Ukume goes Hawaii
Kauai - Seifenblase der Natur
Kauai - Welcome to the Garden Island!
Liebe Freunde, ich bin in den letzten Tagen mal wieder nicht zum Schreiben gekommen. Nun sitze ich auf der Veranda meines Couchsurfing- Gastgebers Tomasso, von allen "T" genannt, trinke Bio- Kaffee, und nun ja, rauche meine wie üblich ungesunde Zigarette. Alle rauchen sie American Spirits um mich herum, und Gras, und von Junk- Food- Liebhabern ist hier weit und breit keine Spur zu erkennen. Es wird viel Fisch gegessen, sogar die Chips hier sind "100% organic", wenn man so möchte. Die mexikanischen Restaurants, kleinen Meeresfrüchte- Bistros und Coffeeshops (was hier nicht für Mariuana-, sondern für echten Kaffee- und Gebäckverkauf steht) werben mit Bioalternativen für alles, was man konsumieren kann, Sojamilch für den eigens angebauten Kaffee, Dinkel- Bagels mit frisch geangeltem Lachs und grüner Tee in aryuvedischen Varianten, die sogar dem Dalai Lama leidenschaftliche Freudentränen in die Augen treiben würden. Man kann, wenn man dem Kellner im Restaurant einen Hinweis gibt, sogar Bio- Nachos bekommen, die ohne jegliche Konservierungsstoffe und sonstige nicht- biologische Zusätze auskommen. Yoga wird hier praktiziert wie mancherorts bei uns das morgendliche Großgeschäft, und auf den Stoßstangen der Jeeps pranken Aufkleber mit Aufrufen zur Erhaltung des natürlichen Lebensraumes der Tiere, Pflanzen und Menschen hier, sie schreien: "Keep the country country!", "Hawaii is no trash- can! Keep it clean!" und "You don't treat me like your home? I will throw you out!" Nein, ich wurde nicht mittels Zeitmaschine in die kalifornischen 68er entführt, obgleich hier ziemlich viele Menschen aussehen, als hätten sie sich das letzte Mal die Haare schneiden lassen, als es das Jahr 1968 schrieb. Dies hier ist das Hippie- /Juppie- / madonnamäßig- aryuvedische KAUAI!
Es ist erstaunlich, wie schnell man sich von dieser Insel aufschlucken lässt. Erst vor einer Woche von Maui hergekommen, fühle ich mich hier schon fast wie eine ortsansässige menschliche Plantage für ökoextreme Sozialromantik. Einer meiner "friends" (dieses Wort wird hier gleichbedeutend zu einer Mischung aus "Wegbegleiter" und "Respektperson" verwendet, und irgendwie sind wir hier alle "friends") sieht aus wie Jesus, kein Witz, vielleicht ist er's ja. Man stelle sich das mal vor: Jesus kommt wieder zurück auf unseren Planeten, und weil sein letzter Besuch irgendwie nicht so freundlich empfangen wurde wie erhofft, macht er dieses Mal alles anders: nun nämlich zaubert er aus Tabak Gras anstatt aus Wasser Wein. Er läuft nicht übers Wasser, denn das wäre bestimmt schädlich für die Flora und Fauna; er destilliert es und gießt damit seine Sojabohnen, auf das sie ihm und seinen friends mehr "100% organic" food bescheren mögen. Er trägt keine Latschen, um der Natur näher zu sein, aber dafür ein Tattoo, das "Jah bless this place and all that dwell herein - givin is livin" in geschwungenen Großbuchstaben über seinen Rücken schreibt... Ja, das ist Justin (oder Jesus?, einer der freundlichen Menschen, die ich hier auf Kauai immer wieder treffe.
