Vietnam

Reisezeit: November / Dezember 2002  |  von Christian Böttcher

Luxushotel, Palast und Weih­nachtseinkäufe

10. Luxushotel, Palast und Weih­nachtseinkäufe.
Finale in Saigon.

In Saigon brauche ich dem Taxifahrer nicht die Adresse vom Hotel Continental zu nennen. In dem pompösen, kolonialen Gebäu­de bekomme ich ein Zimmer im Ausmaß einer Suite, mit einer großen, durch Säulen abgeteil­ten Sitzecke. Die Möbel sind typisch asiatisch und aus rötlichbraunem Rosenholz. Das Fens­ter geht zur Oper und eine Zimmerdame bringt mir eine Schale Südfrüchte. Nach einer Woche Holzhütte mit kalter Dusche und Ameisen genieße ich ein feines Wannenbad. Es ist sicher nicht verkehrt, sich einen Tag vor einer langen Reise nochmal zu entspannen und zu verwöhnen. Da muß ich an mein erstes Bad in Vietnam vor vier Wochen denken - in der abgenutzten Wanne neben einem kaputten Ba­dezimmerfenster.
Die Nachmittagsstunden verbringe ich in Muße und gehe erst gegen Abend nochmal richtig aus. Da sehe ich die Frau am Einkaufs­zentrum mit der Waage sitzen, genau, wie vor einer Woche. Ich lasse, um Höflichkeit be­müht, mein Gewicht gegen eine hoffentlich angemessene Bezahlung ermtteln. Meine Reise hat mein Körpergewicht von 73 auf 68 Kilo re­duziert. So schnell habe ich noch nie abge­nommen, glaube ich. In einem großen Stra­ßenrestaurant erlebe ich meinen letzten Abend und sehe außer mir nur einheimische Gäste.
Überwiegend jüngere Erwachsene und die Stimmung ist recht heiter, als ob Fußballfans den Sieg ihrer Mannschaft feiern. Die gleißen­de gelbliche Neonbeleuchtung auf der Terasse läßt mir die Gesichter umso asiatischer er­scheinen. Auch die folgende Nachtruhe ent­spannt mich sehr und am Morgen steckt eine englischsprachige Zeitung unter der Tür, in der u. a. von der Saigoner Premiere des Films "Der stille Amerikaner" mit Michael Caine in einer Hauptrolle berichtet wird. Die Zweitver­filmung des gleichnamigen Romans erzählt von einer Dreiecksbeziehung zwischen einer Vietnamesin und zwei westlichen Männern, vor dem Hintergrund des Indochina-Konflikts in den fünfziger Jahren. Erst 10 Tage vorher hatte mir eine Frau auf Saigons Straßen einen deutschsprachigen Raubdruck des Romans verkauft. Ob Michael Caine, der ja bei der Premiere zu Gast war, heute auch irgendwo in Saigon frühstückt?

Mein Frühstück findet statt in einem über­dachten, begrünten Atrium. Am Nebentisch sitzen viele asiatische Frauen in islamischer Kleidung, vielleicht aus Indonesien. Mein letz­ter richtiger Programmpunkt ist ein Besuch im ehemaligen Präsidentenpalast, seinerzeit Sitz der südvietnamesischen Regierung. Er heißt heute "Palast der Wiedervereinigung" und dient als Museum und Veranstaltungsgebäude. Im Frühjahr 1975 schafften die Kommunisten überraschend schnell einen militärischen Durchbruch im Süden, der die ohnehin erwar­tete Niederlage Südvietnams noch früher als vorhergesehen einläutete. In den Kellerräumen des Palastes läßt sich die angstvolle Atmo­sphäre dieser Wochen erahnen. Die Befehls­bunker mit den Lagekarten von der Einkrei­sung Saigons und der spartanische Schlafraum für die in den letzten Kriegsmonaten mehr­mals wechselnden Präsidenten vermitteln die Aussichtslosigkeit der Situation. Die ober­irdischen Räume des unzerstört gebliebenen Gebäudes aber strahlen immer noch eine freundlich-luxuriöse Eleganz aus, die man kaum als prunküberladen bezeichnen kann. Je­der Aufenthaltsraum, jedes Arbeitszimmer hat bezüglich Mobiliar, Gemälde und Accessoires seinen eigenen Stil. Immer wieder begegnet mir auf Teppichen, an Stuhllehnen und anders­wo das chinesische Langlebigkeitssymbol "Tho". Nun ja, Südvietnam als Staat war wirk­lich nicht langlebig, aber der Anfang der sech­ziger Jahre erbaute, von außen eher nüchtern wirkende Palast, ist zweifellos ein erhaltens­wertes Architekturdenkmal. Auf der Dachte­rasse gibt es noch einen Hubschrauberlande­platz mit einem echten Huey-Helikopter zu bewundern. Eine Verkäuferin im Museums­shop guckt etwas enttäuscht, als ich einen Con-La-Hut ablehne, den sie mir anbietet. Mir tut es auch etwas leid, aber sowas ist ein­fach zu sperrig für mein Reisegepäck. In einem Vorführraum sehe ich noch ein propagandis­tisch gefärbtes Video über die Geschichte des Präsidentenpalastes. Die Klimaanlage in dem Raum ist so niedrig eingestellt, dass ich ange­sichts meines verschwitzen Hemdes Angst vor einer Erkältung bekomme. Der Film endet mit einem Liedrefrain: "Ho Chi Minh, Vietnam, Ho Chi Minh, Vietnam...". Die fröhliche Me­lodie und der Nachspann erscheinen mir fast wie ein persönliches Abschiedslied.

