Nach Odessa durch Transnistrien
Erste Radtouren in den ukrainischen Karpaten
Bei U'bla geht es dann in die Ukraine. Wir sind das einzige Auto, das rein will, auf der Gegenseite sehen wir Schlangen von "Tanktouristen". Eine Stunde dauert die Abfertigung dennoch. Sehr genau will man alles sehen, wir haben den Eindruck einer sehr korrekten Abwicklung,, aber auf der ukrainischen Seite ist weder mit Englisch noch mit deutsch viel Verständigung möglich. 100 Meter hinter der Grenze gleich die erste, nagelneue Tankstelle. Das müssen wir testen. Grob gerechnet, kostet hier der Liter Diesel knapp 40 Euro-Cents. Aber man will Cash haben, nachdem wir den Tank haben vollaufen lassen, Visacard zählt nicht, aber Griwna konnten wir noch nicht eintauschen. Was nun ? Der Mann in einem Kabuff hinter einer kleinen Glasklappe fragt uns nach Slowakischen Kronen, die haben wir, und wir zahlen 450 SKK. Lange müssen wir nicht rechnen, um zu dem Ergebnis zu kommen, noch nie so billig getankt zu haben. Außer kyrillischer Schrift auf den Ortstafeln und dichterer Besiedlung unterscheidet sich die Gegend kaum von der Slowakei - doch, hinsichtlich des unberechenbaren Staßenzustandes und oft fehlender Wegweiser, wie wir bald merken werden. Um Griwna aus dem Bankomaten zuziehen, müssen wir extra einen Umweg über Uzgorod machen. Das kostet Zeit, die nun knapp wird. Und noch mehr Zeit verlieren wir, um aus Uzgorod wieder herauszufinden Richtung Mucaceve. Ist man einmal von der Durchgangsstraße abgebogen, erfordern die nächsten Meter vor dem Auto alle Aufmerksamkeit, der Weg kann tadellos sein, aber ebenso können ohne Vorwarnung tiefe Schlaglöcher auftauchen, die man im Schritttempo umfahren muß. Auf vorausfahrende Autos kann man sich nicht verlassen, der Moskwich hat stabile Blattfedern und ist so hoch gebaut, dass er Löcher vertragen kann, die bei unserem Opel womöglich zum Achsbruch führen würden. Und bis wir einen kyrillischen Wegweiser finden und dann auch noch entziffern können, sind wir trotz Tempo 20 schon daran vorbei. Als wir dann die Hauptstraße wiederhaben, beschließen wir, nur auf dieser guten Straße unser Tagesziel, den Ort Polonya anzusteuern. Dort soll es eine Pension FORTUNA geben, wie ich von Herrn Seelig in Neumünster noch weiß, die preiswert und gut sein soll.
Als Kopilot bin ich gefordert, Horst richtig einzuweisen. Wie schreibt sich Polonya auf kyrillisch ? Jede Tafel lesen wir, bis wir zu der Überzeugung kommen, Polonya kann es noch nicht sein, und das eine Viertelstunde vor dem Einbruch der Dunkelheit. Zaghaft fragen wir dann einen Radfahrer, den wir überholen, nach Fortuna und er versteht uns sofort und zeigt uns die Richtung mit dem Zusatz "3 Kilometer" - na bitte, wir finden Fortuna auf Anhieb, das Zimmer gefällt uns und das Abendessen im Freien auf dem Hotelhof ist eine Überraschung, weil wir auch die Speisekarte nicht lesen können. Aber "Piwo" unser erstes ukrainisches Bier, ist schon ein guter Start.
Sonntag, 29.August 2004
Heute endlich wollen wir die Räder benutzen. Erste Kurven drehen wir vor dem Hotel auf der Straßenkreuzung vor dem Hotel. Da ruft uns plötzlich jemand "Hallo Neumünster!" zu. Es ist einer der Fahrer, der heute mit einem Transport Sachen für die Einrichtung eines Kindererholungsheims von Neumünster hierher gebracht hat. Er zeigt uns den Weg zu einem neu gestrichenen Kinderheim, in das vor wenigen Tagen eine Gruppe behinderter Kinder aus der Gegend von Tschernobyl eingezogen ist. Frau Seelig aus Tasdorf bei Neumünster hat für diese Kinder in Neumünster Spenden eingeworben. Die Kinder machen einen munteren Eindruck, körperliche Behinderungen sieht man ihnen nicht auf den ersten Blick an, aber uns fällt auf, dass sie nicht umhertoben, sondern wie Hühner auf der Stange in den Fenstern der Holzschuppen neben dem Fußballplatz sitzen. Dort spielen zwei örtliche Mannschaften guten Fußball, aber der findet offenbar nicht das Interesse der Kinder.