Dazu kommt noch Jason, mein unglaublich dicker, und ein bisschen apathischer hawaiianischer Nachbar; er ist ein echter "local", ein gebürtiger Hawaiianer mit reiner Blutslinie, davon gibt es hier nicht mehr viele, daher ist er eine Rarität und ziemlich stolz darauf. Ich kann das schon verstehen, denn die meisten Bewohner dieser Insel sind ja doch bloß späte Zuwanderer, Flüchtlinge der westlichen Zivilisation rund ums amerikanische Festland. Alle tragen sie allzu durchsichtige Rucksäcke voll gepackt mit Fernweh und idealistischen Traumschlössern; viele bleiben nur ein, zwei Jahre, weil das Inselleben nun mal nicht immer ein paradiesischer Zustand von Einigkeit und Freiheit, sondern für die Meisten echte, harte Arbeit ist. Weil Amerika auch hier Einzug gewonnen hat, und man zwei Jobs haben muss, einen im Café an der Ostküste als Kellner oder Koch, und einen an der Kasse des BioFood- Supermarktes an der Südküste. Weil hier junge Teenies Crack rauchen, um dann in parkende Autos einzusteigen, und alles mit zu nehmen, was geht; oder auch nur, weil ihr Blackberry- Handy hier schlechten Empfang hat, und sie sich eigentlich doch kein Leben vorstellen können, in dem man nett zu jedem Menschen sein muss, den man unterwegs trifft, weil man sonst unten durch ist, und bloß "typisch Tourist". Wie auch immer, Jason ist also ein local und - im wahrsten Sinne des Wortes - ´ne ziemlich große Nummer hier. Er ist immer stoned, und ich glaube er verdient damit auch sein Geld; er scheint irgendwie nie etwas zu tun zu haben und hängt ständig auf unserer Veranda rum, und "rumhängen" bezieht sich dabei auf sämtliche Körperteile, die nicht auf den Stuhl passen, auf den er sich immer setzt. Ich glaube, er ernährt sich nicht so organic, ist aber auch wurscht, denn er ist ein local, und er hat ein 12 Fuß langes Softboard (ein riesiges, sehr dickes Surfboard, dass viel Gewicht über Wasser halten kann, weil es eine spezielle Beschichtung hat). Er redet pidgin, eine Art hawaiianisches Englisch, das sich meinem Verständnis fast völlig entzieht; es verhält sich damit zur Hochform des Englischen fast so wie Schwitzer Dütsch zu Hochdeutsch. "Killer" heißt in pidgin zum Beispiel so viel wie Typ, oder Mann. Als er zum ersten Mal fragte, ob andere Killer hier seien, war ich sichtlich irritiert, glaube ich. Aber dann klärte sich die Situation auf... Zurück zu Jason, oder besser gesagt zu seiner Freundin: Aaron ist blond, schlank, und blauäugig. Sie ist total wibbelig, also sein komplettes Gegenteil, und ihr tut es im Gegensatz zu ihm glaube ich sogar gut, jeden Tag zu kiffen. Sie hängen ständig zusammen, und geben ein lustiges Paar ab, ich mag die beiden irgendwie, ich glaube jeder mag sie.
Dann gibt es noch Christel, die süße Sängerin. Sie arbeitet auf einem Flussschiff, jeden Abend singt sie dort, und spielt auf ihrer traditionellen Ukulele. Man sagt, ihr Gesang sei nicht so gut wie ihre Fertigkeit auf dem Saiteninstrument, letztere aber sei es auf jeden Fall wert, sich immer mal wieder ihre Auftritte an zu schauen. Christel ist Mitte dreißig, hat ganz dunkelbraun gebrannte Haut mit mediterran anmutendem Olive- Stich, die einen enormen Kontrast zu ihren hellen, grünen Augen bildet, und sie lacht so laut und viel, dass man sich selbst jedes Mal fast vor Lachen schüttelt, weil ihr Lachen so ansteckend ist. Sie trägt zwar Shorts, knappe, bauchfreie T-Shirts, und ein Nabel- Piercing, wirkt aber trotzdem wie eines der natürlichsten, und hawaiianischsten Wesen, das mir hier begegnet ist; vielleicht liegt dass an der Art, wie sie sich bewegt, nicht so kontrolliert und, nun ja, steif, wie viele Mädchen es sich irgendwann aneignen, wenn sie in den üblichen westlichen Kulturkreisen aufwachsen, sondern fließender und selbstverständlicher, keine Ahnung, ob man das erklären kann. Sie trinkt und raucht und kifft wie fast alle hier in enormen Mengen, und man sieht es ihr auch an, sie sieht immer ein bisschen erschöpft aus, und die Falten in ihrem Gesicht sind zu tief, als dass sie ihrem Alter entsprächen. Auch sie hängt oft nach der Arbeit hier rum; sie hat mich auf eines ihrer Konzerte eingeladen, also werde ich bestimmt hingehen, und später davon berichten.
