Schlüssel zum Paradies - Tor zur Hölle: die Apolobamba-Region, Bolivien
Beginn der Expedition: 2. Tag
Wir sind schon früh auf den Beinen, unsere Rucksäcke sind schnell gepackt. Beim Frühstück beschreibt uns Geronimo genauestens den Weg und nennt uns alle Ortsnamen bis Mojos - dort soll es eine Straße geben, welche aber zu Beginn oft durch Erdrutsche verschüttet ist. Die Neuigkeit von der Straße ist mit einiger Vorsicht zu genießen, da Geronimo sie nicht kennt, diese Informationen also nicht aus erster Hand stammen. Hatten wir von der Strasse in Mojos nicht schon in Agua Blanca gehört? Vielleicht stimmt es ja doch.
Wir verabschieden uns von dem kleinwüchsigen und immer verschmitzt lächelnden Geronimo, dessen große Hakennase so gar nicht zu dem Gesamtbild seiner schlanken Erscheinung passen mag, nicht ohne zu versprechen, ihn irgendwann einmal wieder besuchen zu kommen. Geronimos Kinder begleiten uns bis zum Beginn des ausgeprägten Weges, dann gehen wir wieder allein weiter.
Der breite, vor unendlich langer Zeit im rätselhaften Dunkel der Vergangenheit mit Granitstufen gepflasterte Weg führt schnell abwärts in wärmere Gefilde. Bald laufen wir durch dichten Urwald, es riecht nach Moos und Moder. Die Granitstufen verlieren sich später wieder, und es bleibt nur ein kleiner in den Busch geholzter Pfad übrig. Er windet sich in steilen Serpentinen durch Wald und dichtes Gestrüpp aufwärts, welches die Sicht auf wenige Meter beschränkt. Umgeben von einem undurchdringlichen Kosmos aus dichtem Grün lässt das feuchtwarme Klima unseren Schweiß in Strömen fließen bis wir ihn nach geraumer Zeit unter uns lassen und erneut kühlere andine Regionen erreichen.
Was für eine Aussicht tut sich da auf: Endlos sich aneinanderreihende Dschungeltäler tief unter uns, grenzenlose Almwiesen um uns und in der Ferne majestätische Andengebirge mit zerklüfteten Gletschern. Während man dieses weltentrückte Bild in sich einsaugt wie den Duft einer betörenden Blume erscheint das Leben als unwirklicher Traum, der, noch während man ihn träumt, die Frage aufwirft, wie das Erwachen aussehen mag und wo es zu finden ist.
Jose zieht mich am Hemdsärmel: "Wir müssen weiter" höre ich ihn sagen und folge ihm, weil er schon ein Stück vorausgeeilt ist. In der nunmehr kühlen Luft legen wir ein rasches Tempo vor. Zeitweise vergesse ich einfach, wo ich eigentlich hin will und lasse mich einfach treiben wie ein Stück Holz in einem großen Fluss. Alles sein lassend lasse ich endlich das Sein wieder zu. Die Landschaft geht wie ein Orakel über das verborgene Phänomen, das sie für das Auge darstellt, hinaus und deutet mehr an. Und dennoch reicht diese Andeutung nicht aus, um das, was hinter dem Sichtbaren liegt, in greifbare Worte zu fassen.
Gegen den späten Nachmittag beginnt es wieder zu regnen. "Schaltjahr, Kaltjahr" murmle ich vor mich hin bis die Worte ihre Bedeutung verlieren. Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt, sind ganz schön müde und finden dennoch für den Augenblick keinen ebenen Zeltplatz mit dem notwendigen Wasser. Also weiter, bevor es dunkel wird, obwohl die Beine schon schwer sind.
In Windungen und Spitzkehren steigen wir ab zur oberen Waldgrenze. Dort kommen wir zu einem länglichen, nach allen Seiten hin mit steilen, bewaldeten Hängen abfallenden Plateau, welches wie ein schlanker Schiffsbug das Nebelmeer unter ihm pflügt während sich erste Sterne am aufklarenden Nachthimmel zeigen. Eine auf dem Nebel schwimmende Zeltinsel mit einem kleinen Bächlein - was wollen wir mehr? Hier bleiben wir!
Der Alkohol für den Kocher ist weg. Jose hat ihn in einer doppelten Plastiktüte außen am Rucksack befestigt. Die zwei Tüten sind noch da, aber sie haben ein Loch. Jose erinnert sich jetzt, dass er vor einem halben Tag mit seinem Rucksack an einem Ast hängen blieb und sich gewaltsam losriss. Dort muss der Alkohol irgendwo herausgefallen sein. Zu spät. Wir werden ohne Brennstoff auskommen müssen. Nachdem das Zelt aufgestellt ist, was lediglich einige Minuten in Anspruch nimmt, suchen wir mühselig mit der Taschenlampe nach dürren Ästen, die nicht durch den Regen feucht geworden sind. Mit ihnen zünden wir umständlich ein kleines, rauchendes Feuer an, auf dem wir heiße Schokolade zubereiten und uns vor dem Schlafengehen wärmen können.
Wir gehen früh zu Bett und ich bin unendlich froh, mich nach einem anstrengenden Tag hinlegen zu können. Tief in der Nacht macht sich irgendein Tier geräuschvoll an unserem Teekessel zu schaffen und das Geklimper weckt mich auf. Ansonsten schlafe ich tief und traumlos.
Aufbruch: | 30.08.2004 |
Dauer: | 7 Tage |
Heimkehr: | 05.09.2004 |