Vietnam
Zw. Ahnentempeln u. Ho-Chi-Minh-Mausoleum
4. Zwischen Ahnentempeln und Ho-Chi-Minh-Mausoleum
Die nächsten Tage bestehen aus vielen Besichtigungstouren. Beim Besuch des Literaturtempels wird der chinesische Einfluß wieder bemerkbar. Hier wurden lange Zeit die Staatsbeamten nach konfuzianischer Lehre ausgebildet.
Am dritten Abend lerne ich Thans Frau Minh kennen und Hang, eine Schwägerin von Thanh. Hang ist etwa so alt wie ich und arbeitet als freischaffende Fotografin. Beim Betreten der Wohnung von Hang erlebe ich eine kleine Überraschung: sie ist sehr elegant und stilvoll eingerichtet und besteht aus einem Wohn- und Schlafzimmer, welches durch einen langen Flur zu erreichen ist. Die sehr hohen Wände sind mit Fliesen getäfelt und allein der Tisch im Flur, mit einem stimmungsvollen Landschaftsbild an der Wand, lädt zum Teetrinken ein. Diesen schenkt uns Hang auch sogleich ein; den hier verbreiteten, mit Jasmin aromatisierten Grüntee. Später, an dem von Hang und Minh mit viel Liebe bereiteten Speisetisch, mache ich meine ersten, von viel Gelächter begleiteten, Versuche mit Eßstäbchen. Zwar bekomme ich den mir vorgemachten Handgriff hin; die Fleischteilchen fallen mir aber immer wieder auf den Teller. In der Wohnung, über dem breiten Bett, befindet sich noch eine Empore, die von Hang als Arbeitsraum genutzt wird. Sie macht hauptsächlich Auftragsarbeiten auf Hochzeiten und anderen gesellschaftlichen Anlässen. Danach retuschiert sie die Fotos häufig mit Pinsel und Farbe. Als ich ihr dabei zusehe, bewundere ich ihre feine, sichere Hand. Die Empore ist so dicht unter der Decke, daß wir beide uns am bequemsten auf dem Fußboden sitzend dort aufhalten. An diese Art des Sitzens ist man in Asien ja mehr gewöhnt als bei uns. Zwar sprechen die beiden Frauen Französisch und Tschechisch (Minh war eine zeitlang in der CSSR), was ich leider wiederum nicht kann. Als ich mit Hang zwischendurch mal allein bin, spielen wir zusammen auf ihrem Handy ... nein, nicht "Towers of Hanoi", sondern Tetris.
Wir treffen uns während meines Hanoier Aufenthalts öfter in Hangs Wohnung. Das Schuhausziehen und Pantoffelanziehen beim Betreten einer Wohnung oder eines Hotelzimmers ist für mich gewöhnungsbedürftig. Obwohl ich dies in meiner Dortmunder Behausung eigentlich auch am liebsten so machen würde, aber aus Bequemlichkeit oft nicht tue. Für diesen Zweck stehen in Vietnam auch immer Pantoffeln oder Sandalen bereit. Und Barfußlaufen ist dort selbst in besseren Häusern normal, aber bei den meist sommerlichen Temperaturen auch angenehm.
In Thanhs eigener Wohnung lerne ich die Mutter von Thanhs Frau kennen. Sie ist Mitte siebzig, klein, und trägt ein Kopftuch. Behäbig schreitet sie mir zur Begrüßung entgegen. Als sie mein Geschenk angenommen hat und am Küchentisch mir mild lächelnd gegenübersitzt, scheint ihre Würde die ganze Wohnung auszufüllen. Auch die Speisetafel ist mal wieder eine Augenweide. Mehrere Fleisch- und Gemüsesorten zur Auswahl. Die Küche hat ein glasloses, lediglich vergittertes Fenster mit Blick auf eine Hauptverkehrsstrasse. Beim Erstbesuch in einer Wohnung ist es üblich, Geschenke mitzunehmen. Gut, daß ich beim Aussuchen Beratung durch Thanh bekomme. Den beiden Kindern von Thanh kann ich mit Turnschuhen Freude machen, der Minh und ihrer Mutter mit Jeans und Süßigkeiten.
Ich hatte schon erwähnt, daß Mopedfahren in Vietnam besonders erlebnisintensiv ist. Als ich eines Abends mit den Freunden auf zwei Mopeds einkaufen fahre, wird diese dort alltägliche Einkaufstour für mich zu einem 3D-Kino. Es gibt in Hanoi einige Geschäftsviertel, die recht modern und westlich wirken und wo man sogar einige Supermärkte finden kann. An jenem Abend aber, es ist bereits dunkel, bahnen wir uns einen Weg durch holprige, ungepflasterte Straßen mit niedrigen Häusern und langen Basaren. Ich sitze bei Hang hinten drauf. Die Gassen sind zum Teil so eng, daß sich die Markisen der Händler über unseren Mopeds zu berühren scheinen. Trotz der weit ausladenden Marktstände und der kreuz und quer watschelnden Korbträgerinnen steuert Hang uns beide geschickt und schnell mitten hindurch. Obwohl ich in Hanoi insgesamt zwei Mopedunfälle beobachtet habe, fühle ich mich sicher. Und kann die bei Dunkelheit nicht minder zauberhafte Marktatmosphäre mit den Grillgerüchen umso mehr genießen.
Obgleich Hanoi von der Einwohnerzahl her mit Berlin vergleichbar und der Straßenverkehr ein Albtraum ist, ergeben sich beim Mopedfahren auch Gelegenheiten zum privaten Schwätzchen.Als Thanh und ich an einer Ampel warten, hält neben uns zufällig die Englischlehrerin der beiden Jungens. Thanh läßt seine Kinder zusätzlich zum Schulunterricht privat Englisch lernen. Wie für die meisten modernen Vietnamesen ist Fremdsprachenlernen auch aus seiner Sicht wichtig für die Kinder, um bessere berufliche Chancen zu haben. Achtzig Prozent der Bevölkerung sind ja immer noch in der Landwirtschaft tätig.
Aufbruch: | 22.11.2002 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 19.12.2002 |