Ansonsten gibt es noch Joelle und Dillon, beide arbeiten sie mit T, meinem Gastgeber, im "Mermaid's", einem Öko- Fastfoodladen mit Fischwraps und Tofuburgern und leckeren Shrimpburritos. Sie sind auch Teil der Crew, mit der ich hier viel Zeit verbringe, Joelle ist eine chronische Telefoniererin, und sie kichert viel, hat einen derben Humor und hat ein Faible für Pferde. Sie ist echt lustig, und herrlich herzlich; ich hätte es zwar nicht für möglich gehalten, weil ich Pferdemädchen nie wirklich ausstehen konnte, aber wir liegen auf einer Wellenlänge und verstehen uns super! Ich glaube eh, das mein Pferdemädchenvorurteil nicht mehr taugt, weil ich nicht mehr 12 bin, und auch keine Klassenkameradinnen mehr habe, die Zahnspangen tragen und Wendy lesen und langweilig und mädchenhaft sind. Joelle ist total cool, und ihre zwei Pferde bestimmt auch. So. Ein weiteres Vorurteil ausgemerzt. Juhu! Dillon ist der obligatorische Peter Pan im Freundeskreis, er trägt ein Lippenpiercing, hat blonde Locken, ein paar Tattoos und man glaubt fast, man könne im Hintergrund leise "Basket Case" von Green Day hören, jedes mal wenn er auftaucht. Natürlich spielt Dillon Gitarre, und wenn nicht, müsste man es ihm zur Vervollständigung seines Punkjungspund- Images beibringen. Abgesehen vom Mermaid's, in dem er 7 Tage die Woche die Frühschicht schiebt, arbeitet er noch auf einer Farm, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Trotzdem lässt er kaum einen Trinkabend aus, keine Ahnung, wie er das macht.
Nun die perfekte Überleitung zu Pearl, T's und meiner Mitbewohnerin: Sie steht nämlich total auf Dillon, und macht daraus auch keinen Hehl, da sie sich nicht wirklich Chancen bei ihm ausrechnet. Sie ist ein Sonnenschein, hat ganz hellblondes Haar und trägt ein Piercing durch die Mitte ihrer Nase, sie hört Punkrock und trägt große, bunte Stecker in den Ohrläppchen, und auch ihre Brustwarzen seien gepierct, sagt sie. Sie arbeitet als Managerin in einem der vielen Bio- Supermärkten, und versucht in ihrer Freizeit "so viele Männer wie möglich zu vernaschen" (ihre Rede), weil sie nämlich ganz verrückt nach ihnen ist. Problem: Sie wiegt glaube ich 200 Kilogramm, so viel, dass es ihr augenscheinlich schwer fällt, sich zu bewegen, und das scheint ihr nicht so viel aus zu machen, als dass sie ihren Kleidungsstil auch nur annähernd ihrem Gewicht anpassen würde: What you see is what you get. Ich finde das irgendwie echt klasse, diese Natürlichkeit und Gelassenheit. Und damit landet sie tatsächlich nicht selten bei den Typen, und sie ist einfach sie selbst, und redet über hübsche dünne Frauen, als sei sie ein Mann im MTV- fähigen Alter ("Look at her...so f*cking hot! Holy Moly..."). Sie ist halt einfach so wie sie ist und scheint damit gut klar zu kommen. Ob dem wirklich so ist: Keine Ahnung. Wir haben alle Mauern um uns herum, die einen sind dicker, die anderen recht dünn, manche ziehen einen kleinen Kreis um unser intimstes Ich, andere Mauern beginnen schon dort, wo Small- Talk aufhört, und wer weiß schon, ob Pearl weniger mit sich im Reinen ist, als ich es bin, oder irgendwer sonst. Und wäre ich nicht so neugierig, und würden mich Menschen und ihre innersten Geschichten nicht immer so interessieren, könnte ich jetzt auch aufhören, zu schreiben; aber so ist es nun mal nicht. Also noch ein letzter Gedanke, der mir zu Pearl, oder besser gesagt, zu meiner Reaktion auf Pearl