Über Handy bekommt einer der Fahrer mühelos Kontakt mit Frau Seelig und gibt ihr einen ausführlichen Lagebericht.
Dann geht es los, 35 km leichte Steigung in die Karpaten stehen uns bevor. Bei dem herrlichen Sonntagswetter ein echtes Vergnügen, von 213 m Meereshöhe auf 562 üM auf 18 km Weg ansteigen zu können. Hier in der Ukraine kann man überall in der Natur zelten ! Am Ufer des Baches, in dessen Tal wir bergauf radeln, sehen wir immer wieder Familien neben ihrem Zelt und Auto angeln oder baden. Gegrillt wird auf offenem Feuer zwischen zusammengetragenen Steinen. Leider findet man für den Müll keine andere Ablagemöglichkeit als in der Umwelt. Horst fährt mit dem Auto mal hinter uns her, mal etwas voraus und wartet dann an einer besonders schönen Stelle, an der wir ihn überholen können. Ob wir auf der richtigen Straße sind, wissen wir nicht ganz genau, denn auf der Ukrainekarte im Maßstab 1:1,5Mio ist sie nicht eingezeichnet, auf der alten ungarischen Karte im Maßstab 1:200 000, die ich aus dem Archiv der Universitätsbibliothek in Göttingen bezogen habe, ist nur ein Wanderweg eingezeichnet, der im übrigen zwei Orte mit ungarischer Bezeichnung verbindet, von denen ich nicht ganz sicher bin, ob es Polonja und Volovez sind. Aber es ist die einzige Straße überhaupt, die nach Norden führt, also muß sie die richtige sein. Wegweiser, nicht einmal in kyrillischer Schrift, sehen wir an keiner Straßenkreuzung. Nach 22 km Strecke das Erfolgserlebnis: wir sind nicht nur oben, sondern kreuzen die Europastraße 471 (M 17) von Mukaceve nach Lemberg. Nun finden wir auch gleich die nächste Abbiegung nach rechts, nach Osten, wieder ohne Wegweiser. Die Polizisten an einer ausgedienten, aber noch besetzten Straßenkontrollstelle bestätigen uns, dass es hier nach Volovez geht. Na bitte, nun geht es sogar bergab, zumindest zeitweise, und immer in einem langen Straßendorf, dessen Namen wir nicht kennen. Wieder kommen wir an einem schönen Rastplatz vorbei, der zum Campen in freier Natur einlädt, mit Wasseranschluß am Bach nebenan und mit vorgeheizten Feuerstellen. Radfahrvergügen pur, und die Sonne wärmt gerade soviel, wie wir es haben wollen. In Pudpolicja kommen wir über einen Fluß. Es ist die Latorica, ein Nebenfluß der Theiß, die weiter abwärts auf slowakischem Gebiet in der Ebene ein ausgedehntes Sumpfgebiet durchfließt. Ich staune über die Wassermassen, die hier aus den Karpaten strömen. Touristisch erschlossen scheint die Gegend hier zu sein, zumindet sehen wir einige Reklameschilder von Hotels, die weiter flußauf in Zdeneve sein sollen. In die Latorica mündet hier von Osten ein weiterer Fluß, Szlavka heißt er, in dessen Tal wir nun bergauf müssen und da vor Volovez ein Paß kommt, werden wir die Slavka begleiten, bis sie zu einem kleinen Rinnsal wird. Das wird die erste Herausforderung für uns Radler. Doch ohne Gepäck schaffen wir auch längere Steigungen von 8 bis 10 % und auf der Paßhöhe werden wir mit einem herrlichen Rundblick belohnt, dazu hat Horst noch Trinkwasser aus der Flasche für uns. Unter uns liegt Volovez, dorthin lassen wir uns herunterrollen.
