Nach Odessa durch Transnistrien
Auf nach Czernowitz
Donnerstag, 2.September 2004
Von Radfahrehrgeiz ist auch heute nicht die Rede, weil von Sonne keine Spur zu sehen ist und ab und zu ein paar Tropfen fallen.So steuern wir erst einmal weitere Kurorte an, und in Jaremca werden wir fündig. Hier scheint es alle Kureinrichtungen zu geben, die vor allem wohl dem Wintersport dienen. Aber außer der Besichtigung einer großen Kirche im unitarisch-ukrainischen Stil zieht es uns schnell wieder ins Auto, denn dort ist es warm. Besonders ich spüre das, denn meinen Pullover habe ich wahrscheinlich auf der Tour nach Auschwitz irgendwo liegen gelassen. Aber auf einem Markt mitten auf dem Feld zwischen Diljatyn und Kolomya kann mir geholfen werden. Für 48 Griwna erstehe ich einen Pullover, den mir das Marktvolk nach langer Suche - auch bei der Konkurrenz nebenan- anbietet. Sichtlich stolz sind die Leute, dass sie mir haben weiterhelfen können, und sofort wird ein Porträtfoto in voller Größe von mir angefertigt. Nun zieht es uns unaufhaltsam Richtung Cernivici-Czernowitz. Die Straße ist so gut, das sie zum Schnellfahren verführt, obwohl 50 vorgeschrieben sind. Das wird uns genau an der Grenze zum Oblast Cernivici zum Verhängnis. Das Ergebnis ist dennoch überraschend: Horst, der Fahrer, wird allein in die Zelle der Polizei genötigt, und dort wird ihm die Tabelle fürs Schnellfahren gezeigt. Zwischen 75 und 150 Griwna (=12 bis 24 Euro) sind fällig. 80 bezahlt er dann, als der Polizist allein mit ihm ist und ohne Quittung. Frohe Fahrt wird uns weiter gewünscht....
In Tschernowitz logieren wir im Hotel Bukowina für 3 Nächte zu dritt für 345 Griwna, das sind gerade einmal 54 Euro insgesamt. Da können wir uns im Cafe Wien ja noch ein richtiges Konditern leisten. Beim ersten Stadtrundgang legen wir uns einen Stadtplan zu und hier bekomme ich nun endlich auch die Karten im Maßstab 1:200 000, die wir in den Karpaten so dringend gebraucht hätten. Nun endlich können wir trotz der kyrillischen Beschriftung nachvollziehen, wo wir wirklich gewesen sind. Und was wir bei besserem Wetter per Rad oder zu Fuß noch hätten alles unternehmen können, hätten....
Nun flanieren wir statt dessen in der Großstadt, und da Horst heute Geburtstag hat - er wird 65 - lädt er uns zu einem opulenten Abendessen ins feinste Lokal am Platze, zu Knaus ein. Wir haben uns nicht träumen lassen, in der Ukraine so gut speisen zu können. Danke Horst !
Freitag, 3.September 2004
Ich kenne Tschernowitz von der vorjährigen Radreise und soll heute den Fremdenführer spielen. In der Herrengasse lassen Horst und ich uns erst einmal beim Friseur verschönen und prompt erkennt mich die Friseuse wieder als den Radfahrer, der voriges Jahr sich im Salon neben seinem Bicycle schönmachen ließ. Ihre Freude ist riesig, dass wir als Touristen ein zweites Mal in die Ukraine gekommen sind. Toni gelingt es in einer Internetstube, die von zwei versprengten Amerikanern betrieben wird, ein Mail nach Hause loszulassen, dann geht es zum großen jüdischen Friedhof.
Tschernowitz war zu k.u.k Zeiten ein multikulturelles Zentrum, und die deutsche Kulturkomponente wurde im wesentlichen von den Juden getragen, die etwa 40 bis 60 % der Bevölkerung ausmachten. Hier wurden die Juden nicht in ein Ghetto zurückgedrängt, sondern genossen volle Gleichberechtigung und brachten es zu Wohlstand und Ansehen. Die Nazis deportierten 1943 und 1944 die gesamte jüdische Bevölkerung aus Czernowitz und sie vernichteten in ihrem Rassenwahn zugleich die deutsche Kultur an ihrem östlichsten Punkt. Heute soll nur eine kleine jüdische Gemeinde ein Schattendasein führen. Der größte jüdische Friedhof Europas ist der letzte Hinweis auf eine frühere Blütezeit.