einfällt: Ich komme nicht umhin, egal wie sehr ich ihr abkaufe, dass sie echt cool ist und zufrieden und selbstbewusst, mir für sie zu wünschen, dass sie weniger Blödsinn isst, 150 Kilo abnimmt, und ihr hübsches Gesicht unter all dem Fett zur Geltung kommt. Dass sie anfängt sich zumindest ein bisschen mehr zu bewegen, und sportlicher zu sein, weil sie doch so nicht glücklich sein kann, mit dieser begrenzten Beweglichkeit. Ich wünschte mir für sie, und da ertappe ich mich dabei, dass die kommerzialisierte Fit-For-Fun- Welt auch mich im Beauty- Täschchen hat, dass sie "das Beste aus sich machte" (was auch immer das mit schlanker sein zu tun hat - ich assoziiere es ganz klar damit, ich bin so was von im Täschchen!) und dass sie dann einen besser bezahlten Job, einen netteren, und heißeren Typen, und sowieso ein viel gesünderes Leben haben würde. Und vielleicht auch viel mehr Sex. Und dass hätte sie ja schließlich gerne. Und dann fühle ich mich schlecht, zu Recht, denn es ist wirklich nicht sehr tiefgründig, ihr ein "besseres" Leben zu wünschen, wenn sie doch sagt, dass sie gar kein anderes haben will, als das, welches sie lebt.
Whatever (ein Wort, das hier echt häufig verwendet wird), kommen wir zur nächsten Person, um das Bild zu vervollständigen. Tomasso "T" Gambino ist mein Gastgeber. Er ist Sizilianier durch und durch, und so stolz darauf, dass er es wirklich oft erwähnt. Sein Papa war ein "Television Super- Hero" in den 70ern, auch das erwähnt er ziemlich häufig, und es hängt ein gerahmtes Bild seines Vaters, tatsächlich verkleidet als eine Art Superman, in dem Wohnzimmer, in dem ich schlafe. Gambino Senior kam damals Anfang der 60er aus Sizilien nach Amerika und wollte, wie auch viele vor ihm, nach Hollywood, um dort entdeckt zu werden. Leider entdeckte ihn stattdessen erstmal die U.S. Army, sobald er in New York City ankam, und schickte ihn nach Vietnam. Dort musste er, weil er so klein und wendig war, als Minentester herhalten. Minentester sind die armen Schweine, die als Erste aus der gesamten Einheit auf unbekannte Felder rennen, und sie komplett überqueren müssen, um heraus zu finden, ob es dort Tretminen gibt. Währenddessen halten sich die Kameraden die Ohren zu, und schauen weg, weil sie nicht sehen wollen, wie einer von ihnen von einer Mine zerfetzt wird. Zurück zu Gambino Senior: Knapp zwei Monate nach seinem erstem Einsatz im Vietnamkrieg flog seine gesamte Einheit durch einen gegnerischen Bombenangriff in die Luft. Gambino Senior lag derweil mit einer Darmfellentzündung in einem Lazarett nahe Hanoi. Als er erfuhr, dass auch er eigentlich hätte fallen müssen, wie seine Kameraden, wurde er immer schweigsamer, und nach T's Angaben ein Bisschen "seltsam im Kopf". Die U.S. Army behielt ihn noch eine Weile für ihre Zwecke bei sich, und speiste ihn dann, als er "untragbar wurde" mit einer kleinen Abfindung ab, gab ihm eine Ehrenmedaille und schickte ihn nach Amerika zurück, das von da an sein zu Hause sein sollte. Er wurde dann in den folgenden Jahren zu einem Kriegsgegner, schloss sich der Hippiebewegung an, bei der er seine zukünftige Frau kennen lernen sollte. Dort zeugte er sein erstes Kind, dass ihn auch zum berühmtesten Festival begleiten sollte, dass die Welt je gesehen hat: Woodstock. Es ist wohl kaum nötig, zu erwähnen, dass dieses Kind Tomasso hieß, und dass es sich dabei um meinen jetzigen Gastgeber hier auf Kauai handelt...