Durch Volovez führt die Hauptbahnverbindung zwischen den Südkarpaten und Lemberg/Struij. Es sieht nicht gerade wie in einem Kurort aus, obwohl die vergilbten Reklamen das weismachen wollen. Immerhin finden wir eine gut aussehende Pension und wir beschließen, hierzubleiben, obwohl 38 zurückgelegte Tageskilometer noch keine herausragende sportliche Leistung sind.
So lernen wir bei einem Stadtrundgang am Sonntagnachmittag den großen Bahnhof kennen, treffen einen Ukrainer, der mal in Deutschland war und betrachten die spärlichen Angebote in den Läden hier. Das Essen in unserer Pension läßt aber keine Wünsche offen und das Bier ist prima, für die Sicherheit der Räder und des Autos wird gesorgt.
Montag, 30.August 2004
Selbst mit Händen und Füßen ist die Verständigung schwierig. Wir werden den Verdacht nicht los, dass uns die Wirtin heute mehr berechnet als gestern angekündigt und bei der Post bekommen wir zwar Briefmarken, aber es dauert lange, bis wir begriffen haben, dass man Telefonkarten nur im Telegrafenamt bekommt. Und mit denen gelingt uns das Telefonieren wieder nicht, jedenfalls nicht ins Ausland.
Unser Weg führt uns durch malerische Dörfer in einer herrlichen Gebirgslandschaft. Die Häuser sind einfach, oft noch aus Holz und könnten alle eine Renovierung vertragen. Nur die Kirchen sind entweder nagelneu oder sehr gut herausgeputzt. Wir entdecken eine Holzkirche, umgeben von einem undurchdringlichen Zaun, können wieder nicht hin ein. Toni spricht ein junges Mädchen an, das neben seiner Mutter im Bach Wäsche wäscht und ist erstaunt, dass sie ein fast fehlerfreies Englisch spricht. Sie studiert in Uzgorod an der Universität Englisch, führt ihn in das Haus des Popen der Holzkirche und lädt ihn ein zu einem Imbiß. Das Herrichten werde etwas dauern, aber bis dahin sei auch der Pope zurück und wir könnten wahrscheinlich die Holzkirche besichtigen.-Ich denke an die 65 km, die wir heute schaffen wollen und von denen wir nicht wissen, über wieviele Pässe sie noch führen, so lehnen wir die Einladung dankend ab und fahren weiter. Zeit müßte man haben... Wenig später kommen wir durch ein Dorf Pylypec, in dem die Holzkirche geöffnet ist. Hier gehen wir hinein und werden von einem Mann empfangen, der neben der Kirche in einem kleinen Holzhaus mit seiner Familie wohnt. Er sei der Pope, er habe die Kirche nach der Wende wieder aufgebaut. Mehr verstehen wir nicht, obwohl er uns auf ukrainisch viel erzählt. Wir machen mit Erlaubnis ein paar Fotos auch von innen, dann rollen wir weiter bergab. Die Leute hier scheinen nur von dem bißchen Landwirtschaft zu leben, das im Tal betrieben werden kann, weiter oben lassen sich nur noch Almen bewirtschaften, wir sehen es an den knallgrünen Hängen, die wie Golfplätze aussehen, wären da nicht überall die Pfähle, an denen man das handgemähte Gras mühsam zum Trocknen bringt. Nachts wird es über die Pfähle gehängt und morgens von Hand in der Sonne ausgebreitet, Tag für Tag.
Unser Mittagspicknick läuft wie gewohnt ab: In einem Lebensmittelkiosk kaufen wir ein Getränk, setzen uns in eine Imbißecke und packen unsere Futterkiste aus. Niemand stört sich daran, leider können wir uns auch mit niemand verständigen. Allenfalls können wir die Frage:"Niemcy ?" (Deutsche?) mit ja beantworten, dann begegnet uns ein bestätigendes Kopfnicken.