Wir finden pompöse Familiengruften neben einfachen Grabmälern, die immer die Schlußverse gemeinsam haben: Friede seiner/ihrer Asche, teils lateinisch, teils hebräisch. In Deutsch kann man die Berufe der Verstorbenen ablesen und erkennt sofort, wie die Verstorbenen das Leben in der Stadt geprägt haben müssen. Bankiers, hohe Beamte und Richter, Industrielle und Kaufleute, die zahlreiche kulturelle oder karitative Einrichtungen ins Leben gerufen und gefördert hatten, und das alles in einem relativ kurzen Zeitraum im 19. Jahrhundert und den ersten Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts. Eine große Friedhofskapelle von den Ausmaßen einer Kirche steht am höchsten Punkt des Friedhofs, ausgebrannt, verfallen, die Dachkuppel einsturzgefährdet. Nur den Davidstern an der Spitze der Kuppel hat man neu vergoldet. Um die Kirche herum einige wenige Mahnmale: Für die Ermordung von 168 rumänischen Kindern durch die SS, für die vielen Opfer der Deportierung durch die Nazis 1944. Gartenarbeiter bemühen sich, die Überwucherung des Friedhofs in Grenzen zu halten, einige wenige Grabstätten sind - vielleicht von überlebenden Angehörigen - freigelegt und erneut überwuchert mit wildem Holunder, Hopfen, Weiden, Ahorn und Gestrüpp.
Der christliche Firedhof gegenüber macht einen etwas gepflegteren Eindruck, offenbar gibt es hier noch Angehörige von Verstorbenen. Auch hier kann man die bewegte Geschichte von Tschernowitz ablesen: Gräber von rumänischen Militärs aus der Zeit der rumänischen Besatzung, Familiengräber ungarischer Familien aus der k.u.k-Zeit und ukrainische Grabstätten mit kyrillischer Schrift aus der Nachkriegszeit.
Wir gehen wieder in die Stadt zurück, um gegen 18 Uhr pünktlich zum Sabbatgebet in der einzigen noch existierenden Synagoge zu sein. Wir werden auch eingelassen, aber ein Gottesdienst scheint nicht stattzufinden. Wir sehen nur den Rabbi seine Sprechstunde abzuhalten - oder ist es die Beichte auf jüdisch ? Interessant die Gestik: Eine junge Frau trägt ihr Problem dem Rabbi vor, der aufmerksam zuhört. Ab und zu hat er Zusatzfragen, deren Antworten er teils kritisch, teils betont abweisend zur Kenntnis nimmt. Dann sitzt sie ihm ratsuchend oder hilflos gegenüber. Er lehnt sich zurück und denkt nach. Dann scheint er ihr einen Vorschlag zu machen, mit dem sie aber nicht ganz einverstanden zu sein scheint. Der Rabbi zuckt die Achseln als wollte er sagen: Das bekomme ich da oben nicht durch, das müssen wir anders anpacken, er macht einen neuen Vorschlag, über den sie nun nachdenkt. Wir möchten nicht zu unverschämt dem Mienenspiel folgen und sehen uns die dürftige Einrichtung der Synagoge an und gehen schließlich nach draußen. Auf dem Rückweg überholt uns die junge Frau, dreht sich mehrfach um und freut sich und grüßt uns mehrfach zu. Ob sie uns etwas auf ukrainisch zuruft oder auf jiddisch, können wir leider nicht auseinanderhalten. Wie mögen wir ihr durch unsere indiskrete Anwesenheit nur geholfen haben ?