T sagt, sein Vater hätte dann irgendwann wirklich zum Fernsehen gefunden, und ein paar gute Rollen gespielt, es aber nie ins Kino geschafft. Als Gambino Senior sich dann von seiner Frau scheiden ließ, und diese von Hollywood nach Texas zog, um das Hippie- Leben hinter sich zu lassen (sie ist übrigens heute eine Verfechterin von George W. Bushs Regierung) verabschiedete sich der kleine Tomasso erst einmal vom Durcheinander der Flower- Power Generation, um wenig später wieder dorthin zurück zu kehren, nach Kalifornien, zu seinem Vater, dem Schauspieler. Letzterer schrieb ihn dann in jene Schauspielerkartei ein, die auch ihm zu Rollen verholfen hatte, und Tomasso, im Laufe seiner Zeit als junger Erwachsener irgendwann nur noch T genannt, bekam tatsächlich ein paar Angebote als Milchjunge in einer Werbung für Schokoriegel, oder als "der Sohn" im Hintergrund eines anderen Lebensmittelproduktes. Er probierte mit 9 zum ersten Mal Haschisch, mit 12 kokste er. Bald regelmäßiger Trinker, entfernte er sich dann von seinem Leben, probierte vieles aus, und fand dann irgendwie auf diese Insel. Noch immer steht er in derselben Schauspielerkartei von damals, und ab und zu, wenn es hier Hollywoodproduktionen wie Jurassic Parc, Indiana Jones, oder Tropic Thunder gibt, spielt er eine kleine Statistenrolle, und kassiert 500 Dollar. Ansonsten arbeitet er als Koch im Mermaid's, sowie auch Joelle und Dillon, und er trimmt zusätzlich Haus und Garten für seine Chefin. Ich weiß nicht, wie viel von dem, was er mir über sein Leben erzählt hat, wirklich stimmt, und wie vieles davon "eine geborgte Geschichte" ist. Geborgte Geschichten nenne ich jene Erzählungen, deren Kern wahr, deren Symtome jedoch manchmal andere waren, als die, die dargestellt werden. Ich mache das auch hin und wieder, aus Liebe zu Geschichten, zur Kunst, zur Fantasie. Man reichert grüne Augen mit ein paar Streifen gelber und blauer Effekte an, und plötzlich hat man Lucy in the Sky with Diamonds. Irgendwann glaubt man dann selbst daran, die Erinnerung tatsächlich gehabt zu haben, wenn man die Geschichte nur oft genug erzählt hat, und sich die Details mit Empfindungen verknüpfen, die man hegt, während man erzählt. Nun ja, das ist also T's Geschichte.
Vor ein paar Tagen kam Mascha hier an. Sie war T's erste Couchsurferin als sie im November letzten Jahres nach Kauai kam. Sie verliebte sich in ihn, in seinen kindlichen Charme, sein sizilianisches Temperament, seinen muskulösen Körper, der trotz seiner stolzen 41 Jahre immer noch sehr fit und gesund wirkt. Mascha ist Wienerin, sie studiert Kultur- und Sozialanthropologie und schreibt gerade ihre Magisterarbeit über Hawaiianische Bildungskonzepte. Wie auch immer, als Mascha damals merkte, dass sie in T mehr sieht, als nur eine Sommeraffäre, verlängerte sie ihren Trip um einen Monat, dann um zwei. Als sie abreisen musste, vereinbarten sie, dass sie immer ehrlich zueinander sein würden. Mascha traf in Wien einen alten Freund, in den sie schon immer verschossen gewesen war. Er offenbarte ihr, dass auch er immer gedacht hatte, dass sie eines Tages zu einander finden mussten - und Mascha schob ihn dennoch von der Bettkante. Sie hielt sich an die Vereinbarung. Während ihre Freunde die Beziehung nicht verstehen konnten, die T und Mascha verband, und sie Maschas Treue als blauäugigen Gehorsam abstempelten, glaubte Mascha fest an die Liebe, die sie gefunden hatte, und sparte ihr Geld, um wieder zu ihm zu