Was ich an Hand unseres spärlichen Kartenmaterials befürchtet hatte, kommt nun auf uns zu: In Mizhir'ya biegt das Flußtal nach Süden zur Theiß ab, wir wollen nach Osten und müssen in die Berge. Die Straße wird enger und schlechter, aber vor allem steiler. Hoch über uns, mindestens 400 Meter höher, sehe ich auf einem Berg ein großes Haus, ein Hotel, von dem aus man einen herrlichen Blick auf die höchsten Berge des Naturparks Waldkarpaten haben soll, deren höchster, die Hoverla, über 2000 Meter hoch ist. Die ersten 200 Höhenmeter treten wir uns verbissen in die Höhe, dann wird die Steigung 12 % und Horst stellt den Opel einladend mitten in eine Kehre und zeigt auf den weiteren Aufstieg. Wer kann da widerstehen ? Zumindest bis auf die Paßhöhe sind wir bereit, uns im Auto kutschieren zu lassen. Doch unterwegs - Steigung und Straßenzustand werden immer bedenklicher- wird uns klar, dass selbst die Talfahrt auf der anderen Seite mit dem Rad höchst gefährlich werden würde. Im Schritttempo umfährt Horst manche Mondlandschaft aus Schlaglöchern, die ohne Vorwarnung plötzlich auftauchen. Oben auf der Paßhöhe gibt es eine zugewachsene Zufahrt zum Hotel, das Hotel ist von einem Baugerüst umgeben, aber weit und breit niemand zu sehen. Im übrigen weht es ungemütlich kalt, hier hält es uns nicht lange. Der Abstieg auf der anderen Seite ist nicht minder steil und an einigen Stellen ist der Hang abgerutscht, Einbahnverkehr ohne dass man die Gegenseite sehen kann, Straßenzustand: waagerechte Geröllhalde. Weil es aber die einzige Straße ist, bin ich sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Als wir unten im Tal in Synevyr ankommen, finde ich die Bestätigung: Ein Weg rechts führt weiter Richtung "XYCT" was Huszt an der Theiß heißt, ein Weg links führt als Sackgasse 38 km in die Karpaten zu einem Gletschersee. Diesen Umweg können wir uns nun mit dem Auto gönnen. Und diese Fahrt wird zu einem Höhepunkt an Reisegenuß. Wir fahren ein waldreiches Flußtal hinauf, kommen an einer Sperre vorbei, die das Naturschutzgebiet begrenzt und landen am Ende an einem malerischen kleinen See, der offenbar als ukrainisches Nationalheiligtum verehrt wird, Svynevyrs'ka Poljana. Zu Fuß umrunden wir den See in einer Stunde, dann wird es höchste Zeit, uns eine Unterkunft zu suchen. Die finden wir einen Kilometer weiter unten in einer großen "Tourbasa", in der wir die einzigen Gäste zu sein scheinen. Bier und Essen werden uns serviert, es schmeckt gut, obwohl wir nicht wissen was es ist, eine Speisenkarte gibt es nicht, und selbst wenn, dann hätten wir die auch nicht lesen können.
Dienstag, 31.August 2004
Die Nacht scheint richtig herbstlich kalt gewesen zu sein. Der erste Blick durchs Fenster talwärts zeigt uns Nebelschwaden, die über den Bäumen liegen. Slowakische Wanderer hatten uns noch einen Spaziergang in ein Almendorf talaufwärts empfohlen, den wir heute nachholen wollen. Wir riskieren es mit dem Auto, auf der Schotterstraße nur im Schritttempo, aber am Ende der 8 km finden wir ein fotogenes Dorado vor. Hier leben die Menschen wie vor 100 oder 200 Jahren von mühsam betriebener Milchwirtschaft. Für uns ein malerischer Anblick, unsere Kameras klicken so oft wie nie zuvor, aber ein hartes Los. Hier gibt es noch schindelgedeckte, bewohnte Häuser wie in einem Dorfmuseum, aber der Kaufmannsladen ist geschlossen und verfällt langsam. An einem Steilhang mäht eine Frau von mindestens 75 Jahren mit der Sense das Gras, Kinder verteilen Gras von den Pfählen in der Sonne. Überall gurgeln kleine Bäche zu Tal, sieht man in die Bäche, sind sie verstopft von zerbeulten PET-Flaschen. Von Fremdenverkehr noch keine Spur, das ganze Tal ist eine Sackgasse, von hier aus kann man kilometerweit wandern, ohne einem Menschen zu begegnen, aber zur Ausrüstung würde ein GPS und eine detaillierte Karte gehören, Wegmarkierungen sehen wir keine.