Durch den Vorgarten, dessen Tor damals von einem nordvietnamesischen Panzer durch­brochen wurde, verlasse ich das Palastgelände und suche nach der früheren US-Botschaft, an der sich seinerzeit verzweifelte Fluchtszenen abspielten. Die Fremdenführerin im Palast hat mir zwar einen Hinweis auf den Standort ge­geben, aber ich habe keine Bilder von dem Ge­bäude und kann in der Straße deshalb nur mutmaßend einige Häuser betrachten. Nach meiner Reise werde ich erfahren, daß die Bot­schaft in den neunziger Jahren abgerissen wur­de, nachdem sie noch einige Jahre einer russi­schen Ölfirma als Bürohaus gedient hatte. Ich mache Rast in einer Kneipe und trinke als einziger Gast neben einem Goldfischbecken ein Cocktail. Schlagermusik von irgendwoher und ein gelangweilter Barkeeper hinter der Theke. Wehmut kommt in mir auf. Durch Weihnachtseinkäufe lenke ich mich noch ab. Neben der bekannten Notre-Dame-Kathedrale steht hinter einem Busch etwas versteckt und verschämt eine junge Frau inbrünstig betend vor einer Marienstatue. Fleht sie wohl um einen Ehepartner oder um Nachwuchs? Beides muß man ja in Asien vorweisen können, um gesellschaftlich voll anerkannt zu sein. In ähnlicher Haltung habe ich in diesem Land auch schon Menschen vor Löwenfiguren beten sehen.
In Buchhandlungen werden eine Menge Sprachkurse angeboten - auch für deutsch. Ein Zeichen, wie sehr die Menschen hier An­schluß an internationale Gemeinschaft und Wettbewerb suchen. Zufrieden mit meinen Weihnachtsgeschenken lasse ich mich in ei­nem gemütlichen Restaurant nieder und emp­finde wieder Vorfreude auf die Heimreise. Auf der Taxifahrt vom Hotel zum Flughafen halte ich noch ein paar Streiflichter mit der Video­kamera fest: einen faulenzenden Polizisten in einem Wachhäuschen, eine Radfahrerin mit riesiger Ladung an Körben und zwei wartende Frauen im Ao-Dai-Kleid. Es sind meine letz­ten Filmaufnahmen. Etwas Ärger gibt es noch, als der Fahrer am Ziel einen viel höheren Preis verlangt als anfangs abgesprochen. Aber meine dicken Bündel Dong-Scheine will ich ja auch loswerden. Erster Vorgeschmack auf Europa ist eine Schachtel Kekse mit holländischem Motiv, die ich mir als Reiseproviant auf dem Flughafen kaufe. Nach einem kurzen Telefo­nat nach Deutschland besteige ich den Airbus in Richtung Kuala Lumpur. Beim Start be­trachte ich durchs Fenster die unter mir da­hinschwindende Umgebung von Saigon. Es geht wieder in Richtung Südchinesisches Meer und ich sehe noch einmal von oben das Me­kong-Delta, welches ich bei einem längerem Vietnamaufenthalt gerne auch bereist hätte. Als wir über dem Meer sind, lasse ich mir kei­ne Minute entgehen, in der ich Vietnam noch sehen kann. Meinen Kopf muß ich am Ende sehr verdrehen und sehe, wie die Süd­westspitze des Landes allmählich dem Meeres­blau und dem diesig-sonnigen Nachmittags­himmel weicht.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Bericht über eine vierwöchige Alleinreise durch Vietnam von Nord nach Süd. Die Reise begann in Hanoi mit einem Besuch bei Verwandten einer Vietnamesin, die in unserem Familienbetrieb in Deutschland arbeitet.
Details:
Aufbruch: 22.11.2002
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 19.12.2002
Reiseziele: Vietnam
Der Autor
 
Christian Böttcher berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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