fliegen. Jetzt ist sie hier. Sie war ehrlich, sie war treu, und sie war geduldig. Er war es nicht. Während sie von Beziehung redete, dachte er nur an ein zärtliches Gefühl, welches man durch das Aufsparen desselben nicht vermehrt, sondern gar vermindert. Man muss es also leben, mit so vielen tollen Frauen wie möglich. Mascha wusste nichts von seiner Einstellung, aber sie hätte es wohl ahnen müssen. Gestern weinte sie ein Bisschen. Jetzt versucht sie, alles "so frei und locker" zu sehen wie er, "ein neues Lebenskonzept" sei das, was sie von T lernen könne. Sie ist echt süß, sehr österreichisch, sie redet "urgern" über ihre tschechischen Vorfahren, über das Sommercamp, in dem sie jedes Jahr als Betreuerin arbeitet, und sie hat blonde Haare, die sie hinter ihrem Kopf zu einem Knoten bindet, ihre Augen sind wässrig und blau und sie trägt Hippie- Röcke. Sie kommt schon klar. Und sucht sich nächstes Jahr vielleicht einen ordentlichen Wiener. Wer weiß. Jetzt ist sie erst einmal hier, und lernt "ein neues Konzept". Währenddessen verbringen wir gerne Zeit miteinander. Es ist so schön, wieder deutsch reden zu können, immer dann, wenn wir unter uns sind. Sich ausdrücken zu können, genau, wie man möchte, kleine Nuancen zeichnen zu können, und der andere versteht's.
Ich vermisse Europa. Und Hamburg erst. Ich vermisse es, Abends raus zu gehen, ein Bier zu trinken, eine Zigarette zu rauchen, die Straßen entlang zu schlendern, mit meinen Freunden zu lachen und zu reden. Hier gibt es keine Bordsteine. Nur Platz für Autos, ein bisschen Grasfläche am Rand, kaum genug für zwei Personen. Oder pure Natur, also gar keine Wege. Wenn man in eine Bar geht, muss man sein Bier stehen lassen, um raus zu gehen, sich eine Zigarette an zu zünden, und wenn man fertig ist, geht man wieder rein, und dort wartet dann dein zimmertemperiertes Bier. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, aber ich vermisse den deutschen Humor. Oder ist er europäisch? Keine Ahnung, auf jeden Fall ist er anders, und ich vermisse ihn. Das einzige, was mich an Europa erinnert, sind die vielen Witze über "den dummen Amerikaner". Die Leute, mit denen ich mich hier angefreundet habe, sind reflektiert, sie sind offen, interessiert, und anders als die meisten, die man trifft. Sie lassen kein gutes Haar am "Yie-ha"- Amerikaner, der nicht einmal weiß, das Holland nicht in Frankreich liegt. Ich finde, dass sie sogar um einiges kritischer und distanzierter über ihre eigene Kultur reden können, als wir das tun, zumindest in den meisten Fällen. Ich mag meine friends hier wirklich sehr gern. Ich habe sie langsam ins Herz geschlossen, und nun sind sie drin, und ich mag sie gar nicht hier lassen, wenn ich gehe. Noch vor ein paar Tagen hatte ich meine erste und letzte richtig schlimme Heimweh- Attacke. Ich fühlte mich ganz einsam, so viele ungeteilte Gedanken hegte ich, und sie entfernten mich vom Rest der Welt.
Allein zu reisen, und immer wieder von Fremden abhängig zu sein, ihre Gastfreundschaft dankend entgegen zu nehmen, um im Gegenzug jederzeit bereit zu sein, zu helfen, und zu teilen, ist ein ganz außerordentliches, ein schönes, aber auch ein einsames Gefühl, manchmal. Man ist ja nicht allein, hier muss man nie allein sein. Aber meistens ist man einsam. Denn die Menschen sind so ganz anders, als alles, was einen an zu Hause erinnert. Sie lachen nicht über dieselben Witze, sie drücken sich anders aus, sie leben unterschiedliche Konzepte.