Abwärts geben wir uns nun dem Genuß auf dem Fahrrad dahin, und gleich beim Hotel sehen wir noch Floßbauer bei der Arbeit. Mit Spezialwerkzeugen bauen sie fachgerecht Flöße zusammen, so groß, dass sie bei der jetzigen Wasserführung des Flusses hier gar nicht flößen könnten. Wir fragen uns, ob sie hier echte Arbeitsflöße bauen, die vielleicht im Winter/Frühjahr zum Holztransport benutzt werden oder ob hier nur im Naturpark ein altes Handwerk erhalten und vorgeführt werden soll.
Unser Ziel heute ist der Ort Ust-Corna, der wieder nach dem Abknicken unseres Tals nach Süden hinter dem nächsten Paß liegt. Doch wie mag die Paßstraße sein? Unser Kartenmaterial ist widersprüchlich. Auf der einen Karte ist gar kein Weg von Osten ab Kolocava eingezeichnet, nur die Orte Komsomolsk und Deutsch-Mokra, die andere Karte zeigt die Straße durchgehend in gleicher Stärke wie alle anderen, die wir schon befahren haben. Um die Straße zu finden, müssen wir uns in Kolocava schon durchfragen. Das gelingt uns noch, aber die bedenklichen Mienen beim Anblick des Autos hätten uns warnen müssen. Auf den ersten 6 Kilometern können wir mit den Fahrrädern locker mit dem Opel mithalten, weil Horst 4 Räder zwischen den Unebenheiten der Straße hindurchlenken muß, wir nur je zwei. Wir finden auch einen zünftigen Rastplatz an einem Baumstumpf neben bewohnten Häusern, wo man uns großzügig picknicken läßt, im übrigen aber keine Notiz von uns nimmt. Aber bei der ersten ernsthaften Steigung muß Horst aufgeben: Die Erosionsrinnen der Schotterstraße sind so tief, da würde sich der Opel von unten den Bauch aufschlitzen. 14 Kilometer liegen nur noch vor uns, 7 sind wir schon gefahren. Sollen wir nun mit den Fahrrädern bis Ust-Corna weiterfahren und Horst mit dem Auto allein zurückschicken, talabwärts bis zur Theiß, dann theißaufwärts und im nächsten Tal 65 km wieder rauf, insgesamt fast 140 Kilometer ? Wir kennen die Höhe des Passes vor uns nicht und entscheiden uns für die gemeinsame Autofahrt. Horst ist heilfroh, den Weg nicht allein suchen zu müssen. Da die Zeit noch reicht, fahren wir zunächst weiter talwärts mit den Rädern. Auch diese Tour führt wieder durch großartige Karpatenlandschaft. Die Hauptstraße, die wir wieder erreichen, ist aber an mehreren Stellen vom Fluß bei einem großen Hochwasser im Jahr 1999 weggespült und nur durch losen Schotter wieder ersetzt worden. Nun bekommen wir eine Vorstellung, welche Wassermassen hier auch talwärts donnern können. Die Talsperre, an der wir vorbeikommen, ist fast leer oder seit 1999 beschädigt und nicht mehr in Betrieb. Ein Teil der Straße führt auf eine Brücke zu, aber die Brücke gibt es nicht mehr, man hat eine neue Straße auf der anderen Flußseite gebaut. Nun stimmt keine unserer Karten mehr.
