Vietnam
Nachwort
11. Nachwort
Daß das Abschließen meines Reiseberichts von mir so lange hinausgezögert wurde (ca. 3 Jahre "schöpferische Pause"), hat seinen Grund vielleicht auch darin, daß ich mich von den großartigen Endrücken einfach nicht innerlich lösen konnte und wollte. Wenn man vergangene Erlebnisse, schöne wie unschöne, niederschreibt und dies zu einem Ende bringt, sind die Erlebnisse gewissermaßen in einem Karton verpackt, den man auch wegstellen kann. In einem kulturell gegensätzlichen Land erlebt man die Umgebung wie sich selbst intensiver. Meine Reise war so von Gegensätzen geprägt, wie das Land selber. Ebenso, wie die Sicht des Westens von Vietnam sehr ambivalent ist. Das erste Drittel meines Aufenthaltes verbrachte ich mit neuen, einheimischen Freunden und gewann so von Anfang an Einblick in das dortige Alltagsleben. Die restlichen zwei Drittel war ich auf mich allein gestellt, mehr oder weniger. Noch dazu als Single in einem Land, das sich selbst wie eine große Familie betrachtet. Hinter Landsleuten und Mitreisenden verstecken konnte ich mich nicht, außer in dem von Deutschen geleiteten Ferienresort. Dies intensivierte meine Erlebnisse, weil Kontakte weiterhin hauptsächlich mit Vietnamesen abliefen. Daß Vietnam neben China und Japan das für den Westen wohl faszinierendste Land in Fernost ist, liegt natürlich auch an dem Krieg und dem großen Einfluß, den dieser damals auf den Zeitgeist bei uns hatte. Es kommt als Reiseland zunehmend in Mode, ähnlich wie die Volksrepublik China nach Maos Tod und der darauf folgenden Öffnung zum Westen. Auch Mao hat die Achtundsechziger inspiriert, wie Ho Chi Minh. Darum bin ich froh, noch im Jahr 2002 gereist zu sein. Wer weiß, was in den letzten Jahren sich dort schon wieder verändert hat. Im Westen haben wir heute noch Fernsehbilder weinender, kriegsgeschundener Frauen und Kinder vor Augen. Fährt man heute mit dem Moped durch die Dörfer und Felder, lachen und winken einem viele herzlich entgegen. Das "Hello, hello" kleiner Kinder schien mir von den imposanten Kalkfelsen der Trockenen Halong-Bucht wiederzuhallen. Zerbrechlichkeit und Zartheit begegnete mir dort genauso wie derber, rauhbautziger Humor. Die Verschmitztheit der Einheimischen gegenüber westlichen Reisenden, so könnte man meinen, wird verursacht durch unsere historischen und ökonomischen Schuldkomplexe, welche bei den heutigen Vietnamesen höchstens Achselzucken hervorrufen. Oder eben in unserer Unbeholfenheit im Alltag eines Entwicklungslandes. Auf der anderen Seite beeindruckt die Noblesse auch armer, insbesondere alter Menschen. Sie mag in der konfuzianischen Moral begründet liegen und in dem Wunsch, dem großen Nachbar China ebenbürtig zu sein. In den Memoiren eines früheren südvietnamesischen Politikers las ich, die vietnamesische Kultur sei zu achtzig Prozent von der chinesischen geprägt. Die restlichen zwanzig Prozent seien aber grundverschieden und würden die Einzigartigkeit des Landes umso mehr hervorstechen lassen.
Es waren die Gegensätze, die ich erlebte und selber mitbrachte, welche mich tief bewegten und heute noch bewegen. Eine neue Reise dorthin erscheint mir wie ein Muß, aber manchmal befürchte ich auch wieder, meine schönen Erinnerungen könnten beim nächsten Mal relativiert werden.
Geraume Zeit nach meiner Rückkehr ging ich bei Dunkelheit durch die Stadt Norderney. Da kam mir eine Gruppe vietnamesischer Männer in Bierlaune entgegen, von denen jemand mir ein einsilbiges Wort zurief. Ich antwortete im Vorbeigehen trocken "Si cam on", also "Dankeschön." Die plaudernde Gruppe verstummte sofort. Nach etwa 10 Sekunden hörte ich einen Mann laut lachen, war für die Leute aber wohl schon im Dunkeln verschwunden.
Die schönste Harmonie entsteht durch Zusammenbringen der Gegensätze.
Heraklit.
Aufbruch: | 22.11.2002 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 19.12.2002 |