Es war bislang immer spannend, immer aufregend, und interessant. Ich habe so viel erlebt in den letzten 5 Wochen, und längst nicht alles reflektiert, und aufgeschrieben. Ich habe Freundlichkeit und Gastfreundschaft erlebt, wie selten zuvor in meinem Leben, ich habe Natur bestaunt, Berge bestiegen, Sonnenauf- und Untergänge zelebriert; ich bin in 50 Fuß Tiefe im pazifischen Ozean mit Schildkröten getaucht, habe kleine Haie an mir vorbeischwimmen sehen, zur Meeresoberfläche hoch geschaut, und mir gedacht: "Tja, du darfst jetzt nicht da hoch wollen. Du bist jetzt hier unten, in der Tiefe, es ist ein langer Weg nach dort oben, und die Haie sind in Ordnung. Da, sie ziehen vorbei. Keeeine Panik." Es hat funktioniert. Hätte ich Panik bekommen, und hätte mich verschluckt, und keine Luft mehr bekommen; ich wäre wahrscheinlich instinktiv hochgeschossen, und der Rest wäre sehr unappetitlich geworden, für meine Lunge, und für meine Ohren. Aber alles gut. Ich bin auf einen Vulkan gestiegen, ein 13 Meilen langer Kletterpfad, den ganzen Tag hat es gedauert. Als die Füße schon schmerzten, und man die ein oder andere Verletzung im Gepäck hatte (ich habe Tarzan gespielt, mich mit einer Liane über ein kleines Wasserloch geschwungen, bin an einem Felsvorsprung hängen geblieben und gestürzt. Mein Knie hat geblutet, aber es war natürlich eine Baby- Verletzung), kam man zu einem wunderschönen Strand, versteckt im Dschungel. Die Wellen waren um die 3-5 Meter hoch, und brachen am Strand, was es nahezu unmöglich machte, ins Wasser einzutauchen. Sie kamen in knapp 30- sekündigen Abständen, man musste unter der Welle durchtauchen, wie sie so riesig auf einen zukam, und danach kraulen wie ein Irrer, um hinter den Punkt zu gelangen, wo die Wellen brechen. Von dort aus konnte man dann einigermaßen sicher mit ihnen spielen. Ich hatte trotzdem immer wieder Angst, denn die Wellen sind einfach so riesig, und so kraftvoll. Sie können dir mit Leichtigkeit das Genick brechen, man glaubt nicht, wie hilflos man ist, hat die Welle einen erstmal erwischt. Ich habe diese Erfahrung in Maui machen dürfen, und mein Rücken tut mir immer noch weh, wenn ich bestimmte Bewegungen mache. Die Welle hatte mich rücklings zusammengefaltet, und am Strand ausgespuckt. Vor solchen Stränden stehen meistens Schilder, die dumme Touristen (wie ich es bin) und allzu wagemutige locals (wie meine Begleiter) warnen, sich nicht ins Wasser zu begeben. Viele machen es trotzdem. Es ist ein Rausch, und man ist froh, wenn man es dann wieder durch den Shorebreak an den Strand geschafft hat. In solchen Momenten zünde ich mir ja dann zufrieden und mit pochendem Herzen eine Zigarette an...