Es ist 17 Uhr, höchste Zeit etwas schneller voranzukommen. Nach 52 km Tagesleistung steigen Toni und ich wieder ins Auto um und es fällt mir schwer, den Kopiloten zu spielen. An einer Wegegabelung in Drahove fragen wir nach dem Weg nach Teresva, entscheiden uns zum Abbiegen nach links und landen auf einer Piste, die dem Auto das letzte abverlangt. Als die Straße auf eine andere trifft, die links asphaltiert, rechts aber aus Schotter ist, fahren wir instinktiv links, obwohl das dann nicht mehr bergab geht. Einige Kilometer fahren wir weiter, ohne im geringsten zu wissen, wo wir sind und wohin wir fahren. Dass wir uns auf der P 162 befinden, sagt uns gar nichts bis uns eine Frau auf Befragen sagt, dass wir wenige hundert Meter weiter links nach Ust Corna abbiegen müssen. Wir kommen über eine Brücke und hier sehen wir einen ersten Wegweiser nach Ust-Corna: 28 km. Das müßte noch bei Tageslicht zu schaffen sein. Leider wird es immer dunkler, weil ein Gewitter heranzieht, das wir nun auch noch abbekommen. Es geht wieder talaufwärts und wieder hat der Fluß an etlichen Prallhängen die Straße verschlungen. Die Ersatzstrecken sind abenteuerlich und mit Neid sehen wir, wie uns Ladas und Moskvichs überholen und mit Bugwelle durch alle Schlaglöcher preschen. Inzwischen sieht unser Auto von außen aus wie nach einer Sahara-Rallye. An den Speichen der Fahrräder hinten hängt Pferdemist und Stroh, das wir uns sicher nicht beim Radeln darangehängt haben. Endlich erreichen wir nach über einer Stunde Ust-Corna und aus unserem Handbuch weiß ich, dass das letzte Haus am Ende des Ortes die Tourbasa sein soll. Die sehen wir dann auch oben am Hang,, aber wie kommen wir da rauf ? Ein alter Lada überholt uns, stellt sich quer vor uns und der Fahrer fragt, ob wir ein Hotel suchen. Ja, kein Problem, bitte folgen. Es ist der Wirt der Tourbasa, der uns auf seinem Heimweg überholt hat. Unseretwegen wird die Tourbasa wieder geöffnet, wir sind die einzigen Gäste, bekommen ein riesiges schön warmes Zimmer unter dem Dach und die Köchin wird per Telefon aus dem Dorf geholt. Wir werden perfekt bewirtet und zu unserem Erstaunen füllt sich die Gaststube immer mehr. Hat es sich herumgesprochen, dass heute hier was los ist ?
Als wir die Zeit fürs Frühstück morgen früh vereinbaren, wundern wir uns über das lange Palaver darüber, ob wir 8 Uhr mitteleuropäische Sommerzeit oder ukrainische Zeit meinen.
Mittwoch, 1.September 2004
Das Palaver hat wohl nichts gebracht, um halb neun macht uns endlich die Zimmerfrau statt der Köchin das Frühstück. Das Wetter hat sich richtig eingeregnet. Unsere Untenehmungslust ist stark rückläufig. Nach Jasinja wären es von hier 20 km Fußwanderung über die höchsten Berge der Karpaten, aber man sieht vor lauter Nebel und Wolken nicht einmal die andere Talseite. Besuchen wir also Ust-Corna ! Der Ort ist von österreichischen Waldarbeitern vor 250 Jahren gegründet worden, später sollen aus der Gegend von Bamberg ein paar Deutsche dazugekommen sein. Wir schieben die Fahrräder langsam über die Dorfstraße, schon werden wir in steirischem Dialekt angesprochen. Josef sagt uns, dass er "deitsch" nur etwas sprechen könne, lesen in deutsch habe er nie gelernt. Er zeigt uns die orthodoxe Kirche, die gerade neu gebaut wird und eine Holzrutsche in einem Bach, die zu Maria Theresias Zeiten gebaut wurde und bis heute noch funktioniert. Nicht einmal das "große Wasser" im Frühjahr 1999 habe ihr etwas anhaben können. Wenn wir noch deutschsprachige Gräber sehen wollten, müßten wir "den Hang naufi gehn". Das machen wir dann auch und finden zahlreiche Gräber mit deutschen, aber auch mit gemischt deutsch-kyrillischen Beschriftungen. In der römisch-katholischen Kirche treffen wir einen österreichischen