Vietnam

Reisezeit: November / Dezember 2002  |  von Christian Böttcher

Nachwort

11. Nachwort

Daß das Abschließen meines Reiseberichts von mir so lange hinausgezögert wurde (ca. 3 Jahre "schöpferische Pause"), hat seinen Grund vielleicht auch darin, daß ich mich von den großartigen Endrücken einfach nicht in­nerlich lösen konnte und wollte. Wenn man vergangene Erlebnisse, schöne wie unschöne, niederschreibt und dies zu einem Ende bringt, sind die Erlebnisse gewissermaßen in einem Karton verpackt, den man auch wegstellen kann. In einem kulturell gegensätzlichen Land erlebt man die Umgebung wie sich selbst in­tensiver. Meine Reise war so von Gegensätzen geprägt, wie das Land selber. Ebenso, wie die Sicht des Westens von Vietnam sehr ambiva­lent ist. Das erste Drittel meines Aufenthaltes verbrachte ich mit neuen, einheimischen Freunden und gewann so von Anfang an Ein­blick in das dortige Alltagsleben. Die restli­chen zwei Drittel war ich auf mich allein ge­stellt, mehr oder weniger. Noch dazu als Sin­gle in einem Land, das sich selbst wie eine gro­ße Familie betrachtet. Hinter Landsleuten und Mitreisenden verstecken konnte ich mich nicht, außer in dem von Deutschen geleiteten Ferienresort. Dies intensivierte meine Erleb­nisse, weil Kontakte weiterhin hauptsächlich mit Vietnamesen abliefen. Daß Vietnam neben China und Japan das für den Westen wohl fas­zinierendste Land in Fernost ist, liegt natür­lich auch an dem Krieg und dem großen Ein­fluß, den dieser damals auf den Zeitgeist bei uns hatte. Es kommt als Reiseland zunehmend in Mode, ähnlich wie die Volksrepublik China nach Maos Tod und der darauf folgenden Öff­nung zum Westen. Auch Mao hat die Acht­undsechziger inspiriert, wie Ho Chi Minh. Darum bin ich froh, noch im Jahr 2002 gereist zu sein. Wer weiß, was in den letzten Jahren sich dort schon wieder verändert hat. Im Westen haben wir heute noch Fernsehbilder weinender, kriegsgeschundener Frauen und Kinder vor Augen. Fährt man heute mit dem Moped durch die Dörfer und Felder, lachen und winken einem viele herzlich entgegen. Das "Hello, hello" kleiner Kinder schien mir von den imposanten Kalkfelsen der Trockenen Halong-Bucht wiederzuhallen. Zerbrechlich­keit und Zartheit begegnete mir dort genauso wie derber, rauhbautziger Humor. Die Ver­schmitztheit der Einheimischen gegenüber westlichen Reisenden, so könnte man meinen, wird verursacht durch unsere historischen und ökonomischen Schuldkomplexe, welche bei den heutigen Vietnamesen höchstens Achsel­zucken hervorrufen. Oder eben in unserer Unbeholfenheit im Alltag eines Entwicklungs­landes. Auf der anderen Seite beeindruckt die Noblesse auch armer, insbesondere alter Men­schen. Sie mag in der konfuzianischen Moral begründet liegen und in dem Wunsch, dem großen Nachbar China ebenbürtig zu sein. In den Memoiren eines früheren südvietnamesi­schen Politikers las ich, die vietnamesische Kultur sei zu achtzig Prozent von der chinesi­schen geprägt. Die restlichen zwanzig Prozent seien aber grundverschieden und würden die Einzigartigkeit des Landes umso mehr hervor­stechen lassen.

Es waren die Gegensätze, die ich erlebte und selber mitbrachte, welche mich tief be­wegten und heute noch bewegen. Eine neue Reise dorthin erscheint mir wie ein Muß, aber manchmal befürchte ich auch wieder, meine schönen Erinnerungen könnten beim nächsten Mal relativiert werden.
Geraume Zeit nach meiner Rückkehr ging ich bei Dunkelheit durch die Stadt Nor­derney. Da kam mir eine Gruppe vietnamesi­scher Männer in Bierlaune entgegen, von de­nen jemand mir ein einsilbiges Wort zurief. Ich antwortete im Vorbeigehen trocken "Si cam on", also "Dankeschön." Die plaudernde Gruppe verstummte sofort. Nach etwa 10 Se­kunden hörte ich einen Mann laut lachen, war für die Leute aber wohl schon im Dunkeln verschwunden.

Die schönste Harmonie entsteht durch Zusammenbringen der Gegensätze.

Heraklit.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Bericht über eine vierwöchige Alleinreise durch Vietnam von Nord nach Süd. Die Reise begann in Hanoi mit einem Besuch bei Verwandten einer Vietnamesin, die in unserem Familienbetrieb in Deutschland arbeitet.
Details:
Aufbruch: 22.11.2002
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 19.12.2002
Reiseziele: Vietnam
Der Autor
 
Christian Böttcher berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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