Es ist jetzt Sonntag. Papa, halt dir die Ohren zu: Am Dienstag wird T mich tätowieren. Und das Tattoo wird hoffentlich großartig! Auf jeden Fall ist es ziemlich groß, aber wie heisst es hier so schön: Go bigger, or go home! Am Mittwoch fliege ich schweren Herzens nach Oahu, meiner ersten Insel, zurück, und surfe noch ein letztes Mal am Waikiki Beach, wenn mein Tattoo es zulässt. Ich werde noch ein Bisschen einkaufen, die letzten Karten verschicken, und mich auf meine Rückreise machen. Ich fliege am Donnerstag los, und komme erst am Samstag an. Keine Ahnung, die Zeitverschiebung mal wieder. Ich reise 30 Stunden. Ich bin traurig, weil meine Tage hier zu Ende gehen. Es ist wunderschön hier, die Menschen, die ich auf dieser Insel, meiner Insel, Kauai gefunden habe, sind wirklich tolle Leute, und wir verbringen eine sehr entspannte und angenehme Zeit. Da ich die letzten fünf Woche ständig auf Achse war, um die Natur zu erkunden, bin ich des Wanderns satt und genieße ein heimeliges Leben hier, mit T, seiner Lebensabschnittsgeliebten Mascha, Joelle und Dillon, die mich immer zum Lachen bringen, und mir gute Freunde geworden sind, und den anderen Leuten, die immer wieder vorbeikommen. Wir kochen und backen viel, sitzen Abends auf der Veranda, und hören Musik und reden und trinken. Ich war bereits zwei Mal mit ihnen campen, am äußersten Ende Polihales. Polihale heißt übersetzt Haus (hale) der Toten (poli). Die alten Hawaiianer haben damals ihre Toten dort verbrannt, und sie haben daran geglaubt, dass die Seelen ebenjener Toten von dort aus zu ihrem Bestimmungsort wehen können, um den ewigen Kreislauf des Lebens aufrecht zu erhalten. Es ist wunderschön dort, und es herrscht eine einnehmende, sehr spirituelle Atmosphäre, keine Ahnung, warum. Der Strand ist tatsächlich der längste Strand in den Vereinigten Staaten von Amerika, und es ist kaum jemand dort. Man fährt mit einem Jeep hoch, die Fahrt dauert knapp 2 Stunden, und am Ende ist man abgeschnitten von allem und jedem, man blickt auf den Ozean und die Klippen, und nichts sonst. Ozean. Klippen. Ozean. Es ist einfach wunderschön, und ich kann es kaum beschreiben. Man sitzt im Schatten und spielt Karten, unterhält sich, legt sich in die Sonne, liest ein Buch; man stürzt sich in die Wellen, und merkt kaum, wie die Zeit vergeht... dann wird es langsam dunkel, die Jungs holen Holz und machen Feuer (wir haben uns kaputt gelacht über so viel archaisches Verhalten; es ist wahr: Habt ihr schon mal gesehen, dass die Mädchen in den Wald gehen um Holz zu holen und zu hacken, um anschließend das Lagerfeuer zu richten, während die Jungs bei den Zelten bleiben und sich unterhalten? Nein!! ). Irgendwann holt Dillon seine Gitarre, und spielt Sublime. Immer wieder Sublime, es ist schön, mal nicht "No Woman, No Cry" von Marley oder "Notting Else Matters" von Metallica hören zu müssen, sobald ein junger Gitarrist am Feuer sitzt. Man trinkt billigen Rotwein aus der Flasche, man geht Nachts noch einmal schwimmen, man liegt unter den Sternen, Millionen von Sternen, hört die Wellen ans Ufer schellen, und fühlt die wie ich finde allzu erträgliche Leichtigkeit des Seins in jenem Augenblick - das ist Freiheit. Keine Motorengeräusche, ein paar Ziegen meckern rum, Möwen, in der Ferne sieht man die Spitzen von Delfinflossen aufblitzen, sie schwimmen wohl Richtung Osten. Wer hat die ganze "Wir brauchen mehr"- Mentalität noch mal erfunden? Mann, Mann, Mann.
Am Anfang dieses Berichts sagte ich bereits, dass diese Insel einen aufsaugt, wenn man es zulässt. Sie gibt Frieden; man will hier nicht ständig irgendwas. Irgendwie gibt man sich hier zufrieden. Ich bin traurig, hier weg zu müssen, ich bin aufgeregt und glücklich, wenn ich an euch zu Hause denke, weil ich weiß, dass ich euch bald wieder sehe, und darauf freue ich mich. Hello and Goodbye. Ich schreibe bald noch einmal, bevor ich die Reise entgültig abschließe. Bis dahin möchte ich mit einem Zitat verbleiben, das mein Gastgeber Tomasso 'T' Gambino mir auf den Weg mitgegeben hat: "If you're not part of the solution, your part of the problem." Also bleibt sauber, und genießt das Leben!
Bis bald,
eure Gün
Aufbruch: | 23.08.2008 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 05.10.2008 |