Zivilleistenden, der sich Ust-Corna als Dienstort ausgesucht hat, weil er hier mit seinem Sold etwas "anfangen" könne. Er betreut zusammen mit dem Pfarrer die überalterte deutsche Gemeinde, versucht, den Enkeln der Leute etwas deutsch beizubringen, aber er gibt der deutschen Sprache hier nur noch wenige Jahre. Dann werde nur noch russisch hier gesprochen, nicht ukrainisch, denn in der Mehrheit leben hier Russen, die aus Kasachstan hierher umgesiedelt wurden. Allen gemeinsam sei die Arbeitslosigkeit, denn wer hier nicht ukrainisch könne, der habe ohnehin keine Chancen. In der Tat ist es beinahe gespenstisch anzusehen, wieviele Leute am Vormittag auf der Straße herumstehen oder in den Kneipen sitzen und offenbar nichts weiter machen als herumzulungern. Josef spricht eine junge Frau auf deutsch an, sie antwortet in deutsch, sie sei im letzten Sommer in Gaildorf in Baden-Württemberg gewesen, dorthin sind viele deutschsprachige nach der Wende 1990 ausgesiedelt. "Aber die verlieret dasch Interess, mir sein bald ganz allein hier". Nicht einmal zu Besuch ließe sich noch jemand hier sehen. Wir schießen zwei letzte Fotos, eins auf Wunsch des Popen zwischen uns und eins am deutschsprachigen Ortsschild "Königsfeld" mit "Herzlich willkommen". Dann rollen wir per Auto wieder talab. 140 km Autoweg haben wir bis Jasinja vor uns, erst das Tal abwärts zur Theiß, dann an der Theiß aufwärts bis zum Karpatenkamm. Dabei kommen wir der rumänischen Grenze sehr nahe. In Sighetu-Marmathiei gibt es einen Grenzübergang nur für Rumänen und Ukrainer über die Theiß. Auf der ukrainischen Seite in Solotvyna scheint dieser Übergang eine wohlstandssteigernde Wirkung zu entfalten. Nirgends sonst haben wir in der Ukraine eine so rege Neubautätigkeit vorfinden können. Einen Wegweiser zum Übergang finden wir jedoch nicht. Etwas oberhalb von Dilove kommen wir zu einem Informationszentrum, das in ukainisch, englisch und ungarisch auf die große Zukunft der Ukraine hinweist. Zu Füßen des Zentrums liegt fürwahr ein Zentrum, nämlich der geografische Mittelpunkt Europas. Von hier nach Gibraltar ist es ebenso weit wie zum Ural oder nach Hammerfest in Norwegen. Man vergißt zu oft, dass die Ukraine und Rußland auch noch zu Europa gehören! Das Tal der Theiß teilt sich hier ins Tal der weißen (Bila Tisza) und der Corna Tisza. Wir fahren nach Norden entlang der Bahnlinie und kommen durch Kurorte, die diesen Namen verdienen: Rachiv, Kvasy, Jasinja. Zwar gibt es nur kyrillische Beschiftungen, aber wir sehen im Vorbeifahren Hotels, Kurgärten und eine ganze Menge Kurgäste. In Jasinja allerdings ist das Kurhotel noch eine Baustelle und wir haben Mühe, die Tourbasa "Edelweiß" zu finden. Sie steht direkt an der Corna-Theiß am Rande eines schönen Parks, ein zünftiges großes Holzhaus, das schon mal bessere Zeiten durchgemacht hat, aber sogar mit Computern an der Rezeption und mit Sprinkleranlage. Hier sind wir auch nicht die einzigen Gäste. Insbesondere sind da noch zwei Tschechen aus Brünn mit einem Trabbi-Combi, vollgestopft mit Langfahrtausrüstung, den sie von außen beschriftet haben: Fahrtunternehmung Brünn-Uzgorod-Cernivici-Odessa. Wir würden gern mit ihnen sprechen, um zu hören, ob sie auf der Hin- oder auf der Rückreise sind und welche Erfahrungen sie gemacht haben. Moldawien haben sie aber nicht auf ihrem Programm. Noch vor Einbruch der Dunkelheit sind sie schon wieder weg. Wir schlendern noch etwas durch den Ort, und nun kommt doch Ernüchterung auf. Von Kurbetrieb keine Spur, ein paar Geschäfte, aber auch eine Kneipe, die eigens für uns wieder öffnet und uns ein schmackhaftes Abendessen liefert.
Aufbruch: | 20.08.2004 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 20.09.2004 |
Slowakei
Ukraine
Rumänien
Moldau