wieder spätsommerlich, der Wind kommt von See und ist deutlich milder als gestern. Viel alte Pracht an Sommerhäusern ist zu sehen, die alle schon mal bessere Zeiten erlebt haben. Schlimm sieht die Seebäderbrücke aus, an der das Anlegen längst verboten ist. Wenn wir jemand im Wasser stehen sehen, dann sind es Angler, die ihrer erhofften Beute etwas näher sein wollen. Horst nimmt sein Fußbad im Schwarzen Meer und meint, das Eismeer könne nicht kälter sein. Salzgehalt ? Etwas mehr als die Ostsee, deutlich weniger als die Nordsee. Beim Weg zur Endstation der Straßenbahn kommen wir durch einen Park, der einmal wieder das Kurviertel von Odessa werden soll. Hotels sind schon im Bau und die Anlagen werden saubergehalten. Noch dürfen Familien auf den Grünflächen picknicken, noch gehört Arkadia den Odesseten. Aber diesen Stadtteil will man an Touristen vermarkten, wie wird es sein, wenn sie tatsächlich hier in hellen Scharen kommen sollten ? Mit dem Bus fahren wir noch einmal in die Stadt, bummeln wieder durch die Platanenalleen zur Oper und gehen heute ins Museum der Schwarzmeerflotte, in dem die Historie der Hafenentwicklung und die ruhmreichen Taten der sowjetischen Seestreitkräfte verherrlicht werden. Aber wir sehen auch Modelle von großen Containerumschlaganlagen außerhalb von Odessa, die seit der Wende errichtet worden sind. Von dort versorgen Bahnanschlüsse das riesige Hinterland.

Wären nur die Füße nicht so müde! Eine Mittagspause in einem Cafe am Vergnügungspark haben wir dringend nötig, bevor wir einen letzten Spaziergang nach Norden machen. Die Synagoge finden wir auch hier nicht, statt dessen die eglise reformee d'Odesse, ein sauberes Gemeindehaus der urspünglichen Hugenottengemeinde. Man führt uns in den betont schlichten Gemeindesaal, der nagelneu hergerichtet ist und man zeigt uns Bilder aus dem Gemeindeleben der 200-Seelen-Gemeinde: Ausflüge mit Familien an die See mit Grillfesten und Tanzvergnügen. Als ich auf einem der Bilder den Küster erkenne, der uns durchs Haus geführt hat, holt dieser seine Flöte und seine Mundharmonika heraus und spielt uns Melodien vor, die er sonst nur bei Festlichkeiten zum Besten gibt. Wir sind herzlich eingeladen zum Gottesdienst der Gemeinde am nächsten Sonntag um 10 Uhr! Ein nettes Finale, das uns Odessa in liebevoller Erinnerung behalten wird.

Am neuen Fährterminal am Hafen

Am neuen Fährterminal am Hafen

Die erste Einkaufspassage, die überdacht wurde, Odessa 1886

Die erste Einkaufspassage, die überdacht wurde, Odessa 1886

Alle Fassaden stehen unter Denkmalschutz und sind auf das feinste restauriert

Alle Fassaden stehen unter Denkmalschutz und sind auf das feinste restauriert

Das Opernhaus in Odessa

Das Opernhaus in Odessa

Hochzeitsfotos vor dem Museum der Schwarzmeerflotte

Hochzeitsfotos vor dem Museum der Schwarzmeerflotte

Fußbad im Schwarzen Meer

Fußbad im Schwarzen Meer

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eigentlich sollte das Auto hauptsächlich das Fahrradgepäck aufnehmen, damit wir uns fürs Radeln noch mehr vornehmen konnten. Doch so große Entfernungen verführen zum Autofahren, was dem Abenteuer aber nicht den geringsten Abbruch tat...
Details:
Aufbruch: 20.08.2004
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 20.09.2004
Reiseziele: Polen
Slowakei
Ukraine
Rumänien
Moldau
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.