Vietnam
Bericht über eine vierwöchige Alleinreise durch Vietnam von Nord nach Süd. Die Reise begann in Hanoi mit einem Besuch bei Verwandten einer Vietnamesin, die in unserem Familienbetrieb in Deutschland arbeitet.
Zum Land des Tages
1. Aufbruch zum Land des Tages
Einige Wochen vor dem Abflug stand in meinem Abreißkalender:
Sei nicht beunruhigt.
Hab keine Angst vor der Stunde des
Aufbruchs.
Eine freundliche Hand ordnet in Ruhe
die Segel des Bootes,
das dich wegführt
vom Land des Abends zu dem des Tages.
Geht ohne Angst hinab in die Stille des Ufers;
auf dem weichen Steig durch das Gras der Dämmerung.
Vor meiner ersten "richtigen" Fernreise war mir schon etwas mulmig und dieses Gedicht des Schweden Pär Lagerkvist kam gerade zur rechten Zeit. Abgesehen von einer weitgehend durchorganisierten Gruppenreise nach Israel 15 Jahre zuvor hatte ich mich noch nicht über Europas Grenzen hinausgewagt. Es ging also vom Abendland ins "Land des Tages". Zwar wird es in Vietnam das ganze Jahr über schon zwischen 17 und 19 Uhr dunkel, aber selten kälter als bei uns an kalten Frühlingstagen. Und im Süden des Landes unterscheidet man sowieso nur zwischen Regenzeit und Trockenzeit. Heiß ist es in der Südhälfte immer.
Warum gerade Vietnam? Fernöstliche Kultur und Kunst fand ich schon immer sehr anziehend. Besonders die enge Verbundenheit und Harmonie mit der Natur, die in asiatischer Malerei, Dichtung und Philosophie zum Ausdruck kommt. Meine Wahl fiel nach einigem Hin- und Herüberlegen auf Vietnam. China ist zwar für Ostasien eines der prägenden Länder gewesen, erschien mir aber von der Ausdehnung her zu unüberschaubar für den Anfang. Singapur wird von manchen als ein für den Asienneuling optimales Einstiegsland empfohlen, ist aber laut vielen Beschreibungen auch ein sehr verwestlichter und architektonisch steril wirkender Stadtstaat. Kambodscha und Laos sind vom Tourismus noch recht unverdorben, aber wegen der schwachen Infrastruktur für Fernreiseunerfahrene etwas abenteuerlich. Vietnam hat eine schmale, längliche geografische Gestalt und ist von Größe und Einwohnerzahl her mit Deutschland vergleichbar. Eben wegen dieser Schmalheit kann man es entlang seiner Hauptverkehrsachse in relativ kurzer Zeit erschließen.
Bei der Planung meiner Route dachte ich an eine Nord-Süd-Tour ohne allzu festen Zeitplan. Wie lange ich an welchem Ort bleiben würde, sollte spontan entschieden werden. Was mich dann auch recht guten Mutes abfliegen ließ, war die Tatsache, daß ich in Hanoi nicht als völlig Fremder ankommen würde. Meine Eltern kennen einige Vietnamesinnen. Und erst einige Wochen vor der Reise sagten diese, daß mich Ihre Hanoier Verwandten gerne zu Besuch hätten.
So sitze ich an einem verregneten Frankfurter Novembermittag entspannt im Flieger und amüsiere mich über die feuchtheißen Handreinigungstücher, die von den malaiischen Stewards und Stewardessen beim Rollen zur Startbahn verteilt werden. Ich verbrühe mir fast die Hände an dem dampfenden, wohlriechenden Frotteezeug. Um 13 Uhr deutsche Zeit, eine Stunde nach Abflug, gibt es Mittagessen. Die Malaysia Airlines ist laut Testberichten eine der besten Fluglinien - von Komfort und Service her. Wenn mir auch die Vergleichsmöglichkeit für Fernflüge noch fehlt, so ist da sicher was dran. Die nächste Mahlzeit, bereits das Frühstück, kommt aber erst 10 Stunden später - um 23 Uhr MEZ beziehungsweise 6 Uhr malaiische Zeit. Das Flugzeug, eine Boeing 777, hat in der Mitte eine Fünfersitzreihe sowie an der Steuerbord- und Backbordseite jeweils 2 Sitze. Zwar habe ich zum Glück 2 Plätze für mich, beneide aber doch die Passagiere, die es geschafft haben, sich auf den nicht voll besetzten Fünferreihen einen "Liegeplatz" zu ergattern. Im Sitzen schlafen kann ich jedenfalls nicht - das wäre mir wohl nur in den voll ausstreckbaren Business Class Sesseln möglich. Aber für 880 Euro kann ich wohl zufrieden sein. Da Malaysia ein islamisches Land ist, kann ich auf dem Bildschirm direkt vor mir nicht nur jederzeit Position und Flugdaten, sondern auch Richtung und Entfernung nach Mekka ablesen. Als ich frühmorgens in Kuala Lumpur das klimatisierte Flugzeug verlasse und durch den Fußgängertunnel gehe, bekomme ich zum ersten Mal eine Ahnung von tropischer Regenwaldhitze. Der Flughafen liegt inmitten von Dschungellandschaft. Bis zum Weiterflug nach Hanoi bleiben mir 3 Stunden und beim Warten in dem riesigen, recht menschenleeren Gebäude merke ich, daß sich meine Anfangseuphorie erstmal gelegt hat. Keinen Schlaf gehabt und im Hotelzimmer werde ich wohl erst am späten Nachmittag sein. In dem Airbus nach Vietnam, den ich dann besteige, sitzen hauptsächlich junge, herumalbernde Amerikanerinnen. Und auf dem Videoschirm läuft eine amerikanische Verstehen-Sie-Spaß-Sendung. Der dreistündige Flug endet auf der sehr holprigen Landebahn Hanois. Sie liegt etwa 45 Kilometer außerhalb der Stadt. Das Empfangsgebäude dagegen ist renoviert und die Paß- und Zollkontrolle geht auch ganz zügig. Mein Gepäck wird nicht durchsucht und ich brauche nur die Erklärung anzukreuzen, daß ich nichts zu verzollen habe. Ich hatte Hoteltransfer gebucht, aber das Auto läßt auf sich warten. Als ich nach etwa 20 Minuten offenbar der letzte übriggebliebene Ankömmling aus Kuala Lumpur bin, werde ich langsam unruhig. Dann kommen doch noch zwei Männer vom Hotel du Nord mit meinem Namensschild und entschuldigen sich für ihre Verspätung. Die Fahrt wird zu einem aufregenden Ersteinblick in das Land, in dem ich 4 Wochen bleiben will.
Aufbruch: | 22.11.2002 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 19.12.2002 |