Schlüssel zum Paradies - Tor zur Hölle: die Apolobamba-Region, Bolivien
Planung der Expedition: Agua Blanca
Nach 12 Stunden Fahrt steigen wir kurz vor Einbruch der Nacht an einer Haltestelle im Nichts aus. Es beginnt zu nieseln und wir erkennen verschwommen die Konturen einer Ansammlung von Lehmhütten: Das Dorf heißt Agua Blanca, es liegt 3900m ü.M. Wie eine Offenbarung erscheint plötzlich ein hübsches junges Quechua Mädchen in Tracht aus dem Nebel und grüßt uns scheu. Wir fragen sie höflich nach einem Quartier. Sie bringt uns zu ihrer Mutter. Die schlanke, kräftige Frau mit rotem Poncho und in Sandalen an den nackten Füßen hat ein herbes aber wohl geformtes Gesicht mit zwei lebhaften rehbraunen Augen und ist sehr klein. Sie gibt uns in einer Jose und mir unverständlichen Sprache sowie durch Gesten zu verstehen, dass wir ihr folgen sollen. Wir verstehen auch ohne Worte, was sie will. Während wir hinter ihr herlaufen, fallen mir ihr langer, pechschwarzer Zopf und ihr flinker, katzenartiger Gang auf. Wir werden von ihr zu einem für die Abgelegenheit von Agua Blanca erstaunlich komfortablen Haus gebracht, in dem sie uns alleine zurücklässt. In der Küche dürfen wir uns ein schmackhaftes Abendessen aus Resten kochen.
Spät abends besuchen uns zwei Männer aus dem Dorf, die gute Ortskenntnisse haben und Spanisch sprechen. Wir fragen sie nach unserem Weg, wobei sich herausstellt, dass diese ursprünglich geplante Route verworfen werden muss.
Als ich das letzte mal in dieser Gegend, ein Stück weiter unterhalb, in Pelechuco, zu tun hatte, wurde mir der Weg, den es schon seit 20 Jahren nicht mehr gibt, in den schillerndsten Farben beschrieben. Man versichert uns glaubhaft, dass dort kein Durchkommen ist. Die Angaben von denen ich ausging sind alle falsch gewesen, aber es hilft im Augenblick auch nichts, darüber zu lamentieren.
Juan und Rodolfo, so heißen die beiden sympathischen Quechua Indios, beschreiben uns die ungefähren Stationen einer alternativen Route, die zum gleichen Zielort führt und sich vielversprechend anhört: Von Agua Blanca über den "Bärenweg" nach Calestia, dann weiter nach Mojos, von dort über eine befahrbare Schlaglochpiste nach Tuichi, dann weiter in die Kreisstadt Apolo, einem Zentrum des Cocahandels. Sie geben zu, dass sie den Weg nur bis Calestia kennen, wo er eigentlich gerade erst beginnt. Aber diese Anhaltspunkte genügen fürs erste.
Jetzt erst fällt mir auf, dass Jose Straßenschuhe trägt. "2 Paar Schuhe mitzunehmen ist doch völlig unnötiges Gewicht, wir gehen doch nicht auf eine Tanzveranstaltung" tadle ich ihn. "Ich habe in der Eile des nächtlichen Aufbruchs meine Laufschuhe in Quirambaya vergessen" gibt Jose kleinlaut zu. Jose braucht 40 getrabte Minuten von Quirambaya zur Bushaltestelle in Sorata - es ist mir allerdings ein Rätsel, wie man da nicht an seine guten Schuhe denkt! Auf diesen Versammlungen wird immer viel getrunken, das würde die Sache vielleicht erklären. Eine Schuldfrage ist jetzt nicht von Bedeutung, das ändert am Sachverhalt auch nichts. Die abgelatschten Straßentreter können jedenfalls die vor uns liegenden strengen Marschtage keinesfalls aushalten, sie fallen schon fast von alleine auseinander. In Agua Blanca gibt es keinen Gemischtwarenladen und ob wir in Pelechuco, dem nächsten und letzten Dorf für längere Zeit, Turnschuhe kaufen werden können, wissen Juan und Rodolfo nicht.
Wir bedanken uns herzlich bei den beiden gastfreundlichen Quechua, bezahlen das Quartier, verabschieden uns und gehen zu Bett. Tief in der Nacht schlägt ein böser Platzregen auf das Blechdach des Hauses wie unablässige Trommelwirbel. Hoffentlich wird das Wetter wieder besser!
Aufbruch: | 30.08.2004 |
Dauer: | 7 Tage |
Heimkehr: | 05.09.2004 |