Danach zieht es uns in die Herrengasse ins Wiener Cafe. Auffällig viele junge hübsche Mädchen, die sich zudem noch recht sexy herausgeputzt haben, sind heute hier zu Gast, dazu meistens noch allein oder in kleinen Grüppchen. Sind wir hier im Rotlichtviertel gelandet ? Mitnichten. Wir beobachten ein Mädchen, das es nicht fertigbringt, mit dem Funkschlüssel einen protzigen Mercedes zu öffnen. Sie geht zum Nachbartisch zurück und läßt sich von einem älteren Herrn, der ihr Vater sein könnte, die Funktion noch einmal erklären, aber der ältere Herr steckt den Schlüssel wieder ein und lacht. Dann entwickelt sich ein längeres vertrauliches Gespräch am Nebentisch, bei dem die beiden älteren Herren Ausschitte aus Modemagazinen zeigen und dabei immer wieder auf eine Brünette auf einem Bild zeigen.Die Magazine gehen von Hand zu Hand, zwischendurch wird eifrig mit dem Handy telefoniert. Die jüngere zieht nun ihren Reisepaß hervor, der sofort in der Brieftasche eines der Herren verschwindet. Noch ein Mann steigt aus einem herbeigefahrenen Auto, das eigentlich hier in der Fußgängerzone weder fahren noch parken dürfte. Wieder findet ein eifriges Telefonieren per Handy statt. Irgendetwas Wichtiges wird dem neuen Mann erklärt. Dann sehen wir auf der Straße gegenüber offenbar die Mütter der Mädchen. Die Mädchen stehen auf und tuscheln mit den Müttern gegenüber. Danach zahlt einer der Männer dem älteren Mädchen einen Geldbetrag in die Hand, und zwischendurch reicht die Bedienung üppig Kaffee und Kuchen. Andere Mädchen an anderen Tischen schauen verstohlen auf die Gruppe am Nachbartisch, aber einer der Herren winkt ab. Was läuft hier wohl ab? Wie können hier drei Mercedes' vor dem Cafe in der Fußgängerzone parken und ungeniert weg und wieder herfahren ? Wir vermuten, dass hier die Mafia junge Ukrainerinnen für Bordelle in Westeuropa anwirbt.
Unsere Bedienung, eine junge Russin, die ihr deutsch in Dortmund gelernt hat, fragen wir, ob sie weiß, was hier abläuft. Sie weicht mit ihrer Antwort aus: Wir sehen hier viel, aber sprechen nicht darüber....
Sonnabend, 4.September 2004
Nach einem großen Stadtrundgang finden wir zum Seiteneingang des Theaters, und dort lädt man uns ein, am Ende der Probe das Theater auch von innen zu besichtigen. Wir staunen über die Pracht, die wir hier vorfinden. Man fühlte sich vollends in die k.u.k Zeit zurückversetzt, wenn nur die Schauspieler hinter der Bühne und das Personal nicht gar so ärmlich gekleidet wären. Gegen ein kleines Trinkgeld machen wir sogar Innenaufnahmen und Toni läßt sich in einer Loge ablichten.
Dann geht's zur Universität, einem Backsteinbau riesigen Ausmaßes. Wären nicht zwei große Kathedralen in Backstein auf dem Gelände, könnte man annehmen, es handele sich um eine umfunktionierte Kaserne. Aber die Kirchen strotzen von Pracht und heute finden hier am laufenden Band Trauungen statt. Hochzeit in Tschernowitz scheint ein festes Ritual zu bedeuten: Erst das Jawort im Standesamt, zu dem eine große Menschenmenge von Bekannten das Standesamt stürmt, beim Verlassen zur Straße ein Tusch einer Straßenkapelle, die bei etwas großzügigerem Trinkgeld dann auch länger spielt. Dann Fototermin vor dem Theater, wobei die große Mietlimousine unbedingt aufs Bild gehört und dann die Trauung in der Universitätskirche im ukrainisch-orthodoxen Stil. Und alle Hochzeiten finden in weiß statt, selten haben wir so herausgeputzte Bräute gesehen wir hier.
Um mal etwas sitzen zu können, fahren wir mit einem Linienbus bis zur Endstation. Wir landen in einem Plattenbauviertel, und statt einer Ladenzeile gibt es hier einen Markt. Wir lassen uns an allen Ständen vorbeitreiben, stellen ein sehr einheitliches Preisniveau fest und landen am Ende an einem Bierstand mit gut gekühltem Bier, dem von einem Lada-PKW gerade Nachschub geliefert wird. Unglaublich, wieviele Kisten in einen Lada passen! Unglaublich auch, was Achse und Federung alles aushalten müssen. Unseren Ausklang in Tschernowitz suchen wir wieder bei Knaus und dort werden wir nicht enttäuscht. Auch heute abend sind wir wieder die einzigen Gäste.
Aufbruch: | 20.08.2004 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 20.09.2004 |
Slowakei
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Rumänien
Moldau