Schlüssel zum Paradies - Tor zur Hölle: die Apolobamba-Region, Bolivien
Beginn der Expedition: 1. Tag - Ankunft in Calestia
Eine Stunde später erreichen wir unser Tagesziel. Calestia wurde uns viel größer geschildert und so haben wir es uns dementsprechend anders vorgestellt. In der Realität besteht es lediglich aus 4 bewohnten Lehmhütten, einigen verlassenen Ruinen und einer stattlichen, halbverfallenen Kirchenruine. Woher mag wohl die schwere Kupferglocke im Kirchturm einmal gekommen sein? Wir können es uns nicht erklären und sie kann uns ihr Geheimnis nicht erzählen.
Als nächstes benötigen wir dringend eine Bleibe für die Nacht. Ein bisschen befangen gehen wir zwischen den Häuschen durch und sehen uns um. Eine Quechua-Familie mit 3 halbwüchsigen Kindern sitzt am unteren Dorfrand im Kreis um eine offene Feuerstelle vor ihrer Hütte, zwischen ihnen und uns grast eine kleine Ziegenherde. Wir gehen auf die Hütte zu, die Ziegen nehmen meckernd Reißaus, in respektvollem Abstand bleiben wir stehen und Jose fragt höflich, ohne die Stimme laut zu erheben, nach Quartier, während ich stumm bleibe. Diese Vorgehensweise hat sich auf hunderten von Erkundungsfahrten bewährt, in fremden Dörfern lässt es sich trotzdem nie vorhersehen, wie du empfangen wirst.
Ein großer schwarzer Hund kommt von irgendwoher in vollem Lauf direkt auf uns zugeschossen, ich halte den Atem an. Kurz vor mir bremst er ab und wedelt mit dem Schwanz, womit er seiner Freude über unser Kommen Ausdruck gibt. Ich gebe es ungern zu, aber einen Moment lang bin ich fürchterlich erschrocken, auch Jose schnauft erleichtert aus und lässt meinen Arm los, den er schmerzhaft fest gepackt hielt. Der Hund springt an mir hoch und leckt mir die Hände, worauf das Familienoberhaupt lachend zu uns herüber grüßt. Das Eis ist gebrochen, wie schön, wir sind willkommen.
Der Mann hat tausend Fragen, wir sind für ihn wie eine Zeitung mit Neuigkeiten aus der Außenwelt, von der er lange nichts gehört hat. Soweit wir können geben wir gerne Auskunft. Nach einem Restaurant brauchen wir gar nicht erst zu fragen, aber Geronimo, so heißt der Familienvater, lädt uns mit großzügiger Geste zum geselligen Abendessen ein.
Beim Essen tauen auch die bisher stummen Kinder, ein Mädchen und zwei Jungs, auf. Die Frau hält sich zurück, wie es Sitte ist, fragt uns aber doch hin und wieder dies und das. Die gastfreundliche Familie und das kleine Feuer erzeugen Wärme, eine Wärme, welche die Zentralheizungen moderner Städte niemals vermitteln werden können.
Das Klima ist in Calestia bereits gemäßigt und dichtes Buschwerk umgibt das an einem Hang liegende Dörfchen. Ein paar Meter vom Haus entfernt sprudelt eine Quelle aus dem Boden und nicht weit unterhalb der Hütte beginnt schon dichter Wald.
Nach dem Abendessen stellen wir unser Einmann-Zelt auf. Es ist zwar klein, aber wir haben unseren zweiten Wohnsitz genauso lieb wie ein Sesshafter sein Ferienhäuschen. Das Glück auf großen Wegen zu Fuß liegt in der Einfachheit. Was würden wir hier mit einem großen Zelt anfangen, welches nur eine unnütze Last auf einem beschwerlichen Weg bedeutete? Wenig ist für einen Nomaden gleichbedeutend mit viel.
Geronimo zündet trockenen Ziegendung an, um mit dem sich entwickelnden Rauch die Mücken zu vertreiben, während Jose und ich den zutraulichen Hund mit handgreiflichen Argumenten dazu überreden, draußen vor dem Zelt zu bleiben und uns schlafen legen.
Es beginnt zu dunkeln, eine Weile liegen wir noch bei geöffnetem Eingang wach im Zelt und lassen die Nacht auf uns einwirken. Der Himmel ist sternenklar. Wir haben heute eine sehr weite Wegstrecke mit 4600 Höhenmetern im Auf- und Abstieg zurückgelegt und können mit dieser Leistung zufrieden sein.
Aufbruch: | 30.08.2004 |
Dauer: | 7 Tage |
Heimkehr: | 05.09.2004 |